Luther - Vorsehung

 

D. Martin Luthers Antwort an Erasmus von Rotterdam, daß der freie Wille nichts sei (De servo arbitrio, 1525), in: Dr. Martin Luthers sämmtliche Schriften, hrg. von Dr. Joh. Georg Walch (Zweite Walchsche Ausgabe, St. Louis, 1880-1910), Band 18, Sp. 1668-1969

 

In der Schrift vom unfreien Willen äußert sich Luther sehr klar über Gottes allumfassende Vorsehung und Vorbestimmung:

 

Es ist darum auch das für einen Christen besonders nothwendig und heilsam, daß er wisse, Gott weiß nichts in der Weise voraus, daß es zufällig geschehe, sondern er sieht alles voraus, nimmt es sich vor und thut es, nach einem unveränderlichen, ewigen und unfehlbaren Willen. Durch diesen Donnerschlag wird der freie Wille ganz und gar niedergelegt und von Grund aus vernichtet. Darum müssen diejenigen, welche den freien Willen behaupten wollen, diesen Donnerschlag entweder leugnen, oder mit Stillschweigen übergehen, oder auf andere Weise von sich abschieben. Ehe ich aber diesen Punkt durch meine Darlegung und durch das Ansehen der heiligen Schrift bestätige, will ich ihn zuvor mit deinen eigenen Worten behandeln. Bist du es nicht, lieber Erasmus, der da kurz zuvor behauptet hat, Gott sei von Natur gerecht, von Natur der allergütigste? Wenn dies wahr ist, folgt dann nicht, daß er unveränderlich gerecht und gütig ist? denn, wie sein Wesen sich in Ewigkeit nicht ändert, so auch nicht seine Gerechtigkeit und Güte. Was aber von der Gerechtigkeit und Güte gesagt wird, muß auch von seinem Wissen, Weisheit, rechtschaffenen Wesen, Willen und allen anderen göttlichen Dingen gesagt werden. Wenn daher dies in christ-licher, gottseliger und heilsamer Weise von Gott behauptet wird, wie du schreibst, was ist dir angekommen, daß du jetzt im Widerspruch mit dir selbst behauptest, es sei unchristlich, vorwitzig und frevel zu sagen, Gott wisse in der Weise voraus, daß es mit Nothwendigkeit geschehe? Nämlich du lehrst, man müsse den unver-änderlichen Willen Gottes lernen, und verbietest, sein unveränderliches Vorher-wissen kennen zu lernen. Oder glaubst du, daß er, ohne es zu wollen, vorher-weiß, oder etwas wolle, was er nicht kennt? Wenn er aber vorherweiß, was er will, so ist sein Wille ewig und unveränderlich (weil sein Wesen so beschaffen ist); wenn er will, was er vorherweiß, so ist sein Wissen ewig und unveränderlich (weil sein Wesen so ist). Daraus folgt unwiderleglich: alles, was wir thun, und alles, was geschieht, obgleich es uns scheint veränderlich und zufällig zu ge-schehen, geschieht doch in Wahrheit nothwendiger Weise und unveränderlich, wenn man auf Gottes Willen sieht. Denn der Wille Gottes ist kräftig und kann nicht gehindert werden, da er die wesentliche Macht Gottes selbst ist, ferner auch weise, daß er nicht getäuscht werden kann; da aber der Wille nicht gehindert ist, so kann auch sein Werk nicht gehindert werden, daß es geschehe an dem Orte, zu der Zeit, in der Weise, in dem Maße, nach welchen er selbst es vorhersieht und will. Wenn der Wille Gottes ein solcher wäre, welcher aufhörte, nachdem das Werk vollbracht ist und dieses bleibt, wie der menschliche Wille, wo das Wollen aufhört, nachdem das Haus gebaut ist, welches sie wollen, wie der Wille im Tode aufhört, dann könnte mit Wahrheit gesagt werden, daß etwas zufällig und ver-änderlich geschehe. Aber hier geschieht es dagegen, daß das Werk aufhört, und der Wille bleibt, darum ist es weit gefehlt, daß sein Werk, da es geschieht und bleibt, zufälliger Weise sein oder bestehen könne. Zufällig geschehen (con-tingenter fieri) heißt aber (damit wir die Ausdrücke nicht falsch gebrauchen) im Lateinischen, nicht daß das Werk selbst als ein zufälliges