Luther - Glaube und Wort

 

Eine Predigt über das Wesen des Glaubens: Er urteilt nicht nach Gefühl oder Erfahrung, sondern stets nach dem Wort.

 

(Martin Luther: Der hunderteinundzwanzigste Psalm, zitiert nach Walch, 2. Aus-gabe, Bd. 4, Sp. 1780-1805, Rechtschreibung angepasst)

 

Der hunderteinundzwanzigste Psalm.

 

Ich hebe meine Augen auf.

 

Der vorhergehende Psalm war ein Gebet um Erhaltung der reinen Lehre wider die Zungen der Ketzer und Gottlose Meinungen, denn dies ist der größte und hauptsächliche Kampf des Satans wider die Kirche; ich halte aber dafür, dass dieser Psalm verfasst sei, um die Gläubigen zu ermahnen. Denn er enthält die Lehre des Glaubens. Der Glaube aber ist die Erkenntnis der Dinge, die man nicht sehen kann und die man hoffen muss, und hanget an der Verheißung und dem Worte Gottes. Weil aber das Wort Gottes über alles menschliche Begreifen ist, und das, was es verheißt, der Vernunft entweder ungereimt oder unmöglich oder auch unglaublich zu sein scheint, darum sind für die, welche zu glauben ange-fangen haben, beständige Ermahnungen vonnöten, dass sie wider das Fleisch angereizt werden, welches wider den Glauben und das Wort streitet, damit nicht der Geist, gleichsam beschwert durch diese Last des Fleisches, völlig uneinge-denk sei der unsichtbaren Dinge und sich ganz und gar in die gegenwärtigen und sichtbaren Dinge versenke. Denn unser Leben wird unter beständigen Stürmen hin und der bewegt, gleich denen, die auf dem Meere schiffen. Denn täglich werden wir von den Winden der Anfechtungen angefeindet, da unsere Herzen in Unruhe verletzt werden entweder durch Reichtum oder durch Armut, durch Ehre oder durch Schande, durch Traurigkeit oder durch Freude. Daraus folgen viel schwerere Anfechtungen (passiones), nämlich entweder Sicherheit oder Ver-zweiflung. Deshalb muss, da diese Stürme wehen, Widerstand geleistet werden durch die Ermahnung des Worts, und es muss auf den Glauben an das Wort gedrungen werden.

Auf diese Weise verstehe ich diesen Psalm, dass er gleichsam eine Lehre sei, durch welche wir erinnert werden, dass in diesem Leben der Glaube fort und fort geübt werden müsse durch Ermahnungen, damit wir nicht, eingenommen von den Sorgen dieser Zeit, der ewigen Güter vergessen.

 

V. 1.

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt.

 

Was er von den Bergen der Hilfe sagt, das schließt einen Gegensatz in sich, wie jede Lehre des Glaubens und jede Verheißung einen Gegensatz mit sich bringt, wenn man das Fleisch ansieht. Es wird den Gottseligen verheißen, dass der Herr bei ihnen sein werde; aber wenn man auf das äußere Ansehen blickt, so scheint auch Christus am Kreuze verlassen zu sein. Auf diese Weise wird auch durch diesen ganzen Psalm ein gar schöner Gegensatz angezeigt, als ob der Prophet sagen wollte: Wenn Anfechtungen und Prüfungen des Glaubens eintreten, läuft der eine hierhin, der andere dorthin; es wird mancherlei Trost, mancherlei Hilfe gesucht. Wenn man dafürhält, dass man der Freunde bedürfe, so läuft man zu den Freunden; wenn man des Fürsten bedarf, so läuft man zum Fürsten. So kannst du sehen, dass in meinem Volke etliche gen BethEl laufen, andere gen Gilgal, andere gen BethAven als ob die die heilsamen Berge wären, wie unter dem Papsttum einige nach Rom, andere nach Compostella, noch andere anderswohin liefen. Denn zahllos ist die verschiedene Art des Schutzes und des Trostes, welche ein Herz glaubt und sucht, wenn es sich in schwieriger Lage befindet, und, was zu verwundern ist, es lässt viel leichter und geschwinder einen anderen Schutz und Trost zu, als den einigen und wahren Trost Gottes allein. Dies ist nun das Lob des Glaubens, dass er in Gefahren aufschaut zu dem einigen Berg der Hilfe, welcher in Jerusalem ist, und den Schutz aller anderen Berge fahren lässt. Auf diese Weise sieht er die Gottlosen gleichsam mit scheelen Augen an, welche den Glauben und den wahren Schutz der göttlichen Barmherzigkeit verließen, der damals zu Jerusalem war, und ihre Hilfe auf anderen Bergen suchten.

Ähnlich ist das, was wir im Papsttum gesehen haben. Denn da waren mancherlei Sekten der Mönche: einer hielt des Augustinus, ein anderer des Benedictus, ein anderer des Franciscus Regel; aber durch ihre Gelübde suchten sie nichts Anderes als den Trost, dass sie das ewige Leben erlangen würden. Die Furcht vor dem Zorne Gottes und die Angst des Gewissens schien ihnen durch jene Tröstungen beseitigt werden zu können. Dies ist eine beständige Gewohnheit der menschlichen Natur zu allen Zeiten. Daher sagt David: Andere verlassen den Tempel, haben einen Abscheu vor dem Berge Zion, ich aber bleibe auf dem einfältigen Wege der wahren Religion und des Glaubens, der auf dem Berge der Hilfe ist, den der Herr selbst eingesetzt hat. Er nennt ihn aber einen Berg der Hilfe, um alle anderen Berge zu verwerfen und zu verdammen, welche zwar einen Schein der Hilfe haben, wie denn auch sichtbare Hilfe bei götzendieneri-schen Gottesdiensten ist, aber sie haben dennoch nicht die wahre Hilfe. So sagten die Juden, dass Baal bereitwilliger helfe, als der Herr im Tempel. Daher schreien sie bei Jeremia (Cap. 44,16-18.): Wir wollen der Königin des Himmels opfern, deiner Rede aber wollen wir nicht gehorchen. Denn seit der Zeit, dass wir abgelassen haben, der Königin des Himmels zu opfern, hat uns das Schwert, Hunger etc. ergriffen. So verließen sie den Tempel und den wahren Gottesdienst und verfielen in Gottlosigkeit.

Aber, sagst du, warum tut Gott das, dass die Abgötterei und Gottlose Gottes-dienste gutes Gedeihen haben? Freilich deshalb, damit er uns versuche, ob unser Glaube wahr sei, ob wir nach den heiligen zehn Geboten wahrhaft Einen Gott glauben und verehren. Es geht der Abgötterei zwar wohl, aber nur eine Zeitlang. So sagt Ahas (2 Chron. 28,23.): „Die Götter der Könige zu Syrien helfen ihnen; darum will ich ihnen opfern, dass sie mir auch helfen.“ Aber was sagt der Text? „Die Götter Syriens waren ihm und dem ganzen Israel ein Fall.“ Das ist das Ende dieser falschen Zuflucht. In solcher Weise hilft den Menschen das Gold oder der Mammon: er ist ein großer Gott, der oft errettet, fröhlich macht, aufbläst, hoffärtig macht; aber wie lange? Freilich nur so lange wir hier leben, aber im Tode verlässt er nicht allein seine Diener, sondern stürzt sie auch in die Hölle. Was es daher auch immer an menschlichem und sichtbarem Trost gibt, das ist alles ungewiss und betrügt den Menschen, und dennoch plagt es die Herzen wunder-lich und führt sie in solche Finsternis, dass sie sich um Gott nicht kümmern, der ein ewiger Gott ist, und nicht mit eitlem Troste kitzelt, wie der Welt Schutz tut, sondern er erfüllt mit ewiger Freude, während dagegen der Welt Freude kaum einen Augenblick währt. Denn so sagt er (Joh. 16,22.): „Ich will euch wieder sehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ Wir sollen also lernen bei unserem Gott zu bleiben und bei dem unsichtbaren Troste. Wenn nun auch etwas zu leiden ist, wenn wir verlassen und ohne Freude zu sein scheinen, so wird es geschehen, dass, wenn Gott sich sehen lassen wird, dass er noch Sorge für uns trage, auch wir dafür halten werden, „dass dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert sei, die an uns soll geoffenbaret werden“ (Röm. 8,18), wie Paulus tröstet.

