Luther - Vaterunser

 

Der große Katechismus Dr. Martin Luthers

nach der Fassung des deutschen Konkordienbuches ( Dresden 1580 )

 

Luthers Auslegung des Vaterunsers im Großen Katechismus:

 

Das Vaterunser

 

Wir haben nun gehört, was man tun und glauben soll, darin das beste und seligste Leben steht. Folgt nun das dritte Stück, wie man beten soll. Denn weil es also mit uns getan ist, dass kein Mensch die zehn Gebote vollkommen halten kann, ob er gleich angefangen hat zu glauben, und sich der Teufel mit aller Gewalt samt der Welt und unserm eigenen Fleisch dawider sperrt, ist nichts so Not, denn dass man Gott immerdar in Ohren liege, rufe und bitte, dass er den Glauben und Erfüllung der zehn Gebote uns gebe, erhalte und mehre und alles, was uns im Wege liegt und daran hindert, hinwegräume. Dass wir aber wüssten, was und wie wir beten sollten, hat uns unser HERR Christus selbst Weise und Wort gelehrt, wie wir sehen werden. Ehe wir aber das Vaterunser nacheinander erklären, ist wohl am nötigsten, vorhin die Leute zu vermahnen und reizen zum Gebete, wie auch Christus und die Apostel getan haben. Und soll nämlich das erste sein, dass man wisse, wie wir um Gottes Gebote willen schuldig sind zu beten. Denn so haben wir gehört im andern Gebot: du sollst Gottes Namen nicht unnützlich führen, so darin gefordert werde, den heiligen Namen preisen, in aller Not anrufen oder beten. Denn anrufen ist nichts anders denn beten, also dass es streng und ernstlich geboten ist, so hoch als alles andere, keinen andern Gott haben, nicht töten, nicht stehlen usw. Dass niemand denke, es sei gleichviel, ich bete oder ich bete nicht, wie die groben Leute hingehen in solchem Wahn und Gedanken: Was sollte ich beten, wer weiß, ob Gott mein Gebet achtet oder hören will? Bete ich nicht, so betet ein anderer – und kommen also in die Gewohnheit, dass sie nimmermehr beten, und nehmen zu Behelf, dass wir falsche und Heuchelgebete verwerfen, als lehrten wir, man solle oder dürfe nicht beten. Das ist aber je wahr, was man bisher für Gebete getan hat, geplärrt und getönt in der Kirche usw., ist freilich kein Gebet gewesen. Denn solches äußerliches Ding, wo es recht geht, mag eine Übung für die jungen Kinder, Schüler und Einfältigen sein und mag gesungen oder gelesen heißen, es heißt aber nicht eigentlich gebetet. Das heißt aber gebetet, wie das andere Gebot lehrt, Gott anrufen in allen Nöten. Das will er von uns haben und soll nicht in unsrer Willkür stehen, sondern sollen und müssen beten, wollen wir Christen sein, so wohl als wir wollen und müssen Vater, Mutter und der Obrigkeit gehorsam sein. Denn durch das Anrufen und Bitten wird der Name Gottes geehrt und nützlich gebraucht. Das sollst du nun vor allen Dingen merken, dass man damit schweige und zurück-stoße solche Gedanken, die uns davon halten und abschrecken. Denn gleichwie es nichts gilt, dass ein Sohn zum Vater sagen wollte: Was liegt an meinem Gehorsam, ich will hingehen und tun, was ich kann, es gilt doch gleichviel; sondern da steht das Gebot: Du sollst und musst es tun. Also auch hier steht es nicht in meinem Willen, zu tun und zu lassen, sondern soll und muss gebetet sein. Daraus sollst du nun schließen und denken, weil es so hoch geboten ist zu beten, dass beileibe niemand seine Gebete verachten soll, sondern groß und viel davon halten. Und nimm immer das Gleichnis von den andern Geboten. Ein Kind soll beileibe nicht seinen Gehorsam gegen Vater und Mutter verachten, sondern immer gedenken: Das Werk ist ein Werk des Gehorsams, und das ich tue, tue ich nicht anderer Meinung, denn dass ich in dem Gehorsam und Gottes Gebot gehe, darauf ich könnte gründen und fußen und solches groß achte nicht um meiner Würdigkeit willen, sondern um des Gebotes willen. Also auch hier: Was und wofür wir bitten, sollen wir so ansehen, als von Gott gefordert und in seinem Gehorsam getan, und also denken: Meinethalben wäre es nichts, aber darum soll es gelten, dass Gott geboten hat. Also soll ein jeglicher, was er auch zu bitten hat, immer