Theologische Impulse K

 

KAIN UND ABEL

Erg.

 

KAIROS

Weil alle Dinge eine ihnen von Gott bestimmte Zeit „haben“, muss ihnen ihre Zeit nicht erst von Menschen eingeräumt oder zugewiesen werden. Gottes Vorsehung legt fest, wann sie „dran“ sind – und zu einem anderen Termin weigern sie sich stattzufinden. Wo Gottes Kalender Chancen eröffnet, darf man fröhlich zugreifen. Doch abtrotzen kann man ihm nichts. Und wer klug ist, fügt sich in Gottes Vorsehung, wie sich der Landwirt in die Abläufe der Natur fügt: Er tut zwar, was er kann, versucht aber nicht, die Jahreszeiten zu regieren. Und so lassen Christen Gott darüber entscheiden, in welchem Takt die Uhr ihres Lebens ticken soll.

zum Text

 

KAMPF

Das Leben ist ein Kampf, in dem sich der menschliche Wille zum Leben gegen den Tod zu behaupten sucht. Ob aber dies tägliche Ringen Sinn macht, hängt davon ab, ob es ein - aufs Ganze gesehen - gewinnbarer oder schon verlorener Kampf ist. Christen glauben Ersteres, denn die Auferstehung Christi ist der entscheidende Sieg, der den Ausgang des ganzen Krieges vorwegnimmt: Seither gewinnen die Mächte der Finsternis zwar noch einzelne Schlachten. Aber sie gewinnen nicht mehr den Krieg.

zum Text

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

„Darum spricht nun Paulus: Laß uns so elend sein, als kein Mensch auf Erden ist, und uns schrecken und betrüben, was da schrecken und betrüben kann, Tod, Hölle und alle Unglück, und so böse sein, als immer werden kann. Nun aber ist ja Christus auferstanden, nicht aus dem Schlaf (spricht er), sondern aus dem Tod, denn er ist sowohl gestorben und unter der Erde gelegen als andere; aber er ist lebendig wieder hervorkommen aus dem Loch, darin er begraben lag, und hat beide, Teufel und Tod, gewürgt und gefressen, die ihn gefressen hatten, und seinen Bauch und Höllenrachen zerrissen, und ist hinauf gen Himmel gefahren, da er nun sitzt im ewigen Leben und Herrlichkeit. Das soll unser Trost und Trotz sein. Denn in desselben Namen sind wir getauft, hören und bekennen sein Wort. Von ihm heißen wir Christen, und um seinetwillen leiden wir alles Unglück und Herzeleid vom Teufel; denn es gilt nicht uns, sondern ihm selbst und seinem Reich, welchem er feind ist, und trachtet, wie er's zerstöre, und uns so mitfahre, und müde mache mit jächen, plagen und würgen, dass wir sollen ihn fahren lassen. Aber wir wollen uns auch getrost gegen ihn setzen, und sagen: Nein, du schändlicher, leidiger Teufel, so böse sollst du es nicht machen, dass ich um deinetwillen die Taufe und meines Herrn Namen wolle fahren lassen, kannst du trotzen und toben auf deinen Tod, Feuer, Wasser, Pestilenz und Hölle, so können wir trotzen auf diesen Herrn Christum, der dich überwunden hat, und kann dich wiederum würgen, und ewig in die Hölle stoßen (wie er auch tun wird), und uns lebendig aus deinem Rachen reißen. Darum friss uns, wenn du kannst, oder jäche uns dem Tod in Rachen, aber bald sollst du sehen und fühlen, was du gemacht hast, und wollen dir wieder ein Gerumpel im Bauche anrichten, und durch die Rippen reißen, dass du lieber solltest einen Turm, ja, einen ganzen Wald verschlungen haben. Denn du hast zuvor auch einen gefressen und unter die Erde bracht, der dir zu stark war, und musstest ihn mit allen Schanden wiedergeben, ob du auch wohl trotzest und lästerst: „Er hat andern geholfen, er helfe ihm nun selber“ etc. Aber jetzt trotzt er mit dir wieder, und ist dein Tod und Hölle worden, und wird dich bald durch uns vollend stürzen am jüngsten Tage.“ (Martin Luther)

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

Friede ist nicht die Abwesenheit allen Kampfes, sondern die Anwesenheit Gottes. Eva von Tiele-Winckler

 

Konfuzius sprach: „Die eigenen Fehler bekämpfen und nicht die der anderen - werden dadurch nicht schlechte Eigenschaften überwunden?“ „Gespräche“ des Konfuzius

 

Man sollte nie seine beste Hose anziehen, wenn man hingeht, um für Freiheit und Wahrheit zu kämpfen. Henrik Ibsen

 

Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. Friedrich von Schiller

 

Versuchungen bekämpft man am besten durch Geldmangel oder Rheumatismus. Joachim Ringelnatz

 

Wer davon lebt, einen Feind zu bekämpfen, hat ein Interesse daran, dass er am Leben bleibt. Friedrich Nietzsche

 

Wer zulange gegen Drachen kämpft, wird selbst zum Drachen. August Strindberg

 

Wer nicht von Brosamen und Almosen, noch vom Raube zu leben, und für ein Schwert alles zu ent­behren weiß, ist nicht geschickt zum Dienst der Wahrheit; Der werde frühe! ein vernünftiger, brauch­barer, artiger Mann in der Welt, oder lerne Bück­linge machen und Teller lecken: so ist er für Hunger und Durst, für Galgen und Rad sein Leben lang sicher. Johann Georg Hamann

 

Zi-lu fragte: „Hätte der Meister ein großes Heer zu führen, wen würde er dann neben sich haben wollen?“ Konfuzius antwortete: „Wer sich mit bloßen Händen auf einen Tiger wirft, ohne Boot den Fluss überquert und sich ohne weiteres in den Tod stürzt, den würde ich nicht nehmen. Es müsste einer sein, der mit Vorsicht an die Dinge herangeht, der alles sorgsam bedenkt und schließlich auch zustande bringt, was er plant.“ „Gespräche“ des Konfuzius

 

KANON

Die katholische Kirche brüstet sich gern, sie habe im 4. Jh. das NT „erstellt“, und ihr verdanke es darum seine Geltung. Doch ist die Kirche aus Gottes Wort entstanden – und nicht umgekehrt. Sie beugte sich unter Gottes Wort, nicht damit es Autorität bekäme, sondern weil es sie besaß. Es verdankt seine Entstehung, Wirkung und Geltung allein dem, der’s geredet hat. Und zu keiner Zeit stand die Kirche Gottes Wort so frei gegenüber, dass sie seine Geltung erst hätte beschließen müssen. Die Schriften des NT imponierten durch die ihnen innewohnende Kraft. Und einen anderen Beweis ihrer Autorität brauchen sie auch heute nicht. Denn wenn mich die Sonne geblendet hat, muss ich nicht erst prüfen, ob sie hell ist.

zum Text

 

KARFREITAG

1.

Die Kreuzigung Christi war kein Justizirrtum und kein Missverständnis, sondern eher eine Kampfhandlung. Christus war ein Opfer der Menschheit, die sich dem Anspruch Gottes entziehen wollte, indem sie seinen Repräsentanten aus der Welt schafft. Und Christus war zugleich ein Opfer Gottes, der ihm als Repräsentanten der Menschheit diesen Tod zugemutet hat. Erst von Ostern her erschließt sich der Sinn dieses schrecklichen Vorganges: Gottes Sohn ging durch die Hölle, damit wir es nicht müssen.

zum Text

2.

Das Kreuz Christi ist der Ort, an dem der gerechte Zorn Gottes und die stumpfe Verstocktheit der Menschen aufeinanderprallen. Dort trägt Christus unsere Krankheit und lädt auf sich unsere Schmerzen. Er tut’s aber nicht, um hinterher bedauert zu werden, sondern trägt unsere Last, damit wir es nicht müssen. Er blutet, um unsere Wunden zu heilen. Er geht durch die Hölle, um sie uns zu ersparen. Er stirbt, damit wir leben. Er wird gering, um uns zu erhöhen. Er zieht uns weiße Kleider der Unschuld an und lässt uns teilhaben an seiner eigenen Reinheit. So hat der Fluch, der uns galt, das Kreuz nicht überlebt. Da es aber zu unserem Trost geschah, wär’s Christus ein schlechter Lohn, wenn wir uns dessen nicht freuten.

zum Text

 

Karriere

Karriere ist ein Pferd, das ohne Reiter vor dem Tor der Ewigkeit anlangt. Karl Kraus

 

Konfuzius sprach: „Selten trifft man jemanden, der drei Jahre lernt, ohne dabei an die Karriere zu denken.“ „Gespräche“ des Konfuzius

 

KATASTROPHEN

Gott hat nicht aufgehört zu strafen. Und seine Strafen bringen Leid. Doch ist deswegen nicht alles Leid als Strafe anzusehen. Denn Gott kennt Strafen zur Seligkeit und Strafen zur Verdammnis. Er kennt gnädige Heimsuchungen zur Besserung und ungnädige zum Verderben. Die ersten treffen nur Christen, und die zweiten treffen nur Nicht-Christen. Denn für diese trägt Christus ihre Schuld. Und für jene ist sie noch eine offene Rechnung. Die einen treibt von Gott kommendes Leid immer weiter zu ihm hin. Die anderen treibt es immer weiter von ihm fort.

zum Text

 

KEUSCHHEIT

Man muss auch nein sagen können. Denn es gibt Bilder, Bücher, Gespräche und Beschäftigungen, die uns (nicht äußerlich, sondern) innerlich verunreinigen und für die Gemeinschaft mit Gott untauglich machen. Dem muss man sich nicht aussetzen, sondern kann Enthaltung, Distanz und Keuschheit dagegensetzen, die nicht alles mitmacht, sondern nur, was Gott gefallen kann. Denn zum Glück ist auch das Gute infektiös. Die Berührung mit dem Reinen, kann rein machen, und das Heilige, mit dem wir uns beschäftigen, kann im Kontakt abfärben.

zum Text

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

„Groß ist die Würde der Keuschheit, weil sie in dem Leibe Christi geheiligt worden ist: groß ist die Würde der Keuschheit, weil sie im Fleische außer dem Fleische leben macht. Wie es nichts erbärmlicheres gibt, als vom Fleische überwunden werden, so gibt es nichts herrlicheres, als das Fleisch überwinden. Und nicht bloß die äußeren Hurereien sind zu fliehen, sondern auch die unreinen Gedanken, weil Gott nicht bloß der Richter der äußeren Handlungen, sondern auch der innern Gedanken ist. Durch’s Gesicht wird oft die Frömmigkeit, durch die Augen oft die Keuschheit verletzt, höre, was die Wahrheit spricht: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen Matth. 5,28.“ (Johann Gerhard)

 

„Zunächst von der Keuschheit. Die spricht Christus Mat. 19,11 allen Menschen ab; es sei denn, dass sie einigen von oben her gegeben worden ist; wem sie gegeben worden ist, der mag sie gebrauchen. Gottlos aber und ebenso unfreundlich, wie wenn ich einem Freunde verspräche, das ganze Jahr aus seinem Geldbeutel zu leben, ist es, Gott etwas zu versprechen, was ich nur haben kann, wenn er es mir gibt. Heißt das nicht, dem Freunde versprechen, dass Du aus seinem Geldbeutel leben willst? Der göttliche Paulus löst 1. Kor. 7,9 ausführlich und deutlich diesen Knoten von der Keuschheit mit den Worten auf: „Können sie nicht enthaltsam sein, so mögen sie heiraten! Heiraten ist besser als brennen“. Brennst Du? So heirate. Es ist besser und richtiger, die Glut unbändiger Lust durch Heiraten zu löschen, als in der Glut unruhige und schmutzige Gedanken mit sich herumzutragen.“ (Ulrich Zwingli)