Dies ist daher die Meinung dieses Verses, dass der Glaube die Erkenntnis der unsichtbaren Dinge ist, die man dennoch hoffen muss, damit wir nämlich nicht meinen, er sei ein bloßes Gedankenspiel (speculationem), wie das des Thomas von den Engeln. Es sind die Dinge, die man hoffen muss; welche wir erfahren, nämlich ein gutes Gewissen, ein fröhliches Gemüt, ein unüberwindlicher Glaube, welcher wider die Armut, den Neid, die Ärgernisse der Welt, wider Irrtümer, ja auch wider den Tod Stand hält. Auf diese Weise muss man die Natur des Glaubens lernen, dass er nämlich ein Wille sei, oder eine Erkenntnis, oder eine Erwartung, die da am Worte Gottes hangt; dies Wort zeigt und beweist unsicht-bare Hilfe, welche zwar gewiss und unfehlbar ist, aber doch erwartet werden muss; obgleich sie sich verzieht, wird sie dennoch kommen. Derselben muss man nicht einen Ort, nicht Zeit noch Person zuweisen, denn sie ist unsichtbar, aber dennoch gewiss. Hierher gehören eigentlich die Worte des Psalms: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt.“ Hier zeigt er an, dass er der Hilfe ermangele und dennoch in der Hoffnung auf Hilfe zu den Bergen aufschaue und den unsichtbaren Beistand erwarte.

Auf diese Weise müssen wir uns auch verhalten. Ich sehe nicht was ich essen, was ich trinken, wie ich die Ausgaben bestreiten soll, ich sehe nicht, wie ich der Gefahr der Schande entgehen soll; deshalb pocht das Herz, als ob wir gänzlich der Hilfe beraubt wären. Hier müssen wir dafürhalten, dass die Hilfe gewisslich zubereitet sei, wiewohl wir nicht wissen, wann sie eintreten werde; daher müssen wir glauben und erwarten. Aber hier lernt man, wie schwer es sei zu glauben, da wir wider das, was wir sehen, hören und empfinden, etwas feststellen müssen. Ich bin oft in den schwersten Gefahren gewesen, da es schien, als habe sich die ganze Welt wider mein Haupt verschworen. Denn es ließ der Papst, der mein und Christi Feind ist, nicht ab, alles wider mich zu erregen, was es nur irgendwo an Gewalt und Schrecken gab. Hier hätte die Welt und die Vernunft vielmehr geraten, dass ich schweigen sollte, als dass ich unter so großer Gefahr lehren sollte. Denn sie sieht nirgends die Hilfe des Herrn, welche unsichtbar und vor den Augen der Welt verborgen ist; daher denkt sie nur das, was sie sieht, nämlich den Untergang. Ich schweige aber hier von meinem Gemüte, ich will von meinem Glauben und meiner Hoffnung nichts sagen, wiewohl ich auch oft von diesen Gefahren beunruhigt worden bin: aber das zeigt doch der Ausgang, dass die Hilfe, welche vor meinen und der ganzen Welt Augen unsichtbar und verborgen war, erschienen sei, so dass mir von meinen mächtigsten Feinden nicht allein nichts widerfuhr, sondern dass auch täglich durch neue Gelegenheiten das Wort des Evangelii weiter und stärker ausgebreitet wurde. Da nun das Fleisch das Unsichtbare nicht sehen kann, so müssen wir uns gewöhnen, dass der Glaube in allen Gefahren sage: Ich will meine Augen aufheben zu den Bergen; da ist gewisse und bereite Hilfe, so wenig ich es auch immer sehe, und das Fleisch oder die Vernunft etwas Anderes sieht und erwartet. So malen diese Worte des Glaubens gar schön das Wesen des Glaubens ab, wie er beschaffen sei und was er sei.

Aber hier fragt man, warum er sage „zu den Bergen“ und nicht: zu Gott; sodann, warum er in der Mehrheit rede, und nicht von Einem Berge sage, denn diese Mehrzahl scheint der Abgötterei das Wort zu reden. Auf die erste Frage antworte ich so, dass diese und ähnliche Stellen (als (Ps. 20,3.): „Er sende dir Hilfe vom Heiligtum“) eigentlich zu unserer Theologie gehören, welche lehrt, dass Gott hören wolle, dass er verehrt, auf ihn gehofft, zu ihm gebetet werden solle nach seinem Worte, und nicht nach unseren Gedanken. So sagt er im zweiten Buch Mosis (Cap. 20,24.): „An welchem Ort ich meines Namens Gedächtnis stiften werde, da will ich zu dir kommen und dich segnen.“ Es waren daher alle Juden, an welchem Orte oder in welchem Lande sie auch waren, an den Tempel zu Jerusalem gebunden, so dass sie auch, wenn sie in ihrem Hause beteten, ihre Augen gen Zion richten mussten. Es gefiel zwar Gotte das Gebet der Frommen in Babylon fern vom Tempel und von Jerusalem, aber deshalb, weil sie sangen und beteten zu dem Gott, der auf dem Berge Zion wohnte und dort seine Hütte aufgeschlagen hatte. Und dies war die Ursache, weshalb die Propheten die Opfer und anderen Gottesdienste verdammten, die an anderen Orten eingesetzt oder verrichtet wurden. Denn es war nicht genug zu sagen: O Gott, der du dein Volk aus Ägypten geführt hast, denn so nannte auch Jerobeam Gott, mit dem rechten Namen Gottes, und betete vielleicht mehr und brünstiger als die, welche in Jerusalem im Tempel waren. Denn so pflegt die Heuchelei zu tun, und die Abgötterei ist viel brünstiger als die rechte Gottseligkeit. Warum aber gefielen Gotte solche Gebete nicht? Freilich um deswillen, weil die anderen Berge nicht erwählt waren; sie hatten nicht das Wort Gottes. Daher wollte Gott die Gebete nur an dem Einen Orte erhören, dass sie sich wenigstens mit den Augen und dem Herzen nach Jerusalem wandten, wenn sie mit dem Leibe nicht da sein konnten. Daher wandte sich Daniel, wenn er beten wollte in Babylon, gen Jerusalem, nicht bloß, weil Salomo in seinem Gebete darum gebeten hatte, wenn sie einst, in die Verbannung vertrieben, in ihrem Gebet sich zu diesem Orte wenden würden, dass Gott sie erhören und wieder in das Land zurückbringen möchte, sondern weil Gott schlechthin an dem Orte angebetet werden wollte, welchen er selbst erwählt hatte, damit er aller willkürlichen und selbsterwählten Andacht wehrte.