vor Gott kommen mit dem Gehorsam dieses Gebotes. Darum bitten wir und vermahnen aufs fleißigste jedermann, dass man solches zu Herzen nehme und in keinem Weg unsere Gebete verachte; denn man bisher also gelehrt hat ins Teufels Namen, dass niemand solches geachtet hat und gemeint, es wäre genug, dass das Werk getan wäre, Gott erhörts oder hört es nicht. Das heißt das Gebet in die Schanze geschlagen und auf Abenteuer hin gemurrt; darum ist es ein verlorenes Gebet. Denn wir uns solche Gedanken lassen irren und abschrecken: Ich bin nicht heilig noch würdig genug; wenn ich so fromm und heilig wäre als S. Petrus oder Paulus, so wollte ich beten. Aber nur weit hinweg mit solchen Gedanken, denn eben das Gebot, das S. Paul getroffen hat, das trifft mich auch, und ist eben sowohl um meinetwillen das andere Gebot gestellt als um seinetwillen, dass er kein besseres noch heiligeres Gebot zu rühmen hat. Darum sollst du sagen: Mein Gebet, das ich tue, ist eben so köstlich, heilig und Gott gefällig als S. Paulus und der Allerheiligsten; Ursache: Denn ich will ihn gern lassen heiliger sein der Person halben, aber des Gebotes halben nicht, weil Gott das Gebet nicht der Person halber ansieht, sondern seines Wortes und Gehor-sams halber. Denn auf das Gebot, darauf alle Heiligen ihr Gebet setzen, setze ich meines auch, dazu bete ich eben das, darum sie allzumal bitten oder gebeten haben. Das sei das erste und nötigste Stück, dass alle unser Gebet sich gründen und stehen soll auf Gottes Gehorsam, nicht angesehen unsere Person, wir seien Sünder oder Fromme, würdig oder unwürdig. Und sollen wissen, dass Gott in keinem Scherz will geschlagen haben, sondern zürnen und strafen, wo wir nicht bitten, sowohl als er allen andern Ungehorsam straft; darnach dass er unser Gebet nicht will lassen umsonst und verloren sein; denn wo er dich nicht erhören wollte, würde er dich nicht heißen beten und so strenges Gebot darauf schlagen. Zum andern soll uns desto mehr treiben und reizen, dass Gott auch eine Verheißung dazugetan und zugesagt hat, dass es soll ja und gewiss sein, was wir beten; wie er spricht im 50. Psalm V. 15: Rufe mich an zur Zeit der Not, so will ich dich erretten; und Christus im Evangelio Mt 7,7: Bittet, so wird euch gegeben usw., denn ein jeglicher, der da bittet, der empfängt. Solches sollte je unser Herz erwecken und anzünden, mit Lust und Liebe zu beten, weil er mit seinem Wort bezeugt, dass ihm unser Gebet herzlich wohlgefalle, dazu gewißlich erhört und gewährt sein soll, auf dass wirs nicht verachten noch in den Wind schlagen und aufs ungewisse beten. Solches kannst du ihm aufrücken und sprechen: Hier komme ich, lieber Vater, und bitte nicht aus meinem Vornehmen noch auf eigene Würdigkeit, sondern auf dein Gebot und Verheißung, so mir nicht fehlen noch lügen kann. Wer nun solcher Verheißung nicht glaubt, soll abermal wissen, dass er Gott erzürnt, als der ihn aufs höchste unehrt und Lügen straft. Über das soll uns auch locken und ziehen, dass Gott neben dem Gebot und Verheißung zuvorkommen und selbst die Worte und Weise stellt und uns in den Mund legt, wie und was wir beten sollen, auf dass wir sehen, wie herzlich er sich unsrer Not annimmt, und ja nicht daran zweifeln, dass ihm solches Gebet gefällig sei und gewisslich erhört werde; welches gar ein großer Vorteil ist vor allen andern Gebeten, so wir selbst erdenken möchten. Denn da würde das Gewissen immer im Zweifel stehen und sagen: Ich habe gebeten; aber wer weiß, wie es ihm gefällt, oder ob die rechte Maß und Weise getroffen habe? Darum ist auf Erden kein edler Gebet zu finden denn das tägliche Vaterunser, weil es solch treffliches Zeugnis hat, dass Gott herzlich gern hört, davor wir nicht der Welt Gut sollen nehmen. Und ist auch darum also vorgeschrieben, dass wir sehen und bedenken die Not, so uns zwingen und dringen sollen, ohne Unterlass zu beten. Denn wer da bitten will, der muss etwas bringen, vortragen und nennen, des er begehrt; wo nicht, so kann es kein Gebet heißen. Darum haben wir billig der Mönche