 

Kind

Alles Glücklichsein ist das eines Kindes im Theater. Das Alter weiß, wie die Dekoration von hinten aussieht und der Schauspieler zu Hause. Freilich bleiben die meisten bis zu ihrem Tode große Kinder. Wilhelm Raabe

 

Besteht nicht die Hälfte der Kinderzucht darin, das wieder abzulehren, was die Kinder von Erwachsenen sehen und lernen? Karl Julius Weber

 

Die Arbeit läuft dir nicht davon, wenn du einem Kind einen Regenbogen zeigst. Aber der Regenbogen wartet nicht, bis du mit der Arbeit fertig bist! Aus China

 

Du hörst auf, ein Kind zu sein, an dem Tage, da du das Wort Pflicht verstanden hast. Carmen Sylva

 

Eine der größten Leistungen der Vorsehung ist das Glück der Kinder. Wäre die Welt etwas Gutes, so müsste man die, welche nichts von ihr verstehen, am meisten beklagen. Antoine Rivarol

 

Eine Ehe, in der Kinder nicht gewünscht oder nicht vermisst werden, ist ein Konkubinat. Oswald Spengler

 

Gott hat den Kindern keine Magd, sondern eine Mutter gegeben. Adolf Kolping

 

Kinder und Uhren dürfen nicht beständig aufgezogen werden, man muss sie auch gehen lassen. Jean Paul

 

Kinder, die man nicht liebt, werden Erwachsene, die nicht lieben. Pearl S. Buck

 

Mensch wirst du nicht ein Kind, so gehst du nimmer ein,

Wo Gottes Kinder sind: Die Tür ist gar zu klein. Angelus Silesius

 

Wenn alte Leute sich recht kennten, so würden sie nicht über Kinder die Schultern zucken. Johann Georg Hamann

 

Wenn unsern Pädagogen ihre Absicht gelingt, ich meine, wenn sie es dahin bringen können, dass sich die Kinder ganz unter ihrem Einfluss bilden, so werden wir keinen einzigen recht großen Mann mehr bekommen. G. Chr. Lichtenberg

 

Wer die Pflichten eines Vaters nicht erfüllen kann, hat kein Recht, es zu werden. Weder Armut noch Arbeit noch menschliche Rücksichten können ihn davon entbinden, seine Kinder zu ernähren und selber zu erzie­hen. Leser, du darfst mir hierin wahrlich Glauben schenken: Wer ein Herz hat und diese heiligen Pflichten versäumt, dem prophezeie ich, dass er einst bittere Tränen über seine Schuld vergießen und in alle Ewigkeit keinen Trost finden wird. Jean-Jacques Rousseau

 

Wer von Kindern nichts lernen will, der handelt dumm und ungerecht gegen sie, wenn er verlangt, dass sie von ihm lernen sollen. Johann Georg Hamann

 

Wer Weib und Kinder besitzt, hat dem Schicksal Geiseln gegeben. Francis Bacon

 

KINDER

Der Mensch ist nicht geschaffen, um isoliert sich selbst zu genügen oder für sich selbst da zu sein, sondern soll – als Bindeglied zwischen seinen Eltern und seinen Kindern – an dem Schöpfungsprozess mitwirken, dem er sich selbst verdankt. Man empfängt sein Leben nicht, um es zu konservieren, sondern um es weiterzugeben: es ist ein Wanderpokal! Darum hat jede Generation der vorangehenden wie der nachfolgenden gegenüber eine gottgegebene Aufgabe. Und die lässt sich nur erfüllen, wenn Jung und Alt zusammenstehen und füreinander da sind. 

zum Text

 

KINDERGLAUBE

Die Naivität der Kinder ist nicht zu idealisieren oder zu fördern. Denn ein unrealistisches Bild vom „lieben Gott“ wird später auf dem Müllhaufen landen, auf dem schon das Einhorn und die Zahnfee liegen. Ein Vorbild sind Kinder aber, insofern sie mit dem Klein-Sein kein Problem haben, es normal finden, wenn vieles ihren Horizont übersteigt, und sich unbefangen auf ihre Eltern verlassen. Nicht das Defizitäre am Kind ist „vorbildlich“, sondern seine Bereitschaft, hinsichtlich seiner Defizite auf die guten Mächte zu vertrauen, die ihm überlegen sind!

zum Text

 

KINDERTAUFE

Als Christus befahl, alle Völker zu Jüngern zu machen und sie zu taufen, hat er die Kinder davon nicht ausgenommen. Aber haben sie auch den Glauben, der nötig ist, um die Taufe anzueignen? Ja! Wer den Glauben von seinen „erwachsenen“ Äußerungen unterscheidet, kann zuversichtlich sein, dass der Hl. Geist durch das Sakrament bei Vollzug desselben auch den Glauben wirkt, der nötig ist, um das dargebotene Heil zu ergreifen. Die Taufe ist also kein Scheck, der warten muss, bis wir ihn einlösen. Sie wirkt, was sie zeigt – sie verheißt es nicht bloß!

zum Text

 

KINDSCHAFT, KINDER GOTTES

Der Gebrauch der vertraulichen Anrede „Vater unser“ steht nur den Kindern Gottes zu – jenen nämlich, die Christus mit dem Vater versöhnt hat und denen er Macht gab, Gottes Kinder zu werden (Joh 1,12-13). Indem sie „Vater unser“ sagen, werden sie daran erinnert, dass sie für Gott „zur Familie gehören“ und mit Zuversicht zu ihm kommen sollen. Denn wie es der Hausherr sicher nicht duldet, dass ein Knecht sich wie sein leibliches Kind gebärdet, so würde es ihn auch traurig machen, wenn sein Kind den Argwohn und die Scheu eines Knechtes zeigte.

zum Text

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

„All denen, die gerechtfertigt sind, gewährt Gott in seinem einzigen Sohn Jesus Christus, und um seinetwillen, an der Gnade der Kindschaft teilzuhaben: dadurch werden sie Kinder Gottes und genießen die entsprechenden Freiheiten und Vorrechte; Gottes Name wird auf sie gelegt, sie empfangen den Geist der Kindschaft und haben mit aller Zuversicht Zutritt zum Thron der Gnade; sie sind befähigt, „Abba“, Vater! zu rufen und werden durch ihn wie von einem Vater in Erbarmen gehüllt, geschützt, umsorgt und gestraft. Doch niemals werden sie verstoßen, sondern sie sind versiegelt auf den Tag der Erlösung und ererben die Verheißungen als Erben des ewigen Heils.“ (Westminster Bekenntnis)

 

Gott lebt noch und ist mein Vater. Für sein Kind muss er sorgen, oder kann nicht Vater sein. Hat er für mich gesorgt, da ich noch sein Feind war; wie vielmehr wird er jetzt sorgen, da ich sein Kind bin! Irdische Väter können böse sein und ihrer Kinder vergessen; das kann mein himmlischer Vater nicht tun, weil er die Güte und Liebe selbst ist; ob mich gleich mein Vater und Mutter verließe, nimmt er mich doch auf. Irdische Väter können sterben und wenn sie tot sind, hört ihr Sorgen auf; mein himmlischer Vater stirbt mir nimmer ab, er lebt ewig; ewiges Leben, ewiges Lieben. Irdische Väter helfen ihrem Kinde gern, haben aber kein Vermögen dazu, müssen oft ihr Kind verderben sehen vor ihren Augen und es geschehen lassen; aber mein Vater ist allmächtig. Der Himmel ist durch sein Wort gemacht und all sein Heer durch den Geist seines Mundes. So er spricht, so geschieht‘s, und so er gebeut, so steht‘s da Ps. 33,6.9. Mein Unglück kann er wenden, steht alles in seinen Händen. Irdische Väter wissen oft gar nichts drum, wenn ihr Kind in höchsten Nöten ist; aber mein himmlischer Vater weiß all mein Anliegen, er zählt meine Flucht und fasst meine Tränen auf; deß versichert mich mein Heiland und spricht: Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr deß alles bedürft Matth. 6,8. Haben Teufel und Menschen heimlich etwas wider mich angesponnen, Gott weiß es, dem aller Menschen Herzen bekannt sind, er weiß Rat, Trost und Hilfe herbei zu schaffen, er weiß aus dem Bösen etwas Gutes heraus zu bringen und aus Finsternis Licht zu machen. Gott sorgt für mich. Ich bin sein Kind. Der für die Vögel unter dem Himmel, für die Blumen auf dem Felde, für die jungen Raben sorgt, wird ja vielmehr für sein Kind sorgen, das er liebt wie seine Seele. Ihm ist das Unglück, das mir feindlich nachschleicht, nicht verborgen, denn sein Auge wacht stets über mich. Ob ich gleich für mich nicht wert bin, dass ich sein Kind heiße und seiner Fürsorge genieße, ist es doch mein Herr Jesus wohl wert, in welchem er mich zu seinem Kinde hat angenommen. Isaak segnete Jakob nicht in seiner eigenen Person, sondern da er seines Bruders Kleider an hatte und sich nach dessen Namen nannte. Jesu, mein Bruder, hat mich in der Taufe mit aller seiner Gerechtigkeit bekleidet und mir einen neuen Namen gegeben, dass ich nach Christo ein Christ heiße; in ihm, dem Geliebten, bin ich ein geliebtes Kind Gottes. Versündige ich mich gegen meinen himmlischen Vater, so züchtigt er mich zwar mit der Rute, aber sein Vaterherz legt er nicht hin. Vaterschläge, Liebesschläge, er meint‘s nicht böse. Ihm will ich vertrauen und mich nicht grämen, es komme, was kommen will. Darum nicht tot, Gott lebt noch und ist mein Vater; er tue, was ihm wohlgefällt, er macht‘s nicht böse. Vor wem sollte ich mich fürchten? Meinen himmlischen Vater will ich raten und sorgen lassen, er wird‘s wohl machen. Will mich der Teufel schrecken, darum nicht tot. Nicht über ein Schwein hat er zu gebieten, viel weniger über ein Kind Gottes. Fallen mich Menschen an? Darum nicht tot. Gott lebt noch, der des Königs Herz in seiner Hand hat, wie die Wasserströme, und lenkt es, wohin er will. Ist es, dass er meinen Feinden den Zaum lässt, mich zu züchtigen, so lässt er sie doch nicht Meister werden, sondern verstockt sie, dass sie nicht wissen, was sie tun sollen; haben sie einen klugen Ratschlag vor der Hand, er nimmt ihnen das Herz, dass sie denselben nicht können zu Werk setzen; gibt er ihnen dann Mut und Mittel, so macht er doch endlich ihr Vornehmen zu Schanden und lässt sie einen Fehler gebären. Das weiß ich und hab‘s erfahren, drum kann ich getrost sprechen: Der Herr ist meine Hilfe, was sollte ich mich fürchten, was sollte mir ein Mensch tun? Sehe ich kein Mittel zu meiner Erlösung? Darum nicht tot. Gott hat Mittel genug, kann auch ohne Mittel, ja, durch widerwärtige Mittel handeln. Genug ist‘s, dass ich seine Verheißung habe. Auf dieselbe gründe ich mich fest und erwarte die Hilfe meines Gottes, sie wird nicht ausbleiben. Feind, du wirst sehen, was für ein Heil der Herr tun wird.

(Heinrich Müller)

 

KIRCHE

1.

