Reformationstag
Pharisäer und Zöllner im Tempel

Reformationstag

Wenn uns gute Werke schaden... 

 

Sie finden es vielleicht seltsam. Aber ich fürchte, dass uns unsere guten Taten viel mehr schaden als die schlechten – und dass auch viel mehr Menschen verloren gehen wegen guter als wegen böser Werke. Ja, es scheint mir gefährlicher, wenn einer in der Tugend Fortschritte macht, als wenn er regelmäßig Versuchungen erliegt. Und wenn ein guter Mensch für sein Engagement, für seine Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit gelobt wird, muss man sich um seine Seele große Sorgen machen. Denn ich meine wirklich, dass mehr von uns über ihre Stärken stolpern als über ihre Schwächen. Warum aber das? Was fällt mir ein? Wie kann ich behaupten, gute Werke seien gefährlich, wo uns das Neue Testament doch ständig mahnt, untadelig zu leben, Liebe zu üben und das Böse zu meiden? Nun, der Grund ist einfach, dass ein Mensch, wenn er sich auch nur halbwegs gut vorkommt, unweigerlich beginnt auf diese seine Qualität zu starren, sich selbst zu gefallen und dann stolz darauf zu vertrauen, dass ein so tüchtiger Kerl wie er sich vor Gott und den Menschen sehen lassen kann. Findet der Mensch nur den geringsten Grund, ist er auch schon überzeugt ein aufrechter Charakter zu sein. Und je besser er sich fühlt, desto weniger fragt er nach Gottes Gnade. Denn das ist typisch für unsere verdrehte Menschennatur, dass wir den Grund unserer Zufriedenheit gern in uns selbst suchen und uns allzu leicht für die eigenen Vorzüge begeistern – sei es nun unsere edle Herkunft, unser großer Scharfsinn oder unsere Willenskraft. Wo der Mensch kann, baut er lieber auf das, was er selbst leistet, als auf das, was Christus für ihn tut. Und dass er was Rechtes leistet, davon ist er schnell überzeugt. Denn während er mit den Sünden der anderen hart ins Gericht geht, weiß er die eigenen stets zu entschuldigen. Den Splitter im Auge des Bruders sehen wir, den Balken im eigenen Auge nicht (Mt 7,1-5). Und so meint dann jeder, er habe Vergebung längst nicht so nötig wie die anderen. Jeder für sich ist überzeugt, dass er’s eigentlich nicht böse meint, sondern sein Bestes tut. Und in solchem Selbstvertrauen gerät dann Christus aus dem Blick. Denn man hat das Gefühl, wenn schon nicht „vollkommen“, so doch einigermaßen tüchtig zu sein – und gewiss nicht schuldiger als der Rest. So fühlt sich der Mensch dann der Gnade nicht wirklich bedürftig – und geht genau darum verloren. Nun meinen viele, das ließe sich doch vermeiden. Sie selbst z.B. wären anständige Leute – und wären trotzdem sehr bescheiden! Aber leider liegt uns das Selbstgefällige so sehr im Blut, dass wir ohne den Heiligen Geist nicht davon loskommen. Es ist uns unmöglich, „gut“ zu sein, ohne wenigstens heimlich darüber stolz zu werden! Oder kennen wir das nicht auch von schönen Menschen? Manche wachsen heran und sind wunderschön – solange sie nichts davon wissen. Sobald es ihnen aber bewusst wird, erwacht auch die Eitelkeit und verdirbt alles, weil man ihrem Getue dann leider anmerkt, wie sehr sie sich gefallen. Wenn einer studiert und ihm plötzlich klar wird, dass er viel schlauer ist als seine alten Freunde, geschieht dasselbe. Gleich bildet er sich was drauf ein, lässt die anderen seine