Melanchthon - neuer Gehorsam

 

Melanchthon in der Augsburgischen Konfession:

 

Der VI. Artikel: Vom neuen Gehorsam

 

Auch wird gelehret, daß solcher Glaub gute Früchte und gute Werke bringen soll, und daß man müsse gute Werke tun, allerlei, so Gott geboten hat, um Gottes willen, doch nicht auf solche Werk zu vertrauen, dadurch Gnade vor Gott zu ver-dienen. Denn wir empfahen Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit durch den Glauben an Christum, wie Christus selbst spricht Luk. 17: So ihr dies alles getan habt, sollt ihr sprechen: wir sind untüchtige Knechte. Also lehren auch die Väter. Denn Ambrosius spricht: Also ists beschlossen bei Gott, daß, wer an Christum gläubt, selig sei und nicht durch Werk, sondern allein durch den Glauben, ohn Verdienst, Vergebung der Sünden habe.

 

Melanchthon in der Apologie der Augsburgischen Konfession:

(Ausschnitt aus Artikel IV)

 

Von der Liebe und Erfüllung des Gesetzes.

 

Hier werfen uns die Widersacher diesen Spruch vor: „Willst du ewig leben, so halte die Gebote Gottes.“ Item zu den Römern am 2,13: „Nicht die das Gesetz hören, werden gerecht sein, sondern die das Gesetz tun“; und dergleichen viel vom Gesetz und von Werken. Nun, ehe wir darauf antworten, müssen wir sagen von der Liebe, und was wir von der Erfüllung des Gesetzes halten. Es steht geschrieben im Propheten: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben.“ Und Röm. 3,31 sagt Paulus: „Wir heben das Gesetz nicht auf durch den Glauben, sondern richten das Gesetz auf.“ Item, Christum sagt: „Willst du ewig leben, so halte die Gebote.“ Item, zu den Korinthern sagt Paulus: „So ich nicht die Liebe habe, bin ich nichts.“ Diese und dergleichen Sprüche zeigen an, daß wir das Gesetz halten sollen, wenn wir durch den Glauben gerecht worden sind, und also je länger je mehr im Geist zunehmen. Wir reden aber hier nicht von Zeremonien Mosis, sondern von den zehn Geboten, welche von uns fordern, daß wir von Herzens-grund Gott recht fürchten und lieben sollen. Dieweil nun der Glaube mit sich bringt den Heiligen Geist und ein neu Licht und Leben im Herzen wirkt, so ist es gewiß und folgt von Not, daß der Glaube das Herz erneuert und ändert. Und was das für eine Neuerung der Herzen sei, zeigt der Prophet an, da er sagt: „Ich will mein Gesetz in ihre Herzen geben.“ Wenn wir nun durch den Glauben neuge-boren sind und erkannt haben, daß uns Gott will gnädig sein, will unser Vater und Helfer sein, so heben wir an, Gott zu fürchten, zu lieben, ihm zu danken, ihn zu preisen, von ihm alle Hilfe zu bitten und zu erwarten, ihm auch nach seinem Willen in Trübsalen gehorsam zu sein. Wir heben alsdann auch an, den Nächsten zu lieben; da ist nun inwendig durch den Geist Christi ein neu Herz, Sinn und Mut. Dieses alles kann nicht geschehen, ehe wir durch den Glauben gerecht werden, ehe wir neugeboren werden durch den Heiligen Geist. Denn erstlich kann niemand das Gesetz halten ohne Christus Erkenntnis; so kann auch niemand das Gesetz erfüllen ohne den Heiligen Geist. Den Heiligen Geist aber können wir nicht empfangen denn durch den Glauben, wie zu den Galatern am 3,14 Paulus sagt, daß wir „Die Verheißung des Geistes durch den Glauben empfangen“. Item, es ist unmöglich, daß ein Menschenherz allein durch das Gesetz oder sein Werk Gott liebe. Denn das Gesetz zeigt allein an Gottes Zorn und Ernst; das Gesetz klagt uns an und zeigt an, wie er so schrecklich die Sünde strafen wolle beide mit zeitlichen und ewigen Strafen. Darum was die Scholastici von der Liebe Gottes reden, ist ein Traum, und ist unmöglich, Gott zu lieben, ehe wir durch den Glauben die Barmherzigkeit erkennen und ergreifen. Denn alsdann erst wird