Christ-Sein funktioniert nicht ohne Gemeinde, weil sich ein Christ das befreiende Wort, von dem sein Glaube lebt, nicht selber sagen kann. Keiner kann sich selbst taufen, segnen, mahnen, trösten, sich selbst vergeben oder sich das Abendmahl reichen. Darum braucht jeder Christ die Glaubensgeschwister als Trä­ger und Verkünder des göttlichen Heilswortes. Christliche Gemeinschaft verdankt sich diesem Wort, das Wort aber verdankt sich nicht der Gemeinschaft, sondern dem, der’s geredet hat. Wo diese Glaubensgemeinschaft aber fehlt, lässt sie sich durch nichts ersetzen.

zum Text

2.

Die Kirche trägt den Ehrentitel der „heiligen christlichen Kirche“ nicht etwa, weil ihre Glieder und ihre Amtsträger „heilig“ oder „vollkommen“ wären. Sie sind es nicht und waren es nie. Aber wie eine klebrige Auster kostbar wird, durch die Perle in ihr, so wird unsere sehr fehlbare Kirche „heilig“ durch das Evangelium, das sie durch die Jahrhunderte trägt. Solange sie ein Gefäß ist, das diesen Schatz bewahrt, verdient sie um seinetwillen sogar geliebt zu werden. Aber nur solange.

zum Text

3.

Man kann einer Kirche angehören, ohne in Wahrheit ein Christ zu sein. Und viele folgern im Umkehrschluss, man könne auch Christ sein, ohne einer Kirche anzugehören. Doch dieser Umkehrschluss ist falsch. Wer ernsthaft Christ sein will, kann die Gemeinschaft nicht ignorieren, zu der Christus seine Jünger verband. Christus macht die Seinen nicht zu Einzelkämpfern, sondern zu Gliedern seines Leibes. In der Trennung von den übrigen Gliedern erleiden sie darum dasselbe Schicksal, das ein Arm oder ein Bein erleidet, wenn es sich vom übrigen Organismus trennt.

zum Text 

4.

Niemand braucht Kirche für das gesellige, soziale und kulturelle Programm, das andere Institutionen genauso bieten. Doch sie hat darin ihr Alleinstellungsmerkmal, dass sie Menschen das Wort Gottes seit 2000 Jahren so erfolgreich nahe bringt, dass Gottes Geist in ihnen ein inneres Glaubensleben weckt und verlorene Sünder in Kinder Gottes verwandelt. Die Aufgabe, die das Dasein der Kirche rechtfertigt, liegt also in der Rückführung der Seelen in die Gemeinschaft mit Gott. Und wo sie das vernachlässigt, steht sie da wie Jimmy Hendrix ohne Gitarre.

zum Text

5.

Die Christenheit ist Gottes „geistliches Haus“, erbaut aus „lebendigen Steinen“. Und der einzelne Christ, der sich selbst als einen Stein zum großen Dom beiträgt, gewinnt dadurch Anteil an dem, was den Dom von einem Steinhaufen qualitativ unterscheidet. Es adelt die Steine, dass der Dom ihrer bedarf, um zu sein! So wie sie das Haus Gottes bilden, ohne deswegen selbst Gott zu sein (so wie sie das Heilige umhüllen, ohne sich selbst mit dem Heiligen zu verwechseln), so dürfen Christen in der gemeinsamen Ausrichtung auf Gott bei ihm, in ihm und um ihn sein. 

zum Text

6.

Im Neuen Testament ist es ein geläufiges Bild für das Reich Gottes, dass der Bräutigam (Jesus Christus) kommt, um seine Braut (die Kirche) zur Hochzeit zu führen. Er hat sich selbst für sie dahingegeben, damit sie ohne „Flecken oder Runzel“ sei, herrlich, heilig und untadelig (Eph 5). Und die Kirche sollte ihn darum voller Freude, Treue und Hingabe erwarten. Wo sie aber gar nicht einer bildhübschen, jugendfrischen Braut ähnelt, sondern einem alten Weib mit zwielichtiger Vergangenheit, entsteht ein Problem. Denn eines Tages wird der Bräutigam in der Tür stehen und wird nach der Kirche fragen, seiner geliebten „Gemeinschaft der Heiligen“.

zum Text

7.

Im Neuen Testament ist „Erbauung“ der kritische Maßstab für das, was der Christenheit nützt oder nicht nützt. Denn vieles ist möglich. Aber nur das, was Menschen zu Christus in Beziehung bringt und in Christus „eingründet“, bringt seine Gemeinde wirklich voran. H. Cremer sagt daher: „Erbauung ist die Befestigung und Förderung im Heilsbesitze, damit aus dem Menschen das werde, was er sein soll“ – nämlich ein Glied des Leibes Christi. Andere kirchliche Aktivitäten mögen noch so „gut ankommen“ – wenn sie weder aus der Glaubensbeziehung erwachsen noch auf sie hinführen, sind sie unnütz.

zum Text

8.

Wenn die römische Kirche meint, durch das dem Petrus anvertraute „Amt der Schlüssel" seien die Ströme der Gnade in ihrer Hand monopolisiert, muss man ihr widersprechen. Nach Matth. 18 und Joh. 20 hat Jesus die entsprechende Vollmacht allen Jüngern gegeben. Dennoch erinnert das katholische Amtsverständnis an etwas Wichtiges: Die Quelle kirchlicher Ämter und Vollmachten können niemals die Menschen sein, denen kirchliches Handeln zugutekommt. Denn sonst wäre es die Gemeinde selbst, die sich Vergebung und Segen spendete. Weil das unmöglich ist, bleibt festzuhalten, dass jedes kirchliche Amt seinen Ursprung bei Christus hat.

zum Text

9.

Es ist die Bestimmung des Menschen, mit Gott in Gemeinschaft zu stehen. Doch von eben dieser Gemeinschaft schließt ihn seine Sünde aus. Und neue Gemeinschaft erlangt er nur durch die Teilhabe an Christus im Glauben. Christus integriert die Verlorenen in den Leib Christi, den wir „Kirche“ nennen. Und da die ursprüngliche Gemeinschaft mit Gott an übergriffigem Verhalten zerbrach, lebt die neue nun von tiefem Respekt. Wir sind mit Gott genau darin einig, dass wir unterschieden bleiben – nur so werden wir ihm gerecht und wahren die Gemeinschaft, in der unsere Bestimmung liegt. „Kirche“ ist die Gemeinschaft derer, die mit Gott auf eben diese Weise Gemeinschaft haben. 

zum Text

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

„Ich glaube, dass da sei ein heiliges Häuflein und Gemeine auf Erden eitler Heiligen unter Einem Haupt, Christo, durch den heiligen Geist zusammen berufen, in Einem Glauben, Sinne und Verstand, mit mancherlei Gaben, doch einträchtig in der Liebe, ohne Rotten und Spaltung. Derselbigen bin ich auch ein Stück und Glied, aller Güter, so sie hat, teilhaftig und Mitgenosse, durch den heiligen Geist dahin gebracht und eingeleibt dadurch, dass ich Gottes Wort gehört habe und noch höre, welches ist der Anfang hineinzukommen. Denn vorhin, ehe wir dazugekommen sind, sind wir gar des Teufels gewesen, als die von Gott und von Christo nichts gewusst haben. So bleibt der heilige Geist bei der heiligen Gemeine oder Christenheit bis auf den jüngsten Tag, dadurch er uns holt, und brauchet sie dazu, das Wort zu führen und treiben, dadurch er die Heiligung macht und mehrt, dass sie täglich zunehme und stark werde im Glauben und seinen Früchten, so er schafft.“ (Martin Luther)

 

„Die Kirche im eigentlichen Sinne (stricte dicta) ist die eine Gemeinde der Gläubigen, im weiteren Sinne (late dicta) die Menge aller derer, welche sich zu Wort und Sakrament halten.“ (Adolf Hoenecke)

 

„Die rechte Kirche ist die Versammlung aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangelii gereicht werden.“ (Augsb. Conf. Art. 7. zitiert nach L. Hutter)

 

„Das rechte Merkzeichen der christlichen Kirche ist nicht dies, wo der größeste Haufe ist, Matth. 7. Luk. 7, auch nicht dies, wo die Gewaltigen, Weisesten und Stattlichsten sind, 1 Kor. 2. So sind auch nicht die allewege die rechte, wahre christliche Kirche, die den Titel und Namen führen, oder in den ordentlichen ministeriis sitzen … Sondern da ist die rechte, wahre christliche Kirche allhie auf Erden, wo diese Merkzeichen gefunden werden: nämlich, da Gottes Wort ohne Verfälschung, lauter und rein gelehret wird, Joh. 10. Eph. 2 und 4. 2 Kor. 2. 2 Tim. 1, da durchs Wort und nach dem Worte Sünde gebunden und gelöset wird, Matth. 16. Joh. 20, da die Sakramente nach Gottes Ordnung und Einsetzung gehandelt werden, Matth. 28, und da Leute sind, die der Sakramente brauchen, Mark. 16. 1 Kor. 10 und 12, das Wort hören, Joh. 10, annehmen, 1 Thess. 1. 1 Kor. 15, bekennen, Matth. 10, demselbigen folgen, Joh. 10, und Gott also, wie das Wort lehret, anrufen, Luk. 19. 1 Kor. 1. Ps. 29.“ (Martin Chemnitz)

 

„Weil Gott von Anfang an wollte, dass die Menschen selig würden und zur Erkenntnis der Wahrheit kämen, muss es immer eine Kirche gegeben haben und muss es jetzt und bis ans Ende der Welt eine Kirche geben, das heißt: eine aus der Welt berufene oder gesammelte Schar der Gläubigen, eine Gemeinschaft aller Heiligen, nämlich derer, die den wahren Gott durch das Wort und den Heiligen Geist in Christus, dem Heiland, wahrhaft erkennen und recht anbeten und im Glauben an allen durch Christus umsonst angebotenen Gütern teilhaben.“ (Heinrich Bullinger)

 

„Was ist denn die christliche Kirche? Nicht die Gebäude oder Gotteshäuser, da man zu dem Gottesdienst zusammen kommet, sondern die Gemeine derjenigen, an welchen der Heilige Geist arbeitet, sie durch Wort und Sakramente zu heiligen.“ (Philipp J. Spener)

 

„Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte. Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.“ (Barmer theol. Erklärung)

 

„Bei der Wirksamkeit, welche Gott den von ihm verordneten Heilsmitteln beigelegt hat, lässt es sich nicht anders erwarten (Jes. 55,10. 59,21), als dass sich durch dieselben eine Gemeinde von solchen bildet, welche die ihnen gebotene Heilsgnade auch wirklich annehmen. Diese erkennen als ihren Herrn und als ihr Haupt Christum, welcher durch seine Dahingabe in den Tod eine solche Gemeinde von Erlösten nicht allein möglich gemacht hat, sondern auch dieselbe erhält, als Haupt und König ihr vorsteht, und ihr alles das vermittelt, was zu ihrem Bestehen und Gedeihen nötig und dienlich ist. Mit ihm ist diese Gemeinde aufs engste verbunden, sie ist es aber auch unter sich durch das Band gemeinsamen Glaubens, gemeinsamer Hoffnung und gegenseitiger Liebe, so dass alle die so Verbundenen und gläubig Gewordenen eine einzige große Gemeinde bilden, welche wir die Kirche nennen. Zu ihr gehören alle die, welche den gleichen Glauben und die gleiche Hoffnung haben, mögen sie auch durch Raum und Zeit noch so weit von einander geschieden sein. Die Kirche erstreckt sich also nicht allein auf die jetzt Lebenden, sondern gleich sehr auf die im Glauben Verstorbenen, und zwischen beiden ist nur der Unterschied, dass die Einen das Ziel bereits erreicht haben, die Anderen ihm erst noch entgegengehen (Eccl. militans – triumphans). Es gibt also nur eine einzige solche Gemeinde, weil es nur ein Haupt gibt, dem sie alle untertan sind und nur einen Glauben, durch den sie können selig werden. Diese Gemeinde nennen wir ferner eine heilige, weil in ihr der heilige Geist wirksam ist, sie zu heiligen – eine katholische, weil, so weit auch die Glieder der Kirche zerstreut sind, von allen doch zu allen Zeiten und an allen Orten der gleiche Glaube bekannt wird – eine apostolische, weil ihr Glaube, wie er auf dem von den Aposteln verkündigten ruht, so auch im Verlaufe der Zeit kein anderer geworden ist. Nur diejenigen, welche dieser Gemeinde angehören, sind ihres Heiles gewiss, da der einzige Weg zum Heil in dem Glauben liegt, welcher der Glaube dieser Gemeinde ist (extra ecclesiam nulla salus). Dieser Gemeinde ist aber auch die Verheißung gegeben, dass sie für ewige Zeiten bestehen solle, und sie kann nie dem Irrtum verfallen, weil sie in dem Worte Gottes die ewige Wahrheit besitzt.“ (Heinrich Schmid)

