Luther - Gesetz und Evangelium

 

D. D. Martin Luthers Predigt

vom Unterschied zwischen dem Gesetz und Evangelio

über Gal. 3,23.24.

Gehalten den 1. Januar 1532

 

(wiedergegeben nach Walch, 2. Aufl. Bd. IX, Sp. 798-811)

 

Gal. 3,23.24.

Ehe denn aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetze verwahret und verschlossen auf den Glauben, der da sollte offenbart werden. Also ist das Ge-setz unser Zuchtmeister gewesen auf Christum, daß wir durch den Glauben gerecht würden etc.

 

1. St. Pauli Meinung ist diese: Daß in der Christenheit soll beide von Predigern und Zuhörern ein gewisser Unterschied gelehrt und gefaßt werden zwischen dem Gesetz und Evangelio, zwischen den Werken und dem Glauben; wie er denn solches auch Timotheo befiehlt, da er ihn vermahnt, 2. Ep. 2,15., das Wort der Wahrheit recht zu theilen etc. Denn dieser Unterschied zwischen dem Gesetz und Evangelio ist die höchste Kunst in der Christenheit, die alle und jede, so sich des christlichen Namens rühmen, oder annehmen, können und wissen sollen. Denn wo es an diesem Stück mangelt, da kann man einen Christen vor einem Heiden oder Juden nicht erkennen; so gar liegt es an diesem Unterschied.

2. Darum dringt St. Paulus so hart drauf, daß diese zwo Lehren, nämlich des Gesetzes und Evangelii, bei den Christen wohl und recht von einander ge-schieden werden. Beides ist wohl Gottes Wort, das Gesetz oder die zehn Gebo-te, und Evangelium; dieses anfänglich im Paradies, jenes auf dem Berge Sinai, von Gott gegeben. Aber daran liegt die Macht, daß man die zwei Wort recht unterscheide, und nicht in einander menge, sonst wird man weder von diesem noch von jenem rechten Verstand wissen noch behalten können; ja, wenn man meint, man habe sie beide, wird man keines haben.

3. Unter dem Pabstthum ist es also zugegangen, daß weder Pabst noch alle seine Gelehrten, Cardinäle, Bischöfe und Hohenschulen niemals gewußt haben, was Evangelium oder Gesetz wäre; ja, haben es noch nie geschmeckt oder in allen ihren Büchern vermeldet, wie eines vom andern zu unterscheiden wäre, wie des Gesetzes Lehre vom Evangelio sollte oder könnte geschieden werden. Da-rum ist ihr Glaube, wenn sie auch aufs höchste kommen, ein lauter Türken-glaube, der allein auf dem bloßen Buchstaben des Gesetzes und äußerlichen Thun und Lassen steht, als: Du sollst nicht tödten, nicht stehlen etc.; meinen also, es sei dem Gesetz genug geschehen, wenn man nur mit der Faust nicht tödtet, noch jemand das Seine stiehlt, und so fortan. Ja, sie halten es dafür, es sei solche äußerliche Frömmigkeit eine Gerechtigkeit, die vor Gott gilt etc. Aber solche Lehre und Glauben, ob gleich die Werke gut und von Gott geboten sind, ist falsch und unrecht. Denn das Gesetz fordert viel eine höhere Gerechtigkeit, denn die aus äußerlichen Tugenden und Frömmigkeit steht. Dazu wird das Evangelium von Gnade und Vergebung der Sünden gar dadurch niederge-schlagen. Denn wiewohl nicht stehlen, nicht tödten, recht ist, und durchs Gesetz erfordert wird, so ist es doch nicht mehr, denn eine heidnische Frömmigkeit, die des Gesetzes Gerechtigkeit nicht erreicht; viel weniger ist es Vergebung der Sünden, davon das Evangelium lehrt und predigt.

