Zwingli - Sünde

 

Zwingli in seinem "Kommentar" über die Sünde:

 

Die Sünde wird in der evangelischen Lehre in doppeltem Sinne verstanden. Zuerst heißt Sünde jene Krankheit, die wir von Adam her an uns tragen, kraft deren wir der Eigenliebe verfallen sind ... Röm. 7,20 ... Diese Sünde, das heißt: dieser Bresten, ist uns angeboren; wir fliehen kraft seiner das Unbequeme und Schwierige und jagen dem heiteren Vergnügen nach. Zweitens wird unter Sünde die Gesetzesübertretung verstanden, wie ja durch das Gesetz die Erkenntnis der Sünde kommt Röm. 7,7. Jede Handlung also gegen das Gesetz heißt Sünde. Nun wollen wir das gegenseitige Verhältnis zwischen der Sünde als Krankheit und als Gesetzesübertretung betrachten. Die Krankheit weiß nicht um sich selbst, sie glaubt, es sei ihr Alles erlaubt. Gott denkt anders. Wenn die Krankheit Alles an sich reißt, meint, es müsse ihr alles zu Diensten und ihrer Begierde untertan sein, so beschneidet Gott mit dem Messer des Gesetzes diesen Mutwillen. „Denn das Gesetz ist wegen der Übertretung gegeben“ Gal. 3,19. Der Herzenskenner weiß ja nur zu gut um die Gleichartigkeit der Anlage aller Menschen; dass der Geringste nicht weniger sich selbst liebt als der Höchste. Wenn nun alle in gleicher Weise die Zügel schießen lassen, so kann daraus nur folgen, dass jeder nach Kräften gewaltsam Alles sich zu unterwerfen sucht; daraus muss dann Räuberei, Mord und dergleichen soziales Elend entstehen. Darum steckt Gott der so weit ausschweifenden Begierde eine feste Grenze und gebietet: „was du nicht willst, dass es dir geschieht, das füg auch keinem andern zu,“ und umgekehrt: „was du wünschest, dass man dir tue, tue auch den anderen“. Damit Du das leichter tust und Gottes Weisheit erkennst, versüßt er dieses sogenannte Natur-gesetz mit der Liebe; er spricht: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Die Liebe ist etwas Süßes, alles Bittere erträgt sie freudig; denn dem Liebenden erscheint nichts schwer. Die zunächst groß und schwierig erscheinende Aufgabe, dem Nächsten zu tun, was Du Dir getan wünschest, wird angenehm und leicht, wenn Du liebst. Aber hier stemmt sich der alte Mensch, die Krankheit, das Fleisch, Adam, die Sünde entgegen – ; das sind etwa nach der Lehre der Apostel die Namen für dieses Laster der Selbstsucht. Es stemmt sich, sage ich, das Fleisch oder der alte Adam entgegen, er verachtet Alles außer sich selbst, er will lieber alles zum Schaden der Sache seiner Begierde unterwerfen, als der Hab-sucht, dem Ruhme und der Vergnügungssucht eine Schranke setzen. Darum zürnt und hasst er das Gesetz und den Gesetzgeber, und stellt ihm nach. Er hasst, weil er weder dem Gesetze noch dem Gesetzgeber ausbiegen oder entgehen kann Ps. 139,8 ... Er stellt nach, das heißt: er bemüht sich mit aller Kraft, den zu täuschen, der doch nicht getäuscht werden kann; er überlegt, findet dies und das, läuft hin und her, und schließlich stellt er fest: ein Tyrann stellt jene Forderungen. Denn wie sollte jemand einen anderen nicht weniger als sich selbst lieben? Doch angesichts seiner strengen Forderung muss man sich vor der Strafe hüten. Also tust Du, was schlaue Knechte ihren guten und treuherzigen Herren zu tun pflegen: Du denkst Dir irgend einen Betrug aus, damit Gott sich blenden lässt und Deine Absicht nicht merkt. Da brachte denn der Wucherer eine Gabe oder stiftete eine Pfründe, der Hurer fastete ein Vollfasten zu Ehren der Jungfrau Maria, der Verräter betete ein ängstlich und verzweifelt Gebet. Mit solchen Narrheiten hofften