 

„Eine vollkommene Kirche gibt es nicht. Im Übrigen, lieber Freund, wenn Sie jemals eine vollkommene Kirche fänden, würde sie sich weigern, Sie aufzunehmen. Denn sobald dieselbe Sie aufgenommen hätte, hörte sie auf, vollkommen zu sein. Ihr Suchen ist darum vollständig unnütz.“ (Charles H. Spurgeon)

 

„Kann auch einer selig werden, der nicht ein Mitglied ist der rechten, wahren christlichen Kirche? Die Schrift braucht dies Gleichnis, dass die Kirche sei wie ein Körper, der viel Glieder hat, an welchem Christus das Haupt ist, welcher ist seines Leibes Heiland, also, dass von dem Haupte den Gliedern des Leibes mitgeteilet wird, was ihnen zur Seligkeit vonnöten ist, Eph. 1. 4 und 5. Kol. 2. 1 Kor. 12. Derhalben, wer nicht ein Mitglied ist des Leibes, da Christus das Haupt ist, der kann nicht selig werden.“ (Martin Chemnitz)

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

Eine vollkommene Kirche gibt es nicht. Im Übrigen, lieber Freund, wenn Sie jemals eine vollkommene Kirche fänden, würde sie sich weigern, Sie aufzunehmen. Denn sobald dieselbe Sie aufgenommen hätte, hörte sie auf, vollkommen zu sein. Ihr Suchen ist darum vollständig unnütz. C. H. Spurgeon

 

Am wenigsten stützt Religion und Sittlichkeit auf Gründe. Eben die Menge der Pfeiler verfinstert und verengt die Kirchen. Jean Paul

 

Ein Mann hatte stets etwas an der Kirche und den Christen herumzumäkeln. Eines Tages machte sich der Nörgler gegenüber dem Pfarrer Luft und sprach: „Seit zweitausend Jahren gibt es das Christentum. Ich sehe aber nicht, dass es die Menschen besser gemacht hätte!“ Der Pfarrer erwiderte gelassen: „Seit zwei Milliarden Jahren gibt es Wasser. Aber schauen Sie sich mal Ihren Hals an!“

 

Ein schöner Zustand der Kirche, wenn sie nur noch von Gott erhalten wird. Blaise Pascal

 

Einst gewährte Mutter Teresa einem amerikanischen Journalisten ein Interview. Nach vielen neugierigen Fragen meinte der Journalist schließlich etwas herausfordernd: „Was meinen Sie, was müsste sich alles ändern, wenn es mit der Kirche wieder aufwärts gehen soll?” Mutter Teresa schaute ihn freundlich an und sagte: „Sie und ich!”

 

Gott hat die Kirchen wie Häfen im Meer angelegt, damit ihr euch aus dem Wirbel irdischer Sorgen dahin retten und Ruhe und Stille finden sollt. Johannes Chrysostomus

 

Kannst du Tag und Nacht sitzen im Bierkrug oder sonst mit guten Gesellen schwätzen und plaudern, singen und schreien und wirst nicht müde noch fühlst die Arbeit, so kannst du ja auch eine Stunde in der Kirche sitzen und zuhören, Gott zum Dienst und Gefallen. Martin Luther

 

Viele, die über Ablasskrämerei in der katholischen Kirche lachen, üben sie doch täglich selbst. Wie mancher Mann von schlechtem Herzen glaubt sich mit dem Himmel ausgesöhnt, wenn er Almosen gibt. G. Chr. Lichtenberg

 

Es bereitet Vergnügen, sich auf einem vom Sturm umtosten Schiff zu befinden, wenn man die Gewissheit hat, dass es keinesfalls untergehen wird; die Verfolgungen, welche die Kirche heimsuchen, sind von dieser Art. Blaise Pascal

 

KIRCHE ALS GOTTESHAUS

Kirchen sind heilige und zu heiligende Räume, in denen weltliches Treiben nichts zu suchen hat. Denn wo die Glieder des Leibes Christi sich versammeln, ist auch das Haupt bei ihnen. Wo Gott aber gegenwärtig ist – sollte da nicht heiliger Boden sein? Gewiss ist Gott überall. Doch Kirchen sind Orte, wo er zuverlässig gefunden werden kann, weil er in ihnen – in Wort und Sakrament – gefunden werden will. Kirchenräume sind aus der Welt ausgegrenzt, um Brückenköpfe für das Reich Gottes und Schutzräume der Gnade zu bilden. Als Schnittstellen zum Heiligen dürfen sie nicht durch „Umnutzung“ profaniert und verzweckt werden.

zum Text

 

KIRCHE UND BEKENNTNIS

Das Bekenntnis ist ein kommunikativer Sonderfall, bei dem der Sprecher zugleich mit seiner Ansicht über „etwas“ auch „sich selbst“ offenbart, denn das Bekenntnis schließt in der Sachaussage eine Selbstaussage mit ein: Wer Jesus als den Christus bekennt, sagt damit ebenso viel über Jesus wie über sich selbst. Er kann nicht mehr anders zu sich selbst stehen, als indem er öffentlich zu seinem Glauben steht. Und weil Christus das nicht nur vom Einzelnen, sondern auch von der Gemeinde erwartet, gibt es keine christliche Kirche, die nicht „Bekenntniskirche“ wäre. 

zum Text

 

KIRCHE UND ISRAEL

Das Verhältnis von jüdischem und christlichem Glauben lässt sich nicht als Ablösung oder Parallelität beschreiben, sondern mit Paulus dürfen wir erwarten, dass das alte und das neue Gottesvolk – zu einem Zeitpunkt, den Gott bestimmt – zusammenfinden. Wenn nämlich (1.) feststeht, dass Gott seine Verheißungen an das alte Gottesvolk nicht zurücknimmt (wenn er Israel also ganz gewiss erlösen wird), und (2.) feststeht, dass es für keinen Menschen eine andere Erlösung gibt als die, die durch Christus und in Christus geschieht, kann es nicht anders sein, als dass Israel eines Tages in ihm seinen Heiland erkennt.

zum Text

 

Kirchenzucht

„Kirchliche Zuchtmaßnahmen sind notwendig, um solche Brüder zurückzuführen und zu gewinnen, die Anstoß erregen; um andere davor abzuschrecken, sich auf ähnliche Weise zu vergehen; um jenen Sauerteig auszufegen, der den ganzen Teig durchsäuern könnte; um die Ehre Christi und das heilige Bekenntnis zum Evangelium zu verteidigen und den Zorn Gottes abzuwenden, der zu Recht auf seine Kirche fallen könnte; wenn sie dulden sollte, dass sein Bund und dessen Besiegelung von jenen entweiht wird, die offenkundig und hartnäckig Anstoß erregen. Um diese Ziele besser zu erreichen, haben die Verantwortlichen der Gemeinde mit Ermahnung, durch zeitweiliges Fernhalten vom Sakrament des Abendmahles und Ausschluss aus der Gemeinde vorzugehen; je nach Beschaffenheit des Vergehens und der Schuld der Person.“ (Westminster Bekenntnis)

 

„Den großen Bann, wie es der Papst nennt, halten wir für eine lauter weltliche Strafe, und er geht uns Kirchendiener nichts an. Aber der kleine, das heißt der rechte christliche Bann, ist, dass man offenbare, halsstarrige Sünder nicht zum Sakrament oder anderer Gemeinschaft der Kirche kommen lassen soll, bis sie sich bessern und die Sünde meiden. Und die Prediger sollen in diese geistliche Strafe oder Bann nicht die weltliche Strafe mengen.“ (Martin Luther)

 

Klagen

„Nun sage ich: Sintemalen dem Menschen alles das, was gut oder tröstlich oder zeitlich ist, auf Borg geliehen ist, was hat er dann zu klagen, wenn der, der es ihm geliehen hat, es zurücknehmen will? Er soll Gott danken, der es ihm so lange geliehen hat. Auch soll er ihm danken, dass er es ihm nicht insgesamt wieder wegnimmt, was er ihm geliehen hat; und es wäre doch auch nur billig, dass Gott ihm alles das, was er ihm geliehen hat, wieder wegnähme, wenn der Mensch zornig wird darüber, dass er ihm einen Teil dessen, was nie sein und dessen Herr er nie ward, wieder nimmt (…). Wenn einer, der mir seinen Rock, Pelzrock und Mantel geliehen hätte, seinen Mantel zurücknähme und mir den Rock und den Pelzrock im Froste ließe, so sollte ich ihm sehr zu Recht danken und froh sein.“ (Meister Eckhart)

 

Du klagst über Verlust. Wie groß ist dein Schaden wohl? Dein Gut ist hin; Gut verloren, nichts verloren. Setz ein „o“ fürs „u“ und lass dir das nicht nehmen, so bleibt dir genug. Was sind dieses Lebens Güter? Eine Hand voller Sand. Was hat der wohl gewonnen, der dir‘s nimmt? Dein Freund ist hin; nichts verloren. Der beste Freund ist im Himmel. Wo findet man Treu auf Erden? Dein Weib und Kind ist hin; nichts verloren. Waren sie doch nicht dein. Mit dem Beding hat sie Gott geliehen, dass er sie abfordern wollte, wenn‘s ihm gefiele. Dein Mann und Vater ist hin; nichts verloren. Im Himmel wohnt, der der Waisen Vater und der Witwen Richter ist. Dein Ruhm ist hin; nichts verloren. Unbeflecktes Leben ist die beste Ehre. Im Himmel ist dein Name angeschrieben, wer will ihn auskratzen? Dein Leben ist hin; nichts verloren, als Müh und Elend; dort ist ein besser Leben, Sterben ist dein Gewinn. Aber, eins verloren, alles verloren. Ach verliere Jesum nicht! Wo findest du ihn? Im Kreuz. Wo verlierst du ihn? In guten Tagen. All dein Herz steht nur nach guten Tagen. Frag ich, warum? So ist mir wohl, sprichst du. Wie kann dir wohl sein, wenn du ohne Jesum bist? Der Himmel selbst müsste eine Hölle sein, wenn Jesus nicht drinnen wäre. Wie mir nirgend besser ist als bei meinem Jesu, so ist mir nirgend besser als im Kreuz. Da find ich Jesum, da schmeck ich ihn. Alles verloren, Jesum gefunden. Denn wenn mir alles ist zu nichts worden, will mir Jesus wiederum zu alles werden. Mein Gut ist hin; Jesus ist mein Reichtum; über hunderttausend Schätzen muss er mich ergötzen. Meine Freude ist hin; Jesus ist meine Freude. Wie bin ich doch so herzlich froh, dass mein Schatz ist das A und O, der Anfang und das Ende. Mein Freund ist hin; Jesus ist meiner Seele Freund. Kein besser Treu auf Erden ist, denn nur bei dir Herr Jesu Christ. Mein Vater und Mutter ist hin; Jesus nimmt sich mein an und sorgt für mich, mein Leben ist hin; Jesus ist mein Leben. So lang ich meinen Jesum habe, will ich nicht über Verlust klagen. Hab ich doch Jesum noch, wer will mir den nehmen? Wenn ich aber ihn verloren, will ich ihn mit Schmerzen wieder suchen, und nicht aufhören, bis ich ihn gefunden habe. Jesum gefunden, den Himmel gefunden. Was willst du mehr.

