Bileams Eselin
Balaam and his Ass, 1622, Pieter Lastman, Public domain, via Wikimedia Commons
Manche Bilder erklären sich von selbst. Dieses hier gehört aber nicht dazu. Denn wenn man die Geschichte nicht schon kennt, wird man aus dem Gemälde nicht schlau. Wir sehen da nur einen Mann mit Turban und rotem Umhang, der uns entsetzt anstarrt und gleichzeitig den Esel prügelt, der unter ihm zusammengebrochen ist. Der schreiende Esel schaut den bewaffneten Engel an, der auf ihn zukommt – kein Wunder, dass er nicht vorwärts will! Der Engel aber hat nicht etwa den Esel im Blick, sondern seinen Reiter. Und dieser überforderte Reiter – warum schaut der zu uns und nicht zum Engel hin? Sieht er den etwa nicht, wo ihn doch die Männer hinten im Schatten sehr wohl sehen? Wir werden aus dem Bild nicht schlau, wenn wir die Geschichte nicht kennen. Und so will ich verraten, dass der unglückliche Reiter Bileam heißt, dass er ins Alte Testament gehört und hier gerade unterwegs ist, um das Volk Israel zu verfluchen.
Warum aber das? Nun, weil ihm der König der Moabiter dafür reichen Lohn verspricht! Wir befinden uns in der Zeit der Wüstenwanderung. Und das Volk Israel (aus Ägypten kommend) sucht seine neue Heimat im gelobten Land. Doch die sesshaften Völker, durch deren Gebiete die Israeliten hindurch müssen, betrachten einen so großen Haufen wandernder Nomaden mit verständlichem Misstrauen. Sie sind sehr zahlreich, sie sind bewaffnet – und niemand kann genau wissen, was sie vorhaben. Daher war schon Sihon, der König der Amoriter, misstrauisch als die Israeliten an den Grenzen seines Landes erschienen. Sie versicherten ihm zwar, sie wollten bloß durchziehen und nirgends abbiegen, sie würden auch weder seine Felder antasten noch seine Weinberge (4. Mose 21,21-22). Doch als der König das nicht glauben will und Israel mit seinem Heer entgegentritt, wird er schmählich besiegt. Und dem König von Baschan geht es anschließend genauso. Wo man Gottes Volk nicht freiwillig durchlässt, erkämpfte es sich seinen Weg. Und Gott schenkte ihnen auch jedes Mal den Sieg. So gelangen sie dann an die Grenzen Moabs. Und als Balak, der König der Moabiter, das mächtige Volk kommen sieht, ist ihm klar, dass er es mit militärischen Mittel allein nicht besiegen kann, solange Israel den Segen Gottes auf seiner Seite hat. Balak ist in diesem Punkt klüger als andere Könige. Er versteht, dass es hier weniger um Waffen geht als um den „himmlischen Rückenwind“ der Israeliten. Bei ihrem Siegeszug sind höhere Mächte im Spiel als nur Soldaten, Schwerter und Spieße. Folglich will Balak zuerst diese höheren Mächte auf seine Seite ziehen, um anschließend gegen Israel bestehen zu können. Und da kommt unser Reiter mit dem roten Mantel ins Spiel. Denn Bileam ist ein berühmter Gottesmann, Magier und Wahrsager, der am fernen Euphrat wohnt. Er ist ein anerkannter Spezialist für religiöse Angelegenheiten – sozusagen ein „Profi“ fürs Segnen und Fluchen, Beschwören und Verwünschen. Darum lässt ihn König Balak durch Boten herbeirufen, verspricht ihm großen Lohn und sagt: „Siehe, es ist ein Volk aus Ägypten gezogen, das bedeckt das ganze Land und lagert mir gegenüber. So komm nun und verfluche mir das Volk, denn es ist mir zu mächtig; vielleicht kann ich's dann schlagen und aus dem Lande vertreiben; denn ich weiß: Wen du segnest, der ist gesegnet, und wen du verfluchst, der ist verflucht“ (4. Mose 22,5-6). Bileam ist nicht abgeneigt, den Auftrag zu übernehmen. Auch er muss von etwas leben! Doch in der Nacht spricht Gott zu ihm und sagt: „Geh nicht mit ihnen, verfluche das Volk auch nicht; denn es ist gesegnet“ (4. Mose 22,12). Bileam akzeptiert das und erteilt der Gesandtschaft am nächsten Morgen eine Abfuhr. Doch König Balak lässt so schnell nicht locker. Er schickt eine neue Delegation, die Bileam wiederum Gold, Silber und große Ehre verspricht, wenn er nur den Auftrag zur Verfluchung Israels übernimmt. Bileam will nicht recht und sagt: „Wenn mir Balak sein Haus voll Silber und Gold gäbe, so könnte ich doch nicht übertreten das Wort des Herrn, meines Gottes, weder im Kleinen noch im Großen“ (4. Mose 22,18). Doch Bileam schläft nochmal eine Nacht drüber. Und tatsächlich erlaubt Gott ihm, dem Ansinnen der Moabiter nachzugeben, wenn er bei dem Unternehmen nur jederzeit