Wir, im neuen Testamente, sind von der Beschränkung auf äußere Stätten be-freit, wie Christus sagt (Joh. 4,21.): „Es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch zu Jerusalem werdet anbeten.“ Es ist aber unser geistlicher Ort Christus Jesus, weil Gott geordnet hat, dass er nichts erhören wolle, es sei denn durch diesen, wie Christus sagt (Joh. 16,23.): „So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen“ Durch ihn opfern wir daher Gotte die Farren unserer Lippen (Hos. 14,3.). Daher gibt es außer Christo nichts, was wir glauben, hoffen oder erlangen sollen. Dies ist der hauptsächlichste Teil unserer Lehre, daher müssen wir fest daran halten. Es sind viele gewesen, die Gotte außer Christo gefallen wollten. So wollte Arius, wiewohl er Christi Gottheit wegnahm, doch dafür angesehen sein, dass er den rechten Gott hätte. Unsere Mönche glauben, dass sie Gotte gefallen durch ihre Gelübde und ihre mönchischen Gebrauche. Diese alle heben ihre Augen nicht auf zu den Bergen, auf welche David sieht, das heißt, sie sehen nicht allein auf Christum, wiewohl dies doch festgehalten werden muss, dass Christus allein unsere einige Stätte sei, unsere Zeit und alle Umstände, die zum Gebet erfordert werden, so dass, gleichwie die Juden kein anderes Heiligtum hatten als das zu Jerusalem, so auch wir kein anderes Heilig-tum haben als dies Eine, Jesum, Mariä Sohn.

Auf diese Weise pflege ich zu antworten auf die erste Frage, dass David das Gebet bindet an den heiligen Ort, der zu Jerusalem geordnet ist, an welchem das Gedächtnis des Namens Gottes war, welches er sich selbst gestiftet hatte (2 Mos. 20,24.). Vor der Zeit war es in Silo und Gibea gewesen, wo die Hütte ge-wesen war. An diesen Orten erhörte er die Gebete und nahm die Opfer an; an anderen Orten aber nahm er weder Gebete noch Opfer an. Denn es war da nicht das Gedächtnis des Namens des Herrn, welches er sich selbst gestiftet hatte, sondern das Gedächtnis des Namens der Abgötterei, welche die Juden sich selbst erdichtet hatten. Jetzt aber im neuen Testamente wohnt der Name Gottes in Christo und der Kirche, welche Ein Leib ist mit Christo, wo das Wort Gottes ist, die Taufe, das Abendmahl des Herrn und die Übung des Gehorsams gegen Gott.

Auf die zweite Frage antworte ich so, dass, – wiewohl er von der Kirche des neuen Testaments zu weissagen scheint, in welcher viele Berge sind, nicht bloß ein einziger, das heißt, Gott erhört in Christo überall der Gläubigen Gebete, und es ist das Gebet und der Gottesdienst nicht an Einen bestimmten äußerlichen Ort angebunden, – es doch möglich ist, dass der Prophet die Mehrzahl gebrauche, entweder um der Ehrerbietung willen, oder weil zwei Berge in der Stadt Jerusa-lem waren, der Berg Zion gegen Süden und der Berg Moria, auf welchem der Tempel war. Wie ich aber vorher gesagt habe, so zeigt die Mehrzahl auch einen Gegensatz an, als ob er sagen wollte: Die Götzendiener laufen zu ihren Bergen, aber ich will bei meinen Bergen bleiben, das heißt, bei dem einigen Berge des Tempels, welcher mir statt aller Berge dient.

Dass er aber hinzufügt: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt“, ist klärlich ein Wort des Glaubens. Denn das Fleisch meint, dass von diesen Bergen der Teufel komme, das Kreuz und Schaden aller Art. Daher nennt das Fleisch sie nicht Berge der Hilfe, sondern Berge der Verlassen-heit, weil es sieht, dass es um der Religion willen bedrängt wird von dem Hass der Welt, von Armut, von Anfechtungen des Fleisches, von Schrecken etc. Dies scheint eine Verlassenheit zu sein, ein Verworfensein von dem Angesichte Gottes und ein Niederfahren zur Hölle. Wider dies Urteil des Fleisches kämpft der Glaube, und richtet nicht nach dem, was er fühlt und sieht, sondern nach dem Worte, welches Gott redet. Das gebietet, unsichtbare Dinge zu glauben, und völlig, dass ich so sage, unsichtbar zu werden, dass du in Armut Reichtum glaubest, in Traurigkeit Freude, in Verlassenheit Hilfe, im Verworfensein ganz gewisse und ewige Gnade, wie David an dieser Stelle tut. Er ist überwältigt von Unglück, fühlt darin auch keine Hilfe, und dennoch spricht er: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt.“ Man muss also die Augen aufheben, nicht sie heften auf gegenwärtiges Ungemach. Denn das heißt den Augen und Ohren beistimmen, das heißt, dein Fleisch hören, welches dir vorsingt von dem Zorn Gottes, von dem Verlassensein, von der Größe der Gefahr, aus der keine Errettung da ist. Deshalb müssen die Augen aufgehoben werden zu den Bergen Gottes, und die Ohren müssen gerichtet werden zu der Stimme des Herrn, welche spricht und verheißt, dass Hilfe kommen werde von diesen Bergen. Wiewohl sie eine Zeitlang unsichtbar ist, so ist sie dennoch gewiss und völlig bereit. Diejenigen, welche sich in Reichtum, Ehre und Würden befinden, die leben nicht in unsichtbaren Dingen, daher überheben sie sich leicht in ihren Herzen; aber die, welche dieser Dinge ermangeln, und leiden an Leib und Seele, die sollen ihre Augen aufheben, damit die Hilfe, die unsichtbar ist, ihnen sichtbar werde, wie dies denn in dem Worte verheißen wird.

Es sind dies also Worte eines Menschen, der erfahren ist in geistlichen Dingen, der empfunden hat, was wir empfinden, dass nämlich unsere Sinne es beschwer-lich fühlen, wenn wir in Verlassenheit keine Hilfe sehen, wenn wir nicht Reichtum sondern Armut, nicht Ehre sondern Schande leiden. Unter diesen Übeln ist das Herz wie eine sehr schwere Last, welche die Augen und das Haupt niederdrückt, dass es außer den irdischen Dingen nichts denkt noch sieht. Er ermahnt also durch sein Exempel, dass wir alsdann die Augen aufheben sollen und zu den unsichtbaren Dingen hinschauen, von denen das Wort verheißt, dass sie in völliger Bereitschaft sind. Auf diese Weise erklärt dieser Psalm die Natur des Glaubens. Nun folgt gleichsam eine Auslegung, von welchen Bergen er rede:

 

V. 2. Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

 

Ich rede von den Bergen, nicht welche die leiblichen Augen sehen. Denn wer könnte entweder so scharf sehen, oder so weise sein, dass er mit Augen sehen könnte, dass der Berg Moria der heilige Berg sei? Die Augen sehen einen Haufen Erde, die Heiligkeit sehen sie nicht, welche auf ihn gelegt ist, weil das Wort des Herrn da ist, dass Gott gesagt hat, er wolle daselbst wohnen, weil er das Gedächtnis seines Namens an dem Orte gestiftet hat, dass er dort, und nicht im Himmel sich finden lassen wolle. Denn wer von diesem Orte abgegangen ist, der hat Gott auch nicht im Himmel finden oder ergreifen können, gleichwie wir, nachdem Gott sich in dem Menschen Christo offenbart hat, richtig sagen und glauben, dass alle die, welche diesen Menschen, der von Maria geboren ist, nicht ergreifen, Gott schlechthin nicht ergreifen können, sondern, wiewohl sie sagen, dass sie an Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde, glauben, so glauben sie doch in der Tat an einen Götzen ihres Herzens, weil außer Christo kein wahrer Gott ist. Daher sieht David die Berge zu Jerusalem nicht mit leiblichen Augen an, wie eine Kuh ihren Stall, sondern mit den Augen des Geistes, dass Gott durch sein Wort daselbst wohnt. Deshalb sind diese Berge nicht mehr Thon oder Erde, sondern des Herrn Berge und eine Fülle der Gottheit, so dass außer diesen Bergen nichts was Gott ist (nihil Dei) gefunden werden kann. Daher sagt er mit Recht, dass seine Hilfe von diesen Bergen komme, das heißt, von Gott, der dort wohnt, wie wir glauben, dass Christus der Gnadenthron sei, in welchem alles gefunden werde, aber außer ihm werde nichts gefunden.