geschehe, sondern daß es geschehe nach einem zufälligen und veränderlichen Willen, wie er in Gott nicht ist. Ferner kann ein Werk nur dann ein zufälliges genannt werden, wenn es uns zufällig und gleichsam durch ein Ungefähr geschieht und unversehens, weil unser Wille oder unsere Hand es ergreift, indem es gleichsam durch einen Zufall dargeboten wurde, wir aber vorher gar nicht, weder daran gedacht, noch es gewollt haben. Hier haben sich die Sophisten nun schon viele Jahre lang abgemüht, und überführt haben sie zugeben müssen, daß alles mit Nothwendig-keit geschehe, aus Nothwendigkeit der Folge (wie sie sagen), aber nicht aus Nothwendigkeit dessen, was folgt (necessitate consequentiae, sed non necessitate consequentis). So haben sie dieser so gewaltigen Frage entgehen wollen, haben sich damit aber nur selbst betrogen. Denn wie nichtig dies ist, wird mir nicht schwer fallen nachzuweisen. Nothwendigkeit der Folge nennen sie, daß ich grob davon rede: Wenn Gott etwas will, so ist es nothwendig, daß es ge-schehe, aber es ist nicht nothwendig, daß das sei, was geschieht. Denn allein Gott ist mit Nothwendigkeit, alles Andere kann auch nicht sein, wenn Gott will. So sagen sie, die Wirkung Gottes sei nothwendig, wenn er will, aber das Gewordene selbst sei nicht nothwendig. Was richten sie aber mit dieser Spielerei in Worten aus? Das ist's: die gewordene Sache ist nicht nothwendig, das heißt, sie hat kein nothwendiges Wesen; das ist nichts Anderes gesagt als: die gewordene Sache ist nicht Gott selbst. Nichtsdestoweniger bleibt das, daß jede Sache mit Noth-wendigkeit geschieht, wenn die Wirkung Gottes nothwendig ist, oder Noth-wendigkeit der Folge, wenngleich die Sache, wenn sie geschehen ist, durchaus nicht mit Nothwendigkeit besteht, das ist, nicht Gott ist, oder nicht ein noth-wendiges Wesen hat. Wenn ich nämlich mit Nothwendigkeit werde, so kümmert es mich wenig, daß mein Sein oder Werden veränderlich ist; nichtsdestoweniger werde ich, als ein Zufälliger und Veränderlicher, der ich nicht der nothwendige Gott bin. Daher ist ihr Spielwerk, alles geschehe aus Nothwendigkeit der Folge, aber nicht aus Notwendigkeit dessen, was da folgt, nichts anders als dies: Alles geschieht zwar mit Nothwendigkeit, aber das so Gewordene ist nicht Gott selbst. Was ist es aber nöthig gewesen, uns dies zu sagen? als ob zu fürchten stände, daß wir behaupten würden, die gewordenen Dinge wären Gott, oder hätten ein göttliches und nothwendiges Wesen. So steht und bleibt dieser Satz unwiderlegt, daß alles mit Notwendigkeit geschehe. Denn es ist hier keine Dunkelheit oder Zweideutigkeit. Im Jesajas heißt es (Cap. 46,10): „Mein Rath wird bestehen und mein Wille wird geschehen.“ Denn welches Kind versteht nicht, was diese Wörter bedeuten: Rath, Wille, geschehen, bestehen? Aber warum sollen uns Christen diese Dinge so verborgen sein, daß es unchristlich, vorwitzig und unnütz sein soll, sie zu behandeln und sie wissen zu wollen, da dergleichen die heidnischen Dichter und selbst das gemeine Volk im allergewöhnlichsten Gebrauche beständig im Munde führen? Wie oft erwähnt schon allein Virgil das Schicksal (fatum)? Certa stant omnia lege (Alles besteht nach gewissem Gesetze); des-gleichen: Stat sua cuique dies (Jedem Menschen ist sein Todestag bestimmt); desgleichen: Si te fata vocant (Wenn das Schicksal dich ruft); desgleichen: Si qua fata aspera rumpas (Wenn du etwa das rauhe Geschick durchbrechen kannst). Und dieser Dichter geht auf nichts Anderes aus, als daß er an der Zerstörung Trojas und dem Aufkommen des römischen Reiches zeige, daß das Schicksal mehr vermöge, als aller Menschen Bemühen, ja sogar, daß die Not-wendigkeit Ereignissen und