4. Ist darum hoch vonnöthen, daß diese zweierlei Wort recht und wohl unter-schieden werden; daß, wo das nicht geschieht, kann weder das Gesetz noch Evangelium verstanden werden, und müssen die Gewissen in Blindheit und Irrthum verderben. Denn das Gesetz hat sein Ziel, wie weit es gehen, und was es ausrichten soll, nämlich bis auf Christum, die Unbußfertigen schrecken mit Gottes Zorn und Ungnade. Desgleichen hat das Evangelium auch sein sonderlich Amt und Werk, Vergebung der Sünden den betrübten Gewissen zu predigen. Mögen darum diese beiden ohne Verfälschung der Lehre nicht in einander gemengt, noch eines für das andere genommen werden. Denn Gesetz und Evangelium sind wohl beide Gottes Wort, aber nicht einerlei Lehre. Gleichwie das Gottes Wort ist, 2 Mos. 28,12.: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.“ Und wiederum Eph. 6,2.3.4.: „Ihr Väter, ziehet eure Kinder auf in Gottesfurcht“ etc. Aber weil es nicht von einerlei Amt und Personen geredet ist, was würde wohl für Unordnung draus folgen, wenn es mit dem Schein, daß es alles Gottes Wort wäre, in einander geworfen sollte werden? Da würde der Sohn wollen Vater, der Vater wollen Sohn sein; die Mutter Tochter, die Tochter Mutter. Dies aber reimt sich übel, ist auch nicht zu leiden. Darum soll der Vater thun, was ihm von Gott aufgelegt und befohlen ist; desgleichen halte sich der Sohn auch seines Berufs; so ist es denn recht unterschieden und ausgetheilt. So auch gebührt es einer Hausmutter, Kinder zu gebären, zu säugen und aufzuziehen; einem Ehemann für sein Haus und Gesinde zu sorgen, und ihnen treulich vorzustehen; nicht Kinder zu gebären, reinigen, wischen und warten etc. Wenn nun eines dem andern in sein befohlen Amt greifen wollte, oder ihrer eines beides sein, was würde hieraus für ein wildes, wüstes Wesen werden? Darum muß man das Wort recht unter-scheiden, auf daß ein jeder seinem Beruf und Amt vorstehe, dabei bleibe, und nicht weiter fahre, so wird er nicht irren.

5. Was brachte Thomas Münzer in den greulichen Jammer anders, denn daß er in den Büchern von den Königen hat gelesen, wie David die Gottlosen mit dem Schwert todtgeschlagen, wie Josua die Cananiter, Hethiter und andere gottlose Völker, im Lande Canaan wohnend, umgebracht hätte etc. Das Wort fand er, und schloß daraus: Wir müssen ihm auch also thun, die Könige, Fürsten im Regiment unterdrücken, denn hier haben wir deß ein Exempel. Was mangelte hier Münzer anders, denn daß er das Wort nicht recht unterscheidete, und seine Rechnung so machte: David hat wohl gekriegt. Bin ich aber auch David? Das Wort, das David hat heißen kriegen, geht mich nicht an; ist ihm geboten zu kriegen, die Könige zu erschlagen, so ist mir zu predigen geboten. Dabei sollte es Münzer haben blei-ben lassen, und auf der Kanzel das Evangelium rein, nach dem Befehl Christi: ,,Gehet hin in alle Welt, und prediget das Evangelium aller Creatur“ etc., gelehrt haben, so wäre er nicht in solche schreckliche Lehre und Aufruhr gerathen. Denn zu David, und nicht zu Münzer, ist gesagt: Du sollst die Frommen schützen, die Bösen mit dem Schwert strafen und Frieden erhalten etc. Wenn aber David solches anstehen ließe, und unterwünde sich priesterliches Amtes, und ich wollte das Predigen fallen lassen, und das Schwert führen, und so alles durch einander mengen: was würde das für ein löblich Regiment und große Kunst sein? die auch Säue und Kühe wohl könnten!

6. Darum sage ich abermal, daß es eine sehr hohe Kunst ist, das Gesetz und Evangelium recht von einander zu scheiden, weil es auch in den Geboten (die doch alle unter dem einen Wort „Gesetz“ begriffen werden) vonnöthen ist zu thun, und eines von dem andern abzuscheiden, wo man nicht will, daß alles durch einander, ja, über und über gehen soll, weil es noch Fehl und Mangel hat, da alles recht und wohl unterschieden wird.

