Calvin (Institutio) - Gnadenwahl

 

VON DER GNADENWAHL. 

 

Die Gnadenwahl besteht darin, dass Gott aus dem verderbten und fluchwürdigen Menschengeschlechte diejenigen, welche er will, nicht um ihrer Werke willen, sondern aus bloßer Barmherzigkeit zur Seligkeit erwählet. Also auch zu dieser Zeit, spricht Paulus, werden selig die Überbleibenden nach der Wahl der Gnaden. Ists aber aus Gnade, so ist's nicht aus Verdienst der Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein. Ist's aber aus Verdienst der Werke, so ist die Gnade nichts, sonst wäre Verdienst nicht Verdienst (Röm. 11,5.). Er bezeugt ausdrücklich, dass, wenn die Seligkeit des überbleibenden Volkes der Gnadenwahl zugeschrieben wird, alsdann recht erkannt werde, dass Gott seine Erwählten aus lauter Güte selig mache, und dass von keinem verdienten Lohn die Rede sein könne. Ohne Anerkenntnis dieses Grundsatzes wird also der Ehre Gottes großer Abbruch getan, und der wahren Demut vieles entzogen. Auch müssen diejenigen stets zaghaft und elend sein, welche nicht wissen, ob sie Gottes Eigentum sind. Dagegen gibt dies den Gläubigen bei allen sie umschwebenden Gefahren eine große Zuversicht und Freudigkeit, dass Christus verheißt, es werde unverloren bleiben. Alles, was er vom Vater zu bewahren empfangen hat (Joh. 10,15.). Paulus sagt (Eph. 1,4. 2 Tim. 1,9.): „Gott hat uns erwählet durch Christum, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir sollten sein heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe; und hat uns verordnet zur Kindschaft gegen ihn selbst, durch Jesum Christum nach dem Wohlgefallen seines Willens zum Lobe seiner herrlichen Gnade, durch welche er uns angenehm gemacht hat in dem Geliebten“. Desgleichen: „er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns gegeben ist in Christo Jesu vor der Zeit der Welt“. Mit diesen Worten wird alles Ansehen eigner Werke aufgehoben und angezeigt, dass, weil Gott in dem Menschengeschlechte nichts gefunden hätte, das der Gnadenwahl würdig gewesen, er nach seinem Vorsatz und gnädigen Wohlgefallen vor Erschaffung der Welt uns in Christo zur Gemeinschaft des ewigen Lebens angenommen habe; und dass, weil er uns erwählt habe dass wir sollten heilig sein, wir nicht darum erwählt seien, weil Gott nur voraussah, dass wir heilig sein würden: sondern dass vielmehr alles, was Gutes und Tugendhaftes am Menschen ist, eine Frucht der gnädigen Erwählung Gottes sei. Der Herr sagt (Röm. 9,15.): Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Hier bezeugt er ja aufs deutlichste: er finde in den Menschen keine Ursache, die ihn bewege, ihnen zu helfen, sondern er nehme sie allein von seiner Erbarmung, und es sei also die Seligkeit der Seinigen sein eigenes Werk! Weil nun Gott deine Seligkeit bei sich selbst gründet, wie kommst du denn auf dich? Wenn er dir allein seine Barmherzigkeit zeigt, warum gehst du auf eigenes Verdienst? Wenn er deine Gedanken an seine alleinige Erbarmung bindet, warum willst du zum Teil auf deine Werke sehen? Unser Heiland sagt (Joh. 6,37.): Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir, und wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen. Das ist der Wille des Vaters, dass ich nichts verliere von dem, was er mir gegeben hat. Hier siehst du, dass die Auserwählten eher des Vaters sind, bevor sie dem eingebornen Sohne einverleibt werden, und dass es aus einem freien Geschenk des Vaters herfließt, dass wir zum Glauben und in die Pflege Christi kommen, und dass zugleich fester als der Himmel bestehen werde Gottes Rat und ewige Wahl. 

 

VOM GEBRAUCH DER LEHRE VON DER GNADENWAHL. 

