Bullinger - Jesus Christus

 

Heinrich Bullinger

Das Zweite Helvetische Bekenntnis

(Confessio Helvetica Posterior 1566)

 

Bullinger über Jesus Christus:

 

XI. KAPITEL: JESUS CHRISTUS, WAHRER GOTT UND MENSCH UND EINZIGER HEILAND DER WELT

 

Wir glauben und lehren außerdem, dass der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus, durch den Vater von Ewigkeit her vorausbestimmt und verordnet wurde zum Heiland der Welt. Wir glauben, dass er vom Vater gezeugt sei, nicht nur, da er von der Jungfrau Maria Fleisch und Blut annahm und nicht nur vor der Grund-legung der Welt, sondern vor aller Ewigkeit, und zwar auf unbeschreibliche Weise. Denn Jesaja sagt: „Wer will seine Geburt erzählen?“ (Jes. 53,8), und Micha: „Sein Ursprung ist in der Vorzeit, in unvordenklichen Tagen“ (Micha 5,2). Denn auch Johannes sagt in seinem Evangelium: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott“ (Joh. 1,1). Deshalb ist der Sohn dem Vater in der Gottheit ebenbürtig und wesensgleich, also wahrer Gott (Phil. 2,11), und zwar weder bloß dem Namen nach, noch durch Annahme an Kindes-statt, noch durch irgendeine Gnadenerweisung, sondern von Natur und Wesen (Phil. 2,6), wie der Apostel Johannes wiederum schreibt: „Dies ist der wahre Gott und ewiges Leben“ (1. Joh. 5,20). Paulus sagt: Er hat den Sohn „zum Erben von allem eingesetzt, durch den er auch die Welten gemacht hat; dieser ist auch der Abglanz seiner Herrlichkeit und Ebenbild seines Wesens und trägt das Weltall durch sein machtvolles Wort“ (Hebr. 1,2-3). Denn auch im Evangelium hat der Herr selbst gesagt: „Und jetzt verherrliche du mich, Vater, bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war“ (Joh. 17,5). So heißt es auch anderswo im Evangelium: Die Juden suchten Jesus zu töten, weil er „Gott seinen Vater genannt und sich selbst Gott gleichgemacht hatte“ (Joh. 5,18). Wir verab-scheuen deshalb auch die gottlose Lehre des Arius und aller Arianer, die Jesu Gottessohnschaft leugnen, besonders aber die Lästerungen des Spaniers Michael Servet und aller seiner Anhänger, die der Satan wider Gottes Sohn mittelst dieser Männer gleichsam aus der Hölle geschöpft hat und höchst frech und gottlos über den Erdkreis ausgießt. Wir glauben und lehren auch, dass des ewigen Gottes wahrer Mensch ewiger Sohn ein Menschensohn geworden sei aus dem Samen Abrahams und Davids, und zwar nicht durch die Zeugung eines Mannes, wie Ebion gesagt hat, sondern auf reinste Weise empfangen vom Heiligen Geist und geboren von Maria, die immer Jungfrau geblieben ist, wie uns die evangelische Geschichte gewissenhaft berichtet (Mt. 1). Auch Paulus sagt: „Denn er nimmt sich doch wohl nicht der Engel an, sondern der Nachkommen-schaft Abrahams nimmt er sich an“ (Hebr. 2,16); ebenso der Apostel Johannes: Wer nicht glaubt, dass Christus ins Fleisch gekommen sei, der ist nicht aus Gott (1. Joh. 4,3). Das Fleisch Christi war also nicht eine Scheinnatur, noch vom Himmel herabgebracht, wie Valentin und Marcion träumten. Außerdem hatte unser Herr Jesus nicht eine Seele ohne Empfindung und Vernunft, wie Apollinaris dachte, und nicht einen Leib ohne Seele, wie Eunomius lehrte, sondern er hatte eine Seele mit Vernunft und einen Leib mit Sinnesempfindungen, durch die er in seiner Leidenszeit wirkliche Schmerzen duldete, wie er selbst bezeugt hat: „Meine Seele ist zu Tode bekümmert“ (Mt. 26,38). Und auch: „Jetzt ist meine Seele erregt“ (Joh. 12,27). Darum erkennen wir in einem und demselben, unserem Herrn Jesus Christus, zwei Naturen oder Wesensarten, eine göttliche und eine menschliche (Hebr. 2); von diesen sagen wir, dass sie verbunden und vereinigt seien, jedoch so, dass sie einander weder verschlungen hätten, noch vermengt oder vermischt wären; vielmehr sind sie derart vereinigt und verbunden in einer Person, dass die Eigenschaften der beiden Naturen stets gewahrt bleiben, so dass wir auch nur einen Herrn Christus verehren und nicht zwei: Er ist in einer Person wahrer Gott und wahrer Mensch, nach der göttlichen Natur dem Vater, nach der menschlichen aber uns Menschen wesensgleich und in allem ähnlich, ausgenommen die Sünde (Hebr. 4,15). Wir verabscheuen deshalb die Lehre der Nestorianer, die aus dem einen Christus zwei machen und die Einheit der Person auseinanderreißen; ebenso verwerfen wir auch völlig