Luther - christliche Freiheit

 

Christliche Freiheit

 

(Martin Luther: Auslegung zu Galater 5,1, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Band 9, Sp. 602-605, Rechtschreibung angepasst)

 

V. 1. So bestehet nun in der Freiheit, damit uns Christus befreiet hat. 

 

Das heißt: Seid fest. So sagt Petrus (1. Ep. 5,8.): „Seid nüchtern und wachet, denn euer Widersacher, der Teufel, gehet umher wie ein brüllender Löwe, und suchet, welchen er verschlinge. Dem widerstehet fest im Glauben.” Er sagt: Seid nicht sicher, sondern fest, lieget nicht oder schlafet, sondern stehet, als ob er sagen wollte: Dazu ist Wachsamkeit und Beständigkeit vonnöten, dass ihr die Freiheit, mit der Christus uns befreiet hat, behaltet; sichere und schnarchende Leute können sie nicht behalten. Denn der Satan hat einen gewaltigen Hass wider das Licht des Evangelii, das heißt, die Lehre von der Gnade, Freiheit, Trost und Leben. Darum, wenn er dieselbe aufgehen sieht, setzt er sich alsbald da-wider mit allen Winden und Stürmen, um sie zu dämpfen. Darum erinnert Paulus, dass die Gottseligen nicht schnarchen noch sicher sein dürfen, sondern wohl-gerüstet, tapfer wider den Satan kämpfen müssen, damit er ihnen die Freiheit nicht nehme, die Christus ihnen erworben hat etc. 

Es liegt aber auf jedem einzelnen Worte ein besonderer Nachdruck. „Bestehet”, sagt er, als ob er sagen wollte: Hier ist Wachsamkeit nötig. „In der Freiheit.” In welcher? Nicht in der Freiheit, durch welche uns der Kaiser, sondern Christus befreit hat. Der Kaiser hat dem römischen Papste die Stadt Rom und andere Länder frei gegeben, desgleichen Freiheit von Diensten (immunitates), Vorrechte (privilegia), Freiheit von Abgaben (indulta) etc. Das ist auch eine Freiheit, aber eine bürgerliche, durch welche der römische Papst mit seinen Geistlichen (cleri-cis) von öffentlichen Bürden frei gemacht ist. 

Darnach ist auch eine Freiheit des Fleisches oder vielmehr des Teufels, durch welche er vornehmlich in der ganzen Welt regiert. Denn diejenigen, welche diese Freiheit haben, die gehorchen weder Gotte noch den Gesetzen, sondern tun, was sie wollen. Dieser Freiheit jagt heutzutage der Pöbel nach, auch die Schwärmgeister jagen ihr nach, welche frei sein wollen in ihren Meinungen und in ihrem Tun (actionibus), dass sie das ungestraft lehren und tun mögen, wovon sie träumen, dass es recht sei. Diese bestehen in der Freiheit, mit welcher der Teufel sie befreit hat. 

Von dieser handeln wir nicht, wiewohl die ganze Welt sie allein sucht und ihr nachjagt. Wir handeln auch nicht von der Freiheit im weltlichen Wesen (politica), sondern von einer anderen, die der Teufel über alle Maßen hasst und anficht. Es ist die, „damit uns Christus befreit hat”, nicht aus irgend einer menschlichen Dienstbarkeit, oder aus der babylonischen oder türkischen Gefangenschaft, sondern von dem ewigen Zorne. Wo? Im Gewissen. Hier bleibt unsere Freiheit stehen und geht nicht weiter. Denn Christus hat uns nicht bürgerlich, nicht fleischlich frei gemacht, sondern theologisch oder geistlich, das heißt, er hat uns so frei gemacht, dass unser Gewissen frei und fröhlich ist, und den künftigen Zorn nicht fürchtet. Dies ist die recht eigentliche und unschätzbare Freiheit, gegen deren Größe und Herrlichkeit die anderen Freiheiten (die weltliche und die fleischliche), wenn sie damit verglichen werden, kaum Ein Tröpflein (stilla) oder Ein Stäublein (guttula) sind. 