Menschen gebiete (imponere). Endlich unterwirft er auch seine unsterblichen Götter dem Schicksal, dem auch Jupiter und Juno mit Notwendigkeit weichen müssen. Daher haben sie die drei Parzen erdichtet, wie sie unveränderlich, unversöhnlich und unerbittlich sind. Jene weisen Leute haben wahrgenommen, was die Sache selbst sammt der Erfahrung beweist, daß keinem Menschen jemals seine Anschläge fortgegangen sind, sondern, daß bei allen die Sache anders hinausgegangen ist, als sie gedacht haben. Wenn Troja mit der Faust hätte verteidigt werden können, so hätte dies auch die meinige vermocht, sagt Hector bei Virgil. Daher ist es das allergewöhnlichste Wort in aller Munde: Was Gott will, das geschehe; desgleichen: Will’s Gott, so wollen wir es thun; desgleichen: Gott hat es so gewollt. So haben die Götter beschlossen; so habt ihr (Götter) gewollt, sagt Virgil, damit wir sehen sollen, daß im Volke das Wissen von der Vorherbestimmung und dem Vorherwissen Gottes nicht weniger übriggeblieben ist, als die Kenntniß von Gott selbst. Und diejenigen, welche weise scheinen wollten, sind durch ihre Disputationen dahin gekommen, daß sie mit verfinstertem Herzen Narren geworden sind, Röm. 1, und das leugneten oder mit Stillschweigen übergingen, was die Dichter und das Volk und ihr eigenes Gewissen für das Allergewöhnlichste, Gewisseste und Wahrste halten. Weiter sage ich nicht allein, wie wahr dieses sei – darüber wird später ausführlicher auf Grund der heiligen Schrift geredet werden –, sondern auch, wie christlich, gottselig und notwendig es sei, dieses zu wissen. Denn, wenn man dieses nicht weiß, so kann weder der Glaube, noch irgend ein Gottesdienst bestehen. Denn das hieße in der That Gott nicht kennen; wenn man den aber nicht kennt, so gibt es auch kein Heil, wie bekannt ist. Denn wenn du zweifelst, oder verachtest zu wissen, daß Gott alles, nicht auf zufällige Weise, sondern mit Notwendigkeit und unwandelbar vorherweiß und will, wie könntest du seinen Verheißungen glauben, gewiß darauf vertrauen und dich darauf verlassen? Denn wenn er zusagt, so mußt du gewiß sein, daß er das, was er zusagt, wisse, und geben könne und wolle; sonst wirst du ihn nicht für wahrhaftig und treu halten: das aber ist Un-glaube und die größte Gottlosigkeit und Verleugnung des höchsten Gottes. Aber auf welche Weise kannst du gewiß und sicher sein, wenn du nicht weißt, daß er gewiß, und unfehlbar, und unveränderlich, und mit Notwendigkeit wisse und wolle und thun werde, was er zusagt? Denn wir müssen nicht allein gewiß sein, daß Gott mit Notwendigkeit und unveränderlicher Weise wolle und ausrichten werde, sondern uns gerade dessen auch rühmen, wie Paulus Röm. 3,4. sagt: „daß Gott sei wahrhaftig und alle Menschen Lügner“; und wiederum: Nicht daß Gottes Wort fehlen könne (Röm. 4,21. 1 Sam. 3,19.); und anderswo (1 Tim. 2,19.): „Der feste Grund Gottes bestehet und hat dieses Siegel: Der Herr kennet die Seinen“, und Tit. 1,2.: „Welches verheißen hat, der nicht lüget, Gott, vor den Zeiten der Welt“; und Hebr. 11,6.: „Wer zu Gott kommen will, der muß glauben, daß er sei, und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde.“ Darum wird der christliche Glaube ganz ausgelöscht, die Zusagen Gottes und das ganze Evangelium fallen ganz und gar dahin, wenn uns gelehrt wird und wir glauben, daß wir das noth-wendige Vorherwissen Gottes und die Notwendigkeit dessen, was ins Werk gesetzt werden muß, nicht zu wissen brauchten. Denn dies ist der einzige und höchste Trost der Christen in allen Widerwärtigkeiten, zu wissen, daß Gott nicht lügt, sondern unwandelbar alles thut, daß seinem Willen niemand widerstehen, niemand ihn ändern oder hindern kann.