sie den arglosen Gott überrumpeln, ihm um den Bart gehen zu können, um ungestraft Ehebruch, Wucher, Verrat ausüben zu können. Man hörte nicht mehr auf das Gesetz, bildete nicht die Sitten nach seinem Wunsch, schaffte nicht Entehrendes ab, vielmehr wurde allenthalben der Mensch sich selbst Gott; mochte auch das Gesetz töten, nichts destoweniger machte er sich selbst mit seinen Künsten und Hoffnungen immer wieder lebendig. Daher wuchs die Gottlosigkeit allmählich so, dass er bei sich sprach: „es ist kein Gott“ Ps. 14,1, obwohl er vor der Öffentlichkeit mit scheinheiliger Miene sich wie die Frömmigkeit selbst gab. Absichtlich bin ich etwas näher darauf eingegangen; wir wollten erkennen, wie die Sünde als Tat der Übertretung aus der Sünde als Krankheit entsteht. Das Nächste ist, zu zeigen, wie wir von Gesetz und Sünde befreit worden sind. Wir sind nicht in dem Sinne vom Gesetz befreit worden, dass wir den Willen des Gesetzes nicht zu tun brauchten; denn das Gesetz ist Gottes unveränderlicher Wille. „Kein Pünktlein vom Gesetz wird dahinfallen“ Luk. 16,17 ... In dem Sinne sind wir befreit worden: wer liebt, tut freiwillig Alles, auch das Schwerste. Gott senkte ein Feuer in unser Herz; es sollte die Liebe zu ihm anstatt zu uns selbst entflammen, und dieses Feuer soll brennen Luk. 12,49. Johannes der Täufer und Christus selbst bei seiner Himmelfahrt Apg 1,5 hatten es verheißen; es ist die Liebe, und Gott ist die Liebe. Brennt sie in uns, so tun wir nichts mehr gezwungen, sondern Alles freiwillig und gern. Denn die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung Röm. 13,10. Denn das Gesetz geschah mit Unwillen und heuchlerisch, solange die Liebe nicht brannte. Ist sie entflammt, so schaut man nicht mehr auf das Gesetz, geschweige dass man es fürchtet, vielmehr führt die Liebe in allen zu Allem. Wie man von solchen, die von Leidenschaften ge-knechtet sind, sagt: sie werden hingerissen, so werden die von der göttlichen Liebe Entflammten durch den in ihnen glühenden Geist hingerissen. Eine Art der Befreiung vom Gesetze besteht also darin, dass wir durch die Liebe das Gott Wohlgefällige tun ... Die zweite Art der Befreiung besteht darin, dass das Gesetz nicht weiter verdammen kann, das doch ehedem Zorn, Unwillen und die gerechte Rache Gottes wirkte Röm. 4,15; Gal. 3,10; 5. Mos. 27,26 ... Christus hat uns von diesem Fluche des Gesetzes erlöst, indem er selbst für uns zum Fluch wurde, das heißt: für uns an’s Kreuz geschlagen wurde Gal. 3,13 und Röm. 6,10. So sind wir nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade, und dann kann das Gesetz nicht verdammen; denn wenn es noch das Regiment führt, zu ver-dammen, sind wir nicht unter der Gnade. Christus hat den Zorn des Gesetzes zerbrochen, das heißt: er hat die Gerechtigkeit Gottes, kraft derer er allen Grund gehabt hätte, gegen uns ergrimmt zu sein, besänftigt und durch seinen harten Kreuzestod für uns so gestillt, dass er uns nicht nur aus der Knechtschaft zur Freiheit, nein, sogar zur Sohnschaft erwählte. Sind wir Söhne – und wir sind es ganz sicher Röm. 8,14; Gal. 4,6 – , so stehen wir über dem Gesetze. „Denn wenn uns der Sohn frei machte, so sind wir wirklich frei und erlöst“ Joh. 8,36. Wir sind also vom Gesetze befreit, wenn die Liebe an die Stelle der Furcht vor dem Gesetze trat ... Und wiederum sind wir von der Strafe des Gesetzes befreit; denn Christus hat die uns für unsere Sünden gebührende Strafe durch sein Leiden bezahlt. Von der Sünde als Krankheit aber sind wir befreit, sofern sie