Gott obiectum amabile, ein lieblicher seliger Anblick. Wiewohl nun ein ehrbar Leben zu führen und äußerliche Werke des Gesetzes zu tun, die Vernunft etlichermaßen ohne Christum, ohne den Heiligen Geist aus angebornem Licht vermag, so ist es doch gewiß, wie oben angezeigt, daß die höchsten Stücke des göttlichen Gesetzes, als, das ganze Herz zu Gott zu kehren, von ganzem Herzen ihn groß zu achten (welches in der ersten Tafel und im ersten, höchsten Gebot gefordert wird), niemand vermag ohne den Heiligen Geist. Aber unsere Wider-sacher sind gute, rohe, faule, unerfahrene Theologen. Sie sehen allein die andere Tafel Mosis an und die Werke derselben. Aber die erste Tafel, da die höchste Theologie innen steht, da es alles an gelegen ist, achten sie gar nicht; ja dasselbe höchste, heiligste, größte, vornehmste Gebot, welches allen mensch-lichen und engelischen Verstand übertrifft, welches den höchsten Gottesdienst, die Gottheit selbst und die Ehre der ewigen Majestät belangt, da Gott gebietet, daß wir herzlich ihn sollen für einen Herrn und Gott halten, fürchten und lieben, halten sie so gering, so klein, als gehörte es zu der Theologie nicht. Christus ist uns aber dazu dargestellt, daß um seinetwillen uns Sünden vergeben und der Heilige Geist geschenkt wird, der ein neu Licht und ewiges Leben, ewige Gerechtigkeit in uns wirkt, daß er uns Christum im Herzen zeigt, wie Johannis am 16,15 geschrieben: „Er wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.“ Item, er wirkt auch andere Gaben: Liebe, Danksagung, Keuschheit, Geduld usw. Darum vermag das Gesetz niemand ohne den Heiligen Geist zu erfüllen; darum sagt Paulus: „Wir richten das Gesetz auf durch den Glauben und tun's nicht ab“; denn so können wir erst das Gesetz erfüllen und halten, wenn der Heilige Geist uns gegeben wird. Und Paulus 2 Kor. 3,15f. sagt, daß die Decke des Angesichts Mosis könne nicht weggetan werden denn allein durch den Glauben an den Herrn Christum, durch welchen gegeben wird der Heilige Geist. Denn also sagt er: „Bis auf diesen Tag, wenn Moses gelesen wird, ist die Decke über ihrem Herzen; wenn sie sich aber zum Herrn bekehren, wird die Decke weggetan. Denn der Herr ist ein Geist; wo aber des Herrn Geist ist, da ist Freiheit.“ Die Decke nennt Paulus den menschlichen Gedanken und Wahn von den zehn Geboten und Zeremonien, nämlich daß die Heuchler wähnen wollen, daß das Gesetz möge erfüllt und gehalten werden durch äußerliche Werke, und als machten die Opfer, item allerlei Gottesdienst, ex opere operato jemand gerecht vor Gott. Dann wird aber die Decke vom Herzen genommen, das ist, der Irrtum und Wahn wird weggenommen, wenn Gott im Herzen uns zeigt unsern Jammer und läßt uns Gottes Zorn und unsere Sünde fühlen. Da merken wir erst, wie gar fern und weit wir vom Gesetz seien. Da erkennen wir erst, wie sicher und verblendet alle Menschen dahingehen, wie sie Gott nicht fürchten, in Summa, nicht glauben, daß Gott Himmel, Erde und alle Kreaturen geschaffen hat, unsern Odem und Leben und die ganze Kreatur alle Stunden erhält und wider den Satan bewahrt. Da erfahren wir erst, daß eitel Unglaube, Sicherheit, Verachtung Gottes in uns so tief verborgen steckt. Da erfahren wir erst, daß wir so schwach oder gar nichts glauben, daß Gott Sünde vergebe, daß er Gebet erhöre usw. Wenn wir nun das Wort und Evangelium hören und durch den Glauben Christum erkennen, empfangen wir den Heiligen Geist, daß wir dann recht von Gott halten, ihn fürchten, ihm glauben usw. In diesem ist nun genugsam angezeigt, daß wir Gottes Gesetz ohne den Glauben, ohne Christum, ohne den Heiligen Geist nicht halten können. Darum sagen wir auch, daß man muß das Gesetz halten, und ein jeder