Dass er aber nicht einfach „von dem Herrn“ sagt, sondern noch den Beisatz hinzufügt: „der Himmel und Erde gemacht hat“, zeigt den Gegensatz an, um allen anderen Schutz abzuweisen, den die Menschen suchen. Auch der Mammon ist ein Gott, das heißt, er wird von den Menschen als ein Gott verehrt, und er hilft auch bisweilen den Menschen; was ist er aber nütze, wenn es mangelt an Ge-treide? Es kann ja niemand einen hungrigen Magen mit Gelde satt machen. So auch, was nützt er in der Dürre? Was nützt er in Krankheit des Leibes? Wenn nun der Mammon in diesen leiblichen Übeln nicht helfen kann, was sollte er ausrichten, wenn das Gewissen von Sünden und vom Tode gequält wird? Es ist also der Mammon ein so gar stückweiser Freudenspender, dass er nicht stück-weiser sein könnte: er ergötzt nur die Augen, wie eine gemalte Tafel, in solchem Maße, dass bei den Deutschen auch das Sprichwort entstanden ist: Geldrede traurige Rede; während dagegen Possen von den allergeringsten Dingen mehr erheitern. Diesen und ähnlichen Hilfen, welche die Welt sucht, setzt nun David den Herrn entgegen, welcher nicht allein Gold und Silber gemacht hat, welcher nicht allein die Früchte, das Wasser und Himmel und Erde gemacht hat, das ist, die Engel, die Menschen und alle Kreaturen, und außerdem Vergebung der Sünden, Glauben, Gerechtigkeit, Fröhlichkeit und Frieden des Herzens, samt dem ewigen Leben selbst. Dieser ist, sagt David, meine allmächtige und gewisse Hilfe, von dem ich nicht den Zweifel hegen kann, dass er mich auch nur einen Augenblick betrüge. Diesen Herrn bitte ich um Hilfe, der da nicht bloß Gesundheit für wenige Jahre geben kann, sondern ein Leben mit ruhigem Gewissen, und nach diesem Leben das ewige Leben. In diesem Leben aber verleiht er mir, dass ich den Tod und alles Wüten der Welt verachte.

Auf diese Weise erhitzt sich der Prophet und schärft seinen Glauben uns zum Exempel, damit auch wir unsere Gaben und unsere Hoffnung groß achten. Denn wenn die Bauern ihre Groschen groß machen können, welche doch nur einen Augenblick dauern und in den geringsten Gefahren nicht helfen können, wenn sie sich erheben und aufblasen können wegen ihres Reichtums, warum sollten wir nicht auch aufgeblasen sein in der Zuversicht zu dem so großen Gotte, der Himmel und Erde gemacht hat, der alles in seiner Hand hat, was vonnöten ist zu diesem und dem zukünftigen Leben! Aber weil dies unsichtbare Dinge sind, darum werden sie von uns insgemein vernachlässigt. Wir müssen aber lernen, dass wir, wenn wir auch fasten müssen und eine Zeitlang dieser Hilfe entbehren, dennoch hoffen, dass sie gewisslich kommen werde.

 

V. 3.

Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht.

 

Dies (der Text der Vulgata) würde richtiger durch das Futurum ausgedrückt: Non dabit, ut moveatur pes tuus, neque dormitabit, qui custodit te. Es hängt aber dieser Vers mit den vorigen zusammen. Denn weil der Prophet hier eine Ver-mahnung zum Glauben vorgenommen hat, so ist er darauf aus, dass er mit diesen Worten als mit Verheißungen anhalte, dringe und ermahne, diese Zuver-sicht zu der göttlichen Hilfe festzuhalten. Es ist aber äußerst notwendig, nicht allein andere zu ermahnen und zu dringen, sondern auch uns selbst, wegen der sichtbaren und gegenwärtigen Gefahren und Plagen. Denn weil das, was traurig macht, gegenwärtig ist, dagegen das, was tröstet, abwesend ist, deshalb ist es vonnöten, dass wir durch das Wort aufgemuntert werden zur Beharrlichkeit und Geduld, so lange als das als gegenwärtig fortdauert, was uns plagt. Denn es muss diese Erfahrung mit der Lehre verbunden werden. Denn unsere Augen sind viel zu stumpf, als dass sie zu den unsichtbaren Dingen hindurchdringen könnten und das Ende der gegenwärtigen Trübsale sehen. Daher kommt es, dass die Natur immer umherschaut nach einer Weise, wie sie errettet werden möchte, und da sie dieselbe nicht sieht, wie sie denn verborgen und unsichtbar ist, wird sie gemartert. Daher sind Ermahnungen vonnöten, damit diese (es sei mir gestattet, so zu reden) Kürze der Natur oder die Enge unseres Herzens erweitert, größer gemacht oder verlängert werde. Das vermag der, welcher das Ende unserer Anfechtungen sieht; sein Wort muss man hören, unser Herz muss nicht gehört werden, welches nur den Anfang der Anfechtungen fühlt und sieht, aber das Ende des Leidens nicht sieht.

Daher bedient sich der Heilige Geist nun der Redekunst, damit die Ermahnung desto eindringlicher werde. Und hier ist zuerst das zu erinnern: wenn nicht das Gegenteil von dem geschähe und empfunden würde, so wäre diese Ermahnung vergeblich. Denn wenn sofort mit der Anfechtung auch das Ende da wäre, oder der Herr auch bald geben würde, wenn wir anfangen, etwas zu bedürfen, wozu wäre es dann vonnöten, irgend etwas zu verheißen? Es ist also weder Lehre vonnöten in den Dingen, die wir zuvor wissen, noch eine Ermahnung, wenn wir ohne Gefahr und Anfechtung sind. Dass er daher sagt: „Der Herr wird deinen Fuß nicht gleiten lassen“, drückt offenbar diese Sorge aus, dass die Herzen in der Anfechtung in der Gefahr stehen, dass sie gänzlich verderben und verlassen werden. Hier bedarf es daher der Ermahnung, damit der Glaube nicht gänzlich ausgelöscht werde.