Überlegenheit spüren und belehrt sie von oben herab. Und kommt ein Trottel durch glückliche Umstände zu viel Geld oder viel Macht, meint der auch nie, es sei bloß Glück gewesen, sondern denkt, es habe daran gelegen, dass er so viel cleverer und fleißiger ist als all die anderen. Ja, wenn ein Mensch wirklich mal aufrichtig und gut ist, ohne sich zu überheben, darf man’s ihm bloß nicht sagen. Denn prompt fängt er an, auf seine Demut stolz zu sein – und alles ist verdorben! Eigentlich müsste das nicht so sein. Viel richtiger wär’s ja, wenn wir alles Lob gleich an unseren Schöpfer weiterreichten, dem es in Wahrheit gebührt! Doch liegt der Fehler unausrottbar in der menschlichen Natur, dass wir den Grund unserer Zufriedenheit in uns selber suchen. Statt uns der Macht und Güte Gottes zu trösten, möchten wir solche Qualitäten lieber selbst besitzen. Und so schaffen wir‘s nicht, ein einziges gutes Werk zu tun, ohne uns etwas drauf einzubilden. Und sollten die anderen wieder nicht bemerken, wie toll wir sind, klopfen wir uns wenigstens selbst auf die Schulter. Denn eigentlich wollen wir gar nicht von Gottes Gnade leben, sondern wollen aus uns selbst heraus etwas gelten. Auch von Gott möchten wir im Glanz unserer Verdiensten gesehen werden, damit er uns um ihretwillen liebt und belohnt. Nicht erbarmen soll er sich, sondern soll honorieren, was wir alles leisten! Doch in dieser anmaßenden Haltung haben wir dann unsere Rechtfertigung selbst in die Hand genommen und Christus außen vor gelassen. Wir rufen: „Schau mal, Gott – ich habe die Welt ein Stück besser gemacht! Schau mal – ich stehe auf der richtigen Seite und bin einer von den Guten! Schau mal – wenn alle so wären wie ich, wäre die Welt ein besserer Ort! Schau, wieviel Geld ich spende – das macht nicht jeder! Schau, wie geduldig ich meine Krankheit trage, ohne drüber zu jammern! Schau, wie meine Kinder so wohl geraten sind, habe ich das nicht gut gemacht? Schau, wie nett ich zu der alten Tante bin, obwohl ich sie gar nicht leiden kann! Schau, wie viele schöne Predigten ich schon zu deiner Ehre gehalten habe, sind die nicht prima?“ Ja, der verdammte Stolz hat uns im Griff. Wir wollen was gelten und etwas vorweisen, das nicht bloß unsere Mitmenschen beeindrucken soll, sondern auch Gott. Kaum haben wir etwas getan, das der Anerkennung wert erscheint, sonnen wir uns in dem Gefühl Wohltäter zu sein. Sollte uns aber der Gedanke beunruhigen, dass nicht alle Menschen in den Himmel kommen, trösten wir uns mit den vorzeigbaren Qualitäten, die uns über andere erheben – und von denen wir erwarten, dass sie an der Himmelspforte doch wohl einen Unterschied machen. Ja, für den Fall, dass Gottes Gnade nicht für alle reicht, haben wir lieber ein paar Asse im Ärmel. Was heißt das aber anderes, als dass wir unsere Rechtfertigung selbst in die Hand nehmen und sie eben nicht Jesus Christus überlassen, wie es unserem Glauben entspräche? Wenn wir eigene Gut-Taten in die Frage der Erlösung mit hineinmengen, obwohl da nur die Taten Christi etwas zählen – was heißt das anderes, als dass wir Christus gar nicht wirklich vertrauen, sondern ihm bezüglich unserer Seligkeit ins Lenkrad greifen? Thomas Wilcox, ein Theologe des 17. Jahrhunderts, warnt davor und sagt es mit aller Deutlichkeit: 