Gläubiger fängt an, es zu halten, und nimmt je länger, je mehr zu in Liebe und Furcht Gottes, welches ist recht Gottes Gebote erfüllt. Und wenn wir vom Gesetzhalten reden oder von guten Werken, begreifen wir beides, das gute Herz inwendig und die Werke auswendig. Darum tun uns die Widersacher unrecht, da sie uns schuld geben, wir lehrten nicht von guten Werken; so wir nicht allein sagen, man müsse gute Werke tun, sondern sagen auch eigentlich, wie das Herz müsse dabei sein, damit es nicht lose, taube, kalte Heuchlerwerke seien. Es lehrt die Erfahrung, daß die Heuchler, wiewohl sie sich unterstehen, aus ihren Kräften das Gesetz zu halten, daß sie es nicht vermögen, noch mit der Tat beweisen. Denn wie fein sind sie ohne Haß, Neid, Zank, Grimm, Zorn, ohne Geiz, Ehebruch usw.! Also, daß nirgend die Laster größer sind denn in Klöstern und Stiften. Es sind alle menschlichen Kräfte viel zu schwach dem Teufel, daß sie seiner List und Stärke aus eigenem Vermögen widerstehen sollten, welcher alle diejenigen gefänglich hält, die nicht durch Christum erlöst werden. Es muß göttliche Stärke sein und Christus Auferstehung, die den Teufel überwinde. Und so wir wissen, daß wir Christi Stärke, seines Sieges durch den Glauben teilhaftig werden, können wir auf die Verheißung, die wir haben, Gott bitten, daß er uns durch seines Geistes Stärke beschirme und regiere, daß uns der Teufel nicht fälle oder stürze; sonst fielen wir alle Stunden in Irrtum und greuliche Laster. Darum sagt Paulus nicht von uns, sondern von Christo Eph. 4,8: „Er hat das Gefängnis gefangen geführt.“ Denn Christus hat den Teufel überwunden und durchs Evangelium verheißen den Heiligen Geist, daß wir durch Hilfe desselben auch alles Übel überwinden. Und 1 Joh. 3,8 ist geschrieben: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, daß er auflöse die Werke des Teufels.“ Darum so lehren wir nicht allein, wie man das Gesetz halte, sondern auch wie es Gott gefalle alles, was wir tun, nämlich, nicht daß wir in diesem Leben das Gesetz so vollkommen und rein halten können, sondern daß wir in Christo sind, wie wir hernach wollen sagen. So ist es nun gewiß, daß die unsern auch von guten Werken recht lehren. Und wir setzen noch dazu, daß es unmöglich sei, daß rechter Glaube der das Herz tröstet und Vergebung der Sünden empfängt, ohne die Liebe Gottes sei. Denn durch Christum kommt man zum Vater, und wenn wir durch Christum Gott versöhnt sind, so glauben und schließen wir dann erst recht gewiß im Herzen, daß ein wahrer Gott lebe und sei, daß wir einen Vater im Himmel haben, der auf uns allzeit siehet, der zu fürchten sei, der um so unsägliche Wohltat zu lieben sei, dem wir sollen allezeit herzlich danken, ihm Lob und Preis sagen, welcher unser Gebet, auch unser Sehnen und Seufzen erhört, wie denn Johannes in seiner ersten Epistel sagt, 1 Joh. 4,19: „Wir lieben ihn, denn er hat uns zuvor geliebet.“ Uns nämlich; denn er hat seinen Sohn für uns gegeben und uns Sünde verge-ben. Da zeigt Johannes genug an, daß der Glaube also vorgehe und die Liebe alsdann folge. Item, dieser Glaube ist in denen, da rechte Busse ist, das ist, da ein erschrocken Gewissen Gottes Zorn und seine Sünde fühlt, Vergebung der Sünden und Gnade sucht. Und in solchem Schrecken, in solchen Ängsten und Nöten beweist sich erst der Glaube und muß auch also bewährt werden und zunehmen. Darum kann der Glaube nicht sein in fleischlichen, sicheren Leuten, welche nach des Fleisches Lust und Willen dahinleben. Denn also sagt Paulus Röm. 8,1: „So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist.“ Item, V. 12.13: „So sind wir nun Schuldner, nicht dem Fleisch, daß wir nach dem Fleisch leben; denn wo ihr nach dem Fleisch lebet, so werdet ihr sterben müssen; wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr leben.“ Derhalben kann der Glaube, welcher allein in den Herzen und Gewissen ist, denen ihre Sünde herzlich leid sind, nicht zugleich neben einer Todsünde sein, wie die Widersacher lehren. So kann er auch nicht in denjenigen sein, die nach der Welt fleischlich, nach des Satans und des Fleisches Willen leben. Aus diesen Früchten und Werken des Glaubens klauben die Widersacher nur ein Stück, nämlich die Liebe, und lehren, daß die Liebe vor Gott gerecht mache; also sind sie nichts anderes denn Werkprediger und Gesetzlehrer. Sie lehren nicht erst, daß wir Vergebung der Sünden erlangen durch den Glauben. Sie lehren nichts von dem Mittler Christo, daß wir durch denselben einen gnädigen Gott erlangen, sondern reden von unserer Liebe und unsern Werken und sagen doch nicht, was es für eine Liebe sei, und können es auch nicht sagen. Sie rühmen, sie könnten das Gesetz erfüllen oder halten, so doch die Ehre niemand gehört denn Christo, und halten also ihr eigen Werk gegen Gottes Urteil, sagen, sie verdienten de condigno Gnade und ewiges Leben. Das ist doch ein ganz vergeblich und gottlos Vertrauen auf eigene Werke. Denn in diesem Leben können auch Christen und die Heiligen selbst Gottes Gesetz nicht vollkommen halten; denn es bleiben immer böse Neigungen und Lüste in uns, wiewohl der Heilige Geist denselben widersteht. Es möchte aber jemand unter ihnen fragen: So wir selbst bekennen, daß die Liebe eine Frucht des Geistes sei, und so die Liebe dennoch ein heilig Werk und Erfüllung des Gesetzes genannt wird, warum wir denn auch nicht lehren, daß sie vor Gott gerecht mache? Antwort: Erstlich ist das gewiß, daß wir Vergebung der Sünden nicht empfangen weder durch die Liebe noch um der Liebe willen, sondern allein durch den Glauben um Christus willen. Denn allein der Glaube im Herzen sieht auf Gottes Verheißung; und allein der Glaube ist die Gewißheit, da das Herz gewiß drauf steht, daß Gott gnädig ist, daß Christus nicht umsonst gestorben sei usw. Und derselbe Glaube überwindet allein das Schrecken des Todes und der Sünde. Denn wer noch wankt oder zweifelt, ob ihm die Sünden vergeben seien, der vertraut Gott nicht und verzagt an Christo; denn er hält seine Sünde für größer und stärker denn den Tod und Blut Christi, so doch Paulus sagt zu den Römern am 5,20, „die Gnade sei mächtiger denn die Sünde“, das ist, kräftiger, reicher und stärker. So nun jemand meint, daß er darum Vergebung der Sünden will erlangen, daß er die Liebe hat, der schmäht und schändet Christum und wird am letzten Ende, wenn er vor Gottes Gericht stehen soll, finden, daß solch Vertrauen vergeblich ist. Darum ist es gewiß, daß allein der Glaube gerecht macht. Und gleichwie wir nicht erlangen Vergebung der Sünden durch andere gute Werke und Tugenden, als, um Geduld willen, um Keuschheit, um Gehorsams willen gegen die Obrigkeit, und folgen doch die Tugenden, wo Glaube ist: also empfangen wir auch nicht um der Liebe Gottes willen Vergebung der Sünden, wiewohl sie nicht ausbleibt, wo dieser Glaube ist. Das aber Christus Lucä am 7,47 spricht: „Ihr werden viel Sünden vergeben werden, denn sie hat viel geliebet“, da legt Christus sein Wort selbst aus, da er sagt V. 50: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Und Christus will nicht, daß die Frau durch das Werk der Liebe verdient habe Vergebung der Sünden; darum sagt er klar: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Nun ist das der Glaube, welcher sich verläßt auf Gottes Barmherzigkeit und Wort, nicht auf eigene Werke. Und meint jemand, daß der Glaube sich zugleich auf Gott und eigene Werke