Luther - allgemeines Priestertum

 

Geistliches Amt und allgemeines Priestertum

 

(Martin Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Bd. 10, Sp. 270-273, Rechtschreibung angepasst)

 

Man hat’s erfunden, dass Papst, Bischöfe, Priester, Klostervolk wird der geistliche Stand genannt; Fürsten, Herren, Handwerks- und Ackersleute der weltliche Stand, welches gar ein fein Comment und Gleißen ist. Doch soll niemand darob schüchtern werden. Und das aus dem Grund: denn alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied, denn des Amts halben allein, wie Paulus 1 Kor. 12,12.ff. sagt, dass wir allesamt Ein Körper sind, doch ein jeglich Glied sein eigen Werk hat, damit es dem andern dienet. Das macht alles, dass wir Eine Taufe, Ein Evangelium, Einen Glauben haben und sind gleiche Christen, Eph. 4,5., denn die Taufe, Evangelium und Glaube, die machen allein geistlich und Christenvolk.

Dass aber der Papst oder Bischof salbet, Platten macht, ordinieret, weihet, anders denn Laien kleidet, mag einen Gleißner und Ölgötzen machen, macht aber nimmermehr einen Christen oder geistlichen Menschen. Demnach so werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweihet; wie St. Peter, 1 Petr. 2,9., sagt: „Ihr seid ein königlich Priestertum und ein priesterlich Königreich“, und Offenb. 5,10.: „Du hast uns gemacht durch dein Blut zu Priestern und Königen.“ Denn wo nicht eine höhere Weihe in uns wäre, denn der Papst oder Bischof gibt, so würde nimmermehr durch des Papsts und Bischofs Weihe ein Priester ge-macht, vermöchte auch weder Messe halten, noch predigen, noch absolvieren. Darum ist des Bischofs Weihe nichts anders, denn als wenn er an Statt und Person der ganzen Versammlung einen aus dem Haufen nähme, die alle gleiche Gewalt haben, und ihm beföhle, dieselbe Gewalt für die andern auszurichten; gleich als wenn zehn Brüder, Königs-Kinder, gleiche Erben, Einen erwähleten, das Erbe für sie zu regieren; sie wären je alle Könige und gleicher Gewalt, und doch einem zu regieren befohlen wird.

Und dass ich’s noch klarer sage, wenn ein Häuflein frommer Christenlaien würden gefangen und in eine Wüstenei gesetzt, die nicht bei sich hätten einen geweiheten Priester von einem Bischof, und würden allda der Sachen eins, erwähleten einen unter ihnen, er wäre ehelich oder nicht, und beföhlen ihm das Amt zu taufen, Messe halten, absolvieren und predigen, der wäre wahrhaftig ein Priester, als ob ihn alle Bischöfe und Päpste hätten geweihet. Daher kommt’s, dass in der Not ein jeglicher taufen und absolvieren kann; das nicht möglich wäre, wenn wir nicht alle Priester wären. Solche große Gnade und Gewalt der Taufe und des christlichen Standes haben sie uns durch’s geistliche Recht fast niedergelegt und unbekannt gemacht. Auf diese Weise erwählten vor Zeiten die Christen aus dem Haufen ihre Bischöfe und Priester, die darnach von andern Bischöfen wurden bestätigt ohne alles Prangen, das jetzt regieret. So ward St. Augustinus, Ambrosius, Cyprianus Bischof.

Dieweil denn nun die weltliche Gewalt ist gleich mit uns getauft, hat denselben Glauben und Evangelium, müssen wir sie lassen Priester und Bischöfe sein und ihr Amt zählen als ein Amt, das da gehöre und nützlich sei der christlichen Ge-meinde. Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon Priester, Bischof und Papst geweihet sei, ob nun wohl nicht einem jegli-chen ziemet, solch Amt zu üben. Denn wenn wir alle gleich Priester sind, muss sich niemand selbst hervortun, noch sich unterwinden, ohne unser Bewilligen und Erwählen das zu tun, deß wir alle gleiche Gewalt haben. Denn was gemeinsam ist, mag niemand ohne der Gemeinde Willen und Befehl an sich nehmen. Und wo es geschähe, dass jemand erwählet zu solchem Amt und durch seinen Miss-brauch würde abgesetzt, so wäre er gleich wie vorher. Darum sollte ein Priester-stand nicht anders sein in der Christenheit, denn als ein Amtmann; weil er am Amt ist, gehet er vor, wo er aber abgesetzt, ist er ein Bauer oder Bürger, wie die andern: also wahrhaftig ist ein Priester nimmer Priester, wo er abgesetzt wird. Aber nun haben sie erdichtet characteres indelebiles (d. i. unauslöschliche Merkmale), und schwätzen, dass ein abgesetzter Priester dennoch etwas anderes sei, denn ein schlechter Laie; ja, sie träumen, es möge ein Priester nimmermehr anders denn Priester oder ein Laie werden. Das sind alles Men-schen erdichtete Reden und Gesetze.

So folget aus diesem, dass Laien, Priester, Fürsten, Bischöfe und, wie sie sagen, Geistliche und Weltliche, keinen andern Unterschied im Grunde wahrlich haben, denn des Amts oder Werks halben und nicht des Standes halben. Denn sie sind alle geistliches Standes, wahrhaftige Priester, Bischöfe und Päpste, aber nicht gleich einerlei Werks; gleichwie auch unter den Priestern und Mönchen nicht einerlei Werk ein jeglicher hat. Und das ist St. Paul, Röm. 12,4.ff. und 1 Kor. 12,12.ff., und Petrus, 1 Petr. 2,9., wie ich droben gesagt, dass wir alle Ein Körper sind des Hauptes Jesu Christi, ein jeglicher des andern Gliedmaß. Christus hat nicht zwei noch zweierlei Art Körper, einen weltlich, den andern geistlich. Ein Haupt ist und Einen Körper hat er.

Gleichwie nun die, so man jetzt geistlich heißt oder Priester, Bischöfe oder Päpste sind, von den andern Christen nicht weiter noch würdiger geschieden, denn dass sie das Wort Gottes und die Sakramente sollen handeln, das ist ihr Werk und Amt: also hat die weltliche Obrigkeit das Schwert und die Rute in der Hand, die Bösen damit zu strafen, die Frommen zu schützen. Ein Schuster, ein Schmied, ein Bauer, ein jeglicher seines Handwerks Amt und Werk hat, und doch alle gleich geweihete Priester und Bischöfe; und ein jeglicher soll mit seinem Amt oder Werk dem andern nützlich und dienstlich sein, dass also vielerlei Werke alle in Eine Gemeinde gerichtet sind, Leib und Seele zu fördern, gleichwie die Glied-maßen des Körpers alle eines dem andern dienet.