Luther - zu Gott durchdringen wie durch Dornen

 

In der Not zu Gott durchdringen wie durch Dornen 

 

(Martin Luther: Auslegung zu Jona 2,3, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Bd. 14, Sp. 876-879, Rechtschreibung angepasst)

 

V. 3. Ich rief den Herrn an in meinem Trübsal, und er antwortete mir. Ich schrie zu meinem Gott in dem Bauche der Hölle, und du erhöretest meine Stimme. 

 

Zum ersten hebt er an, Gottes Gnade und Hilfe zu preisen, und zu danken, dass er ihm aus der Not geholfen hat, hält uns damit am ersten vor Gottes Güte, darnach seine Not, daraus ihm geholfen ist. Und lehrt uns dieser erste Vers zwo große und nötige Lehren. Die erste, dass man ja vor allen Dingen zu Gott laufe und schreie in der Not zu ihm, und klage es ihm. Denn das kann Gott nicht lassen, er muss helfen dem, der da schreiet und ruft; seine göttliche Güte mag sich nicht enthalten, sie muss hören. Es liegt nur daran, dass man rufe und schreie zu ihm, und schweige ja nicht; den Kopf nur aufgerichtet, und die Hände aufgehoben, und flugs gerufen: Hilf Gott, mein Herr etc., so wirst du alsbald fühlen, dass es besser wird. Kannst du rufen und schreien, so hat es freilich keine Not mehr. Denn auch die Hölle nicht Hölle wäre, noch Hölle bliebe, wo man darinnen riefe und schriee zu Gott. Denn dass du viel heulen und weinen willst, und dich lange mit dem Trübsal willst beißen und fressen, oder dich umsehen, wer dir helfe, das ist verloren; damit kommst du nicht heraus, sondern tiefer drein. Höre, wie Jona tut. Er hat sich auch lange mit der Angst gefressen, ehe er gerufen hat, wie er selbst hernach wird sagen. Er wäre sonst wohl eher erlöst. Er heißt auch und lehrt dich solches nicht zu tun, und ihm folgen, sondern flugs vorne an setzt er, wie er gerufen habe, und also erlöst sei. 

Aber es glaubt kein Mensch, wie schwer es wird, solch Anrufen und Schreien zu tun. Heulen und klagen, zittern und zweifeln, und uns auf das allerscheußlichste stellen, können wir wohl, aber rufen, das will nicht heraus. Denn da drückt uns unter und liegt auf dem Halse das böse Gewissen und die Sünde; da schlägt denn zu, dass man Gott zornig fühlt. Das sind solche Lasten, dass die ganze Welt nicht so schwer ist. Kurzum, der Natur alleine oder einem Gottlosen ist es unmöglich, wider solche Last sich aufrichten, und gleich den Gott selber anrufen, der da zürnt und straft, und zu keinem andern laufen. Wie Jesaias vielmal schreibt, dass das Volk sich nicht habe gekehret zu Gott, der es schlug (Jes. 9,13.). Die Natur ist vielmehr geschickt, dass sie fliehe vor Gott, wenn er zürnt oder straft, geschweige denn, dass sie sich sollte zu ihm wenden und ihn an-rufen, und sucht immer anderswo Hilfe, und will dieses Gottes nicht, und kann ihn nicht leiden; darum flieht sie auch ewiglich, und entflieht doch nicht, und muss also im Zorn, Sünde, Tod und Hölle verdammt bleiben. 

Und hier siehst du der Hölle ein groß Stück, wie es den Sündern geht nach die-sem Leben, nämlich, dass sie Gottes Zorn fliehen, und nimmermehr entfliehen, und doch nicht zu ihm schreien noch rufen. Wiederum aber spricht Jesaias Cap. 28,16.: „Wer auf den Eckstein Christum trauet, der wird nicht fliehen.” Als sollte er sagen: Alle Gottlosen fliehen ewiglich vor Gott und seinem Zorn, und können doch nicht entfliehen; vor welchem ängstlichen Fliehen die Gläubigen sicher sind durch Christum. 