 

Es ist keine Anfechtung, wodurch der Satan die Gläubigen mehr verfolgt, als wenn er sie mit Zweifeln über ihre Erwählung beunruhigt, und dabei zu verkehrtem Vorwitz reizet, dieselbe neben dem Wege zu erforschen, d. h. in die geheimnisvollen Tiefen der göttlichen Weisheit dringen zu wollen, um zu wissen, was Gottes heimlicher Ratschluss über sie bestimmt habe; so, dass sie dann in solchem tiefen Abgrund untergehen müssen. Denn es ist selten Einer dessen Herz nicht etwa mit diesen Gedanken gequälet würde: Woher kommt dir deine Seligkeit, als nur aus Gottes Erwählung? Wer will dir aber sagen, ob du erwählt seist? Und, wenn dieser Gedanke bei Jemand überhand nimmt, so wird er von demselben recht geplagt, bestürzt und kleinmütig: dies ist aber das aller-schädlichste Gift für das Herz, wenn der Friede des Gewissens und die Ruhe bei Gott ihm geraubt wird. Dagegen empfinden diejenigen, welche der Sache recht und ordentlich nach dem Inhalt des göttlichen Worts nachgehen, daraus einen herrlichen Trost. Wir müssen hier aber mit Gottes Berufung anfangen, und mit derselben auch beschließen: indem uns Gott durch den Beruf als durch ein Kennzeichen will versichern, so viel als uns von seinem Rat zu wissen dienlich ist. Erstlich müssen wir nun, wenn wir Gottes väterliches Herz suchen, unsere Augen wenden auf Christum, an welchem allein der Vater ein herzliches Wohlgefallen hat. Wollen wir die Seligkeit, das Leben und des ewigen Reiches Unsterblichkeit haben, so müssen wir uns gleichfalls nirgend anderswo hinwenden; denn er allein ist der Born des Lebens, der Anker des Heils und der Erbe des Himmelreiches. Worauf geht nun aber die Erwählung, als dass wir von dem himmlischen Vater an Kindesstatt angenommen sind, und durch seine Huld die Seligkeit und Unsterblichkeit erlangen. Gott hat die, welche er zu Kindern angenommen hat, nicht in ihnen selbst, sondern in seinem Sohne Christo erwählt (Eph. 1,4.), indem er sie allein in ihm hat lieben und sie nicht eher zur Erbschaft seines Reiches zulassen können, bis er zuvor sie zu Mitgenossen desselben gemacht hatte. Christus ist also der Spiegel, worin wir unsere Erwählung erblicken sollen und sicher dürfen. Denn weil der Vater die Seligwerdenden ihm einzuverleiben beschlossen hat, so, dass er so viele als er für Glieder seines Sohnes erkennet, auch als Kinder ansieht, so haben wir daran ein augen-scheinliches und starkes Zeugnis, dass wir im Buche des Lebens angeschrieben stehen, wenn wir mit Christo Gemeinschaft haben. Nun hat er uns aber solche Gemeinschaft mit ihm geschenkt, indem er durch die Predigt des Evangeliums bezeugt hat, er sei uns vom Vater gegeben, damit er samt allen seinen Gütern unser sei. Es wird gesagt, dass wir ihn anziehen, in ihm wachsen, auf dass wir leben, indem er lebt; ferner, dass der Vater seines eingebornen Sohnes nicht verschonet habe, damit ein jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren werde, und dass, wer an ihn glaube, vom Tode zum Leben hindurchgedrungen sei. Er nennt sich darum auch das Brot des Lebens; wenn Jemand von demselben esse, so werde er ewig nicht sterben (Röm.8,32. Joh. 3,15. 5,24. 6,35.). Welche ferner Christus mit der Erkenntnis seines Namens erleuchtet, und also in den Schoß seiner Kirche aufnimmt: von denen heißt es (Joh. 6,37.39. 17,6.12.), dass er sie auch aufnehme in seinen Schutz und Schirm; welche er aber auf diese Weise annimmt, von denen wird gesagt, dass sie ihn vom Vater anvertraut und anbefohlen sind, damit sie zum ewigen Leben bewahrt werden. Wenn wir aber zweifeln, ob wir von Christo in seinen Schutz und Schirm angenommen sind, so begegnet er diesem Zweifel, indem er sich selbst als einen Hirten anbietet, und uns zu seinen Schafen zählt, wenn wir seine Stimme hören (Joh. 10,3.). So lasset uns denn Christum, welcher uns so freundlich entgegen kommt, umfassen; er aber wird uns in seine Herde annehmen, und uns unversehrt bewahren. Zwar macht uns die Angst vor dem künftigen Stand viel zu schaffen: denn Beruf und Glauben nützen wenig, wenn nicht die Beharrung dazu kommt. Christus aber hat uns von dieser Angst entledigt; denn er spricht (Joh. 6,37.40. 10,27.): „Alles was mir mein Vater gibt, kommt zu mir, und wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen“. Desgleichen: „das ist der Wille des Vaters der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, das er mir gegeben hat“. Desgleichen: „meine Schafe hören meine Stimme und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als Alles und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen“. Auf alle Erwählte geht es, wenn Paulus (Röm. 8,38.) die Gnade der Beharrung rühmt, nach welcher keine Kreatur ihn scheiden wird von der Liebe Gottes in Christo. Anderswo sagt derselbe Apostel: „welcher in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen bis auf den Tag Jesu Christi“ (Phil. 1,6.). Auch ist kein Zweifel, dass, da Christus für alle Erwählte bittet, er dasselbe für sie erfleht, wie für den Petrus, dass ihr Glaube nimmer aufhöre (Luk. 22,32.). Sie sind also vor der Gefahr des Abfalls gesichert, weil der für die Standhaftigkeit ihrer Gottseligkeit bittende Sohn Gottes keine Fehlbitte getan hat. Was hat uns Christus hiemit anders lehren wollen, als, dass wir sollen vertrauen, dass wir beständig sollen selig bleiben, weil wir einmal die Seinigen geworden sind? Zwar ereignet es sich täglich, dass solche, welche Christo anzugehören schienen, wieder von ihm abfallen, und dahinstürzen; aber diese haben noch nimmer Christo angehangen – mit jenem herzlichen Vertrauen, womit uns die Gewissheit unserer Erwählung bekräftiget wird. Sie sind von uns ausgegangen, sagt Johannes, aber sie waren nicht aus uns; denn wären sie aus uns gewesen, so wären sie ja bei uns geblieben (1 Joh. 2,19.). 