7. Darum ist es ein großer Unverstand, ja Thorheit, daß man vorgeben will: Es ist Gottes Wort, Gottes Wort! darum ist es recht etc. Ja, Gottes Wort ist nicht einer-lei, sondern unterschieden. Das Gesetz ist ein ander Wort denn das Evangelium; so sind die Gesetze oder Gebote auch nicht einerlei. Denn dies Wort Gottes: Schütze die Frommen, strafe die Bösen, geht mich nicht an, wie auch dies Wort: Du sollst Kinder gebären, säugen, wischen, warten etc., die Weiber allein betrifft. Wiederum: Du sollst predigen, die Sacramente reichen, nicht Weibes-, sondern Mannspersonen, die dazu berufen sind, zugehört.

8. Von diesem Unterschied wissen unsere Schwärmer gar nichts, weder active, noch effective, noch speculative, wie man ein Gesetz gegen das andere hält, daß eines gleich sowohl ein Gesetz ist als das andere. Ist es aber in Gesetzen von-nöthen, daß man sie von einander scheide, und die Personen, darauf sie ge-richtet sind, recht ansehe: wie viel mehr ist Unterschied zwischen dem Gesetz und Evangelio zu machen! Darum, welcher diese Kunst, das Gesetz vom Evan-gelio zu scheiden, wohl kann, den setze obenan, und heiße ihn einen Doctor der heiligen Schrift. Denn ohne den Heiligen Geist ist es unmöglich, diesen Unter-schied zu treffen. Ich erfahre es an mir selbst, sehe es auch täglich an anderen, wie schwer es ist, die Lehre des Gesetzes und Evangelii von einander zu sondern. Der Heilige Geist muß hier Meister und Lehrer sein, oder es wirds kein Mensch auf Erden verstehen noch lehren können. Darum vermag kein Papist, kein falscher Christ, kein Schwärmer diese zwei von einander zu theilen, sonderlich in causa materiali et in objecto. Durchs Gesetz soll anders nichts verstanden werden denn Gottes Wort und Gebot, darin er uns gebeut, was wir thun und lassen sollen, und unsern Gehorsam oder Werk von uns fordert. Solches ist leicht zu verstehen in causa formali, aber in causa finali sehr schwer. Die Gesetze aber oder Gebote, so von Werken reden, die Gott von einem jeden insonderheit, nach Natur, Stand, Amt, Zeit und andern Umständen mehr fordert, sind mancherlei. Daher sie auch einem jeden Menschen sagen, was ihm Gott seiner Natur und Amte nach aufgelegt hat und von ihm fordert; als, das Weib soll der Kinder warten, den Hauswirth regieren lassen etc. Das ist ihr Gebot. Ein Knecht soll seinem Herrn gehorsam sein, und was mehr zu eines Knechts Amt gehört. Gleicher Weise hat eine Magd auch ihren Befehl. Das gemeine Gesetz aber, das uns Menschen alle betrifft, ist dies, Matth. 22,39.: „Du sollst deinen Nächsten lieben, als dich selbst“, ihm in seiner Noth, wie die vorfällt, rathen und helfen: hungert ihn, so speise ihn; ist er nackt, so kleide ihn, und was desgleichen mehr ist. Das heißt das Gesetz recht abzirkeln, und vom Evangelio abmessen, nämlich, daß das Gesetz heiße und sei, welches auf unsere Werke dringt. Dagegen das Evangelium oder der Glaube ist solche Lehre oder Wort Gottes, das nicht unsere Werke fordert, noch gebeut uns, etwas zu thun, sondern heißt uns die angebotene Gnade von Vergebung der Sünden und ewiger Seligkeit schlecht annehmen und uns schenken lassen. Da thun wir ja nichts, sondern empfahen nur und lassen uns geben, was uns durchs Wort geschenkt und dargeboten wird, daß Gott verheißt und dir sagen läßt: Dies und das schenke ich dir etc. Als, in der Taufe, die ich nicht gemacht, noch mein Werk, sondern Gottes Wort und Werk ist, spricht er zu mir: Halt her, ich taufe dich, und wasche dich von allen deinen Sünden; nimm sie an, sie soll dein sein. Wenn du dich. nun so taufen lässest, was thust du mehr, denn daß du solch Gnadengeschenk em-pfähest und annimmst? So ist nun der Unterschied des Gesetzes und Evangelii dieser: Durch das Gesetz wird gefordert, was wir thun sollen, dringt auf unser Werk gegen Gott und den Nächsten; im Evangelio aber werden wir zur Spende oder zum reichen Almosen gefordert, da wir nehmen und empfahen sollen Gottes Huld und ewige Seligkeit.