Denn wer kann das mit Worten ausreden, ein wie Großes es sei, dass jemand gewiss dafür halten kann, dass Gott weder zornig sei, noch jemals zornig sein werde, sondern dass er in Ewigkeit sein gnädiger und gütiger Vater sein werde um Christi willen? Das ist fürwahr eine große und unbegreifliche Freiheit, dass man diese höchste Majestät für sich habe, dass sie gnädig sei, schütze und helfe, und dass sie uns endlich auch nach dem Leibe so befreien werde, dass unser Leib, der da gesäet wird in Verweslichkeit, in Schmach und in Schwach-heit, wieder auferstehe in Unverweslichkeit, in Herrlichkeit und Kraft. Darum ist es eine unaussprechliche Freiheit, dass wir frei sind von Gottes Zorn in Ewigkeit, die größer ist als Himmel und Erde und alle Kreaturen. 

Aus dieser Freiheit folgt eine andere, in welcher wir durch Christum sicher und frei gemacht werden von dem Gesetze, der Sünde, dem Tode, von der Gewalt des Teufels, der Hölle etc. Denn gleichwie der Zorn Gottes uns nicht schrecken kann, da Christus uns von demselben befreit hat, so können uns das Gesetz, die Sünde etc. nicht anklagen und verdammen; und wenngleich das Gesetz uns beschuldigt, und die Sünde uns schreckt, so können sie uns doch nicht in Ver-zweiflung treiben, weil der Glaube, der die Welt überwindet, alsbald sagt: Jene Dinge gehen mich nichts an, denn Christus hat mich von denselben befreit. So liegt auch der Tod, der gewaltigste und erschrecklichste (Tyrann) in der ganzen Welt, als ein Besiegter darnieder im Gewissen, durch diese Freiheit des Geistes. 

Darum muss man diese Majestät der christlichen Freiheit sorgfältig betrachten und erwägen. Es ist zwar leicht, diese Worte zu sprechen: Freiheit von Gottes Zorn, vom Gesetz, von der Sünde, vom Tode etc., aber die Größe dieser Freiheit zu empfinden und im Kampfe, in der höchsten Not des Gewissens, es ins Werk zu setzen, dass man sich die Frucht derselben zueigne, das ist schwerer, als man sagen kann. 

Darum muss das Herz dazu gewöhnt werden, wenn es die Anklage des Ge-setzes, die Schrecken der Sünde, das Grauen des Todes, den Zorn Gottes fühlt, dass es diese traurigen Bilder aus den Augen tue und an deren Statt die Freiheit Christi setze, die Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit, Leben und die ewige Barmherzigkeit Gottes, und wenngleich die Empfindung des Gegenteils in starkem Maße vorhanden ist, soll es doch gewisslich dafürhalten, dass dies nicht lange dauern werde, wie der Prophet (Jes. 54,7.8.) sagt: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit ewiger Barmherzigkeit will ich mich dein erbarmen.” Aber dies ist sehr schwer zu tun. Darum kann diese Freiheit, welche Christus uns zuwege gebracht hat, nicht so bald geglaubt werden, als sie mit Namen genannt werden kann. Wenn sie mit gewissem, festem Glauben ergriffen werden könnte, so könnte kein Wüten oder Schrecken der Welt, des Gesetzes, der Sünde, des Todes, des Teufels etc. so groß sein, dass es von ihr nicht so-gleich verschlungen werden sollte, wie ein Fünklein vom Meere. Sicherlich nimmt diese Freiheit Christi auf einmal die gesamte Last alles Übels hinweg und hebt sie auf: das Gesetz, die Sünde, den Tod, den Zorn Gottes und endlich selbst die Schlange mit ihrem Kopfe, und legt an deren Stelle Gerechtigkeit, Frieden, Leben etc. Aber selig ist, der dies versteht und glaubt. 

Lasst uns daher lernen, diese unsere Freiheit groß zu achten, welche uns nicht ein Kaiser, nicht ein Prophet oder Erzvater, nicht ein Engel vom Himmel erworben hat, sondern Christus, Gottes Sohn, durch welchen alles erschaffen ist im Himmel und auf Erden, durch seinen Tod, nicht damit er uns von einer leiblichen und zeitweiligen Knechtschaft frei machte, sondern von der geistlichen und ewigen Herrschaft der grausamsten und unüberwindlichsten Tyrannen, des Gesetzes, der Sünde, des Todes, des Teufels etc., und uns so mit Gott dem Vater versöhnte. Nachdem aber diese Feinde gänzlich besiegt und wir mit Gott ver-söhnt sind durch den Tod seines Sohnes, ist es gewiss, dass wir gerecht sind vor Gotte, und all unser Tun ihm gefällt, und wenngleich noch etwas von Sünde in uns übrig ist, uns dies doch nicht zugerechnet, sondern um Christi willen verge-ben wird.