Die Vernunft urteilt, sie werde verlassen, und erfährt das, was ein gewisser Kriegsmann zu sagen pflegte, dass niemandem mehr Gefahr und Schaden zustieße als denen, die Gott und dem Kaiser treulich dienten. Da dies sich so verhält, muss man das Wort des Glaubens anwenden. Dies spricht erstlich aus, „dass alle, die gottselig leben wollen in Christo, Verfolgung erleiden müssen“ (2 Tim. 3,12.). Es hält Christum als ein Exempel vor, der durch das Kreuz zur Herrlichkeit einging, und erinnert uns, „dass wir gleich werden sollen dem Eben-bilde seines Sohnes“ (Röm. 8,17.29.), das heißt, „mit leiden, wenn wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden wollen“; deshalb ist Trübsal und Kreuz vor-handen. Sodann zeigt das Wort auch das, was man tun muss, und welche Heilmittel man suchen solle in solchen Trübsalen, dass man nämlich auf das Wort merken müsse; dieses scheidet die Anfechtung in Anfang und Ende, das ist, es verheißt, dass die Anfechtung nicht ewiglich dauern werde, wie unser Herz urteilt. Ferner urteilt das Wort von dem Anfange so, dass die Anfechtung nur einen Augenblick daure. So nennt Christus sie (Joh. 16,16.) „ein Kleines“ und vergleicht (V. 21.) die Trübsale der Seinen mit der Geburt, wo Tod und Leben ganz nahe an einander gerückt sind. Denn das Weib, welches schon an ihrem und des Kindes Leben verzweifelt hatte, vergisst sofort aller Schmerzen, sobald das Kind geboren ist. So sagt auch Paulus (Röm. 8,18.): „Dieser Zeit Leiden sind der Herrlichkeit nicht wert, die an uns soll geoffenbaret werden.“

Diesem Urteile des Wortes musst du folgen und nicht deinem Sinne, der da urteilt, das Übel sei unendlich, und in der Tat aus einem mathematischen Punkte einen unendlichen Kreis oder eine unendliche Linie macht. So gar ungelehrt ist unsere Vernunft in dieser göttlichen und himmlischen Mathematik, dass sie das, von dem Gott urteilt, es sei ein Augenblick, ein Punkt, ein Tröpflein, ein Funke, beschreibt, als sei es eine Ewigkeit, ein unendliches Meer, eine Feuersbrunst. Aber, sagst du, ich fühle und erfahre es so. Das mag immerhin sein; aber wel-ches von beiden glaubst du? Ist denn dein Dafürhalten richtiger, oder aber Gottes Sehen gewisser und besser? Darum müssen wir das tun, dass wir nicht urteilen nach dem, was wir empfinden, sondern nach dem, was das Wort ausspricht und urteilt, oder Gott selbst in seinem Worte.

Auf diese Weise zeigen die Historien: als Julianus den heiligen Athanasius ver-folgte und ihm den Tod drohte, habe Athanasius gesagt, diese Gefahr sei gleich einem Wölklein, welches die Sonne allmälig verzehrt. Lieber, was hätte wohl Verächtlicheres gesagt werden können von einer so großen Gewalt, wie sie das Haupt des römischen Reiches inne hatte? man hätte sie richtiger mit einem Meere oder einer ungeheuren Feuersbrunst vergleichen können. Aber wie Athanasius sagte und glaubte, so ist es auch geschehen. Denn Julianus ist kurz darauf in einer Wüste in Persien getötet worden, Athanasius aber blieb unver-sehrt. Nach dem Exempel dieses Mannes sollen auch wir unsere Gefahren achten und auf das Wort dessen sehen lernen, der da verheißt, damit wir nicht von uns und unserem Fühlen, sondern von der Verheißung des Herrn abhängig seien. Der Tod, die Pestilenz, Hunger, der Hass, mit dem die Welt uns hasst, Schande und andere Übel, sind freilich Übel, und werden mit Recht einem unge-heuren und erschrecklichen Sturme verglichen. Wenn wir hier die Vernunft zu Rate ziehen, so unterliegen wir, aber wir müssen die Augen aufheben zu den Bergen, und die Stimme hören: Ich bin der Herr, dein Gott, darum achte mein Wort und meine Hilfe groß. Wenn dies geschieht, so wird die Größe der Gefahr gering, und dagegen werden im Herzen das Wort Gottes, und der die Verheißung gibt, groß, dass du sprechen kannst: Es komme immerhin ein noch so großer ungeheurer Sturm; hier ist Gott, hier ist sein Wort. So wird alles Wüten des Teufels, auch die Sünde und der Tod zunichte gemacht, und das, was zuvor eine unendliche Masse zu sein schien, wird ein kleines Pünktlein.

In solcher Weise müssen wir die Unterscheidungen des Heiligen Geistes lernen. Wenn dir dein Vater, dein Sohn, dein Weib stirbt, wenn du Gut, Ehre, Gesundheit, Zuversicht des Herzens, auch bisweilen Christum verlierst, so sind das freilich große Dinge; aber hüte dich, dass du nicht aus dieser Zeit, wo du dies empfin-dest, einen Himmelskreis (sphaeram) machest, und aus diesem Punkte eine unendliche Linie. Denn so groß das Übel auch immer sein mag, so ist Gott doch gewisslich unendlich viel größer. Wenn er daher noch steht, wenn er nicht zu Grunde gegangen ist, wie er denn nicht zu Grunde gehen kann, was ist es Großes, dass dir dein Weib, dass dir deine Kinder gestorben sind? Was ist es Großes, dass dein Leib und dein Leben zu Grunde geht? Denn was ist das, wenn du es mit Gott und seiner Gnade vergleichst? Freilich ist alles, was wir haben und sind, nur ein mathematischer Punkt, wenn man es vergleicht mit Gott und seinem Reichtum, den er in seinem Worte verheißt. Deshalb sollen wir darauf sehen, und lernen, in der Anfechtung recht zu teilen oder zu unterscheiden, nämlich, dass die Anfechtung und das Kreuz an sich, das heißt, nach dem Fleische und dem Fühlen unseres Herzens, etwas Unendliches ist. Denn wenn Christus und Gott nichts ist, so könnte auch das allergeringste Übel nicht von uns überwunden werden, sondern würde uns unterdrücken. Auf diese Weise ist jegliches Unglück unendlich. 

Aber ist es nicht eine Lüge, dass Gott und Christus nichts sei oder nirgends sei? Wenn er daher lebt und Gott und Christus ist, wie es denn vonnöten sein muss, so muss man nicht an sich (absolute) nach unserem Herzen von dem Kreuze urteilen, sondern nach der Kategorie der Beziehung (relationis), das heißt, man muss es halten gegen Gottes Hilfe; dann wird es geschehen, dass die Kategorie der Größe (quantitatis) ganz und gar dahinfällt. Krankheit ist eine große An-fechtung am Fleische, es ist unerträglich zu sterben, ins Feuer geworfen zu werden etc.; es ist ein Großes, Frau und Kinder zu verlieren, wenn du nur auf dich selbst siehst.

Aber diese Dinge müssen im Vergleich, mit Hinblick auf den allmächtigen Gott, angesehen werden, nämlich, dass, obgleich wir dies verloren haben, Gott dennoch lebt und regiert; wiewohl er uns „ein Kleines“ betrüben lässt, will er uns dennoch selig machen. So sagt er in Jesaia (Cap. 54,7.): „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen.“ Dieser Augenblick scheint dem Fleische etwas Unendliches zu sein, aber, wie ich gesagt habe, die Augen des Fleisches trügen. Daher ist das Urteil zu fällen nach den Verheißungen der unsichtbaren Dinge, und man muss darauf sehen, was Gott in seinem Worte sage.