und Pfaffen Gebete verworfen, die Tag und Nacht feindlich heulen und murren; aber ihrer keiner denkt um ein Haar breit zu bitten, und wenn man alle Kirchen samt den Geistlichen zusammenbrächte, so müssten sie bekennen, dass sie nie von Herzen um ein Tröpflein Weins gebeten. Denn ihrer keiner je hat aus Gottes Gehorsam und Glauben der Verheißung vorgenommen zu beten, auch keine Not angesehen, sondern nicht weiter gedacht (wenn mans aufs beste ausgerichtet hat), denn ein gutes Werk zu tun, damit sie Gott bezahlten, als die nicht von ihm nehmen, sondern nur ihm geben wollten. Wo aber ein rechtes Gebet sein soll, da muss ein Ernst sein, dass man seine Not fühle, und solche Not, die uns drückt und treibt zu rufen und schreien; so geht denn das Gebet von sich selbst, wie es gehen soll, dass man keines Lehrens bedarf, wie man sich dazu bereiten und Andacht schöpfen soll. Die Not aber, so uns beide für uns und jedermann anliegen soll, wirst du reichlich genug im Vaterunser finden. Darum soll es auch dazu dienen, dass man sich derselben daraus erinnere, betrachte und zu Herzen nehme, auf dass wir nicht lass werden zu beten; denn wir haben alle genug, das uns mangelt; es fehlt aber daran, dass wirs nicht fühlen noch sehen. Darum auch Gott haben will, dass du solche Not und Anliegen klagst und anziehst; nicht dass er nicht wisse, sondern dass du dein Herz entzündest, desto stärker und mehr zu begehren, und nur den Mantel weit ausbreitest und auftust, viel zu empfangen. Darum sollten wir uns von Jugend auf gewöhnen, ein jeglicher für alle seine Not, wo er nur etwas fühlt, das ihm anstößt und auch anderer Leute, unter welchen er ist, täglich zu bitten, als für Prediger, Obrigkeit, Nachbar, Gesinde, und immer (wie gesagt) Gott sein Gebot und Verheißung aufrücken und wissen, dass ers nicht will verachtet haben. Das sage ich darum; denn ich wollte gerne, dass man solches wieder in die Leute brächte, dass sie lernten recht beten und nicht so roh und kalt hingehen, davon sie täglich ungeschickter werden zu beten, welches auch der Teufel haben will und mit allen Kräften dazu hilft, denn er fühlt wohl, was ihm für Leid und Schaden tut, wenn das Gebet recht im Schwange geht. Denn das sollen wir wissen, dass all unser Schirm und Schutz allein in dem Gebete steht. Denn wir sind dem Teufel viel zu schwach samt seiner Macht und Anhang, so sich wider uns legen, dass sie uns wohl könnten mit Füßen zertreten. Darum müssen wir denken und zu den Waffen greifen, damit die Christen sollen gerüstet sein, wider den Teufel zu bestehen. Denn was meinst du, dass bisher so großes Ding ausgerichtet habe, unserer Feinde Ratschlagen, Vornehmen, Mord und Aufruhr gewehrt oder gedämpft, dadurch uns der Teufel samt dem Evangelio gedacht hat unterzudrücken, wo nicht etlicher frommer Leute Gebete als eine eiserne Mauer auf unserer Seite dazwischengekommen wären? Sie sollten sonst selbst gar viel ein anderes Spiel gesehen haben, - wie der Teufel ganz Deutsch-land in seinem eigenen Blut verderbt hätte. jetzt aber mögen sie es getrost verlachen und ihren Spott haben; wir wollen aber dennoch beiden, ihnen und dem Teufel allein durch das Gebet Mannes genug sein, wo wir nur fleißig anhalten und nicht lass werden. Denn wo irgendein frommer Christ bittet: Lieber Vater, lass doch deinen Willen geschehen; so spricht er droben: ja, liebes Kind, es soll ja sein und geschehen, dem Teufel und aller Welt zu trotz. Das sei nun zur Vermahnung gesagt, dass man vor allen Dingen lerne das Gebet groß und teuer achten und einen rechten Unterschied wisse zwischen dem Plappern und etwas Bitten. Denn wir verwerfen mitnichten das Gebet, sondern das ganz unnütze Geheule und Gemurre verwerfen wir, wie auch Christus selbst langes Gewäsche verwirft und verbietet. Nun wollen wir das Vaterunser aufs kürzeste und klärlichste handeln. Da ist nun in sieben Artikel oder Bitten nacheinander gefasst alle Not, so uns ohne Unterlass belangt, und eine jegliche so groß, dass sie uns treiben sollte, unser Leben lang daran zu bitten.

