Gottes Zorn und Gnade
Photo: Andreas Praefcke, Heilsbronn Münster Marienaltar Rechtfertigungsbild, CC BY 3.0
Dieses Gemälde ist alt und merkwürdig. Aber seit ich es im Kloster Heilsbronn entdeckte, lässt es mich nicht mehr los. Das 1511 von Sebastian Dayg geschaffene Bild zerfällt in zwei Hälften: Rechts, auf dem grünen Gras des Erdbodens stehend, erkennen wir weltliche und geistliche Würdenträger, die die Menschheit repräsentieren. Ihre Gesichter spiegeln Erstaunen und Angst, aber auch zaghafte Freude. Vor ihnen – auch noch auf dem irdischen Boden stehend, aber mit Heiligenschein – ist Maria zu sehen, die schützend ihren Mantel vor die Vertreter der Menschheit hält. Eine Wolke gelben Lichts nimmt die linke Bildhälfte ein und kennzeichnet diesen Bereich als die himmlische Welt. Hier erkennen wir unschwer eine Darstellung des dreieinigen Gottes, denn der Maler bedient sich gängiger Symbole. Das graue Haar identifiziert Gott den Vater, die Dornenkrone den Sohn, die Taube den Heiligen Geist. In der Verwendung dieser Elemente ist das Bild nicht originell. In ihrer Anordnung aber schon. Denn die drei Personen der Trinität sind durch ein Schwert verbunden, um dessen Verwendung es Streit zu geben scheint. Der Vater führt dieses Schwert. Er hat es erhoben zum Schlag. Und es besteht kein Zweifel, wen es treffen soll – nämlich die ängstlich hinter Maria zusammengedrängte, sündige Menschheit. Was Gottes rechte Hand mit dem Schwert tut, wird dabei durch die linke Hand begründet und verständlich gemacht. Denn in der Linken hält Gott-Vater das Herrschaftssymbol des Reichsapfels als Zeichen dafür, dass er – in seiner Verantwortung als Schöpfer und Erhalter der Welt – das schöpfungswidrige Böse nicht dulden kann. In gerechtem Zorn erhebt er sein Schwert gegen die sündige Menschheit, um das, was nicht sein soll, zum Nichtsein zu befördern. Doch die Dynamik dieser Bewegung wird gebremst. Denn Gott fällt sich gewissermaßen selbst in den Arm. Gottes Sohn hat die scharfe Klinge des Schwertes ergriffen. Er hält sie fest. Und wiederum wird, was die eine Hand tut, durch die andere Hand begründet. Denn die rechte Hand Jesu weist auf die Seitenwunde, die er bei der Kreuzigung empfing – und der rechte Daumen scheint in dieser Wunde fast zu verschwinden. Der Sohn weist den Vater also hin auf sein Leiden und Sterben am Kreuz. Und eben dadurch hemmt er den Schlag. Denn das Urteil, das der Vater zu vollstrecken sich anschickt, ist bereits vollstreckt worden. Die von der Menschheit verdiente Strafe ist bereits auf Golgatha von Christus getragen worden. Die menschliche Schuld muss kein zweites Mal gesühnt werden. Und diesem Argument gegenüber hält der Vater wirklich inne. Das Gesetz muss sich dem Evangelium beugen, und Gnade ergeht vor Recht, weil der Zorn des Vaters an der Liebe des gekreuzigten Sohnes nicht vorbeikommt. Bis hierher ist das Gemälde eine gelungene Umsetzung reformatorischer Theologie. Doch hat der Künstler auch den Heiligen Geist sinnvoll ins Bild integriert? Zunächst scheint es, als sei die Taube als Symbol des Heiligen Geistes in der geschilderten Dramaturgie funktionslos. Der Maler hat den Vogel – wie aus Verlegenheit – auf dem erhobenen Schwert platziert. Dort sitzt er ziemlich ungerührt, als wäre die Klinge der Ast eines Baumes. Und dieses statische Bildelement will zur Dynamik des Geschehens nicht recht passen. Doch ist das nur der erste Eindruck. Denn auf den zweiten Blick erweist sich der Stil-Bruch als Stil-Mittel. Die Taube, die sich seelenruhig auf dem Schwert niederlässt, verdeutlicht nämlich, dass die gezeigte Situation nicht auf Veränderung angelegt ist. Es handelt sich gerade nicht um eine Momentaufnahme, der – wie in einer Bildergeschichte – bald die nächste folgt. Eine nächste Szene, in der die Spannung von Gesetz und Evangelium sich in Harmonie auflöst, gibt es nicht. Und eine Fortsetzung erübrigt sich. Denn weder wird der Vater aufhören, ein Feind der Sünde zu sein, noch wird der Sohn aufhören, für die Sünder einzustehen. Der Vater wird das Schwert nicht sinken lassen, denn solange es Böses gibt, wird der gute Gott nicht aufhören, ihm zu widersprechen. Und doch wird auch der Sohn die Spitze des Schwertes niemals loslassen, denn was er am Kreuz für die Menschheit tat, tat er ein für allemal. Die scheinbar unmotivierte Platzierung der Taube erweist sich damit als zutiefst sinnvoll. Sie bringt die Spannung zwischen Gesetz und Evangelium zur Ruhe, ohne sie in eine falsche Harmonie zu überführen. Das Gottesbild des Sebastian Dayg ist darum voll lebendiger Dynamik – und kann trotzdem nicht als „Momentaufnahme“ missverstanden werden. Denn das Verhältnis von Zorn und Gnade wurde durch Christi Kreuz und Auferstehung nicht etwa vorübergehend, sondern ein-für-allemal geklärt. Gottes Gnade siegt! Nur darum kann sich der Heilige Geist auf diesem Schwert niederlassen, als wäre es der Ast einer hundertjährigen Eiche. Dass er's aber tut, ist eine Einladung an den Betrachter, diese Bewegung nachzuvollziehen und sich von genau diesem Geist erfüllen zu lassen, der so furchtlos ist. Wir dürfen immer wieder neu darüber staunen, wie Gott seinen inneren Widerstreit zu unseren Gunsten löst – und die wirkenden Kräfte so bändigt, dass er uns leben lässt. Der dreieinige Gott lässt uns bestehen. Er lässt uns gelten. Und bei ihm ist gut sein.