tut, was Gott ihm sagt. Bileam meint, er habe nun „grünes Licht“. Aber hat er Gottes Weisung auch recht verstanden? Oder hat er im Schlaf bloß gehört, was er hören wollte? Am nächsten Morgen sattelt er jedenfalls seine Eselin und will mit der königlichen Delegation nach Moab ziehen. Unterwegs passiert aber das, was unser Gemälde zeigt. Denn Gott ist mit Bileams Entschluss keineswegs einverstanden, sondern ist sehr zornig und stellt dem Reisenden seinen Engel entgegen. Wir lesen: „Die Eselin sah den Engel des Herrn auf dem Wege stehen mit einem bloßen Schwert in seiner Hand. Und die Eselin wich vom Weg ab und ging auf dem Felde; Bileam aber schlug sie, um sie wieder auf den Weg zu bringen. Da trat der Engel des Herrn auf den Pfad zwischen den Weinbergen, wo auf beiden Seiten Mauern waren. Und als die Eselin den Engel des Herrn sah, drängte sie sich an die Mauer und klemmte Bileam den Fuß ein an der Mauer, und er schlug sie noch mehr. Da ging der Engel des Herrn weiter und trat an eine enge Stelle, wo kein Platz mehr war auszuweichen, weder zur Rechten noch zur Linken. Und als die Eselin den Engel des Herrn sah, fiel sie in die Knie unter Bileam. Da entbrannte der Zorn Bileams und er schlug die Eselin mit dem Stecken. Da tat der Herr der Eselin den Mund auf und sie sprach zu Bileam: Was hab ich dir getan, dass du mich nun dreimal geschlagen hast? Bileam sprach zur Eselin: Weil du Mutwillen mit mir treibst! Ach dass ich jetzt ein Schwert in der Hand hätte, ich wollte dich töten! Die Eselin sprach zu Bileam: Bin ich nicht deine Eselin, auf der du geritten bist von jeher bis auf diesen Tag? War es je meine Art, es so mit dir zu treiben? Er sprach: Nein. Da öffnete der Herr dem Bileam die Augen, dass er den Engel des Herrn auf dem Wege stehen sah mit einem bloßen Schwert in seiner Hand, und er neigte sich und fiel nieder auf sein Angesicht. Und der Engel des Herrn sprach zu ihm: Warum hast du deine Eselin nun dreimal geschlagen? Siehe, ich habe mich aufgemacht, um dir zu widerstehen; denn dein Weg ist verkehrt in meinen Augen. Und die Eselin hat mich gesehen und ist mir dreimal ausgewichen. Sonst, wenn sie mir nicht ausgewichen wäre, so hätte ich dich jetzt getötet, aber die Eselin am Leben gelassen. Da sprach Bileam zu dem Engel des Herrn: Ich habe gesündigt; ich hab's ja nicht gewusst, dass du mir entgegenstandest auf dem Wege. Und nun, wenn dir's nicht gefällt, will ich wieder umkehren. Der Engel des Herrn sprach zu ihm: Zieh hin mit den Männern, aber nichts anderes, als was ich zu dir sagen werde, sollst du reden“ (4. Mose 22,23-35). Nun, das ist eine arge Demütigung für den berühmten Magier und Wahrsager, dass seine Eselin klarer sieht als er! Bileam galt schließlich als höchst gebildet, religiös kompetent und erfahren! Und doch – das vermeintlich dumme Tier, auf das er hier einprügelt, erweist sich als klüger und gottesfürchtiger als sein Reiter. Die sture Eselin rettet Bileam nicht nur das Leben, sondern erteilt ihm auch eine Lehre. Ohne ihre Leidensbereitschaft und Treue hätte der Engel ihn einen Kopf kürzer gemacht! Die Eselin hat ihren Besitzer vor großem Schaden bewahrt, während er sie in maßloser Wut misshandelte und schlug! Für einen berühmten Hellseher ist soviel Blindheit schon ziemlich peinlich. Vom Engel zur Rede gestellt, zeigt sich Bileam dann aber einsichtig. Er setzt seine Reise zwar fort und trifft den Auftraggeber. Er verspricht dem König aber nichts. Balak freut sich natürlich, dass sein ausländischer Spezialist fürs Okkulte endlich angekommen ist. Und er führt Bileam auf einen Berg, von wo er das Lager Israels gut überblicken kann. Die beiden bringen Opfer dar und beten. Aber aus Bileams Mund kommt anschließend nicht der bestellte Fluch über Israel, sondern ein Segenswort. Denn – so sagt er: „Wie soll ich fluchen, dem Gott nicht flucht? Wie soll ich verwünschen, den der Herr nicht verwünscht?“ (4. Mose 23,8). Sein Auftraggeber ist empört und schimpft: „Ich habe dich holen lassen, um meinen Feinden zu fluchen, und siehe, du segnest“ (4. Mose 23,11). Doch Bileam antwortet: „Muss ich nicht das halten und reden, was mir der Herr in den Mund gibt?