verlassen könne, der versteht gewißlich nicht, was Glaube sei. Denn das erschrockene Gewissen wird nicht zufrieden durch eigene Werke, sondern muß nach Barmherzigkeit schreien und läßt sich allein durch Gottes Wort trösten und aufrichten. Und die Historie selbst zeigt an dem Ort wohl an, was Christus Liebe nennt. Die Frau kommt in der Zuversicht zu Christo, daß sie wolle Vergebung der Sünden bei ihm erlangen; das heißt recht Christum erkennen und ehren; denn größere Ehre kann man Christo nicht tun. Denn das heißt Messiam oder Christum wahrlich erkennen, bei ihm suchen Vergebung der Sünden. Dasselbe von Christo halten, also Christum erkennen und annehmen, das heißt recht an Christum glauben. Christus aber hat dieses Wort, da er sagt: „Sie hat viel geliebet“, nicht gebraucht, als er mit der Frau redete, sondern als er mit dem Pharisäer redete. Denn der Herr Christus hält gegeneinander die ganze Ehre, die ihm der Pharisäer getan hat, mit dem Erbieten und Werken, so die Frau ihm erzeigt hat. Er straft den Pharisäer, daß er ihn nicht hat erkannt für Christum, wiewohl er ihn äußerlich geehrt als einen Gast und frommen, heiligen Mann. Aber den Gottesdienst der Frau, daß sie ihre Sünde erkennt und bei Christo Vergebung der Sünden sucht, diesen Dienst lobt Christus. Und es ist ein großes Exempel, welches Christum billig bewogen hat, daß er den Pharisäer als einen weisen, ehrlichen Mann, der doch nicht an ihn glaubt, straft. Den Unglauben wirft er ihm vor und vermahnt ihn durch das Exempel, als sollte er sagen: Billig solltest du dich schämen, du Pharisäer, daß du so blind bist, mich für Christum und Messiam nicht erkennest, so du ein Lehrer des Gesetzes bist, und das Weib, das ein ungelehrt, arm Weib ist, mich erkennt. Darum lobt er da nicht allein die Liebe, sondern den ganzen cultum oder Gottesdienst, den Glauben mit den Früchten, und nennt doch vor dem Pharisäer die Frucht. Denn man kann den Glauben in Herzen andern nicht weisen und anzeigen denn durch die Früchte, die beweisen vor den Menschen den Glauben im Herzen. Darum will Christus nicht, daß die Liebe und die Werke sollen der Schatz sein, dadurch die Sünden bezahlt werden, welches Christus Blut ist. Derhalben ist dieser Streit über einer hohen, wichtigen Sache, da den frommen Herzen und Gewissen ihr höchster, gewissester, ewiger Trost an gelegen ist, nämlich von Christo, ob wir sollen vertrauen auf des Verdienst Christi oder auf unsere Werke. Denn so wir auf unsere Werke vertrauen, so wird Christo seine Ehre genommen, so ist Christus nicht der Versöhner noch Mittler, und werden doch endlich erfahren, daß solch Vertrauen vergeblich sei, und daß die Gewissen dadurch nur in Verzweiflung fallen. Denn das Gesetz macht niemand gerecht vor Gott, solange es uns anklagt. Nun kann sich ja niemand rühmen, daß er dem Gesetz genuggetan habe. Darum müssen wir sonst Trost suchen, nämlich ab Christo. Nun wollen wir antworten auf die Fragen, welche wir oben angezeigt: warum die Liebe oder dilectio niemand vor Gott gerecht mache. Die Widersacher denken also, die Liebe sei die Erfüllung des Gesetzes, darum wäre es wohl wahr, daß die Liebe uns gerecht macht, wenn wir das Gesetz hielten. Wer darf aber mit Wahrheit sagen oder rühmen, daß er das Gesetz halte und Gott liebe, wie des Gesetz gebietet? Wir haben oben angezeigt, daß darum Gott die Verheißung der Gnade getan hat, daß wir das Gesetz nicht halten können. Darum sagt auch allenthalben Paulus, daß wir durch das Gesetz nicht können vor Gott gerecht werden. Die Widersacher müssen hie wohl weit fehlen und der Hauptfrage irregehen, denn sie sehen in diesem Handel allein das Gesetz an. Denn alle menschliche Vernunft und Weisheit