Himmelfahrt

Himmelfahrt

Manche Feiertage sind erklärungsbedürftig. Doch der Himmelfahrtstag gehört eigentlich nicht dazu. Denn die Erhöhung Christi zur Rechten Gottes – dieser vertikale „Aufstieg“ – hat eine eindeutige Botschaft. Der Mann aus Nazareth, den sein eigener Jünger verriet, und der dann tief heruntergekommen war, weil man ihn anspuckte, kreuzigte und hinter dicken Wänden aus Stein begrub – eben der wird durch seine Himmelfahrt weit über Freund und Feind erhoben, er wird vollständig rehabilitiert und steigt ganz hoch hinauf, um zur Rechten Gottes zu sitzen und künftig an allem Regieren des Allmächtigen teilzuhaben. Ja, Himmelfahrt ist die Thronbesteigung eines Herrschers, den menschliche Bosheit verleumdete und tief in den Staub trat, den Gott aber aufhob und mit höchsten Ehren krönte. Die sündige Menschheit hatte ihn mit brutaler Konsequenz zur Hölle geschickt. Gott aber widersprach ihrem Urteil, dementierte das Begräbnis und holte seinen Sohn wieder aus dem Grab heraus, um ihm endgültig das Szepter der Macht in die Hand zu gegeben. Gott hat Christus „...von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“ (Eph 1,20-23). Das ist die gute Nachricht, über die jeder jubeln sollte. Doch leider gibt‘s Unverständige, die unsere Freude nicht teilen, weil es da um die „Herrschaft“ Christi geht – und sie einfach keinen „Herrn“ über sich haben möchten. Das Neue Testament bekennt fröhlich, dass Jesus dieser „Herr“ ist. Sie aber empört schon das hierarchische Denken als solches, weil es hier um Überordnung und Unterordnung geht, um Vorrang und Gefolgschaft. Die alten Kirchenlieder jubeln: „Jesus Christus herrscht als König, alles wird ihm untertänig...“ (EG 123,1). Jene wollen aber lieber „souverän“ als „untertänig“ sein – und ärgern sich, dass Gott nicht ihre Zustimmung braucht, um Gott zu sein. Nun kann man den Hass auf menschliche Despoten nachvollziehen. Nur, bitte: was hat das mit Jesus zu tun? Ist Macht denn an sich schon „böse“, und Autorität immer schon Anmaßung? Offenbar vergisst man, wer da an Himmelfahrt die Herrschaft antritt. Denn Jesus ist kein machtgieriger Tyrann, sondern der Sohn des Höchsten, der die ihm zustehende Herrlichkeit freiwillig abgelegt hat, um vom Himmel herabzusteigen und zu suchen, was verloren war. Christus entäußerte sich seiner souveränen Macht und nahm Knechtsgestalt an, um uns ein Beispiel der Demut zu geben. Er, der mit eiserner Hand hätte regieren können, entschied sich dafür, seinen Jüngern die Füße zu waschen. Er, der Legionen von Engeln befehligte, kam nicht, um zu strafen, sondern um unsere Strafe zu tragen. Er ist der Unschuldige, der sich aus reinem Erbarmen an unsrer Stelle kreuzigen ließ, obwohl wir Feinde waren. Und vor dem sollten wir uns nicht willig beugen? Ja, kennen wir denn jemand, vor dem wir es lieber täten? Oder kennen wir jemand, in dessen Händen die Macht besser aufgehoben wäre? Christus tat sein Leben lang nichts, um seiner selbst willen. Er tat alles um unseretwillen. Er hätte Grund, stolz zu sein, und ist doch von Herzen demütig. Jeden anderen könnte Macht verführen, ihn aber nicht. Jeder andere würde auf uns herabsehen, er nicht. Und ihm sollten wir nicht willig dienen – und dem nicht Ehre geben, dem Ehre gebührt? Antiautoritäre Affekte sind da fehl