Es kann Natur nicht anders tun noch sich schicken, denn wie sie fühlt. Nun sie aber Gottes Zorn und Strafe fühlt, hält sie nicht anders von Gott, denn als von einem zornigen Tyrannen, kann sich nicht über solchen Zorn schwingen, oder über solch Fühlen springen, und durchhin, wider Gott, zu Gott dringen und rufen. Darum, da Jona so ferne kommen ist, dass er rief, da hatte er gewonnen. Also denke und tue du auch. Schlage nicht den Kopf nieder, oder fleuch, sondern stehe stille, und fahre über dich, so wirst du erfahren, dass dieser Vers wahr sei (Ps. 118,5.): „Ich rief in meiner Angst zum Herrn, und er antwortete mir.” Zum Herrn, zum Herrn, und sonst nirgend hin, eben zu dem, der da zürnt und straft, und zu keinem andern. 

Das Antworten aber ist, dass es bald besser wird, und wirst bald fühlen, dass der Zorn gelinder und die Strafe sanfter wird. Ungeantwortet lässt er nicht, wenn du nur rufen kannst, und auch nicht mehr denn rufen kannst. Denn er fragt nach deinem Verdienste nicht, weiß wohl, dass du ein Sünder bist und den Zorn ver-dient hast. Er strafte dich sonst nicht. Aber das kann die Natur auch nicht lassen: sie will immer etwas mitbringen, das Gott versöhne, und findet denn nichts. Denn sie glaubt und weiß nicht, dass alleine das Rufen genug sei, Gottes Zorn zu stillen, wie Jona hier uns lehrt. 

Also sind alle Menschen getan. Wenn Gott nicht zürnt noch straft, sondern gibt genug, und tut uns wohl, so sind wir so frech, kühn, stolz und dürftig, dass niemand kann mit uns auskommen. Da hilft kein Dräuen, kein Schrecken, kein Exempel Gottes Zorns, es ist alles eitel Spott und Verachtung. Aber wiederum, wenn Gott straft, sind wir so verzagt und blöde, dass kein Trost, keine Güte, keine Gnade uns mag aufrichten noch stärken. Also, wie es Gott mit uns macht, so sind wir doch kein nütze. Siehe, wie stolz die Bauern, wie verzagt die Herren waren in diesem nächsten greulichen Aufruhr. Da half weder Flehen noch Schrecken bei den Bauern, weder Trost noch Vermahnen bei den Herren. Jetzt wiederum ist bei den Herren auch keine Maße ihres Trotzes und Übermuts, hilft abermal kein Dräuen noch Schrecken, bis sie wieder Gottes Zorn fühlen. Art lässt von Art nicht. 

Die andere Lehre ist, dass wir also schreien, dass wir auch im Herzen fühlen, es sei ein solch Schreien, dem Gott antworte, und auch mögen mit Jona rühmen, dass uns Gott antworte, wenn wir in der Not rufen. Das ist nun nichts Anderes, denn mit rechtem Glauben des Herzens rufen; denn der Kopf lässt sich nicht aufrichten, noch die Hände sich aufheben, das Herz sei denn zuvor aufgerichtet. Welches sich also aufrichtet, wie ich gesagt habe, dass es durch des Geistes Beistand zu dem zornigen Gott läuft, und unter dem Zorn Gnade sucht, lässt Gott strafen, und darf sich dennoch zugleich seiner Güte trösten. Da merke du, welch ein scharf Gesichte das Herz müsse haben, das mit eitel Zorn und Strafe von Gott umgeben ist, und doch keine Strafe noch Zorn, sondern Gnade und Güte sieht und fühlt, das ist, es will sie nicht sehen noch fühlen, ob sie es gleich aufs höchste sieht und fühlt, und will die Gnade und Güte sehen und fühlen, ob sie gleich aufs tiefste verborgen sind. 

Siehe, ein solch groß Ding ist es, zu Gott zu kommen, dass man durch seinen Zorn, durch Strafe und Ungnade zu ihm breche, als durch eitel Dornen, ja, durch eitel Spieße und Schwerter. Das heißt ein Rufen des Glaubens, welches sich muss fühlen im Herzen, dass er Gott treffe; gleichwie Christus fühlte, dass eine Kraft war von ihm ausgangen, da er der Frau den Blutgang stillte (Marc. 5,30.). Denn des Geistes Wort und Werk fühlt man, dass sie treffen und nicht fehlen. Welche aber sohin schreien und beten in den Wind, es treffe oder treffe nicht, das ist nichts, und schafft auch nichts; es ist mehr ein Spott und Heuchelei vor Gott.