den Unsinn des Eutyches und der Monotheliten oder Monophysiten, die die Eigenschaften der menschlichen Natur austilgen. So lehren wir auch nicht etwa, dass die göttliche Natur in Christus gelitten habe oder dass Christus nach seiner menschlichen Natur jetzt noch in dieser Welt oder allenthalben sei. Weder glauben noch lehren wir, dass der wirkliche Leib Christi nach der Verklärung aufgehört habe oder vergöttlicht worden sei, und zwar so vergöttlicht, dass er die Eigenschaften von Leib und Seele abgelegt hätte und derart in die göttliche Natur zurückgetreten wäre, dass er seither nur noch eine Natur hätte. Deshalb billigen wir auch keineswegs die geistlosen Spitzfindigkeiten, und die verworrenen und dunkeln, nie sich gleichbleibenden Darlegungen eines Schwenckfeld und ähnlicher Geistesakrobaten über diesen Punkt; denn wir sind keine Schwenckfeldianer. Wir glauben aber, dass unser Herr Jesus Christus wirklich nach dem Fleisch für uns gelitten hat und gestorben ist, wie Petrus sagt (1. Petr. 4,1). Wir verabscheuen die gottlose und unsinnige Ansicht der Jakobiten und alle Türken, die das Leiden Jesu leugnen und lästern. Indessen leugnen wir nicht, dass der Herr der Herr-lichkeit, nach den Worten des Paulus, für uns gekreuzigt worden sei (1. Kor. 2,8). Denn wir nehmen gläubig und ehrfurchtsvoll jene Lehre in Gebrauch, die auf Grund der Heiligen Schrift sagt, dass Eigenschaften, die der einen Natur Christi zukommen, bisweilen auch der andern zugeschrieben werden können. Diese Lehre wurde schon von alters her bei der Erklärung und Vergleichung von einander scheinbar widersprechenden Schriftstellen angewandt. Wir glauben und lehren, dass dieser unser Herr Jesus Christus mit dem wirklichen Leib, in dem er gekreuzigt wurde und gestorben ist, von den Toten auferstanden sei, und er habe sich keinen andern Leib an Stelle des begrabenen geschaffen, auch nicht einen Geist an Stelle des Leibes angenommen, sondern den wirklichen Leib behalten. Deshalb zeigt er seinen Jüngern, als sie glaubten, den Geist des Herrn zu sehen, seine Hände und Füße mit den Wundmalen der Nägel und spricht dazu: „Sehet meine Hände und meine Füße, dass ich es selbst bin! Rühret mich an und sehet; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr seht, dass ich es habe“ (Luk. 24,39). Wir glauben auch, dass unser Herr Jesus Christus in diesem seinem Leibe aufgefahren sei über alle sichtbaren Himmel in den obersten Himmel selbst, die Wohnung Gottes und der Seligen, zur Rechten des Vaters. Wenn dies auch zunächst eine gleiche Gemeinschaft an der Herrlichkeit und Majestät bedeutet, wird der Himmel doch auch als ein bestimmter Ort angenommen, von dem der Herr im Evangelium sagt: „Ich gehe hin, um euch eine Stätte zu berei-ten“ (Joh. 14,2). Aber auch der Apostel Petrus sagt: „Der Himmel muss Christus aufnehmen bis zu der Herstellung aller Dinge“ (Apg. 3,21). Vom Himmel her aber wird er wiederkommen zum Gericht, dann, wenn die Bosheit in der Welt aufs Höchste gestiegen ist und der Antichrist nach Zerstörung des wahren Glaubens alles mit Aberglauben und Gottlosigkeit erfüllt und die Kirche mit Blut und Feuer grausam verwüstet hat (Dan. 11). Christus aber wird wiederkommen, den Seinigen beistehen, bei seiner Wiederkunft den Antichrist vernichten und Lebendige und Tote richten (Apg. 17,31). Denn die Toten werden auferstehen (1. Thess. 4,14ff) und die Lebenden, die an jenem Tage – der allen Geschöpfen unbekannt ist (Mk. 13,32) – noch übrig sind, werden in einem Augenblick ver-wandelt und alle Gläubigen Christus in die Luft entgegengerückt werden, damit sie mit ihm eingehen zur Stätte der Seligkeit und leben in Ewigkeit (Apg. 17,31; 1. Thess. 4,15-17; Mk. 13,32; 1. Kor. 15,51-52). Die Ungläubigen aber und die Gottlosen werden mit den Teufeln zur Hölle fahren, wo sie ewig brennen und nie mehr aus ihrer Qual erlöst werden können (Mt. 25,41). Wir verwerfen deshalb die Lehren aller derjenigen, die eine wirkliche Auferstehung des Leibes leugnen (2. Tim. 2,18), oder die wie Johannes von Jerusalem – gegen den Hieronymus geschrieben hat – keine richtige Ansicht von den verklärten Leibern haben. Wir verwerfen ferner die Ansicht derjenigen, die geglaubt haben, auch die Teufel und alle Gottlosen müssten einst noch gerettet werden, und ihre Strafe werde ein Ende haben. Denn der Herr hat ganz einfach gesagt: „Ihr Wurm stirbt nicht und ihr Feuer verlischt nicht“ (Mk. 9,48). Wir verwerfen außerdem die jüdischen Träume, dass dem Gerichtstag ein goldenes Zeitalter auf Erden vorausgehe, wobei die Frommen nach Niederwerfung ihrer gottlosen Feinde die Reiche der Welt erlangen werden. Denn die Wahrheit nach den Evangelien und der aposto-lischen Lehre lautet ganz anders: Mt. 24.25; Luk. 18; sodann 2. Thess. 