 

Die erste Bitte

Geheiligt werde dein Name

 

Das ist nun etwas finster und nicht wohl deutsch geredet, denn in unserer Muttersprache würden wir also sprechen: Himmlischer Vater, hilf, dass nur dein Name möge heilig sein. Was ists nun gebetet, dass sein Name heilig werde? Ist er nicht vorhin heilig? Antwort: ja er ist allezeit heilig in seinem Wesen, aber in unserm Brauch ist er nicht heilig. Denn Gottes Name ist uns gegeben, weil wir Christen geworden und getauft sind, dass wir Gottes Kinder heißen und die Sakramente haben, dadurch er uns mit ihm verleibt also dass alles, was Gottes ist, zu unserm Brauch dienen soll. Da ist nun die große Not, dafür wir am meisten sorgen sollen, dass der Name seine Ehre habe, heilig und hehr gehalten werde als unser höchster Schatz und Heiligtum, so wir haben, und dass wir als die frommen Kinder darum bitten, dass sein Name, der sonst im Himmel heilig ist, auch auf Erden bei uns und aller Welt heilig sei und bleibe. Wie wird er nun unter uns heilig? Antwort aufs deutlichste, so mans sagen kann: wenn beide, unsere Lehre und Leben, göttlich und christlich ist. Denn weil wir in diesem Gebete Gott unsern Vater heißen, so sind wir schuldig, dass wir uns allenthalben halten und stellen wie die frommen Kinder, dass er nicht an uns Schande, sondern Ehre und Preis habe. Nun wird er von uns entweder mit Worten oder mit Werken verunheiligt (denn was wir auf Erden machen, muss entweder Wort oder Werk, Reden oder Tun sein). Zum ersten also: Wenn man predigt, lehrt und redet unter Gottes Namen, das doch falsch und verführerisch ist, dass sein Name die Lüge schmücken und verkaufen muss, das ist nun die größte Schande und Unehre göttlichen Namens. Darnach auch, wo man gröblich den heiligen Namen zum Schanddeckel führt mit Schwören, Fluchen, Zaubern usw. Zum andern auch mit öffentlichem bösen Leben und Werken, wenn die, so Christen und Gottes Volk heißen, Ehebrecher, Säufer, geizige Wänste, neidisch und Afterreder sind. Da muss abermal Gottes Name um unsertwillen mit Schanden bestehen und gelästert werden. Denn gleichwie es einem leiblichen Vater eine Schande und Unehre ist, der ein böses, ungeratenes Kind hat, das mit Worten und Werken wider ihn handelt, dass er um seinetwillen muss verachtet und geschmäht werden, also reicht es auch zu Gottes Unehre, so wir, die nach seinem Namen genannt sind und allerlei Güter von ihm haben, anders lehren, reden und leben denn fromme und himmlische Kinder, dass er hören muss, dass man von uns sagt: wir müssen nicht Gottes, sondern des Teufels Kinder sein. Also siehst du, dass wir eben das in diesem Stücke bitten, so Gott im andern Gebote fordert, nämlich dass man seinen Namen nicht missbrauche zu schwören, fluchen, lügen, trügen usw., sondern nützlich brauche zu Gottes Lob und Ehre. Denn wer Gottes Namen zu irgendeiner Untugend braucht, der entheiligt und entweiht diesen heiligen Namen; wie man vorzeiten eine Kirche entweiht hieß, wenn ein Mord oder andere Büberei darin begangen war, oder wenn man eine Monstranz oder Heiligtum verunehrte, als das wohl an ihm selbst heilig und doch im Brauch unheilig ward. Also ist das Stück leicht und klar, wenn man nur die Sprache versteht. Das Heiligen heißt so viel als auf unsere Weise: loben, preisen und ehren - beide, mit Worten und Werken. Da siehe nun, wie hoch solches Gebet vonnöten ist. Denn weil wir sehen, wie die Welt so voll Rotten und falscher Lehren ist, die alle den heiligen Namen zum Deckel und Schein ihrer Teufels-lehre führen, sollten wir billig und ohne Unterlass schreien und rufen wider solche alle, beide, die fälschlich predigen und glauben, und was unser Evangelium und reine Lehre anficht, verfolgt und dämpfen will, als Bischöfe, Tyrannen, Schwär-mer usw. Weiter auch für uns selbst, die wir Gottes Wort haben, aber nicht dankbar dafür sind noch darnach leben, wie wir sollen. Wenn du nun solches von Herzen bittest, kannst du gewiß sein, dass es Gott wohlgefällt. Denn Lieberes wird er nicht hören, denn dass seine Ehre und Preis vor und über alle Dinge gehe, sein Wort rein gelehrt, teuer und wert gehalten werde.

 

Die zweite Bitte

Dein Reich komme

 