“ (4. Mose 23,12). Der König gibt trotzdem nicht auf. Er meint, der Anblick Israels habe den Gottesmann vielleicht zu sehr eingeschüchtert. Er wiederholt den Versuch darum an einer anderen Stelle, wo man von dem mächtigen Volk nur einen kleinen Zipfel sieht. Dort werden erneut Opfer dargebracht. Aber der Spruch Bileams entspricht wieder nicht den Erwartungen. Denn er sagt: „Gott ist nicht ein Mensch, dass er lüge, noch ein Menschenkind, dass ihn etwas gereue. Sollte er etwas sagen und nicht tun? Sollte er etwas reden und nicht halten? Siehe, zu segnen ist mir befohlen; er hat gesegnet und ich kann's nicht wenden. Man sieht kein Unheil in Jakob und kein Verderben in Israel. Der Herr, sein Gott, ist bei ihm und es jauchzt dem König zu“ (4. Mose 23,19-21). Wahrscheinlich ist Balak die Zornesröte ins Gesicht gestiegen. Da lässt er für teures Geld eine Magier vom Euphrat kommen – und statt seine Feinde zu verfluchen, singt er ihnen ein Loblied! Gilt denn nicht „Wer zahlt, bestimmt auch die Musik“? Will Bileam seinen Job nicht erledigen? Oder überfordert ihn das, ein wenig Unheil heraufzubeschwören über ein dahergelaufenes Nomadenvolk? Da der Gottesmann schon mal da ist, besteht der König auf einem dritten Versuch. Aber der geht noch übler aus und endet in einem Fiasko. Denn Bileam wird jetzt erst so recht vom Geist Gottes ergriffen, er sieht des Allmächtigen Offenbarung und jubelt: „Wie fein sind deine Zelte, Jakob, und deine Wohnungen, Israel! ... Gesegnet sei, wer dich segnet, und verflucht, wer dich verflucht!“ (4. Mose 24,5.9.). König Balak ist nun stinksauer. Er hat in den besten Propheten investiert, den er bekommen konnte. Er hat viel Geld auf den Tisch gelegt, um Gott auf seine Seite ziehen. Und nun hat dreifacher Segen seine Feinde nur umso mächtiger gemacht. Total frustriert schickt der König den Bileam nach Hause, jagt ihn regelrecht davon und gibt ihm statt eines Lohns böse Worte mit. Bileam ist aber auch nicht faul und hinterlässt dem König noch eine ganz kostenlose Prophezeiung des Inhalts, dass die Israeliten eines fernen Tages sein Volk der Moabiter vernichten werden. Na, schönen Dank, wird sich der König gesagt haben, das hat ja toll geklappt! Diesen Propheten empfehle ich bestimmt nicht weiter. Freilich – was geht uns das alles an? Und welche Lehren sind daraus zu ziehen? Die erste Erkenntnis dürfte wohl sein, dass Gottes Wort fest steht, und kein Mensch etwas daran ändern kann. Hat Gott geredet, so gibt es kein Vertun und es ist auch keine Sache der „Auslegung“, ganz egal wieviele Priester, Professoren und Potentaten sich daran versuchen. Holen wir den Papst aus Rom und den Patriarchen aus Moskau, stecken wir noch den Erzbischof von Canterbury dazu, die EKD-Vorsitzende, den Dalai-Lama, Anselm Grün, zehn Voodoo-Priester und zwanzig Schamanen – auch wenn die sich alle einig würden, etwas zu segnen, was Gott nicht segnen will, wär‘s doch umsonst und änderte rein gar nichts. Denn was in Gottes Augen verkehrt ist, wird durch keine irdische Autorität richtiger. Und wenn‘s die UNO zum Menschenrecht erklären wollte, bliebe es doch verwerflich – und niemals würde etwas anderes daraus. Denn wo Gott geredet hat, ist die Diskussion zu Ende. Was er ablehnt, können geistliche Würdenträger mit tausend Segensworten schönreden, sie können es in Weihwasser baden und mit Weihrauch umnebeln, sie können es stundenlang bebeten und goldene Schnörkel daran machen – es hört davon doch nicht auf zu stinken und bleibt vor Gott genauso falsch wie zuvor. Wer will also wagen zu segnen, was Gott ablehnt, oder abzulehnen, was er segnet? Wer möchte den Fehler Bileams wiederholen und jenen Engel kennenlernen? Wer will, nachdem Gott geredet hat, noch seinen Mund aufmachen und „aber“ sagen? Wer traut sich, Gottes Wort zu verbiegen und zu verdrehen? Dem möge König Balak zur Warnung dienen. Denn der dachte auch, er könnte Gottes Autorität seinen Zwecken dienstbar machen. Und als ihm Gottes Wort nicht gefiel, jagte er den Boten davon. Aber geändert hat es nichts. Denn wer behielte jemals Recht gegen den Ewigen? Wenn die Bibel also Dinge sagt, die uns nicht in den Kram passen – wartet Gott dann etwa darauf, von uns darüber belehrt zu werden, was er besser hätte sagen sollen? Die führenden Theologen unserer Zeit sind da sehr schlecht beraten. Und ich wünschte ihnen, sie hätten eine klarsichtige Eselin, die unter ihnen in die Knie geht. Denn jener Engel versteht keinen Spaß.