9. Dieser Unterschied ist leichtlich hieraus zu merken: Das Evangelium beut uns an Gottes Gabe und Geschenk, Hülfe oder Heil, heißt uns nur den Sack her-halten und uns lassen geben; das Gesetz aber gibt nichts, sondern nimmt und fordert von uns. Nun sind je die zwei, geben und nehmen, sehr weit von einander geschieden. Denn wenn mir etwas geschenkt wird, so thue ich nichts dazu, sondern nehme und empfahe es, und lasse mir es geben. Wiederum, wenn ich in meinem Beruf ausrichte, was mir befohlen ist, item, rathe und helfe meinem Nächsten, so empfahe ich nichts, sondern gebe einem andern, dem ich diene. Also wird das Gesetz und Evangelium formali causa unterschieden; dieses verheißt, das andere gebeut. Evangelium gibt und heißt nehmen; Gesetz fordert und sagt: Das sollst du thun. Gleich als wenn ein Fürst oder Lehenherr einem Edelmann sein Gut schenkt oder leiht, da thut der Edelmann nichts, ist nicht sein Werk, sondern des Fürsten Geschenk; wenn er aber seinem Herrn zu Dienst oder zu Hofe reitet, alsdann thut er etwas.

10. Also sind diese zwo Lehren weit von einander zu scheiden, aber im Geist. Denn der Teufel hat das Herzleid anzurichten, läßt uns in materiali und finali causa nicht bleiben; läßt es wohl geschehen, daß man etwas thue oder wirke, führt aber von dem, davon uns geboten ist, auf ein anderes, als ein Höheres und Besseres. Dergleichen thut er auch in causa finali, weiset immer vom rechten Ziel zum falschen, als dazu das Gesetz gegeben soll sein. Das Gesetz heißt dies und das thun (als, du sollst nicht stehlen, nicht morden etc., und redet von solchem Thun, das aus dem Herzen und Geist hergeht), das ist formalis causa. Geschieht nun solch Werk nicht, so werden entweder Heuchler daraus (die das Gesetz vom äußerlichen Thun verstehen, und wenn sie solch Thun oder Werk haben, achten sie sich für unschuldig und gerecht), oder die gar verzweifeln. Das Evangelium aber tröstet und sagt: Siehe da, Christus ist dein Schatz, dein Geschenk, dein Heiland, Hülfe und Trost! Wenn nun das Herz auf diese Wegscheide zwischen das Gesetz und Evangelium kommt, und hier Gnade, dort Schuld, hier Ver-heißung, dort Gebot, hier geben, dort fordern sieht: da will es nicht hinan, son-dern prallt zurück, kann weder das Gesetz überwinden, noch die Gnade er-greifen. Ursache, es kann diese zwei Worte, Gesetz und Evangelium, nicht von einander scheiden.

11. Wo nun das Gewissen recht getroffen wird, daß es die Sünde recht fühlt, in Todesnöthen steckt, mit Krieg, Pestilenz, Armuth, Schande und dergleichen Unglück beladen wird, und alsdann das Gesetz spricht: Du bist des Todes und verdammt, dies und das fordere ich von dir, das hast du nicht gethan, noch vermocht zu thun. Wo das Gesetz (sage ich) also herein schlägt und schreckt den Menschen mit Todes- und Höllenangst und Verzweiflung, da ist es denn hohe Zeit, Gesetz und Evangelium von einander zu scheiden wissen, und ein jedes an seinen Ort zu weisen. Hier scheide, wer scheiden kann, denn hier ist Scheidens Zeit und Noth.