am Platz. Denn die Herrschaft Jesu raubt nur dem Satan seine Freiheit. Uns aber ist sie ein inneres Fest. Denn wenn wir Christus gehören, gehören wir keinem anderen mehr. Ist Christus unser Herr, dann ist es sonst niemand. Und schulden wir ihm Gehorsam, so darf ihn kein anderer von uns fordern. Denn alle menschlichen Autoritäten werden durch Christi Himmelfahrt relativiert. Und gerade die Großspurigen, die sich gern überheben, werden in ihre Schranken gewiesen. Denn seit Christus zur Rechten Gottes sitzt, ist er in allen Fragen die letzte Instanz. Er ist der Herr aller Herren, vor dem sich die Mächtigen dieser Erde verantworten müssen. Und das ist gut so. Denn auf diese Weise werden die Tyrannen ihre Knie beugen vor dem unschuldigsten ihrer Opfer – nämlich vor Christus, dem Gekreuzigten. Was aber wäre gerechter als das? Einer von den Geschundenen und Gefolterten, einer der Rechtlosen, der von römischen Soldaten ermordet wurde, übernimmt die Macht. Einer von denen „ganz unten“ wird an Himmelfahrt hoch erhoben über alle Menschenschinder dieser Welt. Ein Verurteilter richtet über die Richter. Ein Knecht herrscht über die Herren. Ein Opfer entscheidet über die Täter. Und wir sollten das bloß zähneknirschend hinnehmen, statt diesen wahrhaft „revolutionären“ Vorgang zu bejubeln? Dies ist der einzige Herr, der niemanden demütigt. Jeder andere würde uns wieder zu Knechten machen. Dieser aber ist der Grund unserer Freiheit. Und es stünde schlecht um uns, wenn wir an seinem Durchsetzungsvermögen auch nur eine Sekunde zweifeln müssten. Denn wäre Jesus nur voller Gnade – und wäre dabei nicht auch mächtig, sondern schwach –, wie könnte er uns da helfen? Was nützte uns Jesu Solidarität, wenn sie nur das Engagement eines Machtlosen für Machtlosen wäre? Was hülfe uns ein Erlöser, der uns nur erlösen wollte, und nicht auch die Mittel hätte, seinen Willen durchzusetzen? Ein kraftloser Retter ist als hilfloser Helfer nur eine tragische Gestalt. Seit Gott aber mit dem Nachdruck des Allmächtigen seine gesamte Herrschaft in Jesu Hände legte, ist damit alles entschieden. Denn nun muss alle Macht gut, und alles Gute mächtig werden. Ja, Gerechtigkeit wird sich unaufhaltsam Bahn brechen im Himmel und auf Erden. Die Stolzen werden ihren Nacken beugen, und die Bedrückten werden aufgerichtet. Die Lügner müssen verstummen, und die Hungrigen werden satt. Einem jeden wird Recht geschehen. Und Gnade wird allen zuteil, die sich danach sehnen. Was könnte es aber Schöneres geben, als dieser Zukunft gewiss zu sein? Und welches Fest verdiente mehr gefeiert zu werden als Christi Himmelfahrt? Es ist die schönste Revolution, die sich denken lässt. Denn wenn menschliche Bosheit je das Gegenteil von dem erreichte, was sie erreichen wollte, dann an Himmelfahrt. Die Feinde kreuzigen Jesus, um ihn klein zu kriegen. Aber durch die Himmelfahrt wird er größer, als je einer gewesen ist. Sie wollen Jesu Macht brechen. Ihm aber wird gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. Sie wollen ihn töten, er aber erwacht zu ewigem Leben. Sie wollen ihn aus der Welt schaffen, doch er wird allgegenwärtig. Sie wollen ihn zur Hölle hinab schicken, er aber steigt von dort bis in den Himmel hinauf. Sie wollen sein Evangelium zum Schweigen bringen – und erreichen doch