Wie wir im ersten Stücke gebeten haben, das Gottes Ehre und Namen betrifft, dass Gott wehre, dass die Welt nicht ihre Lügen und Bosheit darunter schmücke, sondern höher und heilig halte, - beide, mit Lehre und Leben, dass er an uns gelobt und gepriesen werde, also bitten wir hier, dass auch sein Reich kommen solle. Aber gleichwie Gottes Name an ihm selbst heilig ist und wir doch bitten, dass er bei uns heilig sei, also kommt auch sein Reich ohne unser Bitten von sich selbst; doch bitten wir gleichwohl, dass es zu uns komme, das ist unter uns und bei uns gehe, also dass wir auch ein Stück seien, darunter sein Name geheiligt werde und sein Reich im Schwang gehe. Was heißt nun Gottes Reich? Antwort: nichts anders denn wie wir droben im Glauben gehört haben, dass Gott seinen Sohn Christum, unsern Herrn, in die Welt geschickt, dass er uns erlöse und frei machte von der Gewalt des Teufels und zu sich brächte und regierte als ein König der Gerechtigkeit, des Lebens und Seligkeit wider Sünde, Tod und böse Gewissen, dazu er auch seinen heiligen Geist gegeben hat, der uns solches heimbrächte durch sein heiliges Wort und durch seine Kraft im Glauben erleuchtete und stärkte. Derhalben bitten wir nun hier zum ersten, dass solches bei uns kräftig werde und sein Name so gepriesen durch das heilige Wort Gottes und christliches Leben, - beide, dass wir, die es angenommen haben, dabei bleiben und täglich zunehmen, und dass es bei andern Leuten einen Zufall und Anhang gewinne und gewaltiglich durch die Welt gehe, auf dass ihrer viel zu dem Gnadenreich kommen, der Erlösung teilhaftig werden, durch den heiligen Geist herzugebracht, auf dass wir also allesamt in einem Königreich, jetzt angefangen, ewiglich bleiben. Denn dass Gottes Reich zu uns komme, geschieht auf zweierlei Weise: einmal hier zeitlich durch das Wort und den Glauben, zum andern ewig durch die Offenbarung. Nun bitten wir solches beides, dass es komme zu denen, die noch nicht darin sind, und zu uns, die es überkommen haben, durch tägliches Zunehmen und künftig in dem ewigen Leben. Das alles ist nicht anders denn soviel gesagt: Lieber Vater, wir bitten, gib uns erstlich dein Wort, dass das Evangelium rechtschaffen durch die Welt gepredigt werde. Zum andern, dass es auch durch den Glauben angenommen werde, in uns wirke und lebe; dass also dein Reich unter uns gehe durch das Wort und Kraft des heiligen Geistes und des Teufels Reich niedergelegt werde, dass er kein Recht noch Gewalt über uns habe, so lange bis es endlich gar zerstört, die Sünde, Tod und Hölle vertilgt werde, dass wir ewig leben in voller Gerechtigkeit und Seligkeit. Aus dem siehst du, dass wir hier nicht um eine Parteke oder zeitliches, vergängliches Gut bitten, sondern um einen ewigen überschwenglichen Schatz und alles, was Gott selbst vermag, das viel zu groß ist, dass ein menschliches Herz solches dürfte in Sinn nehmen zu begehren, wo ers nicht selbst geboten hätte zu bitten. Aber weil er Gott ist, will er auch die Ehre haben, dass er viel mehr und reichlicher gibt, denn jemand begreifen kann, als ein ewiger unvergänglicher Quell, der, je mehr er ausfließt und übergeht, je mehr er von sich gibt, und nichts höher von uns begehrt, denn dass man viele und große Dinge von ihm bitte, und wiederum zürnt, wenn man nicht getrost bittet und fordert. Denn gleich als wenn der reichste, mächtigste Kaiser einen armen Bettler hieße bitten, was er nur be-gehren möchte, und bereit wäre, großes kaiserliches Geschenk zu geben, und der Narr nicht mehr denn eine Hofsuppe bettelte, würde er billig als ein Schelm und Bösewicht gehalten, als der mit kaiserlicher Majestät Befehl seinen Hohn und Spott triebe und nicht wert wäre, vor seine Augen zu kommen. Also reicht es auch Gott zu großer Schmach und Unehre, wenn wir, denen er so viel unaus-sprechliche Güter anbietet und zusagt, solches verachten oder nicht trauen zu empfangen und kaum um ein Stück Brot unterwinden zu bitten. Das ist alles des schändlichen Unglaubens Schuld, der sich nicht so viel Gutes zu Gott versieht, dass er ihm den Bauch ernähre, geschweige dass er solche ewige Güter sollte ungezweifelt von Gott erwarten. Darum sollen wir uns dawider stärken und dies lassen das erste sein zu bitten, so wird man freilich alles andere auch reichlich haben, wie Christus lehrt: Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes, so soll euch solches alles zufallen. Denn wie sollte er uns an Zeitlichem mangeln und darben lassen, weil er das Ewige und Unvergängliche verheißt?