12. Hieher gehört nun, das St. Paulus sagt: ; „Ehe denn der Glaube kam; wurden wir unter dem Gesetze verwahret und verschlossen“ etc., daß ein Christ wisse Unterschied zu machen zwischen dem Gesetze und Evangelio, Werk und Glauben, sonderlich in finali und materiali causa, und dem Gesetz also begegne: Du forderst wohl viel, und steckst in schwere Verdammniß die, so nicht geben können; aber weißt du auch, wie weit dein Regiment gehen soll? hast du ver-gessen, daß es eine bestimmte Zeit hat, wie St. Paulus sagt: Wenn der Glaube kommt, soll es aufhören, nicht weiter fordern, schrecken, noch verdammen?

13. Wer das nicht weiß, noch Achtung drauf haben will, der verliert das Evan-gelium, und kommt nimmer zum Glauben. Wie denn jetzt der Teufel durch die Schwärmer in einander mengt Gesetz und Verheißung, Glauben und Werke, und zermartert die armen Gewissen, läßt sie weder Gesetz noch Evangelium recht unterschiedlich ansehen, treibt und jagt sie in das Gesetz, spannt ein Netz vor, das heißt: Das soll ich thun und lassen. Unterscheide ich hier nicht wohl Mosen und Christum, so bin ich und bleibe gefangen, kann nicht frei und los werden, sondern muß verzweifeln.

14. Wenn ich aber das Gesetz und Evangelium recht wüßte zu theilen, so hätte es nicht Noth, so könnte ich sagen: Hat denn Gott nur einerlei Wort, als nämlich, das Gesetz gegeben? Hat er nicht auch das Evangelium von Gnade und Ver-gebung der Sünden predigen heißen? Ja, spricht das Gewissen, wo nicht Glaube ist an die Verheißung, da dringt das Gesetz bald darauf: Dies und das ist dir geboten, das hast du nicht gethan, darum mußt du herhalten. In solchem Kampf und Todesangst ist hohe Zeit und Noth, daß sich der Glaube ermanne und mit ganzer Macht hervor breche, und dem Gesetz unter die Augen trete und ihm getrost zuspreche: Ei, liebes Gesetz, bist du allein Gottes Wort? Ist das Evan-gelium nicht auch Gottes Wort? Hat denn die Verheißung ein Ende? Hat Gottes Barmherzigkeit aufgehört? Oder sind die zwei, Gesetz und Evangelium, oder Verdienst und Gnade, nunmehr in einander gemengt und gekocht, ein Ding worden? Wir wollen den Gott nicht haben, der nicht mehr kann denn Gesetz geben, das wisse gar eben; so wollen wir auch das Gesetz mit dem Evangelio unvermengt haben. Darum lasse uns diesen Unterschied ungewehrt und unge-hindert frei gehen: daß du auf Pflicht und Recht dringest, das Evangelium auf eitel Gnade und Geschenk uns weise.

15. Darum, wenn mich das Gesetz beschuldigt: ich habe dies und das nicht gethan, ich sei ungerecht und ein Sünder in Gottes Schuldregister geschrieben, muß ich bekennen, es sei alles wahr. Aber die Folgerede: Darum bist du ver-dammt, muß ich nicht einräumen, sondern mich mit starkem Glauben wehren und sagen: Nach dem Gesetz, welches mir meine Schuld rechnet, bin ich wohl ein armer, verdammter Sünder, aber ich appellire vom Gesetz zum Evangelio, denn Gott hat über das Gesetz noch ein ander Wort gegeben, das heißt das Evangelium, welches uns seine Gnade, Vergebung der Sünden, ewige Ge-rechtigkeit und Leben schenkt, dazu frei und los spricht von deinem Schrecken und Verdammniß, und tröstet mich, alle Schuld sei bezahlt durch den Sohn Gottes, Jesum Christum selbst. Darum hoch vonnöthen, daß man beide Worte recht wisse zu lenken und handeln, und fleißig zusehe, daß sie nicht in einander vermengt werden.