(Heinrich Müller)

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

Wer Freude hat am Klagen, wird immer was zum Klagen finden. Jeremias Gotthelf

 

Wer sich zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen, wenn er mit Füßen getreten wird. Immanuel Kant

 

Klarheit

Lass es dir doch einmal recht gewiss und klar werden, dass das Sterben dein eigentliches Leben sein sollte; denn je mehr einer sich selbst stirbt, desto mehr fängt er an, seinem Gott zu leben. Thomas von Kempen

 

Sagst du 2 x 2 = 4, so ist das klar, aber leer. Sagst du „Wurst“, so ist was drin; aber kann man das Wesen einer Wurst ergründen?! Wilhelm Busch

 

Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht. Edith Stein

 

Klarheit der Schrift

„Ist die Schrift nicht dunkel und unverständlich? Obschon unserem noch verfinsterten Verstand vieles in derselben dunkel und schwer vorkommt, wird doch solche durch des Heil. Geistes Erleuchtung endlich so klar, deutlich und verständlich, dass alle Menschen den Rat von ihrer Seligkeit daraus genugsam erkennen können, und dazu keines menschlichen Lehrers, dessen Auslegung sie um seinetwillen glauben müssten, bedürfen.“ (Philipp J. Spener)

 

„In der Schrift sind weder alle Dinge in sich selbst klar, noch gleich verständlich für jeden; doch sind jene Dinge, die heilsnotwendig sind zu wissen, zu glauben und zu halten, so deutlich vorgestellt und eröffnet an der einen oder anderen Stelle der Schrift, dass nicht nur der Geschulte, sondern auch der Ungeschulte beim rechten Gebrauch der ordentlichen Mittel zu einem ausreichenden Verständnis dessen gelangen kann.“ (Westminster Bekenntnis)

 

Klatsch

Klatschen ist anderer Leute Sünden beichten. Wilhelm Busch

 

KLEINMUT

„Enrico Caruso, der weltberühmte Tenor, wurde immer wieder unmittelbar vor seinem Auftritt vom Lampenfieber überfallen. Einmal war es ganz schlimm. Er glaubte, die Angst schnüre ihm die Kehle zu. Sein Gesicht war schweißgebadet. Der Gedanke, in wenigen Augenblicken aus den Kulissen treten zu müssen, ließ ihn erzittern. Er sagte: „Ich mache mich zum Gespött; ich kann nicht singen!“ Dann aber riss er sich zusammen und erklärte energisch: „Mein kleines Ich will das große Ich in mir ersticken!“ Daraufhin wandte er sich an dieses kleine Ich und sprach es unmittelbar an: „Hinweg mit dir, das große Ich will durch mich singen!“ Als sein Stichwort fiel, betrat er die Bühne, und seine Stimme schlug seine Zuhörer wie gewohnt in Bann.“

 

Klugheit

„Wo das Wort ist, dort soll der Jünger auch sein, das ist seine rechte Klugheit und seine rechte Einfalt. Muss das Wort weichen, weil die Verwerfung offenbar geworden ist, so weiche der Jünger mit dem Wort; bleibt das Wort im offenen Kampf, so bleibe auch der Jünger. Er wird in beidem klug und einfältig zugleich handeln. Niemals aber gehe der Jünger aus „Klugheit“ einen Weg, der vor dem Wort Jesu nicht bestehen kann. Niemals rechtfertige er einen Weg, der dem Wort nicht entspricht, mit „geistlicher Klugheit“. Allein die Wahrheit des Wortes wird ihn erkennen lehren, was klug ist. Niemals aber kann es „klug“ sein, der Wahrheit auch nur den geringsten Teil abzubrechen, um irgendeiner menschlichen Aussicht oder Hoffnung willen. Nicht unsere Beurteilung der Lage vermag uns zu zeigen, was klug ist, sondern allein die Wahrheit des Wortes Gottes. Klug kann es immer nur sein, bei der Wahrheit Gottes zu bleiben. Hier allein ist die Verheißung auf Gottes Treue und Hilfe. Es wird sich zu aller Zeit bewähren, dass es für den Jünger in dieser und in jener Zeit das „Klügste“ ist, einfältig allein bei dem Worte Gottes zu bleiben.“ (Dietrich Bonhoeffer)

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

Sei klüger als andere, wenn du kannst. Aber sage es ihnen nicht. G. K. Chesterton

 

Am Abend wird man klug für den vergangenen Tag, doch niemals klug genug für den, der kommen mag. Friedrich Rückert

 

Bei einem heftigen Meinungswechsel wurde Voltaire von seinem Gegner als Dummkopf beschimpft. Voltaire konterte kühl: „Bisher hielt ich Sie für klug, Sie aber halten mich für dumm – vielleicht irren wir uns beide?“

 

Wenn wir gesagt bekommen, ein Mensch sei zu klug, um glauben zu können, dann ist das fast ein Widerspruch in sich. Genauso gut ließe sich von einem Nagel sagen, er sei zu gut, um den Teppich festzuhalten, oder von einem Riegel, er sei zu stark, um die Tür zu verschließen. G. K. Chesterton

 

Der Weise ist selten klug. Marie von Ebner-Eschenbach

 

Der Wunsch, klug zu sein, hindert uns oft, es zu werden. Rochefoucauld

 

Die größte Klugheit der weniger Klugen besteht darin, sich der Führung anderer zu unterwerfen. Rochefoucauld

 

Ein Kluger bemerkt alles. Ein Dummer macht über alles eine Bemerkung. Heinrich Heine

 

Ein kluger Entschluss reift unverhofft, blitzschnell und ohne Erwägung, doch Dummheiten machen wir allzu oft nach reiflichster Überlegung. Oskar Blumenthal

 

Es ist leicht, für gestern klug zu sein. Aus Russland

 

Es ist schon ein großer und nötiger Beweis der Klugheit oder Einsicht zu wissen, was man vernünftigerweise fragen sollte. Immanuel Kant

 

Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf. Theodor Fontane

 

Klugheit ist oft lästig wie ein Nachtlicht im Schlafzimmer. Ludwig Börne

 

Kaum einer ist klug genug, zu erkennen, wieviel Unrecht er getan hat. Rochefoucauld

 

Man überschätze die Klugheit nicht! Sind denn die besten Menschen - die sich für andere opfern - klug? Jakob Boßhart

 

Ob ein Mensch klug ist, erkennt man viel besser an seinen Fragen als an seine Antworten. De Levis

 

Wie glücklich und klug ist doch der Mensch, der keine andere Sorge kennt, als zu leben, wie er im Tod wünschen wird, gelebt zu haben! Thomas von Kempen

 

Zum Segen des Glücks bekennen sich nur die Unglücklichen; die Glücklichen führen alle ihre Erfolge auf Klugheit und Tüchtigkeit zurück. Jonathan Swift

 

Voltaire musste im Jahr 1727 in England feststellen, dass die Volksstimmung so arg gegen die Franzosen eingestellt war, dass er eines Tages im Hyde Park von einer Menschenmenge bedroht wurde, die brüllte: „Hängt den Kerl! Er ist Franzose!“ Voltaire blieb stehen und rief der wütenden Menge zu: „Engländer, ihr wollt mich umbringen, weil ich Franzose bin. Bin ich denn, weiß Gott, nicht gestraft genug, kein Engländer zu sein?“ Daraufhin brach die Menge in Beifallsstürme aus und geleitete ihn feierlich nach Hause.

 

KLUGHEIT UND EINFALT

Die „Einfalt des Herzens“ ist eine Tugend, die man nicht mit Naivität oder Dummheit verwechseln darf, denn sie ist die Haltung eines Menschen, der die Möglichkeiten der Raffinesse, Verschlagenheit und Hinterlist sehr wohl kennt, sie aber nicht nutzt, weil sie ihm zuwider sind. Einfalt ist die Geradheit einer rechtschaffenen Seele, die sich weigert, auf die Weise klug zu sein, wie die Welt klug ist. Sie weigert sich, Böses mit Bösem und Tücke mit Tücke zu überwinden, weil sie sich dabei in das Ebenbild des Gegners verwandeln würde.

zum Text

 

KNECHT UND KIND

Der Gebrauch der vertraulichen Anrede „Vater unser“ steht nur den Kindern Gottes zu – jenen nämlich, die Christus mit dem Vater versöhnt hat und denen er Macht gab, Gottes Kinder zu werden (Joh 1,12-13). Indem sie „Vater unser“ sagen, werden sie daran erinnert, dass sie für Gott „zur Familie gehören“ und mit Zuversicht zu ihm kommen sollen. Denn wie es der Hausherr sicher nicht duldet, dass ein Knecht sich wie sein leibliches Kind gebärdet, so würde es ihn auch traurig machen, wenn sein Kind den Argwohn und die Scheu eines Knechtes zeigte.

zum Text

 

Knechtschaft

„Es ist keine schwerere und härtere Dienstbarkeit, als wenn man den sündlichen Affekten dienet, und sonderlich der Feindseligkeit; denn dieselbe bindet und belästiget alle Leibes- und Seelenkräfte, und lässt dem Menschen keine Gedanken frei. Wer aber die Liebe übet, der ist recht frei in seinem Herzen, der ist kein Knecht und Leibeigener des Zorns, des Neides, des Geizes, Wuchers und Mammons, der Hoffart, Lügen und Verleumdung. Die Liebe macht ihn von allem dem frei, und lässt sich also nicht überwinden von den schändlichen Lastern; der ist ein rechter Freier in Christo durch den Geist der Freiheit: Denn wo der Geist ist, da ist Freiheit.“ (Johann Arndt)

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

Wer sich nicht drängt zu sein des Höchsten liebes Kind,

Der bleibet in dem Stall, wo Vieh und Knechte sind. Angelus Silesius

 

Wer sterben gelernt hat, hört auf, ein Knecht zu sein. Epikur

 

Wer etwas besitzt, muss dessen Herr bleiben und darf nicht dessen Knecht werden. Martin Luther

 

Knien

Die Gemeinde auf den Knien würde den Himmel auf die Erde bringen. E.M. Bounds

 

KOMPROMISSE

Die gütliche Einigung durch Kompromisse empfiehlt sich, wenn Interessen auszugleichen sind. Sie empfiehlt sich aber nicht, wenn es darum geht Tatsachen festzustellen. Denn anders als Güter und Interessen sind Tatsachen und Wahrheiten nicht verhandelbar. Das, was evangelische und katholische Christen trennt, gehört zum zweiten Bereich. Denn über den richtigen Weg zum Heil kann man sich nicht „gütlich einigen“, indem „jeder ein bisschen nachgibt“. Der richtige Weg, durch Gottes Offenbarung vorgegeben, gehört nicht zu den Dingen, um die man feilschen dürfte! Und eine Einheit auf Kosten der Wahrheit wäre auch nicht in Sinne Jesu.

zum Text

 

KONFIRMATION

1.

