Die Geburt Christi

Die Geburt Christi

The Birth of Christ / Follower of Hieronymus Bosch, Public domain, via Wikimedia Commons

 

Es ist unschwer zu erkennen, was wir hier sehen. Denn schon auf den ersten Blick fällt uns das übliche Inventar einer Krippenszene ins Auge. Das Kind ist da, Maria und Joseph, der Ochse an der Seite und der Esel in der Mitte. Wir kennen solche Bilder zu Hunderten – und sind entsprechend schnell damit fertig, zumal dieses hier nicht durch besondere Schönheit oder Farbenpracht hervorsticht. Nein, im Gegenteil: Die Farben sich eher fahl, die bleiche Maria ist nicht sonderlich „schön“, Joseph erscheint alt und kahlköpfig, der Krippe fehlt es an Stroh und der Hirte, der von hinten hereinschaut, hat ein dümmliches Grinsen im Gesicht, von dem man nicht weiß, was es sagen soll. Wenn man aber durchs Fenster nach draußen sieht, wird’s auch nicht besser. Denn die Landschaft dort ist öde, der Himmel grau – und vor allem ist es ganz offensichtlich kalt. Hinten links wärmen sich zwei am Feuer. Und rechts auf der Mauer sitzt eine Elster, die sich dick aufgeplustert hat, um sich gegen die Kälte zu schützen. Mit einem Wort: das ganze Bild ist ungemütlich und überhaupt nicht einladend. Man fröstelt schon vom Hinsehen. Und wer sich in das Kind hineinversetzt, bekommt Mitleid. Denn bitte – wer legt denn ein Neugeborenes in einen steinernen Futtertrog, ohne wenigstens für eine Unterlage zu sorgen? Das Kind liegt da nackt auf dem kalten Stein, und die paar Strohhalme darunter wärmen es sicher nicht! Hätte da nicht Maria ihren Umhang hergeben können oder Joseph das Tuch, das er über dem Kopf trägt? Hängt nicht hinter Maria sogar ein Damast-Vorhang an der Wand, den man abnehmen und dem Kind unterlegen könnte? Ich frage mal gar nicht, was dieser Damast-Vorhang im Stall von Bethlehem zu suchen hat. Aber wenn er schon da ist, warum gebraucht man ihn nicht für etwas Nützliches? Keine der Personen scheint das Nächstliegende zu sehen, das hier Not tut, das Kind liegt ungeschützt wie in einem offenen Sarkophag, ja – wie in einem kalten Grab. Und wenn’s da keiner rausnimmt und wärmt, wird es sich auch wirklich den Tod holen. Maria betet, der Hirte grinst und der alte Joseph greift sich ans Herz. Aber mal ehrlich: würden sie mit dem Gottessohn tauschen wollen, der in diese blasse Welt geboren wird und ihrer Kälte nackt ausgeliefert ist? Nein wirklich: Geborgenheit sieht anders aus! Es gibt so viele idyllische Krippenbilder, wo der Stall gemütlich ist, warm, bunt, plüschig und von netten Engelchen erfüllt. Doch hier entspricht die Stimmung weniger einer frohen Geburt als einer winterlichen Beerdigung. Hat also der Maler versagt? War‘s ein Stümper, der es nicht besser konnte? Oder steckt in dem, was uns befremdet, eine tiefere Absicht? 