16. Denn Gott diese zweierlei Wort, Gesetz und Evangelium, eines sowohl als das andere gegeben hat, und ein jegliches mit seinem Befehl: das Gesetz, das vollkommene Gerechtigkeit von jedermann fordere; das Evangelium, das die vom Gesetz erforderte Gerechtigkeit denen, so die nicht haben (das ist, allen Men-schen), aus Gnaden schenke. Wer nun dem Gesetz nicht genug gethan, in Sünde und Tod gefangen liegt, der wende sich vom Gesetz zum Evangelio, glaube der Predigt von Christo, daß er wahrhaftig sei das Lämmlein Gottes, das der Welt Sünde trägt, seinen himmlischen Vater versöhnt, ewige Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit allen, die es glauben, lauter umsonst und aus Gnaden schenkt. Zu dieser Predigt allein halte er sich, rufe Christum an, bitte um Gnade und Vergebung der Sünden, glaube fest (denn allein mit dem Glauben wird dies große Geschenk gefaßt), so hat er, wie er glaubt.

17. Dies ist nun der rechte Unterschied; und liegt zwar die ganze Macht daran, daß man ihn recht treffe. Predigen läßt es sich wohl oder mit Worten scheiden, zum Brauch aber und in die Practica zu bringen ist hohe Kunst und übel zu treffen. Die Papisten und Schwärmer wissen es gar nicht; so sehe ich es auch an mir und anderen, die aufs beste davon wissen zu reden, wie schwer dieser Unterschied sei. Die Kunst ist gemein: bald ist es geredet, wie das Gesetz ein ander Wort und Lehre sei denn das Evangelium; aber practice zu unterscheiden und die Kunst ins Werk zu setzen ist Mühe und Arbeit. St. Hieronymus hat auch viel davon geschrieben, aber wie ein Blinder von der Farbe. Das Gesetz nennen sie, daß man sich muß beschneiden, opfern, dies und das nicht essen etc. Darnach machen sie aus dem Evangelio ein neu Gesetz, welches da lehrt, wie man beten und fasten soll, wie du ein Mönch oder Nonne werden sollst, oder in die Kirche gehen etc. Und das heißen sie unterscheiden. Ja, es heißt vielmehr in einander geworfen. Denn sie wissen selbst nicht, was sie waschen. Darum höre St. Paulum, der lehrt dich, daß du höher kommen mußt, denn wie man sich be-schneiden oder nicht beschneiden soll etc. (denn das ist noch alles, unter dem Gesetz verwahret und verschlossen sein), nämlich zu dem Glauben an Christum, dadurch wir Kinder Gottes und ewig selig werden; oder bleiben unter dem Ge-fängniß und Zorn Gottes.

18. Wahr ist es, das Gesetz oder zehn Gebote sind nicht so aufgehoben, daß wir nun aller Ding frei davon würden, und sie nicht haben dürften. (Denn Christus hat uns vom Fluch, nicht vom Gehorsam des Gesetzes gefreiet.) Nein, das will er nicht, sondern, daß wir sie mit ganzem Ernst und Fleiß halten sollen; aber, wo wir es gethan haben, nicht darauf trauen, noch, wo es nicht gethan, verzweifeln sollen. Darum siehe zu, daß du beide Wort recht unterscheidest, dem Gesetz nicht mehr gebest, denn ihm gebührt, sonst verlierst du das Evangelium. Auch sollst du das Evangelium nicht also ansehen und davon Gedanken machen, daß das Gesetz untergehe, sondern lasse ein jegliches in seinem Kreis und Cirkel bleiben. Gleichwie man nicht predigen muß, daß keine Obrigkeit oder kein Pre-digtstuhl sein solle, sondern soll beiderlei Personen und Amt unterscheiden, daß eine jegliche bei ihrem Amt bleibe, und das versorge: die Obrigkeit nach ihrem Landrecht, so fern sich das erstreckt; der Prediger nach seinem Lehramt. In des Bürgermeisters Amt schlage ich mich nicht, sondern scheide mich von ihm, wie Winter und Sommer. Denn mein Amt ist predigen, taufen, die Seelen gen Himmel bringen, und arme, betrübte Herzen trösten etc. Der Obrigkeit aber gebührt, Frieden zu erhalten, auf daß die liebe Jugend in Gottes Furcht und Zucht aufge-zogen werde; dagegen kann sie nicht, weder Fürst noch Bürgermeister, des Predigens gewarten, studiren, oder die Leute mit Gottes Wort trösten.

