J. Gerhard - Liebe zu Gott

 

9. GOTT IST ALLEIN ZU LIEBEN.

 

VERBINDE DICH DEM HERRN DURCH LIEBE.

 

Erhebe dich, gläubige Seele, und liebe jenes höchste Gut, in welchem alle Güter enthalten sind, ohne welches es kein wahres Gut gibt. Kein Geschöpf kann unser Verlangen stillen, weil kein Geschöpf das Gute vollkommen, sondern nur zum Teil besitzt. Ein Bächlein des Guten strömet ihm zu von der Gottheit, aber die Quelle bleibt immer in Gott: warum also wollten wir die Quelle verlassen und dem Bächlein folgen? Alles Gute in den Geschöpfen ist ein Abbild jenes vollkommenen Guten, das in Gott, ja das Gott selbst ist: warum also wollten wir am Abbilde hangen und die Sache selbst verlassen? Die Taube, welche Noah aus der Arche gelassen hatte, konnte, so lange das Gewässer über die Erde sich ausbreitete, nicht finden, da ihr Fuß ruhen konnte 1 Mos. 8,8.9: so kann auch unsere Seele in der Menge aller der unterm Mond befindlichen Dinge nichts finden, was ihre Sehnsucht völlig stillen könnte, weil jene nur zu unbeständig und vergänglich sind. Fügt sie sich also nicht selbst Schaden zu, wenn sie etwas liebt, was an ihre Würde nicht reicht? Denn unsere Seele ist edler als alle Geschöpfe, denn sie ist erlöst durch das Leiden und den Tod deß, der Gott war und ist. Warum also wollte sie die Geschöpfe lieben? Ist das nicht der Herrlichkeit, zu der sie Gott erhoben hat, zuwider? Was wir lieben, das lieben wir entweder wegen seiner Macht, oder seiner Weisheit, oder seiner Schönheit: was ist aber mächtiger als Gott, was weiser als Gott, was schöner als Gott? Alle Macht weltlicher Könige ist von ihm und unter ihm; alle Weisheit der Menschen ist im Vergleiche zu der göttlichen, Torheit; alle Schönheit der Geschöpfe ist im Vergleiche zu der göttlichen, Missgestalt. Wenn ein sehr mächtiger König durch Abgesandte um die Hand einer Jungfrau von geringer Herkunft und Lage würbe, würde nicht diese Jungfrau töricht handeln, wenn sie den mächtigsten König nichts achten und den armen Abgesandten und Dienern des Königs anhangen wollte? So hat Gott durch alle Schönheit der Geschöpfe uns zu sich rufen, zu seiner Liebe uns erwecken wollen; warum also hängt unsere Seele, die Christus als Bräutigam begehrt, den Geschöpfen an, die gleichwie Abgesandte von ihm sind um dieser geistlichen Vermählung willen? Die Geschöpfe rufen selbst: Warum bleibt ihr an uns hängen? Warum stellt ihr auf uns das Ziel eures Verlangens? Wir können eure Sehnsucht nicht stillen, machet euch hin zu dem, der unser beider Schöpfer ist! Von den Geschöpfen ist wechselseitige Liebe nicht zu erwarten, von den Geschöpfen nimmt auch keine Liebe gegen uns ihren Anfang; aber Gott, der die Liebe ist 1 Joh. 4,16, kann nicht anders als den lieben, der ihn liebt, ja mit seiner Liebe kommt er allem unsern Verlangen und aller unserer Liebe zuvor. Wie sehr ist also der zu lieben, der uns zuerst so sehr geliebt hat? Er hat uns geliebt, da wir noch nicht waren; denn der göttlichen Liebe ist es zuzuschreiben, dass wir in diese Welt gekommen sind. Er hat uns geliebt, da wir noch Feinde waren; denn der göttlichen Erbarmung und Liebe ist es zuzuschreiben, dass er den Sohn zum Heiland gesandt hat. Er hat uns geliebt, da wir in Sünden gefallen waren; denn der göttlichen Liebe ist es zuzuschreiben, dass er nicht sofort, wenn wir uns versündigen, uns dem Tode übergibt, sondern unsere Bekehrung erwartet. Zur göttlichen Liebe gehört es, dass er ohne unser Verdienst, ja wider Verdienst zu den himmlischen Wohnungen uns leitet. Ohne die Liebe Gottes wirst du niemals zu seiner selig machenden Erkenntnis gelangen; ohne die Liebe Gottes ist alle Wissenschaft unnütz, ja schädlich. Warum gehet die Liebe über das Wissen aller Geheimnisse? 