nicht weiter schaden kann, wenn wir auf Christus vertrauen. „Denn es ist nichts Verdammli-ches in denen, die in Christus Jesus sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln“ Röm. 8,1. Sofern die Sünde aber Übertretung ist, so sind wir in gleicher Weise von ihrem Schaden befreit wie vom Zorne des Gesetzes Röm 8,2 ... Denn wenn wir sagen: „Das Gesetz verdammt“, so meinen wir: die gegen den Willen des Gesetzes geschehene Sünde verdammt. Deshalb meinte ich: das von der Be-freiung von der Verdammung durch das Gesetz Gesagte gilt auch von der Be-freiung von der Sünde. Indem wir nun aber nach dem Allem in uns selbst die Krankheit noch als Kraft spüren, sodass wir beständig sündigen, und anderer-seits sagten, nur ein neu gewordener Mensch könne Hoffnung auf Heil haben, werden wir wieder in die alte Verzweiflung getrieben. Wir müssen also, nachdem wir den Knoten richtig geschürzt haben, jetzt klar machen, inwiefern wir neue Menschen sind, auch wenn wir den alten Adam noch spüren. Genauer: wie es kommt, dass die, die in Christus sind, auch wenn sie sündigen, doch nicht verdammt werden. Zum besseren und leichteren Verständnis wollen wir die Worte des Paulus Röm. 7,7ff. behandeln ... Aus dem ersten Teile derselben V. 7-13 lernen wir, dass wir nichts als Verderben sind. Der zweite Teil V. 14-25 enthält den Kampf zwischen Fleisch und Geist ... Wir sind vom Gesetze ausge-gangen und vom alten Menschen, und von da aus zum alten und neuen Men-schen emporgestiegen, und ich habe aus dem einen Menschen zwei gemacht: den inneren, der dem Geiste gehorcht, und den alten, der niemals von seinem Gesetze lässt, das heißt: von der Eigenliebe und Selbstschätzung. Zwischen diesen beiden findest Du stets Krieg. „Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch“ Gal. 5,17. Daher kommt der beständige Kampf. Manchmal siegt das Fleisch; wenn es auch den Geist nicht ganz austreiben kann, so erreicht es doch so viel, dass wir nicht tun, was wir wollen. So erklärt es sich, dass des Christen Leben ein beständiger Kampf ist, ganz abgesehen von den äußeren Zufällen des Lebens. Das bekümmert mich oft, beunruhigt mich und verwirrt meine guten Wünsche, sodass ich ... ungeduldig und der Verzweiflung nahe oft ausrufe: „ich Unglückseliger, wer wird mich aus diesem Elend befreien?“ Jetzt aber will ich drittens, damit Euch nichts entgehe, zeigen, was mich in solchen Ängsten tröstet. Wisset also, wenn ich so lange und heftig innerlich gekämpft und mich gemüht habe, so gibt es keine angenehmere Hülfe als den Gedanken an Christus. Wenn ich ihn erfasse, so schiffe ich fröhlich dahin, der ich fast schon zu scheitern drohte. Denn ich sage mir: der Gott, der seinen Sohn für Dich opferte, kann Dir nichts versagen und kennt Deine Schwäche. Und wenn er Dich, als Du ganz ferne von ihm, sein Feind, warst, gnädig aufnahm, so wird er Dich um so mehr selig machen jetzt, wo sein Sohn auferstanden ist Röm. 5,21. Da beginnt schon die Angst und die Furcht nachzulassen, die Seele wird ruhig und erholt sich allenthalben. Und dann rüste ich mich zur Danksagung an meinen Gott und Vater durch unseren Herrn Christus Jesus. Sogleich aber kommen neue Kämpfe – ich erwähne das deshalb, damit Ihr nicht sorglos und träge nach dem einen oder anderen Kampf unversehens in Gefahr geratet. Und nach jenen Kämpfen kommen wiederum neue, das Leben eines Christenmenschen ist wie ein von gewaltigem Sturme hin und her geworfenes Schiff; die Schiffsleute können es bald ein wenig mit den Rudern lenken, bald müssen sie es