Gottes Liebe

Gottes Liebe

Wenn Gott Liebe ist, warum ist er dann nicht immer „lieb“?

„Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1. Joh 4,16) Das ist ein schönes Wort. Und doch gestehe ich, dass ich es ungern behandle. Ja tatsächlich: Jene Gleichung „Gott ist die Liebe“ macht mir Probleme. Und zwar nicht, weil etwas daran falsch wäre. Sondern weil sie so oft missverstanden wird. Wollen wir jenes Wort aus dem 1. Johannesbrief recht verstehen und auslegen, so müssen wir zuerst allen falschen Beigeschmack davon lösen und klar sagen, was es nicht bedeutet:

„Gott ist die Liebe“ – das heißt nicht, Gott sei identisch mit jenem romantischen Gefühl, das Menschen manchmal haben. Und es heißt schon gar nicht, menschliche Liebe sei irgendwie etwas „Göttliches“. „Liebe“ ist ja überhaupt ein furchtbar abgegriffenes Wort, ein geschundenes, getretenes, missbrauchtes Wort. Es klebt viel Schmutz daran. Viele sagen „Liebe“ und meinen bloß „Sex“. Andere reden von „Liebe“, und woran sie denken, ist doch nur Kitsch. Manche wollen ihren Ehepartner besitzen und beherrschen – und nennen es „Liebe“. Andere prügeln ihre Kinder und behaupten, sie täten es aus „Liebe“. Nein: Diese „Liebe“, von der Schund–Romane erzählen und Schlager singen, diese gierige Liebe, diese Affenliebe, hat wenig mit Gott zu tun.

Und noch in einer zweiten Richtung müssen wir den Satz aus dem 1. Johannesbrief vor Missverständnissen schützen. „Gott ist die Liebe“ – das heißt nicht: „Gott ist lieb“. Denn „lieb sein“ ist in unserer Umgangssprache ein Ausdruck für Harmlosigkeit. „Das ist ein lieber Hund“ sagt man – die Kinder können ihn am Schwanz ziehen ohne dass er bellt oder beißt. „Das ist ein lieber Opa“ sagt man – selbst wenn er verschaukelt wird, bleibt er gutmütig und freundlich zu jedermann. „Das ist ein liebes Kind“ sagt man – wenn die anderen Kinder ihm das Spielzeug wegnehmen, gibt es sie her, und streitet nicht. Nein, in diesem Sinne ist der so genannte „liebe Gott“ nicht „lieb“. Der Gott der Bibel ist kein harmloser Alter. Er ist auch nicht unendlich geduldig. Und er ist überhaupt nicht „nett“ oder „konfliktscheu“.

Wenn nun aber einer fragt „Wieso ist Gott nicht lieb, wenn er doch ’die Liebe’ ist?“, dann nähern wir uns dem rechten Verständnis der Sache. Denn man wird antworten müssen: Gott ist zwar die Liebe, er ist aber gerade deshalb nicht „lieb“, weil er „Liebe“ ist. Wirkliche Liebe will nämlich etwas. Sie will es mit heißem Herzen. Sie will es leidenschaftlich. Deshalb kann der, der ernstlich liebt, nicht immer „lieb“ sein, Mäßigung üben oder zurückstecken. Wenn das, worauf sich die Liebe richtet, bedroht wird, dann zeigt sich, dass die Liebe eine brennende Seite hat, dann ist sie nämlich ein verzehrendes Feuer – eine Kraft, der man besser nicht in die Quere kommt. „Gott ist die Liebe“ bedeutet also keinesfalls, Gott kenne keinen Zorn, oder der Zorn sei durch die Liebe ausgeschlossen. Sondern im Gegenteil: Der Zorn Gottes ist die brennende Seite seiner Liebe, die sich gegen alles wendet, was seiner guten Schöpfung schadet.

