Luther - Gottes Allgegenwart

 

Gottes Allgegenwart

 

(Martin Luther: Dass diese Worte Christi (das ist mein Leib etc.) noch fest stehen wider die Schwarmgeister, 1527, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Band 20, Sp. 804-806, Rechtschreibung angepasst)

 

Die Schrift aber lehrt uns, dass Gottes rechte Hand nicht sei ein sonderlicher Ort, da ein Leib solle oder möge sein, als auf einem güldenen Stuhl; sondern sei die allmächtige Gewalt Gottes, welche zugleich nirgend sein kann, und doch an allen Orten sein muss. Nirgend kann sie an einigem Ort sein (spreche ich); denn wo sie irgend an etlichem Ort wäre, müsste sie daselbst begreiflich und beschlossen sein, wie alle dasjenige, so an Einem Ort ist, muss an demselbigen Ort be-schlossen und abgemessen sein, also dass es dieweil an keinem andern Ort sein kann. Die göttliche Gewalt aber mag und kann nicht also beschlossen und abge-messen sein. Denn sie ist unbegreiflich und unmesslich, außer und über alles, das da ist und sein kann. 

Wiederum muss sie an allen Orten wesentlich und gegenwärtig sein, auch in dem geringsten Baumblatt. Ursach ist die: denn Gott ist's, der alle Dinge schafft, wirkt und erhält, durch seine allmächtige Gewalt und rechte Hand, wie unser Glaube bekennt; denn er schickt keine Amtleute oder Engel aus, wenn er etwas schafft oder erhält, sondern solches alles ist seiner göttlichen Gewalt selbst eigen Werk. Soll er's aber schaffen und erhalten, so muss er daselbst sein, und seine Kreatur so wohl im Allerinnwendigsten als im Allerauswendigsten machen und erhalten. 

Darum muss er ja in einer jeglichen Kreatur in ihrem Allerinwendigsten, Aus-wendigsten, um und um, durch und durch, unten und oben, vorn und hinten selbst da sein, dass nichts Gegenwärtigers noch Innerlichers sein kann in allen Kreaturen, denn Gott selbst mit seiner Gewalt. Denn er ist's, der die Haut macht; er ist's, der auch die Gebeine macht; er ist's, der die Haar auf der Haut macht; er ist's auch, der das Mark in den Gebeinen macht; er ist's, der ein jeglich Stücklein am Haar macht; er ist's, der ein jeglich Stücklein am Mark macht; er muss ja alles machen, beide, Stücke und Ganzes: so muss ja seine Hand da sein, die es mache, das kann nicht fehlen. 

Hieher geht nun die Schrift gewaltiglich Jes. 66,2. aus 1 Mos. 1.: „Hat nicht dies alles meine Hand gemacht?“ Ps 139,8.9.: „Wo will ich hin vor deinem Geist? Wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? Fahr ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mir in die Hölle, so bist du auch um mich. Nähme ich Flügel der Mor-genröte (das sind doch ja große Flügel als die halbe Welt) und setzte mich an des Meeres Ende, so würde mich doch deine Hand daselbst halten.“ 

Was soll ich viel sagen? die Schrift gibt alle Wunder und Werke Gottes seiner rechten Hand, als Apost. 4,10.: „Christus ist durch die rechte Hand Gottes er-höhet“; Psalm 118,15.16.: „Die rechte Hand Gottes tut Wunder, die rechte Hand Gottes erhöhet mich“ etc. Und Apost. 17,27.28. spricht Paulus: „Gott ist nicht ferne von unser einem jeglichen; denn in ihm leben, schweben und sind wir“, und Röm. 11,36.: „Aus ihm, durch ihn, und in ihm sind alle Dinge“; und Jer. 23,23.24.: „Bin ich nicht ein Gott, der nahe ist, und nicht ein Gott, der ferne ist? Erfülle ich nicht Himmel und Erden?“ 

Jes. 66,1.: „Der Himmel ist mein Stuhl und die Erde meine Fußbank.“ Er spricht nicht: Ein Stück des Himmels ist mein Stuhl, ein Stück oder Ort der Erden ist meine Fußbank; sondern, was und wo Himmel ist, da ist mein Stuhl, es sei der Himmel unten, oben, oder neben der Erde; und was oder wo Erde ist, es sei auf dem Boden des Meers, im Grabe der Toten, oder im Mittel der Erden, da ist meine Fußbank. Nun rate, wo ist noch sein Haupt, Arm, Brust, Leib, so er mit den Füßen die Erde, mit den Beinen den Himmel füllt? Weit, weit reicht er über und außer der Welt, über Himmel und Erden. 

Was kann oder will nun Jesaias mit diesem Spruch? Denn wie St. Hilarius auch hierüber spricht, dass Gott sei wesentlich gegenwärtig an allen Enden, in und durch alle Kreatur in alle ihren Stücken und Orten, dass also die Welt Gottes voll ist, und er sie alle füllt, aber doch nicht von ihr beschlossen oder umfangen ist, sondern auch zugleich außer und über alle Kreatur ist? Dies sind alles gar über alle Maß unbegreifliche Dinge, aber doch sind es Artikel unseres Glaubens, hell und mächtiglich in der Schrift bezeugt. Es ist geringe gegen diesem Stück, dass Christi Leib und Blut zugleich im Himmel und Abendmahl ist, und wenn die Schwärmer begännen mit der Vernunft und Augen hieher zu kommen, sollten sie bald dahin fallen und sagen: Es wäre nichts, und, wie der Gottlosen Tugend ist, zu sagen: „Es ist kein Gott“, Ps. 14,1. 

Denn, wie kann doch die Vernunft leiden, dass die göttliche Majestät so klein sei, dass sie in einem Körnlein, an einem Körnlein, über einem Körnlein, durch ein Körnlein, inwendig und auswendig, gegenwärtig und wesentlich sei? Und ob's wohl eine einige Majestät ist, dennoch ganz und gar in einem jeglichen beson-dern, der so unzählig viel sind, sein kann. Denn er macht ja ein jeglich Körnlein besonders in allen Stücken, inwendig und allenthalben; so muss ja seine Gewalt daselbst allenthalben in und an dem Körnlein sein. Nun aber seine Gewalt einig und einerlei ist, und nicht sich teilt, dass er die Haut am Körnlein mit den Fingern und das Mark im Körnlein mit den Füßen machte: so muss die ganze göttliche Gewalt da sein, in und an den Körnlein allenthalben; denn er macht's alles all-eine. Wiederum, dass auch dieselbe Majestät so groß ist, dass sie weder diese Welt noch eitel tausend Welt mag umfahen und sagen: Siehe, da ist er.