19. Also gilt es recht Unterscheiden. Nicht wie der Pabst thut, der weder Hund noch Rüde, weder Fürst noch Bischof ist, und will’s doch beides unter sich haben, trägt Kappen und Platten zu seinem eigenen Schanddeckel; desgleichen thun seine Bischöfe, die auch weder Bischöfe noch Fürsten sind. Also sollst du ihm aber thun: Wenn du dich im Treffen findest, daß dich das Gesetz verdammen will, so wisse, daß nicht allein das Gesetz von Gott gegeben ist, sondern auch, das viel ein höher Wort ist, das liebe Evangelium von Christo. Wenn sie nun beide, Gesetz und Evangelium, auf einander stoßen, und das Gesetz findet mich einen Sünder, beschuldigt und verdammt mich; das Evangelium aber spricht, Matth. 9,2.: „Sei getrost, dir sind deine Sünden vergeben“, du sollst selig sein; beides ist’s Gottes Wort; welchem aber soll ich hier folgen? Das lehrt dich St. Paulus: „Wenn der Glaube kommt (spricht er), so sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister“, so hört das Gesetz auf. Denn es soll und muß, als das geringere Wort, dem Evangelio Statt und Raum geben. Beide sind sie Gottes Wort, das Gesetz und Evangelium; aber sie sind nicht beide gleich. Eines ist niedriger, das andere höher; eines schwächer, das andere stärker; eines geringer, das andere größer. Wenn sie nun mit einander ringen, so folge ich dem Evangelio, und sage: Ade, Gesetz! Es ist besser, das Gesetz nicht wissen, denn das Evangelium verlassen.

20. Denn gleichwie es im Gesetz ist, wenn Gott gebeut 2 Mos. 20,7.: „Du sollst meinen Namen nicht mißbrauchen“ etc., und dein Fürst oder deine Eltern ge-bieten dir: Du sollst Gott oder sein Evangelium verleugnen. Allhier spricht Gott: Ehre meinen Namen; und das Gesetz: Du sollst Gott mehr lieben, denn deinen Nächsten. Hier soll ich das geringste Gebot (den Gehorsam gegen Menschen) fahren und untergehen lassen, und das höchste Gebot der ersten Tafel (welches soll der andern aller Meister sein) halten, und dem allein gehorsam sein. Viel-mehr muß nun solches da gehalten werden, da das Gesetz mich dringen will, daß ich Christum, sein Geschenk und Evangelium, verlassen soll; da lasse ich vielmehr das Gesetz fahren, und spreche: Liebes Gesetz, habe ich die Werke nicht gethan, so thue du sie, ich will mich um deinetwillen nicht zu Tode martern, gefangen nehmen, oder unter dir halten lassen, und also des Evangelii ver-gessen. Habe ich gesündigt, Unrecht gethan, oder nicht gethan, da lasse ich dich, Gesetz, für sorgen. Trolle du dich, und laß mir mein Herz zufrieden, ich will dich darin nicht wissen. Wenn du aber das forderst und haben willst, daß ich hier auf Erden soll fromm sein, das will ich gern thun; aber wo du mir da hinein willst klettern und brechen, daß ich das verlieren soll, das mir geschenkt ist, da will ich dich viel lieber gar nicht wissen, denn das Geschenk fahren lassen.