kann nicht anders urteilen, denn daß man durch Gesetze müsse fromm werden, und wer äußerlich das Gesetz halte, der sei heilig und fromm. Aber das Evangelium rückt uns herum und weist uns von dem Gesetz zu den göttlichen Verheißungen und lehrt, daß wir nicht gerecht werden durchs Gesetz (denn niemand kann es halten), sondern dadurch, daß uns um Christus willen Versöhnung geschenkt ist, und die empfangen wir allein durch den Glauben. Denn ehe wir einen Tüttel am Gesetz erfüllen, muß erst da sein der Glaube an Christum, durch welchen wir Gott versöhnt werden und erst Vergebung der Sünden erlangen. Lieber Herrgott, wie dürfen doch die Leute sich Christen nennen oder sagen, daß sie auch die Bücher des Evangelii einmal je angesehen oder gelesen haben, die noch dieses anfechten, daß wir Vergebung der Sünden durch den Glauben an Christum erlangen? Ist es doch einem Christenmenschen schrecklich allein zu hören. Zum andern ist's gewiß, daß auch diejenigen, so durch den Glauben und Heiligen Geist neugeboren sind, doch gleichwohl noch, solange dies Leben währt, nicht gar rein sind, auch das Gesetz nicht vollkommen halten. Denn wiewohl sie die Erstlinge des Geistes empfangen, und wiewohl sich in ihnen das neue, ja das ewige Leben angefangen, so bleibt doch noch etwas da von der Sünde und böser Lust und findet das Gesetz noch viel, das es uns anzuklagen hat. Darum, obschon Liebe Gottes und gute Werke in Christen sollen und müssen sein, sind sie dennoch vor Gott nicht gerecht um solcher ihrer Werke willen, sondern um Christus willen durch den Glauben. Und Vertrauen auf eigene Erfüllung des Gesetzes ist eitel Abgötterei und Lästerung Christi und fällt doch zuletzt weg und macht, daß die Gewissen verzweifeln. Derhalben soll dieser Grund feststehen bleiben, daß wir um Christus willen Gott angenehm und gerecht sind durch Glauben, nicht von wegen unserer Liebe und Werke. Daß wollen wir also klar und gewiß machen, daß man's greifen möge. Solange das Herz nicht Frieden vor Gott hat, kann es nicht gerecht sein; denn es flieht vor Gottes Zorn und verzweifelt und wollte, daß Gott nicht richtete. Darum kann das Herz nicht gerecht und Gott angenehm sein, dieweil es nicht Frieden mit Gott hat. Nun macht der Glaube allein, daß das Herz zufrieden wird, und erlangt Ruhe und Leben, Röm. 5,1, so es sich getrost und frei verläßt auf Gottes Zusage um Christus willen. Aber unsere Werke bringen das Herz nicht zufrieden, denn wir finden allezeit, daß sie nicht rein sind. Darum muß folgen, daß wir allein durch Glauben Gott angenehm und gerecht sind, so wir im Herzen schließen, Gott wolle uns gnädig sein, nicht von wegen unserer Werke und Erfüllung des Gesetzes, sondern aus lauter Gnade um Christus willen. Was können die Widersacher wider diesen Grund aufbringen? Was können sie wider die öffentliche Wahrheit erdichten oder erdenken? Denn dies ist je gewiß, und die Erfahrung lehrt stark genug, daß, wenn wir Gottes Urteil und Zorn recht fühlen oder in Anfechtung kommen, unsere Werke oder Gottesdienste das Gewissen nicht können zur Ruhe bringen. Und das zeigt die Schrift oft genug an, als im Psalm, 143,2: „Du wollest mit deinem Knechte nicht in das Gericht gehen; denn vor dir wird keiner, der da lebt, gerecht sein.“ Da zeigt er klar an, daß alle Heiligen, alle frommen Kinder Gottes, welche den Heiligen Geist haben, wenn Gott nicht aus Gnaden ihnen will ihre Sünden vergeben, noch übrige Sünde im Fleisch an sich haben. Denn daß David an einem andern Ort, Ps. 7,9, sagt: „Herr, richte mich nach meiner Gerechtigkeit!“ da redet er von seiner Sache und nicht von eigener Gerechtigkeit, sondern bittet, daß Gott seine Sache und Wort schützen wolle; wie er denn sagt: „Richte meine Sache!