Luther - natürliche Gotteserkenntnis

 

Gotteserkenntnis aus Natur und Vernunft

 

(Martin Luther, Der Prophet Jona ausgelegt 1526, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Bd. 14, Sp. 857-861 / zu Jona 1,5, über die Leute im Schiff während des Sturms, Rechtschreibung angepasst)

 

V. 5.

Und die Leute furchten sich, und schrieen ein jeglicher zu seinem Gott. 

 

Hier siehst du, dass wahr ist, das St. Paulus Röm. 1,19. spricht, wie Gott bekannt sei bei allen Heiden, das ist, alle Welt weiß von der Gottheit zu sagen, und natürliche Vernunft kennt, dass die Gottheit etwas Großes sei vor allen andern Dingen. Das beweiset sich daraus, dass die hier Gott anrufen, die doch Heiden waren. Denn wo sie nichts von Gott oder der Gottheit gewusst hätten, wie wollten sie denn haben angerufen, und zu ihm geschrien? 

Wiewohl sie nun nicht recht glauben an Gott, so haben sie doch solchen Sinn und Meinung, Gott sei ein solch Wesen, der da helfen könne im Meer und in allen Nöten. Solch Licht und Verstand ist in aller Menschen Herzen, und lässt sich nicht dämpfen noch löschen. Es sind wohl etliche gewesen, als, die Epicurer, Plinius und dergleichen, die es mit dem Munde leugnen, aber sie tun es mit Gewalt, und wollen das Licht in ihrem Herzen dämpfen; tun wie die, so mit Ge-walt die Ohren zustopfen, oder die Augen zuhalten, dass sie nicht sehen noch hören. Aber es hilft sie nicht, ihr Gewissen sagt ihnen anders. Denn Paulus lügt nicht, dass Gott hab's ihnen offenbart, dass sie von Gott etwas wissen. 

So lasset uns hier auch aus der Natur und Vernunft lernen, was von Gott zu halten sei. Denn so halten diese Leute von Gott, dass er sei ein solcher, der von allem Bösen helfen möge. Daraus folgt weiter, dass natürliche Vernunft bekennen muss, dass alles Gutes von Gott komme. Denn wer aus allem Bösen und Un-glück helfen kann, der kann auch alles Gute und Glück geben. So weit reicht das natürliche Licht der Vernunft, dass sie Gott für einen gütigen, gnädigen, barm-herzigen, milden achtet. Das ist ein groß Licht. 

Aber es fehlt noch an zwei großen Stücken. Das erste: Sie glaubt wohl, dass Gott solches vermöge und wisse zu tun, zu helfen und zu geben; aber dass er wolle oder willig sei, solches an ihr auch zu tun, das kann sie nicht; darum bleibt sie nicht fest auf ihrem Sinn. Denn die Macht glaubt sie und kennt sie, aber am Willen zweifelt sie, weil sie das Widerspiel fühlt im Unfall. Das siehst du hier wohl. Denn die Leute rufen wohl zu Gott, damit sie bekennen, dass er helfen möge, wenn er wollte; glauben auch, dass er andern helfen wolle. Da lassen sie es bleiben, höher können sie nicht kommen. Denn sie versuchen ja alle ihre Macht, tun ihr Bestes und Höchstes. Hier kann der freie Wille nicht mehr. Aber sie glauben nicht, dass er helfen wolle. Denn wo sie das glaubten, so täten sie so nicht: sie würden nicht das Geräte und die Ware aus dem Schiff werfen; würden auch nicht zu Jona laufen, und heißen seinen Gott anrufen, sondern stille sein und Gottes Hilfe harren. Item, so wäre auch das Meer still worden, um ihres Glaubens willen. Nun ist aber vonnöten solcher Glaube, der nicht zweifele, Gott wolle nicht andern allein, sondern auch mir gnädig sein. Das ist ein rechter, lebendiger Glaube, und eine große, reiche, seltsame Gabe des Heiligen Geistes, wie wir in Jona sehen werden. 

Das andere: dass die Vernunft nicht kann die Gottheit recht austeilen, noch recht zueignen, dem sie allein gebührt. Sie weiß, dass Gott ist, aber wer oder welcher es sei, der da recht Gott heißt, das weiß sie nicht, und geschieht ihr eben, als den Juden geschah, da Christus auf Erden ging, und von dem Täufer Johanne bezeugt war, dass er vorhanden wäre. Da stund ihr Herz also, dass sie wussten, Christus wäre unter ihnen, und ginge unter den Leuten; aber welcher die Person wäre, das wussten sie nicht. Denn dass Jesus von Nazareth wäre Christus, konnte niemand gedenken. Also spielt auch die Vernunft der blinden Kuh mit Gott, und tut eitel Fehlgriffe, und schlägt immer nebenhin, dass sie das Gott heißt, das nicht Gott ist; und wiederum, nicht Gott heißt, das Gott ist; welcher sie keines täte, wo sie nicht wüsste, dass Gott wäre, oder wüsste eben, welches oder was Gott wäre. Darum plumpt sie so herein, und gibt den Namen und göttliche Ehre, und heißt Gott, was sie dünkt, das Gott sei, und trifft also nimmer-mehr den rechten Gott, sondern allewege den Teufel oder ihren eigenen Dünkel, den der Teufel regiert. Darum ist es gar ein großer Unterschied, wissen, dass ein Gott ist, und wissen, was oder wer Gott ist. Das erste weiß die Natur, und ist in allen Herzen geschrieben, das andere lehrt allein der Heilige Geist. (…..)

Also siehst du hier auch, dass diese Leute im Schiffe alle von Gott wissen; sie haben aber keinen gewissen Gott. Denn ein jeglicher (spricht er) rief seinen Gott an, das ist, seinen Dünkel, oder das, das er für Gott hielt in seinem Sinn; darum fehlen sie alle des einigen rechten Gottes, und haben eitel Abgötter unter Gottes Namen und Ehre. Derhalben auch ihr Glaube nicht recht, sondern ein Aber-glaube und Abgötterei war, der sie auch nichts half. Denn ihr Gott lässt sie sinken in der Not und umsonst rufen, dass sie so gar verzweifeln, und nicht wissen, wo sie einen Gott finden sollen, der ihnen helfe. Und laufen hinab zu Jona, den wecken sie auf, und heißen ihn seinen Gott anrufen, ob irgend ein anderer Gott wäre, denn ihr Gott, der helfen wolle.