21. Diesen Unterschied will uns Paulus lehren, da er spricht: Das Gesetz hat dazu gedient, daß es uns hat gefangen genommen etc. Denn man muß es auch haben, die Kinder und rohe Leute damit zu fangen und zwingen, als da ist: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren; du sollst nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht tödten etc. Denn der alte Mensch muß gebunden und unter dem Gesetz gefangen sein, damit es uns innenhält, treibt und fordert von uns, auf daß wir nicht muthwillig leben. Aber solcher Zwang und Gefängniß soll nicht länger währen, bis das Evangelium offenbar und erkannt wird, wie wir an Christum glauben sollen. Alsdann spreche ich: Gesetz, hebe dich, ich will nicht länger von dir in meinem Herzen gefangen sein, daß ich vertrauen sollte, daß ich dies und das gethan habe, oder verzweifeln, daß ich es nicht gethan habe. Der Glaube gibt mir hier eine himmlische Predigt, welche ist das Evangelium, auf daß das Gesetz den betrübten und zerschlagenen Herzen nicht mehr anhaben könne noch solle; es hat genug gemartert und gestöckt. Darum sollst du nun dem Evangelio, welches uns Gottes Gnade und Barmherzigkeit anbeut und schenkt, Raum geben.

22. Solches will St. Paulus in die Christenheit wohl einbilden, und ist zwar den Worten und ihrer Art nach, auch an Früchten (was ein jedes von diesen beiden wirke oder ausrichte) bald zu unterscheiden. Denn es ist zweierlei, nehmen und geben, schrecken und fröhlich machen. Das Gesetz fordert von uns und schreckt; das Evangelium aber gibt uns und tröstet. Aber solches darnach in usu zu scheiden, oder ins Werk zu bringen, wenn diese beiden Wort, Gesetz und Evangelium, im Gewissen auf einander stoßen, daß du alsdann sie recht scheiden und sagen könnest: Ich will die zwei Wort ungemengt, sondern ein jedes an seinen Ort gewiesen haben, in sua materia, das Gesetz für den alten Adam, das Evangelium für mein blödes, erschrocken Gewissen (denn ich bedarf jetzt keines Treibers zu guten Werken, viel weniger kann ich seine Anklage leiden, nachdem ich von eigenem Gewissen allzuhart, nicht allein verklagt, sondern überwiesen bin, sondern bedarf Trostes und Hülfe aus dem Evangelio von Jesu Christo); dies nun zu thun, ist sehr schwer, sonderlich wenn das Gesetz das Gewissen will einnehmen. Da siehe denn zu, daß du die Verheißung er-greifest, und das Gesetz nicht lassest die Oberhand gewinnen, noch regieren in deinem Gewissen, und dadurch ins Gerichte kommest, denn da wäre das Evangelium verleugnet. Sondern du mußt dich herum werfen, und das Gnaden-wort oder Evangelium von Vergebung der Sünden ergreifen, daß Gott auch habe geboten, den Armen das Evangelium zu predigen, darin er mit dir nicht nach dem Rechten spielen, sondern nach seiner Gnade als ein gütiger Vater gegen seinem dürftigen Kinde handeln will, daß er alles, was du nicht gethan hast, dir aus Gna-den vergeben, und was du nicht thun kannst, alles dir schenken will.

23. Also soll das Gesetz allein auf die äußerliche Zucht dringen, und das Kämmerlein, darin das Evangelium wohnen soll, zufrieden lassen; wie er spricht: „Ehe denn der Glaube kam, waren wir unter dem Gesetz beschlossen.“ Darum soll noch zu dem Gesetz, und über das Gesetz ein ander Wort kommen, nämlich das Evangelium, welches uns in eine fremde Frömmigkeit setzt, die außer uns allein in Christo ist. Derhalben ist es unmöglich, daß wir durch das Gesetz sollten gerecht werden; denn es vormals wohl mehr versucht worden, was es ausrichte. Darum ist auch unleugbar, daß kein Mensch durch des Gesetzes Werk fromm und gerecht werde. Denn so es möglich wäre, so wäre es vorlängst geschehen. Darum gehört hiezu ein ander und höher Wort, welches ist das Evangelium und der Glaube an Christum, wie gehört ist. Gott gebe uns Gnade, und stärke unsern Glauben, Amen!