„Du kannst Christus ebenso leicht durch Gutes-Tun als durch Sündigen zunichtemachen.“ „Glauben ist das wundervollste Ding in der Welt. Aber tue das Geringste von deinem Eigenen hinzu, so hast du es verdorben; Christus wird nicht den geringsten Blick darauf werfen, als ob es Glauben wäre. Wenn du glaubst und zu Christus kommst, so musst du alle deine eigene Gerechtigkeit zurücklassen und nichts mitbringen als deine Sünde (...). Christus will ein mit nichts vermengter Erlöser und Mittler sein, und du musst nichts als ein verlorener Sünder sein, oder Christus und du werden nimmer übereinkommen (...). Setze ihm das Geringste von deinem Eigenen an die Seite, so wird er dir nicht mehr Christus sein.“ 

Anders gesagt: Pfusche Christus nicht ins Handwerk! Denn wenn du ihm mit deinen guten Werken in die Quere kommst, wendet er sich ab und geht. Christus kam in die Welt, um Sündern zu helfen. Wenn du dich aber für etwas Besseres hältst als für einen Sünder, wird er sich für dich nicht mehr zuständig fühlen. Und das ist nur konsequent. Denn wenn du denkst, du hättest selbst genug Gutes getan, muss Christus dir ja nichts Gutes mehr tun. Wenn du meinst, du könntest vor Gottes Gericht für dich selber gerade stehen, kannst du‘s versuchen. Aber Christus wird dann nicht mehr dein Fürsprecher und Verteidiger sein. Das Heil deiner Seele liegt entweder in deiner eigenen oder in Christi Hand. Es liegt aber gewiss nicht in beiden. Und so musst du dich zwischen Tugendstolz und Glaubenstrost entscheiden – solltest dabei aber wissen, dass aller Trost, der nicht von Christus kommt, trügerisch ist und ins Verhängnis führt. Jesus jagt dich nicht davon, aber er sagt: Wenn du meinst, nicht arm zu sein an guten Werken und Gedanken – was willst du dann von mir? Ich komme zu denen, die mit leeren Händen dastehen! Du bist kein „Mühseliger und Beladener“ – also was haben wir miteinander zu schaffen? Ich kümmere mich um zerbrochene Herzen! Du meinst glaubensstark und über Gott im Bilde zu sein – also was stiehlst du mir die Zeit? Ich bin ein Beistand für Angefochtene und Zweifler. So wie ein Arzt kommen ich bloß zu kranken Leuten. Wenn du aber meinst, du wärst gesund, geh doch deiner Wege und versuch‘s ohne mich! Du freust dich wie jener eingebildete Pharisäer, der total froh war, kein Zöllner zu sein? Du willst Gott imponieren und hoch erhobenen Hauptes in Gottes Reich einziehen? Versuche dein Glück! Aber du wirst feststellen, dass die Jahreshauptversammlung der Selbstgefälligen nicht im Himmel stattfindet, sondern in der Hölle. Nun denken sie vielleicht, dass ich übertreibe. Aber es ist für mich eine traurige Erfahrung, dass zwar viele Menschen unter ihren Lebensumständen leiden, aber nur wenige unter einem echten Gefühl von Schuld. Fast alle sehen sich als Opfer fremden Versagens. Aber weit und breit hält sich kaum einer für einen Täter. Und wenn doch mal etwas schiefging, erklärt er sofort, warum eigentlich auch daran die andern schuld waren. Nach Geld wird ein Pfarrer heute viel öfter gefragt als nach Vergebung! Und das hemmt den geistlichen Fortschritt, den wir so nötig hätten. Denn wer sich für gut hält, sucht nicht nach der Gnade, die schlechte Menschen retten kann. Und dem schaden seine guten Taten dann wirklich mehr als die schlechten. Denn die schlechten könnte Christus ihm vergeben. Die guten aber verhindern, dass er sich an Christus überhaupt wendet. Und davon, dass sie Gutes tun, überzeugen sich die Menschen nur allzu leicht. Sie sind zu ihrer Familie genau so nett, wie das auch bei allen Heiden üblich ist – schließlich war sogar Hitler „lieb“ zu seinem Schäferhund! Und doch halten es die Leute schon für einen Beweis ihrer hohen christlichen Moral, wenn sie die eigenen Kinder lieben! Aus Angst vor dem Gefängnis haben sie noch niemand erschlagen. Und um nicht erwischt zu werden, haben sie ihre Frau nicht betrogen. Aber sind sie deshalb schon „gut“? Weil sie immer satt wurden, kamen sie nie in Versuchung, stehlen zu müssen. Und gelogen haben sie nicht mehr als nötig. Doch dieses im Grunde eigennützige, sozialkonforme Verhalten reicht ihnen schon, dass sie sich für ehrenwerte Leute und für gute Christen halten. Ein gütiges Schicksal hat sie um die Abgründe von Hass und Gewalt herumgeführt. Niemand drückte ihnen eine Waffe in die Hand. Und für große Verbrechen hätte ihnen sowieso die Leidenschaft gefehlt. Mehr aus Vorsicht als aus Tugend haben sie brav gelebt. Und schon meinen sie, die Anpassung an gesellschaftliche Erwartungen mache sie zu „guten Menschen“! Stets fällt ihnen jemand ein, der deutlich schlechter ist als sie. So fühlen sie sich der Gnade nicht bedürftig. Und weil man die Gnade nicht hat, wenn man nicht nach ihr greift, gehen sie dann verloren. Nicht, weil sie so große Sünder gewesen wären, sondern weil sie sich für