1 Kor. 13,2. Weil dieses auch bei den Teufeln, jene aber nur bei den Frommen anzutreffen ist. Warum ist der Teufel am unseligsten? Weil er das höchste Gut nicht lieben kann. Warum ist Gott dagegen der beglückteste und seligste? Weil er alles liebt, sich aller seiner Werke freuet Weish. 11,15. Warum ist die Liebe zu Gott in diesem Leben nicht vollkommen? Weil wir Gott so weit lieben, als wir ihn erkennen; in diesem Leben aber erkennen wir nur stückweise und durch einen Spiegel 1 Kor. 13,12. In dem ewigen Leben werden wir vollkommen selig sein, weil wir Gott vollkommen lieben werden; vollkommen werden wir lieben, weil wir vollkommen erkennen werden. Keiner wird in der zukünftigen Welt Hoffnung auf vollkommene göttliche Liebe haben, der in dieser Welt nicht anfängt Gott zu lieben. Das Reich Gottes muss in diesem Leben in dem Herzen des Menschen anfangen, sonst wird es nicht zur Vollkommenheit gelangen in dem künftigen. Ohne Liebe zu Gott gibt es kein Verlangen nach dem ewigen Leben, wie also wird der jenes höchsten Gutes teilhaftig sein, der es nicht liebt, nicht sucht, nicht verlangt? Wie deine Liebe so bist du selbst, denn deine Liebe gestaltet dich um in ihr Wesen. Die Liebe ist das höchste Band, denn der Liebende und die geliebte Sache werden Eins. Was hat den gerechtesten Gott und die verlorenen Sünder, was hat dies bis in’s Unendliche von einander entfernte verbunden? Die unendliche Liebe. Damit jedoch die Gerechtigkeit Gottes nicht gemindert würde, ist der unendliche Preis Christi zwischen eingekommen. Was verbindet noch Gott, den Schöpfer und die geschaffene gläubige Seele, die unendlich von einander entfernt sind? Die Liebe. In dem ewigen Leben werden wir mit Gott im höchsten Grade vereiniget werden. Weshalb? Weil wir im höchsten Grade lieben werden. Die Liebe eint und gestaltet um; wenn du das, was des Fleisches ist, liebst, so bist du fleischlich; wenn du die Welt liebst, so wirst du weltlich gesinnet werden. Aber Fleisch und Blut werden das Reich Gottes nicht ererben 1 Kor. 15,50. Wenn du Gott und das Göttliche liebst, so wirst du göttlich gesinnt werden. Die Liebe Gottes ist der Wagen, auf dem Elias in den Himmel fährt. Die Liebe Gottes ist die Freude des Geistes, das Paradies der Seele, macht los von der Welt, überwindet den Teufel, verschließt die Hölle, öffnet den Himmel. Die Liebe Gottes ist das Siegel, mit dem Gott die Auserwählten und Gläubigen versiegelt. Keinen wird Gott im jüngsten Gerichte für den seinigen erkennen, der nicht mit diesem Siegel versiegelt ist. Denn selbst der Glaube, der einige Grund unserer Gerechtigkeit und Seligkeit, ist kein wahrer, wenn er nicht durch die Liebe sich offenbaret Gal. 5,16.; er ist kein wahrer Glaube, wenn er nicht eine gewisse Zuversicht ist; es gibt keine Zuversicht ohne die Liebe Gottes; eine Wohltat wird nicht erkannt, für die nicht Dank gesagt wird; wir sagen dem keinen Dank, den wir nicht lieben. Wenn also dein Glaube ein wahrer ist, so wird er die Wohltat Christi des Erlösers erkennen, er wird sie erkennen und Dank sagen, er wird Dank sagen und lieben. Die Liebe Gottes ist das Leben und die Ruhe unserer Seele; wenn die Seele durch den Tod sich entfernt, so verlöscht das Leben des Leibes, wenn Gott sich entfernet von der Seele um der Sünden derselben willen, so verlöscht das Leben der Seele. Hinwiederum wohnet Gott durch den Glauben in unsern Herzen Eph. 3,17; durch die Liebe wohnet er in unsrer Seele, denn die Liebe Gottes wird ausgegossen in die Herzen der Auserwählten durch den heiligen Geist Röm. 5,5. Es gibt keine Ruhe für die Seele ohne die Liebe Gottes. Welt und Teufel sind ihre größte Qual; Gott aber ist die höchste Ruhe der Seele. Es gibt keinen Frieden des Gewissens außer bei denen, welche von kindlicher Zuversicht zu Gott erfüllt sind. Darum sterbe in uns die Liebe zu uns, die Liebe zur Welt, die Liebe zu den Geschöpfen, damit in uns die Liebe zu Gott lebe, und die beginne in dieser Welt, damit sie in der zukünftigen vollendet werde!

