Gottes Zorn

Gottes Zorn

Ein Mann verwüstete sein Leben. Als sein Ende sich nahte, sagte er seinen Kindern: „Wenn ich gestorben, sollt ihr mich verbrennen, meinen Staub zermahlen und vor dem Wind zerstreuen. Wenn Gott meiner habhaft würde, würde er mir eine Strafe zuteilen, wie sonst keinem andern.“ So geschah es, als er gestorben war; Gott aber befahl der Erde: „Sammle, was in dir von ihm ist, zusammen!“ Sie tat also, und er trat demnach hervor. Gott fragte ihn: „Was hat dich veranlasst, so zu tun?“ Er antwortete: „Furcht vor dir, o Herr.“ Da vergab Gott ihm. (v. d. Leeuw) 

 

Man hört selten, dass jemand über den Zorn Gottes predigt. Und auch in der christlichen Literatur begegnet das Thema kaum. Denn der Zorn Gottes – so ganz allein und für sich genommen – ist ein Problem. Man kann ihn im Zusammenhang mit dem Kreuz behandeln, im Zusammenhang mit der Liebe Gottes und mit dem Jüngsten Gericht. Das geht natürlich! Aber gegen den Zorn ohne jeden Kontext sträubt man sich aus gutem Grund. Denn wenn einer versuchen wollte, bei Gottes Zorn anzufangen und dabei stehenzubleiben, wär‘s weder dem Redner noch den Hörern zuzumuten. Das aber nicht etwa, weil das Thema „schwer“ wäre, sondern im Gegenteil, weil es so furchtbar einleuchtend ist – und eben darin bedrohlich. Gott hat nun mal einen heftigen Widerwillen gegen das Böse. Und er hat ihn völlig zu Recht. Gott verneint, was ihn verneint. Er verschafft sich den Respekt, der ihm verweigert wird. Das ist sein Zorn. Und nichts ist daran falsch. Denn wenn ein Geschöpf Gottes Gnade missachtet, dann räumt Gottes Zorn dieses Geschöpf beiseite. Wer Gottes freundliche Seite nicht zu schätzen weiß, lernt die andere kennen. Und vor dieser Botschaft drückt man sich nicht, weil sie rätselhaft wäre, sondern im Gegenteil, weil sie uns in ihrer Klarheit erschreckt. Wir erschrecken, sobald wir begreifen, dass nicht irgendwer, sondern wir die Sünder sind, um die es geht. Nicht irgendwelche anderen Leute, sondern wir selbst sind für Gott so ärgerlich wie ein Stein im Schuh. Wir sind nicht im Konsens mit ihm und missachten im Übertreten der Gebote immer auch den, der sie gegeben hat. Dass Gott dies unbegrenzt hinnehmen sollte, kann keiner erwarten. Doch wollen wir nichts davon wissen. Und gelänge es einem Prediger trotzdem, uns realistisch vor Augen zu stellen, was wir um keinen Preis sehen wollen, wär‘s im Ergebnis nicht auszuhalten und keiner könnte in Frieden nach Hause gehen, weil Gottes Zorn tatsächlich zum Fürchten ist – und wer ihn nicht fürchten wollte, hätte ihn bloß nicht verstanden. In Verbindung mit dem Evangelium erträgt man ihn – ja. Wenn uns die Predigt das „Gegengift“ gleich mitliefert – dann geht es. Und in dieser Kombination ist es auch nötig. Aber den Zorn „allein“ zu betrachten, muss verstörende Wirkung haben. Denn jede andere Drohung wird durch irgendetwas relativiert. Diese aber nicht. Alles, was wir sonst noch fürchten, an Leid, Krankheit, Schuld und Einsamkeit, Gewalt, Armut und Schande wird alles dadurch relativiert, dass diese Nöte so endlich sind wie der betroffene Mensch. Alles geht vorüber, wenn unser Leben vorübergeht – und Gegenmaßnahmen bleiben möglich. Man kann auf menschliche Hilfe hoffen oder auf göttliche. Denn alles, was uns bedroht, muss Gottes Befehl weichen – oder es endet mit unserem Tod. Aber an welche Instanz könnten wir appellieren, wenn Gott selbst unser Gegner ist? An wen sollten wir uns da wenden oder auf welches Ende warten, wenn unser Gegner ewig ist? Gott hilft gegen alles, aber nichts hilft gegen Gott! Auch im Tod ist kein Entkommen, weil der Ewige uns ewig im Dasein festhalten kann. Und – einmal von ihm verdammt – finden wir auch keine Verbündeten mehr. Eine Flamme von solcher Hitze, ein Schwert von solcher Schärfe, ein Trunk von solcher Bitternis kennt keinen Vergleich. Ein Gewicht von solcher Schwere, ein Richter von solcher Strenge, ein Gegner von solcher Macht ist nicht aufzuhalten. Wenn das einer aber wirklich spürt – und sonst nichts spürt, ist es um seinen Frieden geschehen. Und wie sehr er den zornigen Gott dann auch