“ Wiederum Ps. 130,3 sagt er klar, daß keiner, auch nicht die höchsten Heiligen, können Gottes Urteil ertragen, wenn er will auf Missetat achtgeben, wie er sagt: „So du willst acht-haben auf Missetat, Herr, wer wird bestehen?“ und also sagt Hiob an 9,28.30.: „Ich entsetze mich vor allen meinen Werken“: item: „Wenn ich gleich schneeweiß gewaschen wäre, und meine Hände gleich glänzeten vor Reinigkeit, noch würdest du Unreines an mir finden.“ Und in den Sprüchen Salomonis, 20,9: „Wer kann sagen: Mein Herz ist rein?“ Und 1 Joh. 1,8: „So wir werden sagen, daß wir keine Sünde haben, verführen wir uns selbst und ist die Wahrheit nicht in uns.“ Item, im Vaterunser bitten auch die Heiligen: „Vergib uns unsere Schuld!“ Darum haben auch die Heiligen Schuld und Sünde. Item, im 4. Buch Mosis, 14,18: „Auch der Unschuldige wird nicht unschuldig sein.“ Und Zacharias der Prophet sagt im 2. Kap., V 13: „Alles Fleisch sei stille vor dem Herrn!“ Und Jesaias sagt 40,6: „Alles Fleisch ist Gras“, das ist, das Fleisch und alle Gerechtigkeit, so wir ver-mögen, die können Gottes Urteil nicht ertragen. Und Jonas sagt am 2. Kap., V. 9: „Welche sich verlassen auf Eitelkeit vergeblich, die lassen Barmherzigkeit fahren.“ Derhalben erhält uns eitel Barmherzigkeit; unsere eigenen Werke, Verdienst und Vermögen können uns nicht helfen. Diese Sprüche und derglei-chen in der Schrift zeigen an, daß unsere Werke unrein sind, und daß wir Gnade und Barmherzigkeit bedürfen. Darum stellen die Werke die Gewissen nicht zufrieden, sondern allein die Barmherzigkeit, welche wir durch den Glauben ergreifen. Zum dritten, Christus bleibt nichts destoweniger vor als nach der einige Mittler und Versöhner, wenn wir in ihm also neugeboren sind. Darum irren diejenigen, die da erdichten, daß Christus uns allein primam gratiam oder die erste Gnade verdiene, und daß wir hernach durch unsere eigenen Werke und Verdienst müssen das ewige Leben verdienen. Denn er bleibt der einige Mittler, und wir sollen des gewiß sein, daß wir um seinetwillen allein einen gnädigen Gott haben; ob wir es auch gleich unwürdig sind, wie Paulus sagt Röm. 5,2: „Durch ihn haben wir einen Zugang zu Gott.“ Denn unsere besten Werke, auch nach empfangener Gnade des Evangelii (wie ich gesagt), sind noch schwach und nicht gar rein; denn es ist je nicht so ein schlecht Ding um die Sünde und Adams Fall, wie die Vernunft meint oder gedenkt, und ist über allen menschlichen Verstand und Gedanken, was durch den Ungehorsam für ein schrecklicher Gotteszorn auf uns geerbt ist. Und ist gar eine greulich Verderbung an der ganzen menschlichen Natur geschehen, welche kein Menschenwerk, sondern allein Gott selbst kann herwiederbringen. Darum sagt der Psalm: „Wohl denen, welchen ihre Sünden vergeben sind.“ Darum bedürfen wir Gnade und Gottes gnädiger Güte und Vergebung der Sünden, wenn wir gleich viele gute Werke getan haben. Dieselbe Gnade aber läßt sich allein durch den Glauben fassen. Also bleibt Christus allein der Hohepriester und Mittler, und was wir nun Gutes tun, oder was wir des Gesetzes halten, gefällt Gott nicht für sich selbst, sondern daß wir uns an Christum halten und wissen, daß wir einen gnädigen Gott haben nicht um des Gesetzes willen, sondern um Christus willen. Zum vierten, so wir hielten, daß wir, wenn wir nun zu dem Evangelium kommen und neugeboren sind, hernach durch unsere Werke verdienen sollen, daß uns Gott gnädig forthin wäre, nicht durch Glauben, so käme das Gewissen nimmer zur Ruhe, sondern müßte verzweifeln; denn das Gesetz klagt uns ohne Unterlaß an, dieweil wir es nicht vollkommen halten können usw. Wie denn die ganze heilige christliche Kirche, alle Heiligen