Gerechte hielten – und in ihrem Dünkel meinten, Gott müsse doch mit ihnen zufrieden sein! Der eigenen Verkehrtheit ins Gesicht zu sehen, wäre viel besser gewesen. Denn dafür hat Gott ja längst eine Lösung gefunden. Christus hat am Kreuz teuer genug für alle Sünder bezahlt! Doch in Anbetracht ihres anständigen Lebens halten sie es nicht für nötig, sich Christus anzuvertrauen. Sorglos machen sie von seinem Angebot keinen Gebrauch. Sie wissen auch gar nicht, was Gott gegen sie haben sollte. Und so stolpern sie dann nicht über ihre schlechten Seiten, sondern über ihre vermeintlich guten. Denn während sie selbstzufrieden in den Spiegel schauen, haben sie Christus aus dem Blick verloren. Sie sind mit ihren Gedanken nicht bei ihm, sondern bei sich. Und falls nötig, meinen sie sogar, sie könnten Gott Rede und Antwort stehen. Sie nehmen ihre Rechtfertigung selbst in die Hand! Natürlich scheitern sie damit. Und nur der Teufel freut sich. Denn ihm ist es ganz gleich, ob wir über unsere Schwächen oder über vermeintliche Stärken stolpern. Viele dieser Narren, die von sich überzeugt sind, wissen durchaus, dass schuldige Menschen von der Gnade Gottes leben dürfen! Aber für „schuldig“ halten sie sich ja nicht. Sie sind nie verzweifelt genug, um sich ganz auf die Gnade zu werfen. Und so wird ihnen diese Gnade dann auch nicht zuteil. Denn sie liegt zwar für alle bereit. Aber keiner greift nach ihr, der seine Sünde noch nicht leid geworden ist. Bevor man seine Sünde loswerden kann, muss man sie erstmal als Last empfinden. Und wenn einen vermeintlich gute Werke daran hindern, sind sie eben darum schädlich. An und für sich sind die Werke natürlich so „gut“, wie der Name es sagt. Sie werden uns aber zum Verhängnis, wenn wir sie dort hineinmischen, wo sie nichts zu suchen haben, und ihrer gedenken, wo wir ihrer nicht gedenken dürften – wenn wir nämlich vor Gott mit Verdiensten prahlen, während er uns beschenken will. Unsere „Anspruchshaltung“ macht Gottes Geschenk dann zunichte. Denn er will seine Gnade aus reiner Freundlichkeit geben. Wenn wir aber so tun, als gebührte sie uns als Lohn, weil wir ja angeblich „das Herz auf dem rechten Fleck haben“, kann und will Gott nicht mehr großzügig sein. Er möchte uns die dreckigen Lumpen des Sünders ausziehen und möchte uns die Gerechtigkeit Christi anziehen wie ein prächtiges Gewand. Wenn der Mensch sich aber in den Lumpen seiner eigenen Gerechtigkeit so gut gefällt, dass er sie anbehalten will, kann er nicht neu eingekleidet werden. Gott möchte dem Menschen alles schenken, was er nötig hat. Der aber kann‘s nicht entgegennehmen, wenn er die Hände schon voll hat mit seinen vielen „guten Taten“. Gott will ihm zusammen mit dem Heiligen Geist auch den Glauben eingießen. Aber des Menschen Kopf ist schon bis an den Rand gefüllt mit eitlen Menschengedanken, so dass nichts mehr hineinpasst. Der Mensch will seine Armut nicht gestehen – wie kann Gott ihn da reich machen? Er will seine Schuld nicht bekennen – wie kann Gott ihm da vergeben? Er behauptet gesund zu sein – wie kann der Arzt ihn da heilen? Unser Stolz blockieren dann, was Christus an uns tun will. Und so wär‘s am Ende besser, wir täten kein einziges gutes Werk, als dass wir über unseren Hochmut stolpern und verloren gehen durch Gut-Taten, auf die wir uns etwas einbilden. Ja, selbst offene Bosheit wäre besser gewesen, denn die hätten wir immerhin bereuen können. Was soll das nun aber heißen? Sollen sie jetzt kräftig sündigen, weil ein Pfarrer sie vor guten Werken dringlich gewarnt hat? Das freilich nicht! Aber behalten sie bitte in Erinnerung, was Wilcox sagte: Man kann Christus ebenso leicht durch Gutes-Tun wie durch Sündigen zunichtemachen. Und wenn man meint, man sollte zu seiner Erlösung einen eigenen Beitrag leisten, wird man durch die Beimischung dieses „Eigenen“ alles verderben. Christus will das nicht vermischt und vermengt sehen, was er, und was wir tun. Aus dem Job, den er für uns übernommen hat, sollen wir uns ein- für allemal raushalten. Und wenn wir hoffentlich auch weiter gute Werke tun, dann bitte um des Nächsten willen, der sie nötig hat, und nicht etwa, damit wir in den Himmel kommen. Denn diese Angelegenheit hat Christus unserer Verantwortung entzogen. Mischen wir uns da bloß nicht hinein, so als ob Gottes Sohn halbe Sachen machte. Unterlassen wir jeden Versuch, uns selbst vor Gott zu rechtfertigen. Denn wenn wir Christi Verdiensten eigene Verdienste zur Seite stellen, wird er uns nicht mehr Christus sein. Und unserem Feind ist egal, wodurch er uns von der Gnade wegtreibt. Wenn er‘s nicht durch moralisches Versagen schafft, ist es ihm genauso recht, wenn moralischer Stolz diese Wirkung hat. Das Ziel ist ja allein, dass uns Christus aus dem Blick gerät. Und so nehmen wir besser ganz ernst, was Luther so deutlich gesagt hat: 