der Windsbraut überlassen. Wenn je einer, so habe ich das selbst an mir erfahren. Denn was ich auch sein mag, ich fühle, wie ich bald Gott, bald dem Fleische diene. Mein Herz denkt an die göttlichen Gesetzesgebote, liebt Gott, vertraut auf seine Barmherzigkeit, möchte ihm allenthalben gefallen. Aber auch das Fleisch bleibt und lässt nicht von seiner Art, so wenig wie ein Fuchs oder Wolf. So sündi-ge ich schließlich wider Willen, trotzdem mein Herz in unentwegter Hoffnung an Gott hängt. Zweifellos aber kann es Euch gehen wie mir; was einem Menschen begegnet, kann ja auch den andern treffen. Niemand ist von der Krankheit der Erbsünde frei, also auch nicht von diesem Kampf. Man muss also gleichsam als heiligen Anker das festhalten, niemals die Hoffnung und den Ruhm, Söhne und Erben Gottes zu sein, fallen zu lassen. Halten wir daran fest – das ist das Letzte – , so wird uns keine Verdammung treffen, vorausgesetzt, dass wir nach dem Geiste wandeln, nicht nach dem Fleische. Damit Ihr jedoch das Wesen des Wandelns nach dem Geiste erkennt und seine Möglichkeit hier auf Erden, beachtet wohl: jener Leben schaffende Geist Christi, den ich um des Gegen-satzes willen das Gesetz des Geistes nennen will, durch den ich mich im innersten Herzen frei weiß von der gerechten Rache Gottes und zu Christi Miterben erwählt, der hat mich vom Gesetze, das heißt: der Macht und Not-wendigkeit der Sünde und des Todes, befreit. Denn da wir bisher um der Schwäche des Fleisches willen durch die Werke des Gesetzes nicht selig werden konnten, schickte Gott seinen Sohn im Fleische, das unserem kranken Fleische allenthalben ähnlich war, abgesehen von der Krankheit selbst, und er verdammte die Krankheit, weil sie täglich so viel Sünde in uns erregte; er verdammte sie durch sein Fleisch, das heißt: durch das Ertragen des Todes für uns nach seiner schwachen Menschheit, damit die Gerechtigkeit des Gesetzes, die Niemand erfüllen konnte, durch ihn an uns erfüllt würde. Denn was Christus tat oder litt, ertrug er für uns. Daher ist auch seine Gerechtigkeit die unsrige, wenn wir nur nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geiste ... Das Sinnen oder Trachten des Fleisches bringt den Tod, hingegen das des Geistes Leben und Frieden. Sinnen und Trachten des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott; denn es gehorcht dem Gesetze Gottes durchaus nicht und kann auch nicht zum Gehor-sam gezwungen werden. Daher könnt Ihr leicht erkennen, was fleischlich was geistig leben heißt. Fleischlich leben heißt: ganz der Herrschaft des Fleisches ergeben und fern vom Geiste sein; geistig leben: dem Geiste gehorchen, niemals vom Glauben lassen, mag auch das Fleisch von Befleckung durch die Sünde nicht frei sein. Wer also im Fleische ist, kann Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht im Fleische, sondern im Geiste, wenn nur Gottes Geist in Euch wohnt. Dann aber wohnt er in Euch, wenn Ihr dem Sohne Gottes vertraut, trotzdem Ihr im vergänglichen Fleische steckt. Wer aber diesen Christus-Geist nicht hat, ist nicht sein. Wenn aber Christus in Euch ist, so ist, um es ganz klar zu sagen, der Leib trotz allem tot um der Krankheit der Sünde willen, der Geist aber lebt, nicht um Deiner Gerechtigkeit willen, sondern um der Gerechtigkeit dessen willen, der Deine Gerechtigkeit wurde. So steht es um den Christenmenschen: dem Leibe nach ist er stets tot; umgekehrt, wenn sein Herz an Gott hängt, lebt er zugleich stets dem Geiste nach. Mit diesen Worten des Apostels glauben wir die