2 und 2. Tim. 3-4. Weiter: Durch sein Leiden und seinen Tod und alles das, was unser Herr von seiner Ankunft im Fleisch an um unsertwillen getan und erduldet hat, hat er den himmlischen Vater mit allen Gläubigen versöhnt, die Sünde getilgt, dem Tode die Macht genommen, Verdammnis und Hölle gebrochen und durch seine Auferstehung von den Toten Leben und Unsterblichkeit ans Licht gebracht und wiederhergestellt. Denn er ist unsere Gerechtigkeit, unser Leben und unsere Auferstehung, ja die Vollkommenheit und Erlösung aller Gläubigen, ihr Heil und ihr überfließender Reichtum (Röm. 4,25; 10,4; 1. Kor. 1,30; Joh. 6,33ff; 11,25ff.). Denn der Apostel sagt: „Denn in ihm beschloss Gott die ganze Fülle wohnen zu lassen“ (Kol. 1,19) „und ihr seid erfüllt in ihm“ (Kol. 2,9-10). Wir lehren und glauben nämlich, dass dieser Jesus Christus, unser Herr, der einzige und ewige Heiland des menschlichen Geschlechtes, ja der ganzen Welt sei, in dem durch den Glauben alle gerettet sind, die vor der Gesetzgebung, die unter dem Gesetz und die unter dem Evangelium das Heil erlangt haben oder es noch bis zum Ende dieser Zeit erlangen werden. Denn der Herr sagt selbst im Evangelium: „Wer nicht durch die Türe in den Schafstall hineingeht, sondern anderswo hineinsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber ... Ich bin die Türe zu den Schafen“ (Joh. 10,1.7). Ebenso sagt er an einer andern Stelle des Johannes-evangeliums: „Abraham sah meinen Tag und freute sich“ (Joh. 8,56). Aber auch der Apostel Petrus sagt: „Es ist in keinem andern das Heil“ – außer in Christus – „denn es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel für die Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg. 4,12; 10,43). „Vielmehr durch die Gnade des Herrn Jesus glauben wir gerettet zu werden wie auch jene, unsere Väter“ (Apg. 15,11). Ebenso schreibt Paulus: Unsere Väter „aßen alle dieselbe geistliche Speise und tranken denselben geistlichen Trank; denn sie tranken aus einem geistlichen Felsen, der nachfolgte, der Fels aber war Christus“ (1. Kor. 10,3-4). Desgleichen lesen wir, dass Johannes gesagt habe, Christus sei das Lamm, das geschlachtet ist von Grundlegung der Welt an (Offb. 13,8). Und Johannes der Täufer hat bezeugt: „Siehe (Christus), das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh. 1,29). Daher bekennen und predigen wir laut, Jesus Christus sei der alleinige Erlöser der Welt und Heiland, König und Hohepriester, der wahre und ersehnte und jener so heilige gesegnete Messias, den alle Vorbilder des Gesetzes und die Weissagungen der Propheten zum voraus dargestellt und verheißen haben. Ihn hat Gott uns selbst zum Herrn gegeben und gesandt, so dass wir keinen andern erwarten dürfen. So bleibt denn nichts anderes übrig, als dass wir alle jeglichen Ruhm Christus geben, an ihn glauben und in ihm allein zur Ruhe kommen und sonst alle andern Stützen des Lebens gering schätzen und verwerfen. Denn alle, die ihr Heil in irgend etwas anderem suchen, als allein in Christus, die sind aus der Gnade Gottes gefallen und machen, dass Christus ihnen nichts nützt (Gal. 5,4). Kurz gesagt: wir glauben mit aufrichtigem Herzen und bekennen frei und offen mit dem Munde, was in den Bekenntnissen der vier ersten und bedeutendsten Kirchensynoden von Nicäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalcedon, sowie im Bekenntnis des seligen Athanasius und allen ähnlichen Bekenntnissen über das Geheimnis der Menschwerdung unseres Herrn Jesus Christus nach der Heiligen Schrift festgestellt und enthalten ist, verwerfen dagegen alles, was diesen widerspricht. Auf diese Weise halten wir den unversehrten und reinen, rechtmäßigen und allgemeinen christlichen Glauben fest, weil wir wissen, dass in den genannten Bekenntnissen nichts enthalten ist, was dem Worte Gottes nicht entspräche oder nicht zur reinen Darlegung des Glaubens genügte.