Die Taufe und der Glaube gehören sachlich zusammen, scheinen aber zeitlich auseinanderzutreten, wo man Säuglinge tauft. Damit dort zur Taufe ein nicht nur keimhafter, sondern entwickelter und bewusster Glaube hinzutreten kann, schuldet man den Kindern eine christliche Erziehung, durch die sie befähigt und ermutigt werden, jene Taufgnade, die ihrer bewussten Stellungnahme zuvorkam, eigenverantwortlich zu bejahen. Tun sie dies, so werden ihnen durch die Konfirmation die vollen Rechte und Pflichten eines mündigen Christen zuerkannt.

zum Text

 2.

Konfirmation (erwachsen sein)

zum Text

 

KONSEQUENZEN

„Wie du glaubst, so liebst du; wie du liebst, so lebst du; wie du lebst, so stirbst du; wie du stirbst, so fährst du; wohin du fährst, da bleibst du!“

(Wilhelm Thieß)

 

Konzentration

Ich jage niemals zwei Hasen auf einmal. Otto von Bismarck

 

So ist die Welt in der Tat ein Labyrinth voller Irrungen, voll vergeblicher Mühe und voller Enttäuschungen, denn wir kennen das Nötige nicht, weil wir unsere Mühe auf die Erreichung des Unnötigen verwenden. Gott ruft uns in unserer Beschäftigung mit den vielerlei Dingen zur Besinnung auf das Wenige, was nötig ist, und zur Begegnung mit dem Einen, der gekommen ist, damit wir das Leben und volle Genüge haben! Johann Amos Comenius

 

Kopf

Ein Schein von Tiefe entsteht oft dadurch, dass ein Flachkopf zugleich ein Wirrkopf ist. Karl Kraus

 

Es gibt etwas Weiseres in uns, als der Kopf ist: Instinkt, der aus dem tiefsten Grunde unsers Wesen kommt. Arthur Schopenhauer

 

Je mehr du weißt und je besser du’s einsiehst, desto strenger wirst du darüber gerichtet werden, wenn du nicht um so viel heiliger gelebt hast, als deine Einsicht besser war. Darum trag du den Kopf deshalb nicht höher, weil du irgendeine Kunst oder Wissenschaft besitzt. Eben dies, dass dir soviel Erkenntnis gegeben ist, soll dich mehr furchtsam als stolz machen. Denn sie ist’s eben, die dich verdammt, wenn du nicht heiliger lebst als andere, die deine Erkenntnis nicht haben. Thomas von Kempen

 

Lesen heißt, mit einem fremden Kopf statt dem eigenen zu denken. Arthur Schopenhauer

 

Mancher findet sein Herz nicht eher, als bis er seinen Kopf verliert. Friedrich Nietzsche

 

Was dem Herzen widerstrebt, lässt der Kopf nicht ein. Arthur Schopenhauer

 

Wie selbst der kräftigste Arm, wenn er einen leichten Körper fort­schleudert, ihm doch keine Bewegung erteilen kann, mit der er weit flöge und heftig träfe, sondern derselbe schon in der Nähe matt niederfällt, weil es ihm an eignem materiellen Gehalte gefehlt hat, die fremde Kraft aufzunehmen; ebenso ergeht es schönen und großen Gedanken, ja, den Meisterwerken des Genies, wenn, sie aufzunehmen, keine andere, als kleine, schwache oder schiefe Köpfe da sind. Dies zu bejammern haben die Stimmen der Weisen aller Zeiten sich zum Chorus vereint. Arthur Schopenhauer

 

Körper

Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare. Morgenstern

 

Die Hauptaufgabe des Körpers besteht darin, den Kopf zu tragen. Thomas Alva Edison

 

Es ist viel dringender erforderlich, die Seele als den Körper zu heilen, denn Tod ist besser als ein schlechtes Leben. Epiktet

 

Hier ruht. Nahrung für die Würmer, der Körper von Benjamin Franklin, Buchdrucker, gleich dem Deckel eines alten Buches, aus dem die Blätter gerissen sind und dessen Einband abgebraucht ist. Aber das Werk wird nicht verloren gehen, denn es wird wieder erscheinen, so hofft er, in einer neuen Auflage, durchgesehen und verbessert vom Verfasser. Grabinschrift von Benjamin Franklin, der gelernter Buchdrucker war

 

Unglückliches Geschick der Menschen! Kaum ist der Geist zu seiner Reife gelangt, beginnt der Körper zu welken. Charles Baron de Montesquieu

 

Wenn der Mensch der Körper wäre, so gäbe es keine andere Moral als die Hygiene. Théodore Simon Jouffroy

 

Wie sich körperlich viele für krank halten, ohne es zu sein, so halten umgekehrt geistig sich viele für gesund, die es nicht sind. G. Chr. Lichtenberg

 

KÖRPER UND SEELE

1.

Der christliche Glaube ist keineswegs „leibfeindlich“, sondern sieht den Körper als gute Gabe des Schöpfers. Seine Impulse bedürfen der Kontrolle, wie das Pferd der Zügel. Doch ist deshalb weder der Leib „böse“, noch ist es seine Kraft. Wohl gab es in der Antike Religionen, die meinten, der Mensch müsse von seinem Leib erlöst werden. Doch der christliche Glaube will ihn nicht von, sondern mit seinem Leib erlösen. Auch er wird der Erlösung für wert befunden und durch die Sakramente in die Erlösung mit einbezogen. Wir werden also nicht von unserem Leib erlöst, sondern mit unserem Leib, nicht etwa „netto“, sondern „brutto“.

zum Text

2.

Die Seele entzieht sich der direkten Beobachtung. Und doch unterscheiden wir das Innerste eines Menschen von der Hülle, die bei seinem Tod zurückbleibt. Wir unterscheiden die greifbare Erscheinung von dem, was darin erscheint. Und so können wir auch die Seele vom sterblichen Leib unterscheiden, wie die Idee eines Buches von Papier und Druckerschwärze. Das Druckerzeugnis ist nur die Manifestation einer geistigen Wirklichkeit, die (wie sie dem Druckerzeugnis vorausging) auch unabhängig von ihm im Geist des Autors existieren kann. Der Autor eines Menschen ist aber der Schöpfer, der nie etwas vergisst.

zum Text

 

Kräfte

Den Gebrauch der Kräfte, die man hat, ist man denen schuldig, die sie nicht haben. Carl Schurz

 

Herr, gib mir die Kraft, alles zu tun, was du von mir verlangst. Dann verlange von mir, was du willst. Augustin

 

Herr, gib mir Kraft, dass ich mich erhebe über alles, was du, mein Gott, nicht bist, und dass ich, erhaben über alles, was du nicht bist, in dir allein Ruhe suche und Ruhe finde. Thomas von Kempen

 

Komme, was mag! Gott ist mächtig! Wenn unsere Tage verdunkelt sind und unsere Nächte finsterer als tausend Mitternächte, so wollen wir stets daran denken, dass es in der Welt eine große, segnende Kraft gibt, die Gott heißt. Gott kann Wege aus der Ausweglosigkeit weisen. Er will das dunkle Gestern in ein helles Morgen verwandeln – zuletzt in den leuchtenden Morgen der Ewigkeit. Martin Luther King

 

Niemand verdient seiner Güte wegen gelobt zu werden, wenn er nicht auch die Kraft hat, böse zu sein. Jede andere Güte ist meist nur Trägheit und Willensschwäche. Rochefoucauld

 

Der Übel größtes ist der Zwang, an die äußern Dinge des Lebens, die der inneren Kraft dienen sollen, eben diese zu verplempern. Karl Kraus

 

Wenn das Meer alle seine Kraft anstrengt, so kann es das Bild des Himmels gerade nicht widerspiegeln; doch wenn es stille wird und tief, senkt sich das Bild des Himmels in sein Nichts. Sören Kierkegaard

 

Wer sich öffentlich große Ziele stellt und hinterdrein im geheimen einsieht, dass er dazu zu schwach ist, hat gewöhnlich auch nicht Kraft genug, jene Ziele öffentlich zu widerrufen, und wird dann unvermeidlich zum Heuchler. Friedrich Nietzsche

 

Wie selbst der kräftigste Arm, wenn er einen leichten Körper fort­schleudert, ihm doch keine Bewegung erteilen kann, mit der er weit flöge und heftig träfe, sondern derselbe schon in der Nähe matt niederfällt, weil es ihm an eignem materiellen Gehalte gefehlt hat, die fremde Kraft aufzunehmen; ebenso ergeht es schönen und großen Gedanken, ja, den Meisterwerken des Genies, wenn, sie aufzunehmen, keine andere, als kleine, schwache oder schiefe Köpfe da sind. Dies zu bejammern haben die Stimmen der Weisen aller Zeiten sich zum Chorus vereint. Arthur Schopenhauer

 

KRANICH MIT DEM STEIN

Erg.

 

Krankheit

Warum mutet Gott uns Krankheiten zu? Dienen sie zur Verwerfung, Demütigung, Prüfung oder Erziehung, als Mahnung oder Weckruf? Es gibt viele Möglichkeiten. Und wenn einer „mit Gott nichts am Hut hat“, kann‘s auch Strafe sein. Doch bei einem Christen ist das ausgeschlossen. Denn Gott ist niemals sein Feind. Und was Christus stellvertretend für ihn getragen hat, wird gewiss kein zweites Mal gestraft. So müssen alle Krankheiten, die Gott einem Christen zumutet, einem positiven Zweck dienen. Jede hat einen Grund – auch wenn wir den nicht kennen. Und sollte er uns vor unsrem Tod nicht mehr heilen, dann eben danach.

zum Text

 

„Gebet in Krankheit: Mein Herr und Gott, der du Leben gibst und wiedergibst, in dessen Hand steht Leben und Tod, Gesundsein und Kranksein, erhöre mich, erhöre mich, nicht nach meinem Willen und Begehren, sondern nach dem Wohlgefallen deines Willens. Wenn du willst, kannst du mich wohl gesund machen; sprich nur ein Wort, so werde ich gesund. Du bist die Länge meiner Tage, meine Zeit steht in deinen Händen. Willst du mich aber jetzo durch den Weg des Todes zu dir in die himmlische Heimat abfordern, so ertöte zuvor in mir alle unordentliche Liebe zum irdischen Leben, gib mir Kraft des Geistes, dass ich die Angst des Todes überwinde; zünde an und mehre in mir, wenn meine Augen dunkel werden, mitten in der Finsternis das rechte Herzenslicht. Bei dir ist die Quelle wahrhaftigen Lebens, und in deinem Lichte werde ich das Licht sehen. Dein Tod, lieber Herr Jesu, ist ja meines Todes Gift geworden, dein Tod hat mir das ewige Leben verdient. So ergreife ich dein Wort mit gläubigem Herzen und bin daher gewiss, dass du durch den Glauben in meinem Herzen wohnst. Darum will ich dich nicht aus meinem Herzen lassen, du segnest mich denn und richtest mich auf mit lebendig machendem Trost. Du hast gesagt: Wer an mich glaubt, der soll ewiglich nicht sterben. Dies dein Wort hält mein Herz dir vor und in solchem Vertrauen komme ich vor deinen Gnadenthron, dass du den, der zu dir kommt, nicht hinausstoßen werdest. Dein teures Blut mache mich rein von meinen Sünden, deine Wunden verbergen mich vor Gottes Zorn und strengem Gericht. In dir will ich sterben, du wirst in mir leben; in dir will ich bleiben, und du wirst in mir bleiben; du wirst mich nicht im Tod und Staube lassen, sondern mich auferwecken zur Auferstehung des Lebens. Du hast für mich gestritten und überwunden, so streite und überwinde nun auch in mir, deine Kraft werde in mir Schwachem mächtig. An dir hanget meine Seele, lass mich nicht von dir geschieden werden. Dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre mein Herz und meine Sinne. In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott. Nimm meine Seele auf, die du erschaffen, die du erlöst, die du mit deinem Blute von Sünden rein gemacht, die du mit dem Pfand des Heiligen Geistes versiegelt und mit deinem Leib und Blut genährt hast. Dein ist sie, du hast sie mir gegeben. So nimm nun wieder, was dein ist, und erlass mir die Schuld meiner Sünden, womit ich sie befleckt habe. Lass die Frucht deines Leidens an mir nicht verloren, dein teures Blut nicht vergebens für mich vergossen sein. In dich hab’ ich gehofft, Herr, hilf, dass ich nicht zu schanden werde, noch ewiglich zu Spotte. Amen.“ (Johann Gerhard)