hassen mag, macht es die Sache nur schlimmer. Denn Gott ist der Heilige, dem gegenüber ein Sünder nicht bloß Fehler hat, sondern ein einziger Fehler ist. Und so stürzt er in Gottes Zorn hinein wie in einen Abgrund ohne Boden. Die Bibel bestätigt, dass Gott, abgesehen von Christus, wirklich so streng ist, wie sein Gesetz ihn darstellt. Zieht man die Gnade ab, bleibt nichts anderes übrig. Und lassen wir die Barmherzigkeit aus dem Spiel, sind wir verloren. Denn wir alle befinden uns auf Kollisionskurs mit Gott – eben das ist die Definition eines „Sünders“. Und wir können nicht mal sagen, Gottes Zorn sei unangemessen. Denn tatsächlich lässt er sich ganz nüchtern und nachvollziehbar beschreiben. Gottes Zorn ist „das ewige, missfällige und verneinende Anschauen der Sünde und des Sünders von Seiten der heiligen göttlichen Majestät; ein Anschauen, das sich mächtig, wirksam und schrecklich erweist in der Strafe, als in der energischen und ewigen Opposition Gottes gegen den sündlichen Willen“. Der Zorn ist ein Ausfluss „der heiligen Majestät, die ihre Verderben und Tod bringende Seite dem Sünder zukehrt, indem sie sich in der Strafe als solche behauptet und bewahrt, und zugleich ihre absolute, der Sünde fremde und feindliche Klarheit und Gerechtigkeit an dem Sünder selbst beweist und bewährt“ (Theodosius Harnack). So trocken lässt sich das sagen! Und damit ist auch klar, dass Gottes Zorn mit jenem unbeherrschten Affekt, den wir beim Menschen als „Zorn“ bezeichnen, nichts zu tun hat. Denn Gott ist natürlich nicht „aufbrausend“ oder „reizbar“, er gerät nicht so dumm in „Rage“ wie ein Choleriker, der auf Kränkungen seiner Eitelkeit mit blinder Gewalt reagiert! Ein zorniger Mensch in seinem Groll wird besinnungslos von Gefühlen mitgerissen. Der kann vor Wut nicht mehr klar denken – und hat darum seine Zornausbrüche oft zu bereuen. Nur, was hätte das wohl mit Gott zu tun, bei dem doch von vornherein feststeht, dass sein Zorn immer „heiliger Zorn“ ist? Er beruht nicht auf Unwissenheit, sondern auf dem verlässlichsten Wissen, dass man sich denken kann. Er ist kein unbedachter Impuls, weil Gott in allem weitsichtig und mit Weisheit verfährt. Und Gottes Zorn kann auch nie Unrecht sein, weil Gott zu Unrecht gar nicht fähig wäre. Sein Zorn ist genau das, was uns „recht geschieht“ – das ist ja das Problem! Alles, womit wir menschlichen Zorn disqualifizieren und zurückweisen, betrifft nicht den göttlichen. Und dass wir ihn analog zum menschlichen Gefühl beschreiben, ist auch kein Einwand, der helfen könnte. Denn einerseits folgend wir damit der Bibel, die keinerlei Bedenken hat, Gott jede Menge leidenschaftlicher Gemütsbewegungen zuzuschreiben – so falsch kann es also nicht sein! Und andererseits müssten wir, wenn wir Gott „Affekte“ absprechen wollten, nach derselben Logik auch seine Liebe und sein Erbarmen bestreiten: Wer ohne Emotionen ist, hat auch keine der angenehmen Art. Und wollten wir uns Gott wirklich „gefühllos“ vorstellen, wäre kaum noch zu erklären, was das Evangelium eigentlich besagen soll. So müssen wir uns zwar bewusst halten, dass Gottes Zorn keine der dummen „Gefühlswallungen“ ist, die wir von uns selbst kennen. Er ist „die energische und ewige Opposition Gottes gegen den sündlichen Willen“! Aber das macht die Sache durchaus nicht leichter, sondern nur schlimmer. Denn jener „sündliche Wille“ ist ja der unsere. Und jede noch so alltägliche Sünde ist so groß wie der Gott, den sie beleidigt. Weil‘s aber keinen Grund gibt, dass Gott sie nicht ahnden sollte, ist sein Zorn auch nicht irrational, sondern ein völlig rationaler Ausdruck gerechter Vergeltung. Gott beseitigt die Störung seiner guten Ordnung, indem er uns beseitigt, die wir sie stören! Er bereinigt nur, was verkehrt ist. Und wären wir nicht selbst betroffen, fänden wir das ganz prima. Doch Gottes Widerwille richtet sich fatalerweise gegen das Böse in uns. Und da wird uns mulmig. Denn wir schütteln das Böse nie ganz ab. Sondern wenn wir ehrlich sind, haben wir sogar Freude dran und tun‘s recht gern – ohne dass man uns dazu zwingen müsste. Nicht unsere verkehrten