Turmbau zu Babel

Turmbau zu Babel

The Tower of Babel / Pieter Bruegel der Ältere, Public domain, via Wikimedia Commons

 

Pieter Bruegel hat dieses Bild 1563 gemalt. Und man muss nicht lange rätseln, was darauf zu sehen ist: Die Menschen in Babylon möchten sich ein Denkmal setzen, indem sie einen Turm bauen, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Sie sagen: „Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! - und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder“ (1. Mose 11,4). Zerstreut und vergessen zu werden, ist schlimm. Denn es zeigt, dass die Welt den Menschen nicht braucht. Sie nimmt ihn nicht so wichtig, wie er sich selbst nimmt. Sie achtet ihn nicht so, wie er sich das wünscht. Und darum tun Menschen fast alles, um Beachtung zu erlangen. Sie möchten dauerhaft bedeutsam sein, möchten im Gedächtnis bleiben und Spuren hinterlassen, die noch lange nach ihrem Tod von ihrem Dasein zeugen. 

Doch dazu muss man wirklich „Großes“ tun. Und das Größte, das ihnen in Babylon einfiel, war ein Turm, der bis zum Himmel reicht. Wenn man bis ganz oben hinaufstiege, wäre man „auf Augenhöhe“ mit den Göttern. Man hätte sich auch endlich über die Welt erhoben. Man könnte auf sie herabschauen. Und noch viele Generationen würden von den Pionieren reden, die diesen visionären Plan fassten und in einem übermenschlichen Kraftakt die Grenzen des Möglichen weiter hinausschoben. Wer an der eigenen Bedeutung zweifelt, kann sich mit solchen Projekten Bedeutung verleihen. Und wenn der König des Nachbarlandes auch einen Turm baut, will man zumindest sagen können, man selbst habe den Größeren. Konkurrenten zu überbieten, bereitet Vergnügen. Wer andere in den Schatten stellt, steht selbst im Rampenlicht. Und so müssen wir nicht erst fragen, was den König (links unten im Bild) zum Turmbau motiviert. So tief wie sich dort seine Steinmetze vor ihm verneigen, so tief soll sich die ganze Welt vor ihm beugen, weil er sich in diesem Turm verewigt und sich ein Denkmal gesetzt hat, über das selbst die Götter staunen. Freilich: Der König dort sieht nicht sehr orientalisch aus. Die Landschaft erinnert weniger an Babylon als an die Niederlande. Und auch die Schiffe hat Bruegel ganz sorglos seiner Zeit entnommen. Aber, warum auch nicht? Die biblische Geschichte vom Turmbau will ja nicht erzählen, wie die Menschen damals waren, sondern wie sie immer sind. Und der menschliche Wesenszug der Geltungssucht beschränkt sich nicht auf dieses oder jenes Jahrhundert. Der Wunsch, durch herausragende Werke aus der Masse herauszuragen, ist überall verbreitet. Und wer kann, versucht den eigenen Namen tief ins Gedächtnis der Menschheit einzuschreiben. Das Geltungsbedürfnis sitzt so dominierend breit im menschlichen Herzen, wie jenes monströse Bauwerk in der Bildmitte sitzt. Und es drängt alles andere in die Peripherie. So mächtig ist der menschliche Größenwahn, dass ihm alles unterworfen und geopfert wird. Es lässt für anderes kaum Platz. Und so wirkt selbst das weite Meer neben diesem Turm bescheiden. Er ist in mächtigen Stufen angelegt, die einen darunter liegenden natürlichen Felsen überbauen, und wächst wie eine gewaltige Hochzeitstorte in Ringen nach oben. Man sieht, wie aufwendig der Bau auch im Inneren verstrebt und abgestützt ist. Man kann auch abschätzen, wieviel da oben noch kommen müsste, bis sich das Werk vollendet. Schon in der aktuellen Bauphase befindet sich die Spitze auf Höhe der Wolken. Es geht also tatsächlich darum, den Himmel zu stürmen. Es ist ein maßlos unbescheidenes Projekt. Aber „normal“ kann schließlich jeder. Und „normal“ wollen diese Menschen um keinen Preis sein. Sie wollen sich einen Namen machen. Sie träumen von Größe! Allerdings wirken sie neben dem Denkmal ihres Ehrgeizes kleiner als Ameisen. Und man hat den Eindruck, dass sie sich im Ringen um ewigen Ruhm übernehmen. Ihr Wunsch ist größer als das tatsächliche Vermögen. Sie überfordern sich. Denn wer näher hinsieht, erkennt in der Konstruktion erhebliche Schwächen. Der ganze Bau steht keineswegs gerade, sondern neigt sich merklich nach links, in Richtung Stadt. Und wenn die Neigung nicht korrigiert wird, muss man fürchten, dass der Turm einmal all diese Häuser unter sich begraben wird. Der Wunsch nach Ruhm hinterließe dann bloß Ruinen. Und die zeugten vom kolossalen Scheitern eines Volkes, das zu viel wollte. Doch ist die Neigung des Bauwerks nicht das einzige Problem. Denn während man oben noch fleißig in die Höhe baut, hat am Fuß des Turms schon der Verfall eingesetzt. Da unten im ersten Ring bröckelt es schon, Wasser steht im Fundament – und das Mauerwerk zeigt Risse. Mit neuen Gerüsten hat man begonnen auszubessern. Aber wenn das Gewicht, das von oben drückt, immer größer wird, werden es diese Fundamente nicht mehr tragen können. Wird man mit den Reparaturen nachkommen, um den Niedergang lange genug aufzuhalten? Oder haben sich die „Visionäre“ mit diesem ungeheuren Vorhaben ungeheuer überschätzt? Wird ihnen eines Tages der eigene Größenwahn auf den Kopf fallen, so dass sie nicht ewigen Ruhm ernten, sondern ewigen Spott? 

