Bullinger - Erwählung

 

Heinrich Bullinger

Das Zweite Helvetische Bekenntnis

(Confessio Helvetica Posterior 1566)

 

Bullinger über die Erwählung:

 

X. KAPITEL: DIE GÖTTLICHE VORHERBESTIMMUNG UND DIE ERWÄHLUNG DER HEILIGEN

 

Gott hat von Ewigkeit her ohne jedes Ansehen der Menschen frei und aus lauter Gnade die Heiligen, die er in Christus selig machen will, vorherbestimmt oder erwählt, nach jenem Apostelwort: „Gott hat uns in ihm erwählt vor Grundlegung der Welt“ (Eph. 1,4). Und ferner: „Gott hat uns errettet und mit heiliger Berufung berufen nicht auf Grund unserer Werke, sondern auf Grund seiner eigenen zuvor getroffenen Entscheidung und der Gnade, die uns in Christus Jesus verliehen worden ist vor ewigen Zeiten, jetzt dagegen geoffenbart worden ist durch das Erscheinen unseres Heilandes Christus Jesus“ (2. Tim. 1,9.10). Also hat uns Gott nicht ohne Mittel allerdings nicht wegen irgendeines Verdienstes unsererseits sondern in Christus und um Christi willen erwählt, so dass diejenigen auch die Erwählten sind, die bereits durch den Glauben in Christus eingepflanzt wurden. Verworfen aber sind diejenigen, die außer Christus sind nach dem Apostelwort: „Stellet euch selbst auf die Probe, ob ihr im Glauben seid; prüfet euch selbst! Oder erkennt ihr euch selbst nicht, dass Jesus Christus in euch ist? Ihr müsstet denn unbewährt (verworfen) sein“ (2. Kor. 13,5). Mithin hat Gott die Heiligen in Christus für ein bestimmtes Ziel auserwählt, worauf der Apostel mit den Worten hinweist: „Er hat uns ja in ihm erwählt..., damit wir heilig und untadelig seien vor ihm, indem er in Liebe uns zur Annahme an Sohnesstatt bei sich selbst durch Jesus Christus vorherbestimmt hat nach dem freien Entschluss seines Willens zum Lobe der Herrlichkeit seiner Gnade…“ (Eph 1,4-6). Obwohl nun Gott weiß, wer die Seinen sind und da und dort die geringe Zahl der Erwählten erwähnt wird, muss man doch für alle das Beste hoffen und darf nicht vorschnell jeman-den den Verworfenen beizählen. Paulus schreibt in bestimmten Worten an die Philipper: „Ich danke meinem Gott … für euch alle – er spricht aber von der ganzen Gemeinde in Philippi! – wegen eurer Teilnahme am Evangelium vom ersten Tage an bis jetzt. Ich vertraue dabei darauf, dass der, welcher in euch ein so gutes Werk angefangen hat, es vollenden wird … es ist ja auch recht, dass ich diese Gesinnung für euch alle hege“ (Phil 1,3-7). Und als der Herr nach Lukas 13,23 gefragt wurde, ob nur wenige gerettet würden, antwortet der Herr nicht, dass Wenige oder Viele gerettet oder verworfen werden müssen, sondern er gibt vielmehr die Ermahnung, es solle jeder danach trachten, durch die enge Pforte einzugehen. Als hätte er gleichsam sagen wollen: es gebührt euch nicht, nach diesen Dingen so neugierig zu forschen, sondern bemüht euch, auf dem schmalen Weg in den Himmel einzugehen. Daher können wir die gottlosen Reden gewisser Leute nicht billigen, die da sagen: „Wenige sind auserwählt, und da es nicht sicher ist, ob ich in jener Zahl der Auserwählten sei, will ich mir den Lebensgenuss nicht verkümmern.“ Andere sagen: „Wenn ich von Gott vorher-bestimmt und erwählt bin, wird mich an der bereits sicher bestimmten Seligkeit nichts hindern, was ich auch immer verüben mag. Gehöre ich aber zu der Zahl der Verworfenen, so hilft mir kein Glaube und keine Buße, da der Ratschluss Gottes unabänderlich ist. Deshalb sind auch alle Belehrungen und Ermahnungen nutzlos.“ Denn gegen solche Leute ist jenes Apostelwort gerichtet: „Ein Knecht des Herrn ... sei geschickt zum Lehren, willig, Böses zu ertragen, mit Sanftmut die Widerspenstigen zurechtweisend, ob ihnen etwa Gott Sinnesänderung verleihe zur Erkenntnis der Wahrheit und sie wieder zur Besinnung kommen aus der Schlinge des Teufels heraus, nachdem sie von ihm gefangen worden sind für seinen Willen“ (2. Tim. 2,24-26). Aber auch Augustin zeigt im 14. und den folgenden Kapiteln des Buches über „Das Gut der Beharrlichkeit“, dass beides gepredigt werden muss: die freie Gnadenwahl und Vorherbestimmung und die heilsamen Ermahnungen und Belehrungen. Wir missbilligen deshalb das Verhalten jener Menschen, die außerhalb des Glaubens an Christus Antwort suchen auf die Frage, ob sie von Ewigkeit her erwählt seien und was Gott vor aller Zeit über sie selbst beschlossen habe. Man muss eben die Predigt des Evangeliums hören und ihr glauben und darf nicht daran zweifeln: wenn du glaubst und in Christus bist, so bist du erwählt. Denn der Vater hat uns seinen ewigen Ratschluss der Vorherbestimmung in Christus offenbart, wie ich bereits mit dem Apostelwort 2. Tim. 1,9f erläutert habe. Man muss also vor allen Dingen lehren und beherzigen, welch große Liebe des Vaters gegen uns in Christus uns offenbart worden sei; man muss darauf hören, was der Herr selbst uns täglich im Evangelium predigt, indem er ruft und sagt: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch Ruhe geben“ (Mt. 11,28). „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh. 3,16). Ferner: Es ist nicht der Wille eures Vaters in den Himmeln, dass eines dieser Kleinen verloren gehe“ (Mt. 18,14). Daher sei Christus der Spiegel, in dem wir unsere Vorherbestimmung betrachten. Wir werden ein genügend deutliches und festes Zeugnis haben, dass wir im Buche des Lebens aufgeschrieben sind, wenn wir Gemeinschaft mit Christus haben und er im wahren Glauben unser ist, wir aber sein sind. Da nun kaum eine andere Anfechtung gefährlicher ist als die An-fechtung wegen der Vorherbestimmung, so möge uns trösten, dass die Ver-heißungen Gottes allen Gläubigen gelten, weil er selbst sagt: „Bittet, so wird euch gegeben ..., denn jeder, der bittet, empfängt“ (Luk. 11,9.10). Endlich, dass wir mit der ganzen Kirche bitten: „Unser Vater, der du bist in den Himmeln“, und dass wir durch die Taufe dem Leibe Christi eingepflanzt sind und wir in der Kirche oft mit seinem Fleisch und Blut gespiesen werden zum ewigen Leben. Also gestärkt sollen wir nach der Anweisung des Paulus unser Heil mit Furcht und Zittern schaffen (Phil. 2,12).