Allerdings enthält Bileams Geschichte auch herrlichen Trost und macht uns große Freude, sobald wir die Sache aus der Perspektive des Gottesvolkes betrachten. Denn dann zeigt sich, wie wenig es von seinen Feinden zu fürchten hat. Wenn wir wirklich Gottes Volk sind, und er uns zu segnen beschlossen hat, kann uns kein Bileam mit einem wirksamen Fluch belegen, und auch die Hölle selbst gewinnt keine Macht über uns. Denn was will sie schon gegen Gottes Volk aufbieten? Beschwörungen und schwarze Magie? Böse Blicke und dunkle Rituale, okkulte Praktiken, Verwünschungen oder sonst einen faulen Zauber? Nichts davon kann uns treffen. Denn solange Gottes Segen auf uns ruht, neutralisiert er alles Böse, das uns jemand an den Hals wünscht. Niemand kann Gottes Volk wirksam verfluchen, solange er es segnen möchte. Daher sind wir unter seinem Schutz unantastbar. Und das darf uns frech und fröhlich machen. Denn Menschen, die im Glaubens stehen, kann der Feind zwar umbringen, aber besiegen kann er sie nicht. Er kann sie schinden, aber nicht überwinden. Er kann sie töten, aber nicht im Tod festhalten. So wie Christus selbst, stehen sie wieder auf. Und macht man sie auf Erden bettelarm, werden sie dadurch im Himmel nur umso reicher. Denn dass Gott sein Volk schützt, das gilt auch heute, da sein Volk des Neuen Bundes „Kirche“ heißt. Und kein Bileam kann etwas dran ändern. Denn mit all dem, was die Welt zu Unrecht gegen Gottes Volk geifert und spuckt, trifft sie immer Jesus Christus. Und der gibt ihr die passende Antwort, so dass wir, solange wir in Christus bleiben, tatsächlich so unüberwindlich sind wie Gottes Sohn selbst. Eine dritte Einsicht aus Bileams Geschichte sei zum Schluss noch kurz erwähnt – dass wir uns nämlich die Hemmungen und Hindernisse auf unserem Weg genau anschauen sollten, bevor wir uns drüber ärgern und anfangen die Eselin zu schlagen. Denn was Bileam für ein Unglück hält, erweist sich ja als großes Glück. Dass sein Reittier unter ihm einknickt, macht ihn zornig. Und doch hat es ihm den Kopf gerettet. Ja, ausgerechnet die arme Kreatur, die er für dumm und störrisch hielt, gab ihm wertvolle Weisung. Könnte es also sein, dass Gottes Vorsehung auch uns Steine in den Weg legt, die verborgenen Sinn haben? Wir erkennen ihn nicht gleich, sondern stöhnen und schimpfen, wenn unsere Pläne gehemmt werden. Aber vielleicht wären wir ohne diese Störung dem Engel schon ins Schwert gelaufen. Daher urteile man nicht zu schnell über die Sturheit des Tieres. Vielleicht ist es Gott selbst, der uns den Weg verstellt. Und in dem Fall nützt es sehr wenig, den Esel zu prügeln, sondern es lohnt viel eher, ihm zuzuhören. Schon mancher hat kostbare Wahrheit aus dem Mund eines Esels erfahren. Und vieles kann richtig sein, auch wenn‘s scheinbar der Falsche sagt. Prügeln wir in solchen Momenten also nicht den Esel, sondern fragen wir uns lieber, was er wohl gesehen hat.