 

„Herr, ich begehre nicht frei zu sein von Schmerz (...); aber ich bitte dich, mich nicht den Schmerzen der Natur zu überlassen ohne die Tröstungen deines Geistes (...). Ich begehre nicht eine Fülle von Trost zu haben ohne ein Leiden, denn das ist das Leben der Herrlichkeit; aber ich begehre auch nicht in der Fülle von Übeln zu sein ohne Tröstung (...), sondern ich begehre, Herr, beides zusammen zu fühlen, die Schmerzen der Natur für meine Sünden und die Tröstungen deines Geistes durch deine Gnade (...). Ich bitte dich weder um Gesundheit noch um Krankheit, weder um Leben noch um Tod, sondern dass du über meine Gesundheit und über meine Krankheit, über mein Leben und über meinen Tod gebietest zu deiner Ehre, zu meinem Heil und zum Nutzen der Kirche und deiner Heiligen, zu denen ich durch deine Gnade zu gehören hoffe. Du allein weißt, was mir dienlich ist; du bist der alleinige Herr, tue was du willst. Gib mir, nimm mir, aber bilde meinen Willen nach dem deinen, dass ich in demütiger und vollkommener Unterwerfung und in heiliger Zuversicht mich anschicke die Gebote deiner ewigen Vorsehung zu empfangen und alles, was mir von dir kommt, immer gleich verehre (...). Amen.“

(von Blaise Pascal)

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

Die Ärzte glauben, ihrem Patienten sehr viel genützt zu haben, wenn sie seiner Krankheit einen Namen geben. Immanuel Kant

 

Einen Kranken, der sich für gesund hält, kann man nicht heilen. Henri Frédéric Amiel

 

Ich weiß, dass meine Abneigung gegen Ärzte krankhaft ist. Wenn sie mich aber am Leben erhält? Charles de Montesquieu

 

Wenn ein Mensch plötzlich krank wird, eilen sogleich die Wohlwollenden zu Hilfe; bekämen sie alle zusammen Erlaubnis, ihre Ratschläge auszuführen, so wäre wohl der Tod des Kranken sicher. Sören Kierkegaard

 

Wenn manchen Leuten etwas zu erleiden oder zu tun zufällt, so sagen sie: „Wüsste ich, dass es Gottes Wille wäre, so wollte ich's gern leiden oder tun“. Bei Gott! Es ist eine wunderliche Frage, wenn ein kranker Mensch fragt, ob es Gottes Wille sei, dass er krank sei. Er soll des gewiss sein, dass es Gottes Wille ist, wenn er krank ist. So ist es auch in anderen Dingen. Darum soll ein Mensch jegliches, was ihm zufällt. auf lautere und einfältige Weise von Gott hinnehmen. Meister Eckhart

 

Wer einem Kranken seine Ratschläge gibt, erwirbt sich ein Gefühl von Überlegenheit über ihn, sei es, dass sie angenommen oder dass sie verworfen werden. Deshalb hassen reizbare und stolze Kranke die Ratgeber noch mehr als ihre Krankheiten. Friedrich Nietzsche

 

Wie sich körperlich viele für krank halten, ohne es zu sein, so halten umgekehrt geistig sich viele für gesund, die es nicht sind. G. Chr. Lichtenberg

 

Wollte ich mich einem Menschen beliebt machen und wollte ich dem allein gefallen, so wollte ich alles, was dem Menschen gefällig wäre und wodurch ich ihm wohlgefiele, lieber als irgend etwas anderes. Und wäre es so, dass ich ihm besser gefiele in einem schlichten Kleide als in Samt, so besteht kein Zweifel darüber: ich trüge das schlichte Kleid lieber als irgendein anderes Kleid. So auch steht es mit einem, dem Gottes Wille gefällt: alles, was ihm Gott zuteilt, sei's Krankheit oder Armut oder was es auch sei, das hat er lieber als irgend etwas anderes. Eben weil Gott es will, darum schmeckt es ihm besser als irgend etwas anderes. Meister Eckhart

 

KREUZ UND PASSION JESU

1.

Jesu Tod war kein Justizirrtum und kein tragisches Missverständnis, sondern eine direkte Folge seines kompromisslosen Lebens. Jesu Grundüberzeugung war, dass der, der Gott gehorcht und sich ihm vertrauensvoll in die Arme wirft, von Gott aufgefangen wird. Er machte den Selbstversuch, lebte sein Programm, blieb auf Kurs, wurde dafür gehasst – und das, wovon er überzeugt war, wurde ihm zum Schicksal. Die Welt schlug ihn ans Kreuz. Aber Gott erweckte ihn auf. Und der Beweis ist damit erbracht: Radikales Gottvertrauen ist nicht Wahnsinn, sondern Weisheit.

zum Text

2.

Das Kreuz Christi ist der Ort, an dem der gerechte Zorn Gottes und die stumpfe Verstocktheit der Menschen aufeinanderprallen. Dort trägt Christus unsere Krankheit und lädt auf sich unsere Schmerzen. Er tut’s aber nicht, um hinterher bedauert zu werden, sondern trägt unsere Last, damit wir es nicht müssen. Er blutet, um unsere Wunden zu heilen. Er geht durch die Hölle, um sie uns zu ersparen. Er stirbt, damit wir leben. Er wird gering, um uns zu erhöhen. Er zieht uns weiße Kleider der Unschuld an und lässt uns teilhaben an seiner eigenen Reinheit. So hat der Fluch, der uns galt, das Kreuz nicht überlebt. Da es aber zu unserem Trost geschah, wär’s Christus ein schlechter Lohn, wenn wir uns dessen nicht freuten.

zum Text

3.

Die Kreuzigung Christi war kein Justizirrtum und kein Missverständnis, sondern eher eine Kampfhandlung. Christus war ein Opfer der Menschheit, die sich dem Anspruch Gottes entziehen wollte, indem sie seinen Repräsentanten aus der Welt schafft. Und Christus war zugleich ein Opfer Gottes, der ihm als Repräsentanten der Menschheit diesen Tod zugemutet hat. Erst von Ostern her erschließt sich der Sinn dieses schrecklichen Vorganges: Gottes Sohn ging durch die Hölle, damit wir es nicht müssen.

zum Text

4.

Gott befindet sich der sündigen Menschheit gegenüber im Zwiespalt: Die Gerechtigkeit Gottes fordert, die Sünde durch Vernichtung der Sünder aus der Welt zu schaffen. Die Liebe Gottes aber bejaht auch die Geschöpfe, die sich vom Schöpfer abkehren. Durch das Leiden Christi wird Gott beidem gerecht und vereint Sühne mit Bewahrung: Gott selbst nimmt die Strafe auf sich, die wir verdient haben. Er stirbt unseren Tod, damit wir leben. Er lässt sich verwerfen, damit wir nicht verworfen würden.

zum Text 

5.

Warum Gott Mensch wurde und am Kreuz starb? (1.) bestand die Notwendigkeit der Erlösung, um Gottes Plan zum Ziel zu führen. Und (2.) konnte die Erlösung nicht stattfinden, ohne dass eine entsprechende Sühne vorausging. (3.) vermochte niemand diese Sühne zu leisten außer Gott. Und (4.) sollte niemand die Sühne leisten außer dem Menschen, der den Schaden verursacht hat. Daraus folgt aber unausweichlich (5.), dass derjenige, der die Sühne wirklich leistet, Gott und Mensch zugleich sein muss (freie Bearbeitung eines Werkes des Anselm v. Canterbury).

zum Text 

6.

Christus erhebt Einspruch

Erg.

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

„Was hast du verbrochen, teuerster Gottessohn, dass du also gerichtet wardst? Was war die Ursache deines Todes, was der Grund deiner Verdammung? Ich, ich bin die Geißel deines Schmerzes, ich habe dich ans Kreuz gebracht mit allen seinen Qualen. O über den wunderbaren Rechtsspruch und geheimnisvollen Ratschluss! Es sündigt der Gottlose, und bestraft wird der Gerechte; was der Böse verdient, leidet der Gute; was der Knecht verschuldet, bezahlt der Herr; was der Mensch begeht, nimmt Gott auf sich. Wie tief, o Gottessohn, hat sich deine Demut herabgelassen! Wie herrliche Gnade, wie hohe Güte, wie innige Liebe, wie großes Mitleid hast du gezeigt! Ich tue Übels, du trägst die Strafe; ich bin stolz, du erniedrigst dich; ich bin unmäßig, du leidest Hunger; ich suche nach Vergnügen, du lässt dich mit Nägeln durchbohren; ich koste die Süßigkeit des Apfels, du die Bitterkeit der Galle. Mit mir lacht und freut sich Eva; mit dir weint und leidet Maria.“

Anselm (+1109)

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

Julien Green wurde 1900 in Paris geboren und starb 1998 auch dort. Als Sohn amerikanischer Eltern lebte und schrieb er in zwei Welten, in Frankreich und in Amerika. Seine weltberühmten Romane haben alle nur ein Thema, das Dunkle und Böse im Menschen, ihre Erklärung und Überwindung. Sein Vermächtnis auf seiner Grabplatte lautet: „Wäre ich mutterseelenallein auf dieser Welt gewesen: Gott hätte seinen einzigen Sohn herabgesandt, damit er mich erlöse ... Aber wer, fragst du, hätte ihn dann ans Kreuz geheftet? Such nicht lange: Ich selber hätte das getan ... Und der Jünger, der ihn lieb hat? Das ist das Schmerzlichste an der Geschichte und zugleich das große Geheimnis! Du weißt es recht gut: Auch diesen Jünger findest du in mir.”