Dass es der Künstler nicht besser hinbekam, können wir ausschließen. Denn das Bild stammt von Hieronymus Bosch, dem es wahrlich nicht an Kunstfertigkeit gebrach, eine andere Stimmung zu erzeugen. Nein – wenn’s uns bei seinem Bild fröstelt, dann soll das so sein. Und dann ist es auch Absicht, dass einem dieses Kind leidtut. Denn es ist ja die bittere Wahrheit der Weihnacht, dass Gottes Sohn durchaus nicht in eine Idylle kommt, sondern in eine kalte Welt, die ihn überhaupt nicht freundlich aufnimmt, sondern ihn binnen kurzer Frist ans Kreuz bringt. Gottes Sohn erlebt einen unterkühlten Empfang. Und es ist auch nicht Sympathie, was ihm entgegenschlägt. Denn Gottes Nähe in menschlicher Gestalt trifft auf viel Missverstehen und Ignoranz. Und kaum ist Christus geboren, trachtet ihm König Herodes auch schon nach dem Leben. Es ist eine kaputte Welt, in die Gottes Sohn kommt – so kaputt und kalt wie diese steinerne Futterkrippe mit dem Sprung in der Seite! Und von den Menschen, die ihn umgeben, hatte Christus auch zeitlebens wenig zu erwarten. Maria, seine Mutter, ist zwar schön ins Gebet versunken. Aber hebt sie ihr Kind vom kalten Stein, wärmt es oder drückt es an sich? Auch Joseph steht untätig herum. Kommt er nicht auf die Idee ein Feuer zu entfachen, wie doch draußen im Hof schon eins brennt? Ist er denn zu alt und zu müde, um das Nächstliegende zu tun, das dieses Kind nötig hat? Der Hirte aber – ist der nur zum Gaffen gekommen, aus bloßer Sensationslust? Hat er nicht mehr zu bieten als das dumme Grinsen, zu dem doch gar kein Anlass besteht? Alle drei sind gut bekleidet. Die im Hof haben ihr Feuer. Und die Elster wärmt zumindest ihr Federkleid. Doch Christus ist nicht einmal in die Windeln gewickelt, von denen Lukas erzählt. Er ist dieser Welt nackt ausgesetzt – und wenn überhaupt, wärmt ihn nur der Atem der Tiere. Wenn der frostige Eindruck aber Absicht ist, was will er dann erreichen? Und welche Frage liegt im Blick des Ochsen? Allein dieser Ochse scheint es zu sein, der aus dem Bild heraus auf den Betrachter schaut. Der Ochse sieht uns fragend an und bezieht uns dadurch in die Szene ein. Und wenn wir den Halbkreis der Figuren weiterdenken, stehen wir auch nicht mehr als unbeteiligte Zuschauer vor dem Bild, sondern stehen mit Maria, Joseph und den Tieren um die Krippe herum. Der Maler positioniert uns auf der anderen Seite der Krippe und nimmt uns damit ins Geschehen hinein. Der Ochse aber scheint zu fragen: „Na, was ist deine Rolle in dem Ganzen? Stehst du auch nur herum, wenn Christus kommt? Gehörst du auch zu dieser kalten Welt, die das nackte Christuskind frieren lässt, oder tust du etwas, um ihn zu wärmen und willkommen zu heißen?“ Ja, der Blick des Ochsen scheint zu sagen: „Wenn doch sonst keiner das Kind aufnimmt, dann nimm du es doch auf, Betrachter! Dies ist das Kind des Höchsten, das in der Welt ankommen will – es ist Gottes Liebe in Person! Es sucht nach dir und klopft bei dir an, um dein Retter und Erlöser zu werden! Also was ist nun? Lässt du den Heiland auf diesem kalten Stein liegen, oder findet er seinen Ort bei dir? Öffnest du deine Augen, dein Haus und dein Leben, damit Christus darin heimisch wird, oder „guckst du bloß mal“ wie dieser Hirte? Bist du ein religiöser Gaffer, der seine Neugier befriedigt, selbst aber auf Abstand bleibt und sich hinter dem Wandteppich versteckt? Oder begreifst du dich als Adressat dieses Kindes, das kam, weil du es nötig hast?“ Erst hier bekommt die Handbewegung des Joseph einen Sinn. Denn der greift sich ja so seltsam ans Herz. Und ich meine nicht, dass er sich unter dem Gewand bloß die Finger wärmt. Sondern der Griff ans Herz zeigt, dass dies äußere Geschehen auf eine innere Verarbeitung zielt. Denn wo sollte unsereiner Christus aufnehmen, wenn nicht im Herzen? Tatsächlich braucht Christus kein Federbett, kein Kaminfeuer und keine Zentralheizung. Aber er sucht Raum in unserer persönlichen Welt, in unserem Herz und Gemüt – und in unseren Gedanken. Gottes Sohn braucht heute keinen Stall, kein Hotel und keine Herberge. Aber er braucht die Offenheit derer, die ihn aufnehmen. Denn wir selbst sollen seine Krippe sein, damit er nicht mehr auf Steinen ruht, sondern in unserer lebendigen Seele. Was tun wir also? Stehen wir wie unbeteiligt herum – oder verstecken wir uns hinter dem Vorhang? „Gucken wir bloß mal“, um hinterher von einer seltsamen Geschichte erzählen zu können? Oder lassen wir zu, dass es unsere Geschichte wird? „Wenn sonst keiner das Kind aufnimmt, dann nimm du es doch auf!“, scheint der Ochse zu sagen. „Lass Christus nicht so liegen, er holt sich sonst den Tod. Nimmst du ihn aber auf, so rettet er dein Leben! Erbarme dich seiner Blöße, dann wird er sich deiner Blöße erbarmen. Gib ihm Heimat in dieser Welt, so schenkt er dir Heimat im Himmel. Gib ihm Raum in deinem Herzen, so findest du Raum in seinem Herzen. Gib ihm Anteil an dir, so hast du Anteil an ihm! Wisse dich zuständig für ihn, so weiß er sich zuständig für dich. Und die Ödnis deiner blassen und kalten Welt wird sich wandeln.“ 

Diese Einladung ergeht nun seit 2000 Jahren. Aber wird sie auch gehört – und folgt man ihr? Die Wirklichkeit scheint mir auf unserem Bild ganz rechts im Hintergrund dargestellt zu sein. Denn da, wo sich am Horizont ein Kirchturm abhebt, schwebt oben am Himmel ein Engel, der die frohe Botschaft verkündet. Und unter ihm, am Abhang, sitzt ein weiterer Hirte, der keine Anstalten macht, sich zu erheben. Der Engel ruft: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“ (Lk 2,10-12). Aber der Hirte da hinten rührt sich nicht. Er bringt nicht mal die Neugier auf, die seinen Kollegen treibt. Er schaut scheinbar unverwandt auf die Schafe, ignoriert den Engel – und stellt sich taub. Er erwartet nichts mehr von Gott. Und was Gott von ihm erwartet, will er nicht hören. Er symbolisiert die Tragödie unserer Zeit. Wir aber sollten unsere Chance besser nutzen. Denn – ist dieses Kind nicht ein Schatz? Und wenn ihn alle Welt nicht haben will, bleibt er dann nicht für uns? So viele wollen ihn nicht und kümmern sich nicht, so viele verstehen ihn nicht und meinen, er ginge sie nichts an. Ja, sollten wir da nicht umso fröhlicher zugreifen? In der armen Gestalt dieses Kindes verbirgt sich ein Schatz, der reich genug wäre für die ganze Welt! Wenn die Welt ihn aber nicht nimmt, sollten wir dann nicht umso eiliger danach greifen, das Kind aus der Kälte und Fremdheit dieses steinernen Sarges herausheben und an unser Herz drücken, es wärmen und liebkosen? Wenn sonst keiner das Kind aufnimmt, dann können wir es tun – und haben dann selbst am meisten davon. Denn dies Kind ist Gottes Liebe in Person.