 

Die dritte Bitte

Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden

 

Bisher haben wir gebeten, dass sein Name von uns geehrt werde und sein Reich unter uns gehe. In welchen zweien ganz begriffen ist, was Gottes Ehre und unsere Seligkeit belangt, dass wir Gott samt allen seinen Gütern zu eigen kriegen. Aber hier ist ja nun so große Not, dass wir solches festhalten und uns nicht lassen davon reißen. Denn wie in einem guten Regiment nicht allein müssen sein, die da bauen und wohl regieren, sondern auch, die da wehren, schützen und fest darüberhalten, also auch hier. Wenn wir gleich für die höchste Not gebeten haben um das Evangelium, Glauben und heiligen Geist, dass er uns regiere, aus des Teufels Gewalt erlöse, so müssen wir auch bitten, dass er seinen Willen geschehen lasse. Denn es wird sich gar wunderlich anlassen, wenn wir dabei bleiben sollen, dass wir viel Anstöße und Püffe darüber leiden müssen von dem allen, so sich untersteht, die zwei vorigen Stücke zu hindern und wehren. Denn niemand glaubt, wie sich der Teufel dawider setzt und sperrt, als der nicht leiden kann, dass jemand recht lehre oder glaube, und tut ihm über die Maße wehe, dass er muss seine Lügen und Gräuel, unter dem schönsten Schein göttlichen Namens geehrt, aufdecken lassen und mit allen Schanden stehen, dazu aus dem Herzen getrieben werden und einen solchen Riss in sein Reich lassen geschehend. Darum tobt und wütet er als ein zorniger Feind, mit aller seiner Macht und Kraft, hängt sich an alles, was unter ihm ist, dazu nimmt er zu Hilfe die Welt und unser eigenes Fleisch. Denn unser Fleisch ist an sich selbst faul und zum Bösen geneigt, ob wir gleich Gottes Wort angenommen haben und glauben; die Welt aber ist arg und böse; da hetzt er an, bläst und schürt zu, dass er uns hindere, zurücktreibe, fälle und wieder unter seine Gewalt bringe; das ist alles sein Wille, Sinn und Gedanken, darnach er Tag und Nacht trachtet und keinen Augenblick feiert, braucht alle Künste und Tücke, Weise und Wege dazu, die er immer erdenken kann. Darum müssen wir uns gewisslich dessen versehen und erwägen, so wir Christen sein wollen, dass wir den Teufel samt allen seinen Engeln und der Welt zu Feinden haben, die uns alles Unglück und Herzleid anlegen. Denn wo Gottes Wort gepredigt, angenommen oder geglaubt wird und Frucht schafft, da soll das liebe heilige Kreuz auch nicht außen bleiben. - Und denke nur niemand, dass er Frieden haben werde, sondern hintenansetzen müsse, was er auf Erden hat: Gut, Ehre, Haus und Hof, Weib und Kind, Leib und Leben. Das tut nun unserm Fleisch und alten Adam wehe. Denn es heißt festhalten und mit Geduld leiden, wie man uns angreift, und fahren lassen, was man uns nimmt. Darum ist je so große Not als in allen andern, dass wir ohne Unterlass bitten: Lieber Vater, dein Wille geschehe, nicht des Teufels und unserer Feinde Wille, noch alles des, so dein heiliges Wort verfolgen und dämpfen will oder dein Reich hindern, und gib uns, dass wir alles, was darüber zu leiden ist, mit Geduld tragen und überwinden, dass unser armes Fleisch aus Schwachheit oder Trägheit nicht weiche noch abfalle. Siehe, also haben wir aufs einfältigste in diesen drei Stücken die Not, so Gott selbst betrifft, doch alles um unsertwillen. Denn es gilt allein uns, was wir bitten, nämlich also, wie gesagt, dass auch in uns geschehe, das sonst außer uns geschehen muss. Denn wie auch ohne unser Bitten sein Name geheiligt werden und sein Reich kommen muss, also muss auch sein Wille geschehen und durchdringen, obgleich der Teufel mit allem seinen Anhang sehr dawider rumoren, zürnen und toben und sich unterstehen, das Evangelium ganz auszutilgen. Aber um unsertwillen müssen wir bitten, dass sein Wille auch unter uns wider solches ihr Toben unverhindert gehe, dass sie nichts schaffen können und wir wider alle Gewalt und Verfolgung fest dabei bleiben und solchen Willen Gottes uns gefallen lassen. Solches Gebet soll nun jetzt unser Schutz und Wehr sein, die zurückschlage und niederlege alles, was der Teufel, Bischöfe, Tyrannen und Ketzer wider unser Evangelium vermögen. Lass sie alle zumal zürnen und ihr Höchstes versuchen, ratschlagen und beschließen, wie sie uns dämpfen und ausrotten wollen, dass ihr Wille und Rat fortgehe und bestehe; dawider soll ein Christ oder zwei mit diesem einigen Stück unsere Mauer sein, daran sie anlaufen und zu scheitern gehen. Den Trost und Trotz haben wir, dass des Teufels und aller unserer Feinde Willen und Vornehmen soll und muss untergehen und zunichte werden, wie stolz, sicher und gewaltig sie sich wissen, denn wo ihr Wille nicht gebrochen und gehindert würde, so könnte sein Reich auf Erden nicht bleiben noch sein Name geheiligt werden.