allzeit bekannt haben und noch bekennen. Denn also sagt Paulus zu den Römern am 7,19: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ usw. Item: „Mit dem Fleische diene ich dem Gesetz der Sünde“ usw. Denn es ist keiner, der Gott den Herrn so von ganzem Herzen fürchtet und liebt, als er schuldig ist; keiner, der Kreuz und Trübsal in ganzem Gehorsam gegen Gott trägt; keiner, der nicht durch Schwachheit oft zweifelt, ob auch Gott sich unser annehme, ob er uns achte, ob er unser Gebet erhöre. Darüber murren wir oft aus Ungeduld wider Gott, daß es den Gottlosen wohl geht, den Frommen übel. Item, wer ist, der seinem Beruf recht genug tut, der nicht wider Gott zürnt in Anfechtungen, wenn Gott sich verbirgt? Wer liebt seinen Nächsten als sich selbst? Wer ist ohne allerlei böse Lüste? von den Sünder allen sagt der Psalm: „Dafür werden bitten alle Heiligen zu rechter Zeit.“ Da sagt er, daß alle Heiligen müssen um Vergebung der Sünden bitten. Derhalben sind diejenigen gar stockblind, welche die bösen Lüste im Fleisch nicht für Sünde halten, von welchen Paulus sagt: „Das Fleisch strebet wider den Geist, und der Geist strebet wider das Fleisch.“ Denn das Fleisch vertraut Gott nicht, verläßt sich auf diese Welt und zeitliche Güter, sucht in Trübsalen menschlichen Trost und Hilfe, auch wider Gottes Willen, zweifelt an Gottes Gnade und Hilfe murrt wider Gott in Kreuz und Anfechtungen, welches alles wider Gottes Gebot ist. Wider die Adamssünde streitet und strebt der Heilige Geist in den Herzen der Heiligen, daß er dasselbe Gift des alten Adams, die böse verzweifelte Art, ausfege und töte und in das Herz einen andern Sinn und Mut bringe. Und Augustinus sagt auch: „Alle Gebote Gottes halten wir dann, wenn uns alles, was wir nicht halten, vergeben wird.“ Darum will Augustinus, daß auch die guten Werke, welche der Heilige Geist wirkt in uns, Gott nicht anders gefallen denn also, daß wir glauben, daß wir Gott angenehm seien um Christus willen, nicht daß sie an ihnen selbst Gott sollten gefallen. Und Hieronymus sagt wider Pelagius: „Dann sind wir gerecht, wenn wir uns für Sünder erkennen; Und unsere Gerechtigkeit steht nicht in unserm Verdienst, sondern in Gottes Barmherzigkeit.“ Darum, wenn wir gleich ganz reich von rechten guten Werken sind und also angefangen haben, Gottes Gesetz zu halten, wie Paulus, da er treulich gepredigt hat usw., so muß dennoch der Glaube da sein, dadurch wir vertrauen, daß Gott uns gnädig und versöhnt sei um Christus willen und nicht um unserer Werke willen. Denn die Barmherzigkeit läßt sich nicht fassen denn allein durch den Glauben. Darum diejenigen, so lehren, daß wir um Werke willen, nicht um Christus willen Gott angenehm werden, die führen die Gewissen in Verzweiflung. Aus dem allem ist's klar genug, daß allein der Glaube uns vor Gott gerecht macht, das ist, er erlangt Vergebung der Sünden und Gnade um Christus willen und bringt uns zu einer neuen Geburt. Item so ist's klar genug, daß wir allein durch den Glauben den Heiligen Geist empfangen; item, daß unsere Werke, und da wir anfangen, das Gesetz zu halten, an ihm selbst Gott nicht gefallen. So ich nun, wenn ich gleich voll guter Werke bin, wie Paulus war und Petrus, dennoch anderswo muß meine Gerechtigkeit suchen, nämlich in der Verheißung der Gnade Christi, item, so allein der Glaube das Gewissen stillt, so muß je das gewiß sein, daß allein der Glaube vor Gott gerecht macht. Denn wir müssen allezeit dabei bleiben, wollen wir recht lehren, daß wir nicht um des Gesetzes willen, nicht um Werke willen, sondern um Christus willen Gott angenehm sind. Denn die Ehre, so Christo gebührt, soll man nicht dem Gesetze oder unsern elenden Werken geben.