 

KREUZESNACHFOLGE

Das Kreuz eines Christen besteht in dem Leid, das er bewusst in Kauf nimmt, weil es für die vollen Gemeinschaft mit Gott und zum Abbau seines „alten Menschen“ erforderlich ist. Gott schickt uns solches Kreuz zu Hilfe, denn alles, was uns von Adam her angeboren ist, muss in und an Christus sterben. Es ist gut gemeint! Und so können wir alles als „Kreuz“ ansehen, was geeignet ist, unsere Vermessenheit zu dämpfen, unseren Stolz zu brechen und unser Rühmen zu unterbinden. Das Kreuz verhilft uns (unter dem Anschein des Gegenteils) zum Leben. Doch – das Leid um des Leides willen zu suchen, ist keine fromme, sondern eine echt kranke Idee!

zum Text

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

„Wenn du nicht kannst dein Kreuz mit Freuden aufnehmen, wie sichs denn wohl gebühret, so nimm es zum wenigsten mit Geduld und Demut auf, und laß die göttliche Vorsehung und den göttlichen Willen Gottes allezeit deinen Trost sein. Denn Gottes Wille ist allezeit gut, und suchet in allen Dingen unser Bestes und unsere Seligkeit. Will dich Gott traurig oder fröhlich haben, im Geist arm oder reich, niedrig oder hoch, geehrt oder ungeehrt, so wisse, dass dirs alles gut ist, und dass es also sein Wohlgefallen ist. Und Gottes Wohlgefallen soll auch dein Wohlgefallen, ja dein Trost sein, dass Gott mit dir handelt, wie es ihm wohlgefällt, und dass er dadurch deine Seligkeit suchet.“ (Johann Arndt)

 

„Niemand empfindet Christi Leiden so herzlich, wie der, dem Ähnliches zu leiden auferlegt wird. Das Kreuz ist also stets bereitet und wartet überall auf dich. Du kannst ihm nicht entfliehen, wohin du auch gehst; denn wohin du auch kommen magst, bringst du dich selbst mit und wirst immer dich selbst finden. Wende dich nach oben, wende dich nach unten, wende dich nach außen, wende dich nach innen, und allenthalben wirst du Kreuz finden; denn es ist notwendig, dass du überall Geduld behaltest, wenn du innern Frieden haben und die ewige Krone verdienen willst. Trägst du das Kreuz gern, so wird es auch dich tragen und wird dich zum erwünschten Ziele führen, wo nämlich das Leiden ein Ende nehmen wird, obwohl es hienieden nicht sein mag. Wenn du es aber ungern trägst, so machst du dir eine Last und beschwerst dich selbst um so mehr und dennoch musst du es tragen. Ja, wirfst du ein Kreuz ab, so wirst du ohne Zweifel ein anderes finden und vielleicht ein schwereres. Glaubst du dem zu entrinnen, dem noch kein Sterblicher entgehen konnte? (…..) Das ganze Leben Christi war Kreuz und Marter, und du suchest dir Ruhe und Freude? Du irrest, du irrest, wenn du etwas Anderes suchst, als Trübsal zu leiden; denn dieses menschliche Leben ist voller Elend und ringsher mit Kreuzen gezeichnet. Und je höher Einer im Kreuze fortgeschritten ist, um so schwereres Kreuz findet er oft, weil seine Pilgerschaft ihm um so peinlicher wird, je mehr die Sehnsucht nach der Heimat wächst. Dennoch ist der so vielfach Bedrängte nicht ohne lindernden Trost, weil er fühlt, dass ihm die größte Frucht aus dem Ertragen seines Kreuzes zuwachse. Denn indem er sich ihm freiwillig unterwirft, verwandelt sich alle Last der Trübsal in Zuversicht auf Gott. Und je mehr das Fleisch durch Drangsal geschwächt wird, desto mächtiger wird der Geist durch innerliche Gnade gekräftigt.“ (Thomas von Kempen)

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

Das Kreuz setzt dir zu, nicht damit du darunter verkommst, sondern dass du lernst, Gott zu vertrauen. Denn Gott vertrauen ist keine Kunst, wenn alles wohl geht. Martin Luther

 

Nachdem du alles andere schon verlassen hast, musst du dich selbst auch verlassen, ganz von dir selbst ausgehen und alle genügsame Eigenliebe ohne Erbarmen ans Kreuz schlagen. Und: Wenn du alles getan hast, was du nach deiner Erkenntnis tun solltest, so musst du doch gesinnt sein, als hättest du nichts getan. Thomas von Kempen

 

KREUZESTHEOLOGIE

Imponiergehabe bewährt sich Gott gegenüber nicht. Denn er ist von unseren Leistungen nicht beeindruckt und für unseren Verstand nicht zu erreichen. Der Mensch „auf der Höhe“ und Gott in seiner Majestät finden nicht zusammen. „Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben“ (1. Kor 1,21). Gott ist für aufgeblasene Menschen prinzipiell nicht mehr zu sprechen, sondern nur noch für demütige. Nicht wir erheben uns zu ihm, sondern er beugt sich zu uns herab. Wir begegnen ihm nicht im Zugriff unserer Weisheit auf seine Hoheit, sondern im Zugriff des Gekreuzigten auf unser Elend.

zum Text

 

* – * – * – * – * – * – * – * – *

 

„Die Theologia crucis hat einen der Theologia gloriae genau entgegengesetzten Maßstab, und dieser gilt sowohl für die Erkenntnis Gottes wie für das Selbstverständnis und die Haltung des Menschen vor Gott. Der Maßstab ist eben das Kreuz. Das heißt: wo die Theologia gloriae Gott direkt zu erkennen sucht, in seiner offenkundigen göttlichen Macht, Weisheit, Herrlichkeit, da erkennt die Theologia crucis ihn paradox eben da, wo er sich verborgen hat, also in den Leiden, in dem, was nach dem Maßstab der Theologia gloriae Schwachheit, Torheit ist. Und wenn die Theologia gloriae den Menschen anleitet, als Handelnder, mit der ethischen Leistung, der Erfüllung des Gesetzes vor Gott zu stehen, so sieht die Theologia crucis ihn als zum Leiden, zur Passion berufen – dieses sein Kreuz „macht ihn zunichte“, dass er nun, statt selber etwas leisten zu wollen, vielmehr Gott alles in sich wirken lässt; er wird aus dem moralischen Aktivismus in das reine Empfangen geführt.“

(Paul Althaus)

 

KREUZWEG, KREUZTRAGUNG

Christus trägt sein Kreuz

Erg.

 

Kriecherei

Der Mensch ist gut und will nicht, dass man vor einem andern als ihm selber krieche. Jean Paul

 

Krieg

Der Krieg ist darin schlimm, dass er mehr böse Menschen macht, als er deren wegnimmt. Immanuel Kant

 

Frieden ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Oswald Spengler

 

Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut soll immer wieder mit Blut abgewaschen werden. Bertha von Suttner

 

KRIPPE UND KREUZ

Erg.

 

KRITIK ÜBEN

Es ist unvermeidlich, dass wir uns über die Worte und Taten anderer ein Urteil bilden. Doch darf das nicht auf lieblose Weise geschehen. Wir sollen immer zuerst vor der eigenen Tür kehren und uns über niemanden erheben, wir sollen nicht etwa den Menschen, sondern nur seine Taten verwerfen, sollen ihn nur in Liebe tadeln – und das auf so hilfreiche Weise, dass er es auch annehmen kann. Jesus fordert, dass wir kritisieren, ohne zu verletzen, aufdecken, ohne bloßzustellen und korrigieren, ohne zu belehren. Doch bleibt unsere Urteilskraft eine Gottesgabe. Und von ihr Gebrauch zu machen, ist unumgänglich.

zum Text

 

Kritik, Kritiker

Das ist klarste Kritik von der Welt, wenn neben das, was ihm missfällt, einer was Eigenes, Besseres stellt. Emanuel Geibel

 

Die Bibel ist nicht dazu da, dass wir sie kritisieren, sondern dazu, dass sie uns kritisiert. Sören Kierkegaard

 

Die meisten Menschen wollen lieber durch Lob ruiniert als durch Kritik gerettet werden. Aus den USA

 

Ein Werkzeug kann nicht seine eigene Tauglichkeit kritisieren: der Intellekt kann nicht selber seine Grenze, auch nicht sein Wohlgeratensein oder sein Missratensein bestimmen. Friedrich Nietzsche

 

Für mich gibt es nur ein Mittel, um die Achtung vor mir selbst nicht einzubüßen: Fortwährende Kritik. Christian Morgenstern

 

Es gibt Menschen, die auch am Morgenrot etwas auszusetzen hätten, wenn sie je früh genug aufstehen würden. Henry David Thoreau

 

Kultur

Von einem haben die sogenannten gebildeten Leute gewöhnlich keine Vorstellung: dass jemand den zusammengesetzten und künstlichen Zustand, den sie Bildung nennen, und der auch wirklich Bildung ist, durchgemacht haben könne und auf der anderen Seite wieder ins Einfache und Natürliche herausgekommen sei. Ihnen scheint alles Schlichte Unkultur. Franz Grillparzer

 

Kummer

Der Kummer kennt verschiedene Arten der Heuchelei. - Die eine besteht darin, dass wir unter dem Vorwand, den Verlust eines teuren Menschen zu beweinen, uns selber beweinen; wir trauern um die gute Meinung, die er von uns hatte, um die Verminderung unseres Besitzes, um unser Vergnügen, um unser Ansehen. So werden die Toten mit Tränen geehrt, die nur für Lebende fließen. Ich nenne dies deshalb Heuchelei, weil man in diesem Kummer sich selber täuscht. - Die zweite Art ist nicht so unschuldig, denn sie soll die Umwelt täuschen. Sie ist der Kummer jener Menschen, die nach dem Ruhm eines schönen und unsterblichen Schmerzes streben. Hat die Zeit, die doch alles lindert, ihrer wirklichen Trauer ein Ende gesetzt, bestehen sie trotzdem hartnäckig weiter auf Tränen, Klagen und Seufzern; sie spielen die Rolle des Schwermütigen und bemühen sich, uns durch ihr Benehmen zu überzeugen, dass ihr Schmerz erst mit ihrem Leben enden werde. Diese klägliche und ermüdende Eitelkeit findet man gewöhnlich bei geltungssüchtigen Frauen. Da ihnen ihr Geschlecht alle anderen Wege zum Ruhm versperrt, versuchen sie ihn durch Vortäuschung untröstlichen Kummers zu erzwingen. - Bei der dritten Art der Heuchelei fließen die Tränen aus seichter Quelle ebenso rasch, wie sie versiegen. Man weint, um für mitfühlend zu gelten, man weint, um bedauert zu werden, weint, um beweint zu werden, und weint schließlich, weil es eine Schande wäre, nicht zu weinen. Rochefoucauld

 

Kunst

Bewahr' uns, lieber Herre Gott,

vor Pestilenz und Kriegesnot,

vor Mißwachs, Hagel, Feuersbrunst

und vor der offiziellen Kunst. Ludwig Fulda

 

Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt. Otto von Bismarck

 

Dilettantismus ist Liebe zur Kunst ohne Gegenliebe. Aus den „Fliegenden Blättern“

 

Kunst kommt von Können. Käme es von Wollen, so hieße es Wulst. Friedrich Nietzsche

 

Vielleicht ist die Kunst, die mit Geistesstärke Wunder tun will, wie sie nur, zu seinem Zwecke, der alte Meister vermag, am Ende die beschämteste unter allen menschlichen Künsten. Vielleicht war solche Überhebung gar nicht Kunst. Karl Kraus

 

Der Künstler hat nicht dafür zu sorgen, dass sein Werk Anerkennung finde, sondern dafür, dass es sie verdiene. Marie von Ebner-Eschenbach

 

Künstler haben gewöhnlich die Meinung von uns, die wir von ihren Werken haben. Marie von Ebner-Eschenbach

 

Küssen

Ein junger Mann und ein Mädchen liefen auf zwei verschiedenen Landwegen. In einem bestimmten Augenblick kamen die zwei Wege zusammen und der Junge und das Mädchen liefen nun gemeinsam weiter. Der Junge trug einen Kupferkessel auf seinem Rücken. In der Hand hatte er ein lebendes Huhn und einen Stock, während er an der anderen Hand eine Ziege führte. Nach einer Weile kamen sie an eine Bergschlucht. Da blieb das Mädchen stehen und sagte: „Durch diese Schlucht gehe ich nicht mit dir.“ „Warum nicht?“, wollte der Junge wissen. „Du könntest mich dort umarmen und küssen“ antwortete sie. „Wie soll ich dich umarmen und küssen? Ich habe einen Kupferkessel auf dem Rücken, an der einen Hand habe ich eine Ziege und in der anderen Hand ein lebendes Huhn und einen Stock.“ Aber das Mädchen beharrte auf seiner Meinung: „Du könntest mich die Ziege halten lassen, danach den Stock in den Boden stecken, das Huhn auf den Boden setzen und den Kessel darüber stülpen und dann könntest du mich umarmen und küssen.“ Lange starrte der Junge das schöne, nette Mädchen an. Endlich sagte er: „Gott segne deine Weisheit.“ Worauf sie gemeinsam durch die Schlucht gingen.