 

Die vierte Bitte

Unser täglich Brot gib uns heute

 

Hier bedenken wir nun den armen Brotkorb, unsers Leibes und zeitlichen Lebens Notdurft, und ist ein kurzes einfältiges Wort, greift aber auch sehr weit um sich. Denn wenn du täglich Brot nennst und bittest, so bittest du alles, was dazugehört, das tägliche Brot zu haben und genießen, und dagegen auch wider alles, so dasselbige hindert. Darum musst du deine Gedanken wohl auftun und ausbrei-ten, nicht allein in Backofen oder Mehlkasten, sondern ins weite Feld und ganze Land, so das tägliche Brot und allerlei Nahrung trägt und uns bringt. Denn wo es Gott nicht wachsen ließe, segnete und auf dem Lande erhielte, würden wir nimmer Brot aus dem Backofen nehmen noch auf den Tisch zu legen haben. Und dass wirs kürzlich fassen, so will diese Bitte mit eingeschlossen haben alles, was zu diesem ganzen Leben in der Welt gehört, weil wir allein um deswillen das tägliche Brot haben müssen. Nun gehört nicht allein zum Leben, dass unser Leib sein Futter und Decke und andere Notdurft habe, sondern auch, dass wir unter den Leuten, mit welchen wir leben und umgehen in täglichem Handel und Wandel und allerlei Wesen, mit Ruhe und Frieden hinkommen. Summa, alles, was beide, häusliches und nachbarliches oder bürgerliches Wesen und Regiment, belangt. Denn wo diese zwei gehindert werden, dass sie nicht gehen, wie sie gehen sollen, da ist auch des Lebens Notdurft gehindert, dass endlich nicht kann erhalten werden. Und ist wohl das allernötigste, für weltliche Obrigkeit und Regiment zu bitten, als durch welches uns Gott allermeist unser täglich Brot und alles Gemach dieses Lebens erhält. Denn ob wir gleich alle Güter von Gott die Fülle überkommen haben, so können wir doch desselben keines behalten noch sicher und fröhlich brauchen, wo er uns nicht ein beständiges, friedliches Regiment gäbe; denn wo Unfriede, Hader und Krieg ist, da ist das tägliche Brot schon genommen oder je gewehrt. Darum möchte man billig in eines jeglichen frommen Fürsten Schild ein Brot setzen für einen Löwen oder Rautenkranz oder auf die Münze für das Gepräge schlagen, zu erinnern beide, sie und die Untertanen, dass wir durch ihr Amt Schutz und Friede haben und ohne sie das liebe Brot nicht essen noch behalten können. Darum sie auch aller Ehren wert sind, dass man ihnen dazu gebe, was wir sollen und können, als denen, durch welche wir alles, was wir haben, mit Friede und Ruhe genießen, da wir sonst keinen Heller behalten würden, dazu dass man auch für sie bitte, dass Gott desto mehr Segen und Gutes durch sie uns gebe. Also sei aufs kürzeste angezeigt und entworfen, wie weit dies Gebot geht durch allerlei Wesen auf Erden. Daraus möchte nun jemand ein langes Gebet machen und mit vielen Worten alle solche Stücke, so darein gehören, aufzählen, als nämlich dass wir bitten, dass uns Gott gebe Essen und Trinken, Kleider, Haus und Hof und gesunden Leib, dazu das Getreide und Früchte auf dem Felde wachsen und wohl geraten lasse; danach auch daheim wohl haushalten helfe, frommes Weib, Kinder und Gesinde gebe und bewahre, unsere Arbeit, Handwerk, oder was wir zu tun haben, gedeihen und gelingen lasse, treue Nachbarn und gute Freunde beschere usw. Item Kaiser, Königen und allen Ständen und sonderlich unsern Landesfürsten, allen Räten, Oberherrn und Amtleuten Weisheit, Stärke und Glück gebe, wohl zu regieren und wider Türken und alle Feinde zu siegen; den Untertanen und gemeinen Haufen Gehorsam, Friede und Eintracht, untereinander zu leben; und wiederum, dass er uns behüte vor allerlei Schaden des Leibes und Nahrung, Ungewitter, Hagel, Feuer, Wasser, Gift, Pestilenz, Viehsterben, Krieg und Blutvergießen, teuerer Zeit, schädlichen Tieren, bösen Leuten usw. Welches alles gut ist, den Einfältigen einzuprägen, dass solches und dergleichen von Gott muss gegeben und von uns muss gebeten sein. Vornehmlich aber ist dies Gebet auch gestellt wider unsern höchsten Feind, den Teufel. Denn das ist alle sein Sinn und Begehr, solches alles, was wir von Gott haben, zu nehmen oder hindern, und lässt ihm nicht genügen, dass er das geistliche Regiment hindere und zerstöre, damit dass er die Seelen durch seine Lügen verführt und unter seine Gewalt bringt, sondern mehrt und hindert auch, dass kein Regiment noch ehrbarliches und friedliches Wesen auf Erden bestehe. Da richtet er so viel Hader, Mord, Aufruhr und Krieg an, weiter Ungewitter, Hagel, das Getreide und Vieh zu verderben, die Luft zu vergiften usw. Summa, es ist ihm leid, dass jemand einen Bissen Brotes von Gott habe und mit Frieden esse, und wenn es in seiner Macht stünde und unser Gebet (nächst Gott) nicht wehret, würden wir freilich keinen Halm auf dem Felde, keinen Heller im Hause, ja nicht eine Stunde das Leben behalten, sonderlich die, so Gottes Wort haben und gern wollten Christen sein. Siehe, also will uns Gott anzeigen, wie er sich aller unserer Not annimmt und so treulich auch für unsere zeitliche Nahrung sorgt; und wiewohl er solches reichlich gibt und erhält, auch den Gottlosen und Buben, doch will er, dass wir darum bitten, auf dass wir erkennen, dass wirs von seiner Hand empfangen und darin seine väterliche Güte gegen uns spüren. Denn wo er die Hand abzieht, so kann es doch nicht endlich gedeihen noch erhalten werden, wie man wohl täglich sieht und fühlt. Was ist jetzt für eine Plage in der Welt allein mit der bösen Münze, ja mit täglicher Beschwerung und Aufsetzen in gemeinem Handel, Kauf und Arbeit derer, die nach ihrem Mutwillen die liebe Armut drücken und ihr täglich Brot entziehen. Welches wir zwar müssen leiden, sie aber mögen sich vorsehen, dass sie nicht das gemeine Gebet verlieren, und sich hüten, dass dies Stücklein im Vaterunser nicht wider sie gehe.

 

Die fünfte Bitte

Und verlasse uns unsere Schuld, als wir verlassen unsern Schuldigern

 