 

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16. VON DER GEISTLICHEN ERQUICKUNG DER FROMMEN.

 

WAS IST GOTT DER SEELE? DAS LICHT, DAS HEILMITTEL, DIE SPEISE.

 

„Der grundgütige Gott hat ein großes Gastmahl bereitet Luk. 14,16, aber hungrige Herzen müssen zu demselben mitgebracht werden. Die Süßigkeit des himmlischen Gastmahles fasst nicht, wer es nicht schmeckt; es schmeckt’s nicht, wer nicht hungert. An Christum glauben heißt zu dem himmlischen Gastmahle gehen. Niemand aber kann glauben, außer wer seine Sünden anerkennt, in Wahrheit zerknirscht wird und Reue empfindet. Die Zerknirschung ist der Seele geistlicher Hunger, der Glaube ist die geistliche Weide. Den Israeliten gab Gott in der Wüste das Manna, das Brot der Engel 2 Mos. 16,4; in diesem Gastmahle des neuen Bundes schenkt uns Gott das himmlische Manna, nämlich seine Gnade, die Vergebung der Sünden, ja seinen Sohn, den Herrn der Engel. Christus ist jenes wahre himmlische Brot, vom Himmel gekommen, um der Welt das Leben zu geben Joh. 6,51. Wer voll ist von dem Futter der Säue, das ist, von den Ergötzlichkeiten dieser Welt, der verlangt nicht nach jener Süßigkeit. Der äußerliche Mensch fasst nicht, was dem innerlichen süß ist: in der Wüste gibt Gott sein Manna, das ist, wo alle irdische Speise, aller irdische Trost der Seele entzogen ist. Die Weiber haben, mochten nicht kommen Luk. 14,20: keusche Jungfrauen, das ist, Seelen, die weder dem Teufel durch die Sünden, noch der Welt durch die Ergötzlichkeiten anhangen, kommen zu diesem Gastmahle. Ich habe euch eine reine Jungfrau einem Manne vertrauet 2 Kor. 11,2, spricht der Apostel: unsere Seele darf nicht dem geistlichen Ehebruche nachhängen, damit Gott mit ihr den geistlichen Ehebund schließen kann. Die von der Lust, auf den Acker hinaus zu gehen und ihn zu besehen, gefesselt wurden, die verschmäheten es zu kommen Luk. 14,18: die die Freuden dieser Welt lieben, sehnen sich nicht nach himmlischer Süßigkeit. Die Sehnsucht ist der Fuß der Seele: unsere Seele gelangt nicht zu diesem geheimnisvollen Gastmahle, wenn sie sich nicht sehnet; die Seele, die voll ist der Tröstung dieser Welt, kann sich nicht sehnen nach himmlischer Süßigkeit. Als der reiche Jüngling hörete Matth. 19,22, um Christi willen müsse der Reichtum, an dem seine Seele hing, verlassen werden, ging er betrübt weg: der himmlische Elisa 2 Kön. 4,4, Christus gießt das Öl der himmlischen Süßigkeit nicht eher ein, als bis zuvor alle Gefäße leer gemacht sind; die Liebe Gottes ziehet nicht eher ein in die Seele, als bis die Eigenliebe und die Weltliebe herausgehet. Wo unser Schatz ist, da ist auch unser Herz Matth. 6,21: wenn du die Welt zum Schatze hast, so ist dein Herz in der Welt. Die Kraft der Liebe ist eine einigende: wenn du die Erde liebst, so bist du der Erde geeiniget. Die Kraft der Liebe ist eine ändernde: wenn du die Welt liebst, wirst du weltlich gesinnt; wenn du den Himmel liebst, wirst du himmlisch. Die Ochsen kaufen und handeln, kommen nicht zu Christus Luk. 14,19. Die mit ihrem Herzen dem Reichtum anhangen Ps. 62,11, die erwerben keine himmlischen Schätze. Der irdische Reichtum füllet unter dem falschen Scheine der Genüge die Sehnsucht der Seele aus, dass sie die wahre Genüge in Gott, welche die Sehnsucht vollkommen stillt, nicht sucht. Aller irdischer Reichtum bestehet in Geschöpfen: in Silber, Gold, Häusern, Grundstücken, Vieh; aber kein Geschöpf kann unsere Seele in Wahrheit sättigen, weil sie vorzüglicher ist als alle Geschöpfe, denn alle sind zu ihrem Dienst geschaffen. Wie