„Gottes Natur ist, dass er aus nichts etwas macht. Darum, wer noch nicht nichts ist, aus dem kann Gott auch nichts machen (...). Darum nimmt Gott nicht auf, denn die Verlassenen, macht nicht gesund, denn die Kranken, macht nicht sehend, denn die Blinden, macht nicht lebend, denn die Toten, macht nicht fromm, denn die Sünder, macht nicht weise, denn die Unweisen, kurz, erbarmt sich nicht, denn der Elenden, und gibt nicht Gnade, denn denen, die in Ungnade sind.“ Weil das aber wahr ist, darum lassen sie uns vor Gott gänzlich zunichte werden, auf dass er etwas aus uns machen kann!

 

Gebet zum Reformationstag

 

Allmächtiger Gott, barmherziger Vater, 

wir gedenken heute der großen Finsternis, in die deine Kirche für viele Jahrhunderte geraten war, weil man menschliche Gedanken wichtiger nahm als dein klares Wort und menschliche Werke wichtiger nahm als deine Gnade. Wir bitten dich aber um deine Hilfe, damit wir nicht dieselben Fehler in neuer Gestalt wiederholen und wieder eigenmächtig dein Wort verdunkeln, verdrehen und missbrauchen. Wir gedenken der Väter und Mütter im Glauben, die du vor 500 Jahren zu deinen Werkzeugen erwählt hast, um das Evangelium und die christliche Freiheit wieder ans Licht zu ziehen. Sie haben uns mit ihren Leiden, ihren Mühen und ihrem Kämpfen großen Dienst erwiesen. Und darum bitten wir dich, dass du es deiner Kirche auch heute an solchen Dienern nicht fehlen lässt, die für deine Wahrheit streiten und deinen Tempel von allem reinigen, was nicht hineingehört. Herr, wir sind nicht davor gefeit, die Fehler der römischen Kirche zu wiederholen oder in neue zu verfallen. Immer wieder dünken wir uns klüger zu sein als dein biblisches Wort, immer wieder setzen wir unseren Willen durch statt dem deinen, immer wieder verwechseln wir den Geist unserer Zeit mit dem Heiligen Geist, immer wieder wird der Erfolg der Treue vorgezogen, und die menschliche Weisheit der gläubigen Einfalt. Kaum haben wir die Kirche zu unserem eigenen Projekt gemacht, ist sie auch schon gescheitert, stinkt und fault an allen Enden! Darum nimm deine Kirche neu in die Hand, Herr, und reinige, was wir daran verdorben haben. Erhalte uns bei deinem Wort als der rechten Lehre und gründe uns fest auf den ewigen Fels, der da Christus heißt. Bleibe fort und fort deiner Kirche Schutz und Schirm, decke sie mit deinen Fittichen und lenke ihren Weg – auf dass sie nicht uns gefalle, sondern vor allem dir, nicht uns Ehre mache, sondern deinem Sohn, und notfalls auch gegen unseren Menschenverstand getrieben werde von deinem Heiligen Geist. Ja, Herr, wir bitten dich, dass du deine Kirche aus aller Zertrennung herausführst, dass du sie hinführst zur Wahrheit und durch die Wahrheit zur Einheit. Wo sie verdorben ist, da reinige sie, und wo sie im Irrtum steckt, da zeige ihr den Weg. Wo sie Abgöttern vertraut, bringe sie zurecht, und wo sie zerteilt ist, da heile den Bruch. Was an unserer Kirche verkehrt ist, das ordne, und was recht ist, das stärke – auf dass wir endlich eine Herde werden unter einem Hirten, nämlich unter Jesus Christus, deinem Sohn. Amen.  

 

Bild am Seitenanfang: The Pharisee and the Publican

John Everett Millais, Public domain, via Wikimedia Commons