Dies ist die Übung des Glaubens, in Bezug auf welche David uns an dieser Stelle erinnert, dass wir lernen sollen hinzusehen auf die Verheißung und das Wort, und zu urteilen nach den Augen, die nach oben aufgehoben sind, nicht nach den gegenwärtigen Dingen. Wir erfahren aber hier, dass die Theologie eine unend-liche Weisheit ist, welche niemals ganz ergriffen oder ausgelernt werden kann. Denn wir sehen die Änderung welche plötzliche Fälle verursachen. Heute bin ich ganz gesund, morgen sterbe ich; diese Gefahr macht, dass uns Himmel und Erde zu eng zu sein scheinen, als dass sie uns fassen könnten, und alle Kreatur wird uns gleichsam zur Hölle. Denn so pflegt das Fleisch zu tun, welchem auch der Teufel seine Gedanken eingibt, dass es weder Gott noch das Leben sieht, sondern urteilt, das Übel sei unendlich. Aber dies ist nicht ein Urteil, sondern eine Lüge unseres Fleisches und des Teufels, wider die man kämpfen muss, und glauben, dass auch in unserm Tode Gott bleibe, und unser König Christus lebe, vor dessen Augen mein Tod mit allen Trübsalen und Gefahren nur ein Nichts ist. Denn was ist der Tod, was der Verlust der Kinder und dergleichen, wenn du es gegen Gott hältst?

Aber wer hat diese Kunst genugsam gelernt? Reden und lehren können wir einigermaßen; aber ein Theologe muss durch Übung und Erfahrung zum Theo-logen werden, dass wir mit David sagen können: „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen“, das heißt, er wird dich nicht fallen lassen. Denn das Fleisch setzt sich dawider, weil es fühlt, dass nicht allein der Fuß gleite, sondern dass es ganz und gar unter die Füße getreten werde. Siehe den Sohn Gottes, was er gelitten hat! Siehe Johannes den Täufer, Maria, die Apostel, die Propheten, was sie gelitten haben! Siehe heutzutage die Kirche an, was sie täglich erleidet! Diese Erfahrung hat Anlass gegeben zu einem Sprichwort: Je größer Schalk, je besser Glück. Deshalb weicht die Welt aus Furcht vor diesen Gefahren vom Evangelio. So ist das Gegenteil von dem vor Augen, was David an dieser Stelle verheißt, denn es scheint, dass der Herr den Fuß gleiten lasse. Aber es scheint nur so, in Wahrheit tut er es nicht, und es scheint dem Fleische so; dagegen der Geist und der Glaube urteilen, dass dies eine Erhöhung vor Gott sei und eine Ehre; sie urteilen, dass der Tod, welchen man wegen des Bekenntnisses des Evangelii erleide, der Anfang eines besseren und ewigen Lebens sei; sie urteilen, dass die Schande eine unaussprechliche Ehre sei vor den Augen Gottes. Dies ist das Urteil des Glaubens, wiewohl das Fleisch es anders empfindet, aber nach dem Fühlen des Fleisches muss man kein Urteil fällen. Denn wozu sollte sonst die Lehre des Wortes und derartige Ermahnungen und Verheißungen dienen? Deshalb muss man das Böse ins Gute verkehren, und wo das Fleisch schließt, dass es täglich dahingegeben werde, zertreten zu werden in den Kot, da muss der Glaube, dem Worte gemäß, aussprechen, dass er dem Sohne Gottes gleichgemacht und Christo gleichförmig werde. Denn diese Dinge sind als unsichtbare und auch unfühlbare zu glauben, nicht zu sehen und zu empfinden.

Die aber nicht glauben wollen, sondern ihrem Fühlen folgen, die erwählen das Pünktlein der Ehre und der Ergötzlichkeiten dieser Welt. Aber wie elend wird ihre Lage werden, wenn sie nach diesem Augenblick der allernichtigsten Freude von ewigen Schmerzen und Tränen werden umfangen werden! Wie viel besser wäre es, mit Lazarus hier eine kleine Weile krank zu sein und Mangel zu leiden, als mit dem reichen Manne hier Überfluss zu haben und dort im ewigen Feuer gepeinigt zu werden! Diese Lehre gehört also für diejenigen, welche glauben wollen, und nicht fühlen, so dass sie einen Unterschied machen zwischen ihren Gefahren und Gott, und ihre Augen nicht bloß auf das gegenwärtige Unglück heften, sondern dieselben aufheben zu der unsichtbaren und im Worte verheißenen Hilfe. Denn diese Gefahren, denen die Gläubigen ausgesetzt sind, machen freilich den Fuß gleiten, aber der Glaube bewirkt, dass der Fuß nicht gleite zum Falle, sondern dass wir jene Klippen der Gefahren gleichsam überspringen, und das Pünktlein der Trübsal mit den anderen Dingen vergleichen, welche unendlich sind, wie Gott selbst ist, seine Macht, Gnade, endlich das ewige Leben, welches er denen verbeißen hat, die an Christum glauben.

Es ist notwendig, dass wir dieses wissen, damit wir uns selbst und unsere Brüder trösten können, wenn wir wegen des Wortes gehasst, verachtet, beraubt und getötet werden. Wohin sollen wir in diesen Übeln laufen? denn sie überwinden alle Kraft unserer Vernunft und unserer Natur. Freilich dahin, dass wir sagen, Gott sei größer als unser Unglück; Gott sterbe und verderbe darum nicht, wenn wir verderben. Deshalb muss man von Herzen auf seine Güte und Macht vertrauen, und das Fühlen des Geistes (dass ich so sage) über das Fühlen des Fleisches und unseres Herzens erheben. Die das nicht tun wollen, die mögen freilich ihre Wohllüste genießen, doch haben sie das zu erwarten, dass sie die Hefen des Kelches austrinken müssen, den die Gottseligen nur zu einem kleinen Theile trinken, wie der Prophet Ps. 75,9. redet, wiewohl auch den Gottseligen dies oft widerfährt, dass ihnen leibliche Hilfe zuteil wird. Denn Gott vernachlässigt die Seinen nicht so ganz und gar, dass er niemals in diesem Leben zeigen sollte, dass er Acht auf sie habe. So wird David, der aus dem Königreiche vertrieben war, wieder ins Königreich eingesetzt; Hiskia, der von einer tödlichen Krankheit befallen war, wird wieder gesund; das Volk der Juden, das unter die Heiden zerstreut war, wird wieder zurückgeführt. Aber auch hier hat der Glaube seine Statt, dass diese Hilfe erwartet werde. Denn sie ist nicht alsbald vorhanden, wenn wir derselben bedürfen, oder wünschen, dass sie da sein möge. Gleichwie aber die Heiligen in solchen Gefahren Hilfe erlangen, so geht es den Gottlosen nicht immer wohl, sondern sie haben auch oft in diesem Leben erschreckliche Strafen ihrer Gottlosigkeit zu erleiden.

Es treibt jetzt der Adel seinen Mutwillen mit den armen Hirten der Kirchen und verachtet und hasst in unedler Weise alle wissenschaftlichen Studien. Mir ist es aber nicht zweifelhaft, dass es dazu kommen wird, dass Ein solcher Kirchen-diener hundert solchen Edelleuten vorgezogen werde. So hat das Papsttum lange in Blüte gestanden, aber wir erfahren, dass viel von seiner alten Macht und Reichtum abgegangen ist, und dass den Papisten die offenbaren Strafen ihrer Gottlosigkeit bevorstehen. Denn Gott richtet sein Urteil auch in solcher Weise leiblich oder zeitlich aus, für die Gottseligen wider die Gottlosen. Wir sollten uns nun um so stärker auf das Wort verlassen und die Hilfe erwarten, indem wir die Augen von diesem fühlbaren Elende zu der unsichtbaren Hilfe aufheben. Was nun im Psalm folgt, das hat genau dieselbe Meinung, denn der Heilige Geist hat die Kirche reichlich trösten und ermahnen wollen.