schwie-rige Frage gelöst zu haben, inwiefern Unschuld gefordert wird, die wir keines-wegs leisten können, und doch Christus das wirkungskräftige Pfand für alle Sünden ist; denn durch eigene Unschuld das Heil erwerben müssen und Alles der Gerechtigkeit Christi verdanken, verträgt sich nicht zusammen, haupt-sächlich deshalb, weil wir das Heil nicht aus eigener Kraft erreichen können. Und wenn auch damit der oben erwähnte Einwand erledigt ist, so wollen wir doch noch einmal darauf eingehen, damit auch gewisse ungebildete Leute befriedigt sind. Der Einwurf lautete: durch diesen Lobpreis der durch Christus geschenkten Gnade werden die Christen leichtsinnig und ungebunden. Wir antworten: die auf Christus vertrauen, sind neue Menschen geworden. Wie? Haben sie etwa unter Ablegung des alten einen neuen Leib angezogen? Keineswegs, der alte Leib bleibt. Es bleibt also auch der Erbbresten? Ja. Was wird denn erneuert? Das Herz. Inwiefern? Es wusste bisher nichts von Gott. Wo man aber von Gott nichts weiß, da ist nur Fleisch, Sünde, Selbstschätzung. Sobald aber Gott erkannt wird, durchschaut sich der Mensch innen und außen, und verwirft, was er da sieht. Alle seine Werke, auch die, die er bisher als gut einzuschätzen pflegte, dünken ihn nichts wert zu sein. Wenn also durch Erleuchtung der himmlischen Gnade das Herz Gott erkennt, ist der neue Mensch da. Denn der früher auf die eigene Weisheit, die eigenen Werke oder Kräfte Vertrauende hofft jetzt auf Gott allein. Der früher ohne Rücksicht auf Ehrbarkeit und Gott nur auf das eigene Wohlbe-finden Bedachte ist jetzt nur bestrebt, nichts von der früheren Gewohnheit beizubehalten, sich aber ganz nach Gottes Willen zu bilden. Indem aber der Leib fortgesetzt gewisse tote Werke erzeugt, beklagt der Mensch auch fortgesetzt dieses Unglück und Elend. Ach guter Gott! Was bin ich, welch unerschöpflicher Kübel von Sünden! Immer und immer wieder sündige ich, ohne Ende. Wann endlich wirst Du den Unglückseligen aus diesem Schlamm befreien, in dem ich stecke? Da schau schnell, ob nicht das christliche Leben eine ständige Buße sei? Ist diese Selbstverdammung nicht Tod? Doch wenn hier das Herz durch Gottes Geist die Hoffnung nicht fahren lässt, lebt dann nicht das kurz vorher zusammen-gebrochene Gewissen wieder auf? Darin also besteht das christliche Leben, die Hoffnung auf Gott durch Christus niemals sinken zu lassen, auch wenn der Mensch infolge der Schwäche des Fleisches nicht sündlos ist; er überwindet, weil er sich ihr nicht hingibt, sondern nach jedem Fall wieder aufsteht, in der Gewiss-heit, dass der dem Petrus sagte, man müsse siebenzig Mal sieben verzeihen Mat. 18,22, selbst ebenso viel verzeiht, wie er lehrte. Um ein Beispiel zu bringen: bei der Baumpflanzung geht es ganz ähnlich zu. Der Landmann gräbt einen wilden Birnbaum aus, pflanzt ihn in einen angebauten und fetten Boden. Sobald der fremde Baum in der neuen Erde Wurzel fasst, wird ihm die Spitze abge-schnitten und Zweige zahmer Bäume eingepfropft, die dann zugleich mit dem Stamme wachsen. Aber wie anders werden die Früchte! Die Edelzweige treiben und bieten zu ihrer Zeit dem Landmann die birnenschweren Äste dar; hingegen schirmt sich der Stamm mit Dornen und rauhen Schösslingen, und wenn man sie nicht abschneidet, wollen sie auch ihrerseits Frucht tragen. Je mehr man sie wachsen lässt, desto mehr geht dem echten und zahmen Zweig verloren. Die wilden Birnen sind wir Menschen ... , die wir bei der Berührung mit der himmli-schen Lehre in neues Erdreich gepflanzt werden ...