Taten machen uns Sorgen, sondern bloß die peinlichen Folgen, die sie eventuell haben! Gott aber wird nicht ruhen, bis alles Verkehrte aus seiner Welt verschwunden ist. Er behauptet seinen Schöpferwillen darin, dass er sich zwar eines Sünders erbarmen kann, sich aber niemals abfindet mit seiner Sünde. Und es lässt sich auch kein Grund denken, weshalb Gott Kompromisse eingehen sollte. Denn sein Zorn will, was nicht sein soll, ins Nicht-Sein befördern. Da gehört es hin. Und Gottes Zorn ist, weil er das Böse trifft, eine offensichtlich gute Sache. Gott ist „an sich und seinem Wesen nach gerecht“, sagt Johann Gerhard. Also zürnt er auch „an sich und seinem Wesen nach“ der Sünde. Gott liebt das Gute. Und niemand kann das „falsch“ finden, ohne damit selbst auf die falsche Seite zu geraten. Denn es ist ja begrüßenswert, dass Gott einen Widerwillen gegen das Böse hat. Unser guter Gott verneint, was ihn verneint. Er schützt damit zugleich seine gute Schöpfung. Und nichts ist verkehrt daran. Denn Gott hat alle Wahrheit und alles Recht auf seiner Seite. Sein Zorn ist die gerechte Empörung über die, die ihm Gutes mit Bösem vergelten und seine zur Versöhnung ausgestreckte Hand zurückweisen. Wer aber meint, das gälte nur im Alten Testament, der hat das Neue nicht gelesen. Denn Jesus kam nicht in die Welt, um die Botschaft vom Zorn Gottes zu dementieren. Sondern er kam, um den Sündern einen Ausweg zu schaffen, damit sie dem sehr realen Zorn nicht erliegen müssen. Gottes Sohn hat den Zorn des Vaters keineswegs relativiert. Sondern er hat ihn geteilt, wie sein zorniges Auftreten gegen Petrus (Mt 16,23), gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten (Mk 3,5; Mt 23; Joh 8,44), gegen die unbußfertigen Städte (Mt 11,20-24) und gegen die Entheiligung des Tempels (Mt 21,12-13) deutlich zeigt! Das Evangelium offenbart nicht, dass sich ein Sünder, der voller Angst unter Gottes Zorn steht, im Irrtum befände, sondern es offenbart, dass er dort unter dem Zorn nicht bleiben muss. Ein jeder darf zu Gottes Gnade fliehen und wird dringlich dazu aufgefordert, eben weil der Zorn kein Irrtum ist (den man durch „Aufklärung“ leicht beseitigen könnte), sondern solange eine ernste Drohung darstellt, wie Schuld nicht gesühnt und Versöhnung nicht erlangt wird. Johannes sagt: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm“ (Joh 3,36). Und dasselbe gilt auch im übrigen Neuen Testament: „Gott bleibt der Richter, und der christliche Glaube an die Gnade Gottes besteht nicht in der Überzeugung, dass es keinen Zorn Gottes gibt und dass kein Gericht drohend bevorsteht (2. Kor 5,10), sondern in der Überzeugung, vor dem Zorne Gottes errettet zu werden“ (R. Bultmann). Es werden nicht alle dem Zorn Gottes entrinnen, sondern nur die Gläubigen, die sich von Christus helfen lassen. Für den Rest ändert sich gar nichts. Nur dass die Menschen das eben nicht wahrhaben wollen, bis sie es fühlen. Und sie fühlen es gewöhnlich nicht, weil Gott ihnen erlaubt, sich ihren verkehrten Wünschen hinzugeben. Sie fragen nicht nach ihm – und Gott besiegelt ihren Untergang, indem er sie laufen lässt, wohin ihre Torheit sie zieht. Ungezwungen und fröhlich wandern sie ihrem Verhängnis entgegen – und Gott lässt es geschehen. Denn er ist nach wie vor ein „verzehrendes Feuer“ und lässt seiner nicht spotten. Die Gottesfürchtigen glauben das, sagt Luther – darum erfahren sie es nicht. Die Gottlosen dagegen glauben es nicht – und müssen es darum erfahren. Die Gottes Zorn rechtzeitig ernst nehmen, bekommen ihn nicht zu spüren. Die ihn aber spüren, haben ihn nicht rechtzeitig ernst genommen. Denn sonst hätten sie bestimmt nach Gottes Gnade gefragt – und sich schleunigst unter ihren Schutz gestellt. Nun, es ist müßig, das immer wieder zu sagen. Denn was das Herz nicht will, das lässt der Verstand nicht ein. Ob die Warnung aber gehört wird oder nicht gehört wird – so oder so bleibt das wahr, was Ignatius sagt: „Entweder müssen wir den künftigen Zorn fürchten oder die gegenwärtige Gnade lieben – eins von beiden!“ Und die Wahl sollte eigentlich nicht schwer fallen...