 

VON DEM MISSBRAUCH DER LEHRE VON DER GNADENWAHL. 

 

Die Schrift predigt uns nicht darum von der Gnadenwahl, dass wir frech werden, und die verborgenen Geheimnisse Gottes freventlich ergrübeln, sondern dass wir vielmehr demütig und niedrig bei seinem Gericht erzittern, und seine Barm-herzigkeit hochachten lernen sollen. Es gibt einige Säue, welche sich in dem Kot ihrer Laster unter dem Vorwande beständig herumwälzen, dass, wenn sie zu den Erwählten gehörten, ihre Laster nichts hindern könnten, dass sie nicht endlich zum Leben gelangten. Was lehret uns aber Paulus? dass wir zu diesem Endzweck erwählt sind, damit wir ein heiliges und unsträfliches Leben führen (Eph. 1,4.). Wenn also die Heiligung des Lebens das Ziel der Erwählung ist, so soll uns dieselbe erwecken und anspornen, ihr wacker nachzujagen: nicht aber die Trägheit beschönigen. Dass aber derjenige, der nicht zu den Erwählten gehöre, sich vergeblich bemühe, wenn er gleich mit heiligem und frommen Wandel Gott zu gefallen trachte: dies ist schändlich erlogen. Denn woraus könnte ein solches Streben entstehen, als nur aus der Erwählung? Dagegen hören die Verworfenen nicht auf, mit unaufhörlichen Lastern Gottes Zorn gegen sich zu reizen, und durch offenbare Zeichen zu bestätigen, dass Gottes Urteil schon über sie gefällt ist. Es heißt ja ausdrücklich (1 Thess. 4,7.), dass wir nicht berufen sind zur Unreinigkeit, sondern, dass ein Jeder sein Gefäß in Ehren besitze. Desgleichen, dass wir Gottes Werk sind, geschaffen zu guten Werken, welche er bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen. Christus befiehlt, dass man an ihn glaube; diesem Gebot ist jedoch der andere Spruch nicht zuwider (Joh. 6,61. Eph. 2,10.): Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn von meinem Vater gegeben. Deshalb soll seinen Fortgang haben das Predigen, welches die Menschen zum Glauben bringe, und durch tägliches Wachstum in der Standhaftigkeit erhalte. Nichts destoweniger aber soll man auch die Erkenntnis von der Gnadenwahl aufrecht erhalten, damit die Gläubigen nicht als von dem ihrigen prangen, sondern sich allein im Herrn rühmen. Nicht ohne Ursache sagt Christus (Matth. 13,9.): Wer Ohren hat zu hören, der höre. Wenn wir also ermahnen und predigen, so gehorchen diejenigen gerne, welche Ohren haben. Denn es werden keine Menschen durch Bestrafungen gebessert, wenn nicht der Herr, der auch die Seinigen ohne dieselben zur Besserung bringen kann, sein Erbarmen erweiset, und Hand anlegt. Wenn die Menschen durch die Predigt des göttlichen Worts auf den Weg der Gerechtigkeit kommen, wer wirkt da in ihren Herzen die Seligkeit, als nur, der das Gedeihen gibt, es pflanze oder begieße gleich, wer da wolle. Weil wir aber nicht wissen, wer zu der Zahl der Erwählten gehört, so sollen wir so gesinnet sein, dass wir wünschen, Alle möchten selig werden; dann werden wir uns bemühen, einen Jeden, der uns vorkommt, zum Genossen des Friedens zu machen. Unser Friede aber wird auf den Kindern des Friedens bleiben.