unvermögend die Geschöpfe sind, unser Verlangen zu stillen und zu sättigen, das zeigt sich im Tode, in dem wir von allen Geschöpfen verlassen werden. Es ist zu verwundern, dass wir den Geschöpfen so fest anhängen, da diese so unsicher und unbeständig uns anhängen. Da Adam von dem Troste Gottes sich wegwendete und am Baume der Erkenntnis Gutes und Böses Ergötzung suchte 1 Mos. 3,24, ward er aus dem Paradiese getrieben: wenn unsere Seele von Gott abfällt und zu den Geschöpfen sich wendet, wird sie des himmlischen Trostes beraubt und von dem Baume des Lebens völlig verbannt. Was aber bleibt denen, die dieses Gastmahl verachten? Die Welt vergeht 1 Joh. 2,17, und alle, welche ihr anhangen; die Geschöpfe vergehen und alle, welche ihre Hoffnung auf dieselben setzen. Der himmlische Vater versichert es mit einem Eide, dass die sein Abendmahl nicht schmecken werden, die Ochsen, Äcker, Weiber, das ist, die, wer sie auch immer sind, Irdisches der Süßigkeit des himmlischen Gastmahles vorziehen Luk. 14,24. Nach dem Mahle wird keine Speise weiter bereitet: wenn Christus verachtet wird, so gibt es weiter kein Heilmittel. Die Verächter werden mit ewigem Hunger gestraft werden, und in ewiger Finsternis leben; die nicht haben hören wollen, da Christus rief: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid Matth. 11,28, die werden einmal hören, wenn er gebietet: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer Matth. 25,41. Die Einwohner Sodoms wurden durch Feuer vertilgt, da sie, durch Lots Predigt zu diesem Gastmahle eingeladen, es verschmäheten zu kommen 1 Mos. 19,24: das Feuer des göttlichen Eifers, das nicht aufhört zu brennen, wird die vertilgen, welche, durch das Evangelium eingeladen dieses Gastmahl verachtet haben. Da der Bräutigam kommt, machen die Jungfrauen, deren Lampen kein Öl mehr hatten, Aufenthalt; unterdeß wird die Tür verschlossen Matth. 25,10: die, deren Herzen von dem Öle des heiligen Geistes in dieser Welt nicht erfüllt worden sind, wird der Herr nicht einlassen zu seiner Freude, sondern es wird ihnen die Tür der Vergebung verschlossen werden, die Tür der Erbarmung, die Tür des Trostes, die Tür der Hoffnung, die Tür der Gnade, die Tür der guten Werke. Es gibt noch eine innere Berufung Christi, selig, wer sie hört! Christus klopfet oft an die Tür unsers Herzens mit heiligen Verlangen, mit demütigen Seufzern, mit frommen Gedanken. Selig, wer dem Anklopfenden auftut! Off. Joh. 3,20. Sobald du ein heiliges Verlangen nach der göttlichen Gnade in deinem Herzen verspürst, so halte gewiss dafür, dass Christus an dein Herz klopft; laß ihn eingehen, damit er nicht vorübergehe, damit er die Tür seiner Barmherzigkeit nicht nachher dir selbst verschließe. Sobald du ein Flämmlein frommer Betrachtungen in deinem Herzen verspürst, so sei gewiss, dass es durch den Eifer der göttlichen Liebe, nämlich des heiligen Geistes angezündet ist; hege und nähre die Flamme, damit sie zum Feuer der Liebe anwachse. Hüte dich, dass du nicht den Geist dämpfest und das Werk Gottes hinderst 1 Thess. 5,19. Wer den Tempel des Herrn zerstöret, der wird sein ernstes Gericht erfahren 1 Kor. 3,17. Der Tempel des Herrn ist unser Herz: der zerstört ihn, welcher sich weigert, dem heiligen Geiste, der innerlich uns durchs Wort beruft, Raum zu geben. Unter dem alten Bunde konnten die Propheten den Herrn in ihrem Innern reden hören 2 Petr. 1,21: unter dem neuen Bunde empfinden alle wahrhaft Fromme jene innerlichen Bewegungen und Züge des heiligen Geistes. Selig alle, welche hören und folgen!