Das Bauwerk dient längst nicht mehr diesen Menschen. Sie dienen ihm. Sie wollen unbedingt etwas aus sich machen – und richten sich gerade dadurch zugrunde. Sie verschwenden Kraft und Lebenszeit an einen Turm, der sie zum Dank unter sich begraben wird. Denn was kühn und mächtig gedacht war, bröckelt schon jetzt. Es nagt der Zahn der Zeit. Und noch vor Fertigstellung werden die Himmelsstürmer unsanft auf den Erdboden zurückgeholt. Denn Gott hat keine Freude daran, wenn sich Menschen überheben und die ihnen gesetzten Grenzen nicht akzeptieren. Der Schöpfer hat die Menschen reicher begabt als jede andere Kreatur. Doch das genügt ihnen nicht. Gott will sie zu sich erheben. Doch sie wollen aus eigener Kraft steigen. Als Gottes Ebenbilder dürften sie ihm entsprechen. Sie aber wollen Gott gleichen. Sie träumen Allmachtsträume, greifen viel zu hoch – und können‘s dann nicht einlösen. Darum tritt Gott ihnen entgegen und verwirrt ihre Sprachen, damit sie nie wieder ein solches Großprojekt planen. Gestörte Kommunikation bremst jeden dummen Höhenflug. Denn wer sich nicht versteht, kann auch nichts koordinieren. Die Menschheit soll künftig auf dem Teppich bleiben. Und wo sie es nicht lassen kann, sich aufzublasen, beschleunigt das nur ihren Untergang. Denn Hochmut kommt vor dem Fall. Doch was steckt hinter dem selbstschädigenden Verhalten? Warum können wir uns nicht daran genügen lassen, so mittelgroß zu sein, wie Gott uns gemacht hat? Es ist wohl die Angst, das eigene Dasein wäre ohne Bedeutung, wenn man ihm keine Bedeutung gäbe. Man fürchtet, es habe keinen Sinn, wenn man ihm nicht selbst Sinn verliehe. Man ist in Sorge, vergessen zu werden, wenn man der Welt keinen Grund gäbe, sich zu erinnern. Letztlich will der Mensch beweisen, dass er zum Sterben zu schade sei. Doch tatsächlich beweist er nur, dass ihm Vertrauen fehlt. Denn wüsste er sich geliebt, müsste er nicht imponieren. Er ist sich dessen aber nicht sicher. Er möchte unsterblich sein, ahnt aber, dass die Welt ihn entbehren kann. Und an Gottvertrauen fehlt‘s ihm. Denn sonst wüsste er, dass er sich nicht erst Geltung verschaffen muss. Die Angst, übersehen zu werden, ist Gott gegenüber völlig unbegründet. Denn selbst die Verstorbenen sind ihm ewig präsent. Spätestens am Tag der Auferstehung werden alle wieder ans Licht gezogen. Und dann wird’s nicht wichtig sein, ob man Straßen nach uns benannt hat, ob wir Schlachten gewonnen oder Titel errungen haben. Was soll also das ständige Imponieren, Überbieten, Konkurrieren und Prahlen? Vernachlässigte Kinder müssen eine Show abziehen, um Beachtung zu finden. Doch Gottes Kinder haben diese Beachtung bereits. Beruhigen wir uns also. Hören wir auf, uns mit anderen zu vergleichen. Und wenn unsere Türme nicht in den Himmel wachsen, sei’s drum. Sie müssen es nicht. Wir haben das nicht nötig.