 

V. 4. Siehe, der Hüter Israel schläft noch schlummert nicht.

 

Auch dies sind, wenn man es nach dem Fleische ansieht, lügenhafte Worte. Denn heißt das „behüten“, wenn wir ins Gefängnis geworfen werden, und wir dem Henker zum Verbrennen übergeben werden? wenn wir vom Teufel und von der Welt mit mancherlei Unglück geplagt werden? ja, wenn Christus selbst ans Kreuz geheftet wird? wenn der Täufer nach dem Willen der Hure enthauptet wird? Ist es nicht der äußerste Unverstand (barbaria), das eine Behütung zu nennen, wo das höchste Verlassensein stattfindet? Das Fleisch urteilt daher, dass hier die Worte in ihrem entgegengesetzten Sinne gebraucht seien (anti-phrases esse), und dass man unter Gott, der da behütet, einen solchen ver-stehen müsse, der da verlässt. Darum sind es Worte des Geistes und des Glaubens, nicht des Fleisches und des Fühlens. Denn nach dem Fleische zu urteilen hat Gott den Patriarchen Jakob nicht behütet, als Joseph durch die Grausamkeit seiner Brüder umkam, und dennoch zeigte nachher der Ausgang, dass er so behütet worden sei, dass Joseph fast der König von Ägypten wurde.

Es behütet uns der Herr nicht so, dass wir nicht sterben müssten, dass wir nicht den Tod unserer Eheweiber, Kinder und Eltern sehen müssten, dass wir nicht täglich vom Teufel geplagt würden, dass wir nicht mancherlei Unrecht erdulden müssten von der undankbaren und bösen Welt. Wo sieht man nun hier die Behütung? wo offenbart es sich, dass Gott über uns wache? Darum müssen die Augen aufgehoben werden zu den Bergen, wo er sein Wort hin verordnet hat, da muss man es hören, was er von seinem heiligen Tempel rede, nämlich, dass er nicht ein schläfriger Verlasser ist, wie unser Fleisch urteilt, sondern ein Hüter und Wächter, der für uns Wache hält. Dies Wort ergreift der Glaube und urteilt nach diesem Worte, wie sehr sich auch immer das Fleisch dawider setzt und nach seinem Fühlen dafürhält, dass Gott weder sehe noch höre, sondern gleich sei denen, von welchen der Psalm (Ps. 115,5.6.) sagt: „Sie haben Ohren und hören nicht, sie haben Augen und sehen nicht.“ Daher lobt das Fleisch seinen Gott Mammon, dass immer das Geld in Bereitschaft sei und alles, was zum Leben vonnöten ist. Dieses Pünktlein bewundert und ergreift das Fleisch und sieht nicht, was künftig geschehen werde, wenn man sterben und die Güter hinter sich lassen muss. Deshalb kümmert sie sich nicht um diesen Hüter, der im Glauben und Wort behütet.

Deshalb sollen wir, die wir gläubig sind und diese jämmerliche Blindheit der Welt sehen, gewisslich dafürhalten, dass diese Hut, die im Glauben und in der Ver-borgenheit über uns gehalten wird, allmächtig sei. Denn dahin führt uns die heilige Schrift und lehrt uns, dass das Reich des Teufels ein Reich der Sünde sei, des Todes und der Lüge; wenn aber dieser Obersatz feststeht, so folgt, dass der Teufel in jedem Augenblicke die Menschen zur Sünde reize, suche sie zu töten und zu verführen, oder wenigstens damit zu schaffen habe, dass wir sündigen, sterben, irren möchten. So sind wir immer im Tode, immer sind wir in Gefahr von gottlosen Meinungen und von der Sünde. Was aber tun wir in diesen Anläufen des Satans? Freilich wir lehren, schreiben, lesen, schlafen, essen, trinken, und vollbringen andere Verrichtungen des Leibes und der Sinne. Hier lehrt uns unsere Theologie durch unsere Erfahrung: Wenn Gott nicht wachte, wenn ich schlafe, wenn er nicht Sorge trüge, wenn ich mich um nichts kümmere, wenn er mich nicht verteidigte und behütete, wenn ich sicher bin, so würde es in jedem Augenblicke geschehen, dass wir stürben, die Sprache verlören, Augen, Ohren, Hände, Füße etc. Dass daher dies bisweilen geschieht, dass wider Erwarten Weib, Kinder und Freunde sterben oder in große Gefahr geraten, dient zum Beweise, dass des Teufels Reich ein Reich des Todes und der Sünde ist. Weil wir in diesem Reiche leben, so lange wir in der Welt sind, geschieht es, dass wir auch wider unsern Willen oft in Sünden gestürzt werden. So wird David ein Mörder und ein Ehebrecher, damit wir lernen, dass das Reich des Teufels in dieser Welt sei, um Sünde und Totschlag anzurichten. Dass wir also noch leben-dig sind, dass wir nicht täglich in schwere Sünden fallen, das haben wir dem Hüter zu danken, von dem David hier redet. Dies lehrt die Theologie unwider-leglich, und die Gottseligen glauben es. Denn sie erfahren an ihrem und der ganzen Kirche Exempel, dass Satan nicht eher ruhe, als bis er entweder die Seele oder den Leib getötet hat; das Verderben der Seele sucht er durch Lügen, durch gottlose Lehre und gottlose Gottesdienste; das Verderben des Leibes sucht er durch unzählige Anläufe, die wir täglich an uns und anderen sehen. Dass dies nun entweder nicht geschieht, oder nicht so häufig geschieht, als er es vorhat, ist nicht die Wohltat des Satans, sondern dieses unseres Hüters und Wächters.

So führt uns auch die Erfahrung dahin, nachdem dieser Obersatz festgestellt ist, dass das Reich des Teufels ein Reich der Sünde und des Todes sei, dass wir ohne Unterlass vor dem Tode und anderen leiblichen und geistlichen Gefahren bewahrt werden durch die Wohltat Christi, in dessen Reich wir versetzt sind durch die Taufe und den Glauben. Daher haben die herrlichen Predigten der Propheten ihren Ursprung, in denen sie singen, dass die Erde voll ist der Güte des Herrn (Ps. 33,5. 119,64.), dass seine Güte ewiglich währet (Ps. 107,1. 118,1. 136,1.),

dass sie nicht zu zählen ist (Ps. 40,6.) etc. Bisweilen gelingt es freilich dem Vor-nehmen des Satans, dass er die Menschen mit plötzlichen Gefahren überfällt und sie ins Verderben stürzt. Solche Fälle sollten uns zu Beweisen und Exempeln dienen für das Übel, welches er uns zu jeglicher Stunde gern tun würde, wie er es denn vornimmt (und auch ausführen würde), wenn er nicht durch die Behü-tung unseres Wächters im Himmel verhindert würde. Denn was die Macht dieses Feindes anbetrifft, so glaube ich, dass er in Einer Stunde alle Menschen töten könne, die auf Erden leben. Wenn er es also vermag und es zu tun unternimmt, warum geschieht es denn nicht? Ohne Zweifel, weil unser Hüter wacht. Aber dies muss geglaubt werden, deshalb fügt er das Wörtlein „siehe“ hinzu, damit es zu Tage trete, dass dem Propheten daran gelegen sei, unseren Herzen diese Behütung wohl einzuprägen.