nur, dass es seit 2000 Jahren an allen Enden der Erde verkündet wird. Wahrlich, nie ist ein Plan grandioser gescheitert, und nie hat sich ein Vorhaben so sehr ins Gegenteil verkehrt! Denn Himmelfahrt, als Thronbesteigung Christi, ist ein auf den Kopf gestellter Karfreitag. Die Welt wollte Gottes Sohn los werden – und befindet sich nun ganz in seiner Hand. Der Tod wollte Christus fangen – und wurde bei diesem Versuch von Christus überwunden. Der Teufel dachte, er hätte fette Beute gemacht – aber Christus setzte ihn „schachmatt“. Der Plan, Christus zu vernichten, führt zur seiner Erhöhung über alle Kreatur. Und alle, die Gott aus seiner Schöpfung hinauskomplimentieren wollten, um wieder ungestört darin zu herrschen, müssen erleben, wie das Evangelium Wurzeln schlägt in den Herzen der Menschen. Für die dunklen Mächte war Jesus ein Störenfried. Und sie hatten keine Skrupel, ihn zu liquidieren. Aber, ach – wie vergeblich war die Mühe! Und wie ist ihr Plan so dermaßen aus dem Ruder gelaufen durch Gottes mächtigen Widerspruch! Die Kreuzigung wurde nicht zu Jesu Niederlage, sondern zu seinem größtem Sieg. Statt dass sein Werk scheiterte, wurde es gerade so vollendet. Mitten im Untergang setzte sich der Erlöser durch. Und die ihm eine Falle stellten, wurden selbst darin gefangen. Denn wider Erwarten blieb Christus nicht begraben. Sondern der Vater rief ihn aus dem Grab heraus. Er bekannte sich zu seinem Sohn – und bestätigte damit nicht nur Jesu gesamte Botschaft, sondern machte den Auferstandenen zugleich zum König aller Könige, zum Herrn aller Herren und zum Richter über alle Richter. Der Eckstein, den die Welt verworfen hat, wird zum Grundstein einer ewigen Herrschaft. Und der geschundene Mann wird von Gott zum allerhöchsten erhoben. Ja, welche Ironie, wie da der Hass dieser Welt wider Willen das Gute erreicht! Wie verblüffend hat Gott das Unterste zuoberst gekehrt! Man wollte Christus ein Ende bereiten und hat doch nur bewirkt, dass er sein Werk vollendete. Die Menschheit verwirft ihn, Gott aber nimmt ihn zu sich. Die Erde verschließt sich, aber der Himmel wird ihm herrlich geöffnet. Die Welt verdammt ihn, Gott aber macht daraus einen Triumph der Gnade. Die Sünder verwerfen Christus, Gott aber ehrt ihn nur umso mehr und gibt ihm Anteil an seiner ewigen Herrschaft. Das hatten sich die Feinde wahrlich anders gedacht! Doch wer könnte es rückgängig machen? Es geschah zwar in der Zeit, hat aber ewige Bedeutung. Es geschah in einem kurzen Moment, hat aber unabsehbare Konsequenzen. Denn Christi Macht ist nun identisch mit Gottes Macht, die durch nichts gehindert werden kann. Was Christus seinen Jüngern zusagte, gilt damit unverbrüchlich. Und der Allmächtige selbst hat es beglaubigt. Denn was sonst sollte es bedeuten, dass Christus „zur Rechten Gottes sitzt“? Es muss uns bewusst sein, dass unser Glaubensbekenntnis damit keine „Ortsangabe“ liefert. Der Himmel, in den Christus auffährt, ist nicht irgendwo „hinter den Sternen“ zu suchen. Denn Gott ist allgegenwärtig. Gott ist jederzeit überall. Und „rechts“ von „überall“ kann man sich nicht hinsetzen! Das räumliche Bild ist nicht so zu verstehen, als wollten wir Christus „lokalisieren“. Sondern es erinnert daran, dass rechts neben dem Hausherrn sein engster Vertrauter sitzt. Der ist