Hutter - Mensch

 

Leonhard Hutter (1563-1616): Inbegriff der Glaubens-Artikel aus der heiligen Schrift und den symbolischen Büchern zusammengestellt (Compendium locorum theologicorum ex scripturis sacris et libro concordiae), Leipzig 1837

 

Leonhard Hutter über den Menschen:

 

Sechster Artikel.

Vom Ebenbilde Gottes im Menschen, oder von der ursprünglichen Gerechtigkeit.

 

+1. Was war das Ebenbild Gottes, nach welchem der erste Mensch geschaffen ist?

 

Die ursprüngliche Gerechtigkeit bezieht sich nicht bloß auf die zweite Tafel der zehn Gebote; sondern auch auf die erste, welche Furcht Gottes, Vertrauen und Liebe zu Gott verlangt. Daher wird auch der Mensch, welcher nach diesem Bild Gottes geschaffen war, nicht nur eine ebene Beschaffenheit des Leibes gehabt haben; sondern auch eine gewissere Erkenntnis Gottes, Furcht Gottes, und Vertrauen zu Gott, oder wenigstens die rechte Beschaffenheit und Kraft, dasselbe zu tun: ferner die Unsterblichkeit und Herrschaft über die Kreaturen. S. Apolog. der Augsb. Conf. Art. 1. S. 111. „Was ist aber justitia originalis, oder die erste Gerechtigkeit im Paradies? Gerechtigkeit und Heiligkeit in der Schrift heißt ja nicht allein, wenn ich die andere Tafel Mose halte, gute Werke (S. 39) tue und dem Nächsten diene, sondern denjenigen nennt die Schrift fromm, heilig und gerecht, der die erste Tafel, der das erste Gebot hält, das ist, der Gott von Herzen fürchtet, ihn liebet und sich auf Gott verlässt. Darum ist Adams Reinigkeit und unverrückt Wesen nicht allein eine feine vollkommene Gesundheit und allenthalben rein Geblüt, unverderbte Kräfte des Leibes gewesen, wie sie davon reden, sondern das größte an solcher edler, ersten Kreatur ist gewesen ein helles Licht im Herzen, Gott und sein Werk zu erkennen, eine rechte Gottes-furcht, ein recht herzlich Vertrauen gegen Gott, und allenthalben ein recht-schaffen gewisser Verstand, ein fein gut fröhlich Herz gegen Gott und allen göttlichen Sachen. Und das bezeugt auch die heil. Schrift, da sie sagt (1 Mos. 1,27), dass der Mensch nach Gottes Bilde und Gleichnis geschaffen sei. Denn was ist das anders, denn dass göttliche Weisheit und Gerechtigkeit, die aus Gott ist, sich im Menschen bildet? Dadurch wir Gott erkennen, durch welche Gottes Klarheit sich in uns spiegelt, das ist, dass dem Menschen erstlich, als er ge-schaffen, diese Gaben gegeben sein, recht klar Erkenntnis Gottes, rechte Furcht, recht Vertrauen und dergleichen.“

 

+ 2. Bitte, beweis' mir das aus der heil. Schrift?

 

Dies bezeugt die heil. Schrift, wenn sie 1 Mos. 1,27 sagt: dass der Mensch nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen sei; vgl. die eben angeführte Stelle aus der Apologie. Ebenso zeigt Paulus im Brief an die Epheser (Kap. 4,24) und an die Kolosser (Kap. 3,10), dass dies das Ebenbild Gottes sei, nämlich Er-kenntnis Gottes, Gerechtigkeit und Wahrheit.

 

+ 3. Ist denn dies Ebenbild Gottes nach dem Fall im Menschen geblieben?

 

Nein: denn die Erbsünde, welche durch den Fall der ersten Eltern in alle Men-schen durchgedrungen, ist eine so tiefe und schreckliche Verderbnis der Natur, dass sie mit keines Menschen Vernunft erkannt werden kann. * Daher sind die gegen diesen Artikel gerichteten Satzungen der Scholastiker, nach welchen gelehrt wird, dass die natürlichen Kräfte des Menschen nach Adams Fall unversehrt und unverdorben geblieben seien, eitel Irrtum und Finsternis. S. Concord. Form. Erkl. Art. 1. S. 885ff. „Zum dritten, was dieser Erbschade sei, weiß und erkennet keine Vernunft nicht, sondern es muss, wie die Schmal-kaldischen Artikel reden, aus der Schrift Offenbarung gelernt und geglaubt werden.“ (S. 40)

 

* 4. Aber woher beweisest du denn das?

 

Ich beweise es daher, dass auf den Fall Adams sogleich ein völliges Nichtdasein oder Mangel oder Beraubung der im Paradies angeschaffenen Erbgerechtigkeit, oder des Ebenbildes Gottes, nach welchem der Mensch im Anfang in Wahrheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit geschaffen war, folgte: und zugleich trat auch eine Ohnmacht, Unvermögen und Dummheit ein, durch welche der Mensch zu allem Göttlichen oder Geistlichen gänzlich ungeschickt ist; was aus den folgenden Artikeln von der Erbsünde und dem freien Willen deutlicher erhellen wird.

 

+ 5. Kann denn das verlorene Ebenbild Gottes im Menschen nicht hergestellt werden?

 

Die menschliche Natur, welche durch dieses Übel verkehrt und ganz verderbt ist, kann anders nicht geheilt werden, als durch des heiligen Geistes Wiedergeburt und Erneuerung. Welches Werk des heiligen Geistes in diesem Leben doch nur angefangen, aber allererst in jenem Leben vollkommen sein wird. S. Concord. Form. Erkl. Art. 1. S. 887.