 

Ach Herr Gott! es ist ein ungleich Streiten, wenn die alten Töpfe wollen mit den Felsen streiten, denn es gerate wie es wolle, so geht’s über die Töpfe. fallen sie an die Felsen, so stoßen sie sich und zerbrechen; fallen aber die Felsen auf sie, so zerschmettern und zermalmen sie die Töpfe, dass wahrlich den Töpfen zu raten wäre, sie blieben Töpfe, wie sie sind, in der Küche, und unterstünden sich nicht, auszuziehen zu Felde und wider die Felsen und Berge zu streiten. Christus spricht auch selber (Matth. 21,44). „Wer auf diesen Stein fällt, der wird zerbrechen, auf welchen er aber fällt, den wird er zermalmen“, als sollt er sagen: Ihr seid ein irdisch und gebrechlich Gefäß, wie ein Topf oder Krug. Aber, Lieber, reibt euch nicht an mich; lasst mich den Fels sein und seid mit mir unverworren. Wo nicht, so sage ich euch fürwahr: Ich bin ein Stein und werde mich nicht davor fürchten, dass die Töpfe große Bäuche haben und aufgeblasen sind, als wollten sie mich schrecken mit ihrem Zorn und Dräuen. Je größere Bäuche sie haben und weiter sie aufgeblasen sind, je leichter sie zerbrechen und besser zu treffen sind. Desselbigengleichen acht ich nicht, dass sie oben weite Mäuler und Löcher haben, viel wider mich schreien und lästern können, als könnt sie niemand stopfen. Denn eben damit sind sie auch am allergeringsten verwahret, und leichtlich zerschmettert, dass weder Bauch noch Loch da bleibt, sondern, wie Jesajas sagt, kaum eine Scherbe überbleibt, da man eine Kohle in tragen mag. (Martin Luther)

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Cain Fleeing from the Wrath of God 

William Blake, Public domain, via Wikimedia Commons