sprichwörtlich „seine rechte Hand“. Und beide sind so eng miteinander, dass der Hausherr und „der zu seiner Rechten“ alles gemeinsam tun. Was der eine sagt, bindet auch den anderen – Vater und Sohn sind völlig eins im Denken, Wollen und Tun. Und genau das ist es, was das Apostolikum sagen will. Denn wenn es bekennt, Christus sei aufgefahren, „um zu sitzen zur Rechten Gottes“, verortet es ihn nicht irgendwo im Weltall, sondern beschreibt die vollkommene Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater. Ist der Sohn aber eins mit dem Vater und schenkt uns obendrein seinen Heiligen Geist – sind wir dann nicht direkt mit dem Himmel verbunden? Und sind wir damit nicht auch in Gottes Reich einbezogen mit vollem Bürgerrecht? Ja, so groß ist die Tragweite des Geschehens, dass wir seit Christi Himmelfahrt einen Freund und Bruder an oberster Stelle haben, der dort nicht nur bittend für uns eintritt, sondern auch schon die Wohnungen vorbereitet, in die wir einmal einziehen dürfen! Wir haben im Himmel schon mehr als „ein Bein in der Tür“. Und wenn wir auf Erden auch noch armselig dastehen und Prügel einstecken, wird‘s mit uns am Ende doch nicht anders gehen, als mit Jesus selbst – dass nämlich jene Mächte, die uns zerstören wollen, das Gegenteil erreichen. Christus ging durch den Tod ins Leben? Wir tun das auch! Gott erwählte Christus, als die Welt ihn verwarf? Uns geschieht das ebenso! Man wollte Christus vernichten, und doch lebt er ewig? Uns erwartet dasselbe! Denn durch Gottes Gnade hat die Hölle jedes Recht an uns verloren. Und selbst das Schlimmste, das kommt, muss uns nun zum Besten dienen. Wie Gott sich an Himmelfahrt zu Christus bekannt hat, wird er sich auch zu jedem Christen bekennen. Und so sind denn für uns die Weichen gestellt. Nicht bloß unsere, sondern alle Knie werden sich vor Christus beugen. Wer das aber verstanden hat – wird der in seinem Glauben nicht trotzig und fröhlich sein? Als das Gefolge Jesu Christi stehen wir auf der Siegerseite. Und sind wir auch unverdient dazu gekommen, dürfen wir doch Christi Siegesfahne für ihn schwenken. Er aber freut sich an unserer Freude – und wird uns über kurz oder lang nachholen in sein himmlisches Reich. Er ruht nicht, bis es ihm ganz gelungen ist. Und das sei ihm gedankt in Ewigkeit. 

 

 

Gebet zum Himmelfahrtstag

Herr, unser Gott, 

 

du hast deinen Sohn zu dir erhöht und hast ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist. Du hast ihn zum Herrn der Welt gemacht, damit er uns nahe sei mit seinem Segen, seinem Geist und seiner Kraft. Vor ihm sollen sich die Knie aller beugen, die im Himmel und auf Erden sind. Weil dem aber in uns und anderen noch so vieles widerstrebt, bitten wir dich, dass du deine Wahrheit noch heller leuchten lässt, dass du allen törichten Trotz überwindest und alle Herzen zu dir ziehst. Öffne die tauben Ohren, damit dein Wort laut in alle Seelen dringe. Öffne die blinden Augen, damit jeder sieht, wie gut du es meinst. Und öffne die verschlossenen Lippen, damit bald alle Zungen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist und bleibt in Ewigkeit. Amen. 

 

 

Bild am Seitenanfang: 

Christ Surrounded by Musician Angels. Altarpiece of Santa Maria la Real de Nájera.

Hans Memling, Public domain, via Wikimedia Commons