Bullinger - Gebet

 

Heinrich Bullinger

Das Zweite Helvetische Bekenntnis

(Confessio Helvetica Posterior 1566)

 

Bullinger über das Gebet:

 

V. KAPITEL: ANBETUNG, VEREHRUNG UND ANRUFUNG GOTTES DURCH DEN EINZIGEN MITTLER JESUS CHRISTUS

 

Wir lehren dass man den wahren Gott allein anbeten und verehren soll. Diese Ehre geben wir keinem andern nach dem Befehl des Herrn: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen“ (Mt. 4,10). Alle Propheten haben das Volk Israel sehr ernstlich getadelt, wenn sie fremde Götter und nicht einzig den wahren Gott allein angebetet und verehrt haben. Und zwar lehren wir, dass man Gott anbeten und verehren müsse, wie er uns selbst gelehrt hat, ihm zu dienen, nämlich im Geist und in der Wahrheit (Joh. 4,23 und 24), nicht auf aber-gläubische Weise, sondern mit Aufrichtigkeit, nach seinem Wort, damit er nicht einst zu uns sagen müsse: Wer hat das von euren Händen gefordert? (Jes. 66,1ff.; Jer. 7,22). Auch Paulus sagt: „Gott lässt sich nicht von Menschenhänden Dienst erweisen, als ob er noch etwas bedürfte, während er selbst allen Leben und Atem und alles gibt“ (Apg. 17,25). Diesen einen Gott rufen wir an in allen Entscheidungen und Wechselfällen unseres Lebens, und zwar durch die Vermittlung unseres einzigen Mittlers und Fürbitters Jesus Christus. Es ist uns ja bestimmt geboten: „Rufe mich an am Tage der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen“ (Ps. 50,15). Unser Herr hat uns aber auch in freund-lichster Weise die Verheißung gegeben: „Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet, so wird er es euch um meines Namens willen geben“ (Joh. 16,23). Ebenso: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch Ruhe geben“ (Mt. 11,28). Und wenn geschrieben steht: „Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht gläubig geworden sind?“ (Röm. 10,14), so glauben wir eben an Gott allein und rufen deshalb auch ihn allein an, und zwar durch Christus. Der Apostel sagt nämlich: „Es ist ein Gott, es ist auch ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus“ (1. Tim. 2,5), und: „Wenn jemand sündigt, haben wir einen Beistand beim Vater, Jesus Christus, den Gerechten“ (1. Joh. 2,1). Darum beten wir nicht die himmlischen oder göttlichen Heiligen an, geben ihnen nicht göttliche Ehre, rufen sie auch nicht an, noch anerkennen wir sie als unsere Fürsprecher und Mittler vor dem Vater im Himmel. Uns genügt Gott und der Mittler Christus, und die Ehre, die wir Gott und seinem Sohne schuldig sind, geben wir niemand anders, weil Gott ausdrücklich gesagt hat: „...ich will meine Ehre keinem andern geben...“ (Jes. 42,8), und weil Petrus sagt: „...es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel für die Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden sollen...“ (Apg. 4,12). Die in diesem Namen durch den Glauben Ruhe gefunden haben, suchen nichts außer Christus. Dabei verachten wir jedoch nicht die göttlichen Heiligen, noch denken wir gering von ihnen. Wir anerkennen, dass sie lebendige Glieder Christi sind, Freunde Gottes, die Fleisch und Welt sieghaft überwunden haben. Wir lieben sie deshalb wie Brüder und ehren sie auch, allerdings nicht im Sinne göttlicher Verehrung, sondern durch ehrenvolle Wertschätzung und rechtes Lob. Ebenso folgen wir ihrem Beispiel. Denn wir wünschen mit inbrünstigem Verlangen und Gebet, als Nachfolger ihres Glaubens und ihrer Tugenden einst ebenso des ewigen Heils teilhaftig zu werden, mit ihnen ewig bei Gott zu wohnen und uns mit ihnen in Christus zu freuen. In diesen Punkten stimmen wir auch dem Satz des heiligen Augustin in seinem Buche über „Die wahre Religion“ zu: „Unser Glaube soll nicht bestehen in der Verehrung von Toten. Wenn sie nämlich fromm gelebt haben, so dürfen wir von ihnen nicht annehmen, dass sie auf derartige Ehren Anspruch erheben, sondern dann wollen sie, dass jener von uns verehrt werde, durch dessen Erleuchtung sie sich freuen, dass wir Genossen ihres Verdienstes sind. Daher sind sie zu ehren, weil sie der Nachahmung wert sind, aber sie sind nicht in religiösem Sinne anzubeten.“ Um so weniger glauben wir, dass man die Überreste der Heiligen anbeten oder verehren dürfe. Jene alten Heiligen – das heißt Christen – glaubten, ihren Toten genügend Ehre angetan zu haben, wenn sie deren Überreste zur Erde bestattet hatten, nachdem ihr Geist gen Himmel entflohen war. Und als allervornehmste Hinterlassenschaft der Vorfahren betrachteten sie deren Tugenden, Lehre und Glauben. Wie sie diese mit dem Lob der Toten empfahlen, so gaben sie sich schon zu ihren Lebzeiten Mühe, sie selber zu verwirklichen. Jene alten Christen haben auch bloß beim Namen des einen Gottes Jehova geschworen nach der Vorschrift des göttlichen Gesetzes. Denn wie dort verboten ist, im Namen anderer Götter zu schwören (5. Mose 10,20; 2. Mose 23,13), so leisten wir auch keinen bei den Heiligen geforderten Schwur. Wir verwerfen deshalb in allen diesen Punkten jede Lehre, die den himmlischen Heiligen zu viel Ehre antut.