Suchen wir also einen Vergleich für Gottes Liebe, so denken wir am besten an eine Grizzly–Bärin, die mit ihren Jungen durch die Wildnis zieht. Wer ihren Jungen zu nahe kommt, erfährt schnell, dass Liebe Kampfbereitschaft nicht aus- sondern einschließt. „Gott ist die Liebe“ das heißt demnach: Gott ist ein kraftvoll-entschlossenes, leidenschaftliches Wollen. Und das ist er durch und durch, wie Luther sagt: „Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der da von der Erde bis an den Himmel reicht.“

Was aber will Gottes Liebe? Was ist das Ziel dieser gewaltigen Energie? Nun – wir sind es. Gott will nicht dies oder das. Gott will uns. Jenes brennende, kraftvoll-entschlossene Wollen richtet sich auf jeden von uns. Denn Gott will uns tauglich machen für ein Leben mit ihm. Er will uns mitreißen in der Bewegung seiner Liebe, auf dass wir nicht kalt bleiben im Herzen, sondern uns wärmen an ihm, dem glühenden Backofen voller Liebe. Doch sollen wir nicht nur warm werden für uns selbst. Gottes Liebe will durch uns hindurchglühen und hindurchstrahlen zu allen Menschen, die noch frieren. Wir sollen weitertragen, was uns erfüllt, wir sollen lieben, wie wir geliebt sind, sollen verzeihen, wie uns verziehen ist, und sollen einander annehmen, wie wir von Gott angenommen sind – bis auch dem Letzten das Gute widerfährt, zu dem ihn Gott bestimmt hat.

Gottes Liebe schaut uns also nicht aus der Ferne zu. Gottes Liebe greift nach uns. Und wir müssen uns so oder so dazu verhalten. Wir können uns den liebevollen Zugriff Gottes gefallen lassen, um Empfänger und Vermittler seiner Liebe zu werden. Oder wir können uns entziehen. Aber neutral bleiben können wir nicht. Denn das ist es ja, was jener Nachsatz im 1. Johannesbrief meint: „..wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“. Man kann in der Liebe Gottes bleiben und sich von diesem Mantel umhüllen lassen. Man kann ihn aber auch zurückweisen.

Nur muss man dann wissen, was man tut. Denn wenn ich Gottes Liebe nicht erfahren will, entziehe ich nicht nur mich seiner Liebe, sondern entziehe zugleich mir seine Liebe. Und was behalte ich übrig? Gewiss seinen Zorn. Denn wer das freundlich zugewandte Gesicht Gottes, nicht sehen will, dem ist nicht zu helfen. Will er es so, so wird er dann eben das andere Gesicht Gottes kennenlernen.

Und es meine keiner, das sei unbillige Härte. Was hat es sich Gott nicht kosten lassen, uns seine Liebe zu erweisen und uns mit der Nase drauf zu stoßen! Seinen Sohn, sich selbst hat Gott dahingegeben ans Kreuz, um uns zu erlösen. Marter bis zum Tod hat er für uns auf sich genommen.

Da sollte man doch denken, jedes Herz würde weich und würde davon bewegt. Doch offenbar sind viele Herzen härter als Stein und verachten die Liebe, die ihnen entgegengebracht wird. Darum schreibt Luther: „Unser Herrgott tut eben recht daran, dass er zu der undankbaren Welt spricht: Willst du die große Liebe nicht, ... dass ich meinen liebsten Sohn für dich in so große Marter gesteckt habe, wohlan, so will ich dich auch nicht. Fragst du nicht danach, was ich getan habe, so frage ich auch nicht nach dir. Willst du meinen Sohn Jesus Christus nicht haben, so nimm dafür Barrabas, ja den Teufel selbst.“

Hier wird noch einmal deutlich, dass man Gottes Liebe nicht missverstehen darf: Sie geht uns nach, aber sie zwingt sich nicht auf. Der Schutzraum der Liebe Gottes öffnet sich uns, aber man zerrt uns nicht hinein. Jeder darf sich wärmen an Gott, dem glühenden Backofen voller Liebe. Wer aber unbedingt will, darf auch frieren und kalt bleiben, darf sich verschließen gegen Gott und seinen Mitmenschen. Er lebt dann freilich am Sinn und an der Bestimmung seines Lebens vorbei. Denn wenn er mit Menschen- und mit Engelszungen redet und hat die Liebe nicht, so ist er ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn er prophetisch reden kann und weiß alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hat allen Glauben, so dass er Berge versetzen kann, und hat die Liebe nicht, so ist er nichts. Und wenn er alle seine Habe den Armen gibt und lässt seinen Leib verbrennen, und hat die Liebe nicht, so ist’s ihm nichts nütze (vgl. 1. Kor 13). Denn nicht darauf kommt es an, ob wir Großes oder Kleines tun, Erfolg haben oder scheitern. Sondern darauf kommt es an, dass wir, was wir tun, mit Liebe tun, dass wir in Gottes Liebe und von Gottes Liebe leben – und davon weitergeben so viel wir vermögen.

 

 

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Grizzly Bears

Albert Bierstadt, Public domain, via Wikimedia Commons