Gotteserkenntnis und Dreifaltigkeit

Gotteserkenntnis und Dreifaltigkeit

Was besagt es, dass Jesus Gottes „Sohn“ ist? 

„Jesus Christus ist Gottes Sohn“ – so lautet das grundlegende Bekenntnis der Christenheit. Und niemand, der für einen Christen gehalten werden will, wird diesen Satz leugnen. Denn er ist gut biblisch. Und er ist uns vertraut. Nur: Wer näher erläutern soll, was Jesu „Sohnschaft“ bedeutet – der kommt in Schwierigkeiten. Denn im gewöhnlichen Sprachgebrauch bezeichnen wir damit ein Verwandtschaftsverhältnis. Der Sohn ist das Kind seines Vaters, und beide gemeinsam sind Teil einer Familie, die mindestens noch eine Mutter mit umfasst. Da beginnen aber schon die Probleme. Denn Gott ist schließlich nicht verheiratet. Es gibt keine Mehrzahl von Göttern, die miteinander Familien gründen könnten. Es gibt nur einen Gott. Und der ist nicht in demselben Sinne „männlich“ oder „weiblich“ wie Menschen es sind. Oder wollte jemand behaupten, Gott unterläge denselben biologischen Regeln wie wir? Dürfte man unterstellen, er beteilige sich an den Prozessen, aus denen für gewöhnlich Vater-Sohn-Beziehungen entstehen? Nein. In der griechischen Mythologie mag es so etwas geben. Da paaren sich Götter mit Menschen und bringen Halbgötter und Heroen hervor. Doch ist das von Gott allzu menschlich gedacht. Solche Vorstellungen sind geschmacklos und mit biblischem Denken unvereinbar. Wenn es aber bei der „Sohnschaft“ Jesu Christi nicht um biologische „Verwandtschaft“ geht – was ist dann damit gemeint? Und warum ist sie so wichtig?

Nun: Um der Antwort näher zu kommen, müssen wir uns klar machen, dass es in biblischer Zeit keine engere menschliche Bindung gab als die Vater-Sohn-Beziehung. „Sohnschaft“ war viel mehr als nur eine Frage der Abstammung. Und ein Vater war viel mehr als bloß ein „Erzeuger“. Denn der Vater und der (erstgeborene) Sohn bildeten rechtlich und sozial eine Einheit: Der Sohn ist der Vertraute des Vaters und sein Repräsentant nach außen. Er ist der Träger des Namens und der familiären Tradition. Der Sohn garantiert den Fortbestand der Familie und empfängt den väterlichen Segen. Er ist Erbe, Rechtsnachfolger und Sachwalter des Vaters. Er ist bevollmächtigt, an Stelle des Vaters zu handeln. Er kennt den Vater, wie ihn ein Außenstehender niemals kennen könnte. Er steht unter des Vaters Schutz, wird von ihm geliebt und führt seinen Willen aus. Mit anderen Worten: Im biblischen Denken gehören Vater und Sohn so eng zusammen, dass, wer mit dem Sohn zu tun hat, immer zugleich mit dem Vater zu tun hat. Der Sohn repräsentiert den Vater, denn er ist des Vaters „eigen Fleisch und Blut“.

Wenn das aber so ist, was bedeutet es dann im Blick auf das Gottesverhältnis Jesu? Bedeutet es, dass Jesus ein Mensch ist – und trotzdem Gottes „eigen Fleisch und Blut“? Begegnen wir in Jesus immer zugleich auch seinem himmlischen Vater? Ja – genau das will die Bibel sagen, wenn sie das Verhältnis Jesu zu Gott als „Sohnschaft“ beschreibt. Und sie hebt damit Jesus ganz bewusst aus der Reihe der Lehrer und Propheten heraus. Denn wir begegnen in ihm nicht bloß einem Boten, einem Beauftragten oder einem Werkzeug Gottes, sondern wir begegnen Gott „höchstpersönlich“. Vater und Sohn sind gleichen Wesens, gleicher Würde und gleichen Willens. Oder, wie es das Nizänische Glaubensbekenntnis sagt: „[Wir glauben] an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater...“

Jesus Christus und Gott der Vater werden hier so eng zusammengestellt, dass „kein Blatt Papier“ zwischen sie passt. Denn Vater und Sohn sind nicht nur „einig“, sondern sind „eins“. Warum aber ist das für den christlichen Glauben so wichtig? Nun, weil es Folgen hat:

Es folgt daraus nämlich, dass das Wort des Sohnes auch den Vater bindet. Und es folgt, dass Jesu Taten immer auch Gottes Taten sind. Gottes Wille ist zugleich Jesu Wille. Und wo wir Jesus verstehen, haben wir zugleich Gott verstanden. Das aber ist eine einmalige Chance! Die Sohnschaft Jesu Christi gibt uns die Möglichkeit, vom Vater auf den Sohn und vom Sohn auf den Vater Rückschlüsse zu ziehen. Und wer von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, der glaubt. Denn Glaube besteht in nichts anderem, als dass wir von Christus denken wie von Gott – und von Gott denken wie von Christus.

Glauben heißt: das Gleichheitszeichen zu entdecken, das zwischen beiden steht – und von dieser Gleichung aus Gott, die Welt und sich selbst neu zu deuten. Ohne das Gleichheitszeichen könnte man weder den Vater, noch den Sohn, noch sich selbst verstehen: Würden wir Jesus isoliert betrachten und davon absehen, dass er der Sohn Gottes ist, müssten wir annehmen, er sei ein gescheiterter Prophet. Er wäre für uns nicht mehr, als ein religiös und moralisch vorbildlicher Mann mit tragischem Lebensausgang. Entsprechendes gilt aber auch von Gott, dem allmächtigen Schöpfer. Würden wir ihn isoliert betrachten und davon absehen, dass er der Vater Jesu Christi ist, so müsste er uns ein Rätsel bleiben. Sein Handeln in Natur und Geschichte ist nämlich schön und schrecklich zugleich. Und sähen wir nicht mehr als diese Zweideutigkeit, so wüssten wir nicht, woran wir mit Gott sind.

Wodurch aber kommt Licht in die Sache? Nur durch Gottes Geist, der uns lehrt, den Vater nicht ohne den Sohn und den Sohn nicht ohne den Vater zu betrachten. Den Zusammenhang beider erkennen heißt nämlich Gott erkennen. Und wer sich dieser Erkenntnis öffnet, dem geht ein Licht auf. Er begreift plötzlich, dass hinter Jesu Worten Gottes Autorität steht. Er versteht, dass Jesu Leben nicht von relativer, sondern von absoluter Bedeutung war. Und er erkennt zugleich, dass Jesu liebevolle Zuwendung zu den Gescheiterten und Schuldigen Gottes eigene Zuwendung ist. Eben das aber heißt „glauben“. Denn der Glaube hört den Sohn mit der Vollmacht des Vaters reden. Der Glaube sieht, wie der Wille des Vaters im Handeln des Sohnes Eindeutigkeit gewinnt. Und indem er stetig vom einem auf den anderen schließt, erschließt der Glauben das rechte Verständnis beider.

Wer aber Gott „versteht“ – sollte der nicht auch sich selbst verstehen können? Wird der nicht auch das eigene Leben in einem neuen, viel klareren und tröstlicheren Licht sehen? Ja! Dem Nicht-Christen kann das nicht gelingen. Indem er den Sohn vom Vater und den Vater vom Sohn trennt, versteht er weder den einen noch den anderen. Wer aber seinen Schöpfer missversteht – wie sollte der sich selbst verstehen? Begreift er Gottes Willen nicht, so muss ihm auch die Welt ein Rätsel bleiben. Ist ihm aber das Weltganze rätselhaft, das den Kontext seines Daseins bildet, wird er dann wohl seine eigene Existenz richtig deuten? Schwerlich.

Spätestens hier wird uns bewusst, dass es bei der „Sohnschaft“ Jesu nicht um eine abstrakte Lehre, sondern um das eigene Leben geht. Denn glauben wir, dass Jesus Gottes Sohn ist, sehen wir auch das eigene Dasein auf eine neue und tröstliche Weise: Der Gott, der unser Leben in Händen hält, ist dann kein großer Unbekannter mehr. Sondern er ist der Vater Jesu Christi. Und das heißt: Seine Macht ist niemals ohne Liebe. Seine Liebe ist niemals ohnmächtig. Und wer sich auf ihn verlässt, darf fröhlich sein. Denn das ist der Glaube, „der die Welt überwunden hat“ (1. Joh 5,4).

 

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Le Christ du silence

Odilon Redon / Vassil, CC0, via Wikimedia Commons