Aber hier ist zu erinnern, dass Gotte diese Hut zugeschrieben werde über unser Leben, über die Königreiche, den Frieden, die Städte, während er dies doch durch Mittel tut; erstlich durch die Engel, darnach durch die Fürsten, die Eltern, das Hausgesinde etc. Dies geschieht aber um deswillen, damit wir festiglich dafürhalten, dass diese Mittel nichts ausrichten würden in der Behütung und Fürsorge, wenn nicht Gott die oberste Leitung dieser Angelegenheiten auf sich nähme. Er gebraucht daher des Dienstes der Engel und der Fürsten, wie er sich des Brotes und des Weines bedient. Denn gleichwie Brot und Wein an sich das Leben nicht erhalten, denn sonst würde niemand sterben, und doch um Gottes Ordnung und der Beschaffenheit unserer Natur willen zur Erhaltung des Lebens notwendig sind, so wäre auch die Hut der Engel, der Fürsten und anderer Mittel an sich nichts, wenn nicht der Hüter Israel wachte und behütete. Weil das Wort diese Hut offenbart, so glaubt der Geist sie auch. Das Fleisch sieht sie nicht, daher legt es diese Worte nach der den Worten entgegengesetzten Meinung (antiphrasin) aus: „Der Hüter Israel“, das heißt, der Verlasser; ,,schläft nicht“, das heißt, er schläft nicht allein den allertiefsten Schlaf, sondern er hat durchaus gar keine Empfindung und er ist nichts. Denn die Vernunft urteilt nur nach den Punkten und Anfängen des Unglücks, nicht nach dem Worte und nach Gott, der die Verheißung tut. Weil aber die Propheten wussten, wie schwer es sei, in solcher Weise zu glauben, darum ermahnen sie mit so vielen Worten wider den Unglauben und das Urteil des Fleisches. Heutzutage sehen wir, dass dieses insgemein verachtet wird, denn man hält dafür, dass der Glaube nur eine Kenntnis oder eine gewisse Bekanntschaft mit der Geschichte sei. Aber der Glaube ist es eigentlich, welcher im äußersten Unglück ausdauert und das Wort des Lebens behält, und so alle Macht des Teufels überwindet, alles Zagen und alle Gefahren, durch welche er mit Ehre und Zuversicht zu dem unsterblichen Leben hindurchdringt.

 

V. 5.

Der Herr behütet dich, der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand.

 

Wiewohl wir durch den Dienst der Engel beschützt werden, so sagt er doch: Der Herr selbst behütet dich und ist der Schatten über deiner rechten Hand, das heißt, über die Dinge, die du zu tun hast. Denn so lege ich es auf das einfältigste aus, und billige nicht die Meinung, dass der Herr über der Rechten sei nach dem Geiste, aber der Teufel über der Linken nach dem Fleische. Denn er sagt einfach: Der Herr leitet deine Angelegenheiten. Wenn du die Gemeinden lehrst, wenn du die Werke deines Berufs ausrichtest, dass du dir und deiner Familie den Lebens-unterhalt verschaffest, so begegnen dir viele Nachteile: deine Widersacher be-drängen dich, die Nachbarn beneiden dich etc.; hier richte dich auf und glaube, dass alle deine Angelegenheiten, was du tust und leidest, der Herr regiert und dich beschützt. Aber hier sollst du wiederum dessen eingedenk sein, was ich oben gesagt habe, dass dies vergeblich gesagt und gelehrt werde, wenn wir nicht verlassen würden. Deshalb bekennt er eben dadurch, dass er von der Behütung lehrt, und verheißt von der Regierung, dass die Verlassenheit und Mangel an Sorge gefühlt werde, als ob Gott nicht für uns sorge. Es dient daher zu unserm Troste, dass Gott auf diese Weise zeigt, dass er unser Elend und unsere Trüb-sale wisse, und befiehlt, dass wir glauben sollen, er sei unser Schatten, der uns bedecke. Um wie viel größer ist aber Gott als unsere Gefahren, wenn sie auch noch so groß sind? Daher sollen wir in ihm Freude und Zuversicht haben, da er verheißt, dass er für uns sorgen werde in allen Dingen, die wir zu tun haben.

 

V. 6.

Dass dich des Tages die Sonne nicht steche, noch der Mond des Nachts.

 

Hier muss man keinen fernliegenden Sinn suchen. Das Licht des Mondes ist sehr schädlich, denn es macht die Leiber nicht allein kalt, sondern auch feuchtig (afficit humore); von der Sonne ist es bekannt, wie sie die Leiber schwächt. Er bezeichnet daher ganz allgemein mit dem Licht der Sonne und des Mondes alle Anfechtungen und alle Gefahren (und sagt), dass er in denselben bei uns sein wolle, uns helfen und erretten, wiewohl es eine kleine Zeit scheint, als ob wir allein diese Hitze tragen. Denn wenn wir allein wären, so wäre die Anfechtung ewig, denn bei uns ist nicht so viel Stärke, dass wir beständig ausharren könnten. Nun lässt Gott zu, dass der Satan den Anfang seiner Wut gegen uns ausspeie, aber das leidet er nicht, dass er uns so viel schade, als er uns zu schaden be-gehrt. Weil wir daher diesen Schatten haben, müssen wir den Anfang der Schmerzen geduldig tragen, weil wir gewiss sind, dass, wenn wir auch sterben, dennoch unser Leben ohne Gefahr in Christo verborgen sei, und das Vornehmen des Satans überwinden werde.

 

V. 7.

Der Herr behüte dich vor allem Übel; er behüte deine Seele.

 

Was der vorhergehende Vers in einer bildlichen Rede gesagt hat, das sagt er jetzt einfach und ohne Bild. Die Seele bezeichnet das Leben. Wenn du daher auch um des Worts willen getötet wirst, so wirst du dennoch nicht sterben, weil der Herr deine Seele behütet. Nach dem, was vor Augen ist, und nach dem Dafürhalten des Fleisches, stirbst du, aber nicht nach der Wahrheit, weil dein Leben lebt, nämlich Gott etc.

 

V. 8.

Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.

 

Das heißt, wohin du auch immer gehen magst, zu Hause, auf dem Felde, immer werde ich bei dir sein und dich behüten. „Ausgehen“ bezeichnet an die Arbeit gehen, „eingehen“ bezeichnet sich von der Arbeit zur Ruhe begeben. Der Sinn ist daher dieser: Was du auch immer tust, immer wird der Herr bei dir sein; an keinem Orte, zu keiner Zeit, in keiner Sache, in keinem Tun, durch keine Person, durch kein Werk werde ich dich zu Grunde gehen lassen, sondern werde immer bei dir sein als dein Hüter, der ich der Gott des Himmels und der Erde bin. Auf diese Weise lehrt der Prophet durch diesen Psalm den Glauben nicht als einen toten Zustand oder eine Beschaffenheit (qualitatem), wie die Sophisten, sondern als das größte Werk und Bewegung des Heiligen Geistes, durch welche wir urteilen nach dem Worte, wider das, was wir fühlen, sehen und erfahren; des-gleichen überwinden wir dadurch die Gefahren jeder Art. Von diesem Glauben reden und urteilen die Papisten nicht besser als ein Blinder von der Farbe.