Dies Stück betrifft nun unser armes und elendes Leben, welches, ob wir gleich Gottes Wort haben, glauben, seinen Willen tun und leiden und uns von Gottes Gabe und Segen nähren, geht es doch ohne Sünde nicht ab, weil wir noch täglich straucheln und zuviel tun; weil wir in der Welt leben unter den Leuten, die uns viel zuleide tun und Ursache geben zu Ungeduld, Zorn, Rache usw., dazu den Teufel hinter uns haben, der uns auf allen Seiten zusetzt und ficht (wie gehört) wider alle vorigen Stücke, dass nicht möglich ist, in solchem steten Kampf allzeit feststehen. Darum ist hier abermal große Not zu bitten und rufen - Lieber Vater, verlasse uns unsere Schuld; nicht dass er auch ohne und vor unserm Bitten nicht die Sünde vergebe (denn er hat uns das Evangelium, darin eitel Vergebung ist, geschenkt, ehe wir darum gebeten oder jemals danach gesonnen haben); es ist aber darum zu tun, dass wir solche Vergebung erkennen und annehmen. Denn weil das Fleisch, darin wir täglich leben, der Art ist, dass es Gott nicht trauet und glaubt, und sich immerdar regt mit bösen Lüsten und Tücken dass wir täglich mit Worten und Werken, mit Tun und Lassen sündigen, davon das Gewissen zu Unfrieden kommt, das sich vor Gottes Zorn und Ungnade fürchtet und also den Trost und Zuversicht aus dem Evangelio sinken lässt; so ist ohne Unterlass vonnöten, dass man hierher laufe und Trost hole, das Gewissen wiederaufzurichten. Solches aber soll nun dazu dienen, dass uns Gott den Stolz breche und in der Demut halte. Denn er hat sich vorbehalten das Vorteil, ob jemand wollte auf seine Frömmigkeit pochen und andere verachten, dass er sich selbst ansehe und dies Gebet vor Augen stelle, so wird er finden, dass er eben so fromm ist als die andern, und müssen alle vor Gott die Federn niederschlagend und froh werden, dass wir zu der Vergebung kommen. Und denke es nur niemand, solange wir hier leben, dahinzubringen, dass er solcher Vergebung nicht bedürfe. Summa, wo er nicht ohne Unterlass vergibt, so sind wir verloren. So ist nun die Meinung dieser Bitte, dass Gott nicht wollte unsere Sünde ansehen und vorhalten, was wir täglich verdienen, sondern mit Gnaden gegen uns handeln und vergeben, wie er verheißen hat, und also ein fröhliches und unverzagtes Gewissen geben, vor ihm zu stehen und zu bitten. Denn wo das Herz nicht mit Gott recht steht und solche Zuversicht schöpfen kann, so wird es nimmermehr sich dürfen unterstehen zu beten. Solche Zuversicht aber und fröhliches Herz kann nirgend herkommen, denn es wisse, dass ihm die Sünden vergeben seien. Es ist aber dabei ein nötiger und doch tröstlicher Zusatz angehängt: als wir vergeben unsern Schuldigern. Er hats verheißen, dass wir sollen sicher sein, dass uns alles vergeben und geschenkt sei, doch so fern, dass wir auch unserm Nächsten vergeben. Denn wie wir gegen Gott täglich viel verschulden und er doch aus Gnaden alles vergibt, also müssen auch wir unserm Nächsten immerdar vergeben, so uns Schaden, Gewalt und Unrecht tut, böse Tücke beweist usw. Vergibst du nun nicht so denke auch nicht, dass dir Gott vergebe. Vergibst du aber, so hast du den Trost und Sicherheit, dass dir im Himmel vergeben wird, nicht um deines Vergebens willen; denn er tut es frei umsonst, aus lauter Gnade, weil ers verheißen hat, wie das Evangelium lehrt, sondern dass er uns solches zu Stärke und Sicherheit als zum Wahrzeichen setze neben der Verheißung, die mit diesem Gebete stimmt: Vergebt, so wird euch vergeben. Darum sie auch Christus bald nach dem Vaterunser wiederholt und spricht: Denn so ihr den Menschen ihre Fehler vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben usw. Darum ist nun solches Zeichen bei diesem Gebete mit angeheftet, dass, wenn wir bitten, wir uns der Verheißung erinnern und also denken: Lieber Vater, darum komme und bitte ich, dass du mir vergebest, nicht dass ich mit Werken genugtun oder verdienen könne, sondern weil du es verheißen hast und das Siegel daran gehängt, dass so gewiss sein solle, als habe ich ein Absolution, von dir selbst gesprochen. Denn wie viel die Taufe und Sakrament, äußerlich zum Zeichen gestellt, schaffen, soviel vermag auch dies Zeichen, unser Gewissen zu stärken und fröhlich zu machen, und ist vor andern eben darum gestellt, dass wirs alle Stunden könnten brauchen und üben, als das wir allezeit bei uns haben.

 

Die sechste Bitte

Und führe uns nicht in Versuchung

 

Wir haben nun genug gehört, was für Mühe und Arbeit will haben, dass man das alles, so man bittet, erhalte und dabei bleibe, das dennoch nicht ohne Gebrechen und Straucheln abgeht; dazu, ob wir gleich Vergebung und gutes Gewissen überkommen haben und ganz losgesprochen sind, so ists doch mit dem Leben so getan, dass einer heute steht und morgen davon fällt. Darum müssen wir abermal bitten, ob wir nun fromm sind und mit gutem Gewissen gegen Gott stehen, dass er uns nicht lasse zurückfallen und der Anfechtung oder Versu-chung weichen. Die Versuchung aber oder (wie es unsere Sachsen von alters her nennen) Bekörung ist dreierlei: des Fleisches, der Welt und des Teufels. Denn im Fleisch wohnen wir und tragen den alten Adam am Hals, der regt sich und reizt uns täglich zur Unzucht, Faulheit, Fressen und Saufen, Geiz und Täuscherei, den Nächsten zu betrügen und übersetzen, und Summa, allerlei böse Lüste, so uns von Natur ankleben und dazu erregt werden durch anderer Leute Gesellschaft, Exempel, Hören und Sehen, welche oftmals auch ein unschuldiges Herz verwunden und entzünden. Darnach ist die Welt, so uns mit Worten und Werken beleidigt und treibt zu Zorn und Ungeduld; Summa, da ist nichts denn Hass und Neid, Feindschaft, Gewalt und Unrecht, Rächen, Fluchen, Schelten, Afterreden, Hoffart und Stolz mit überflüssigem Schmuck, Ehre, Ruhm und Gewalt, da niemand will der Geringste sein, sondern obenan sitzen und vor jedermann gesehen sein. Dazu kommt nun der Teufel, hetzt und bläst auch allenthalben zu. Aber sonderlich treibt er, was das Gewissen und geistliche Sachen betrifft, nämlich dass man beide, Gottes Wort und Werk, in Wind schlage und verachte, dass er uns vom Glauben, Hoffnung und Liebe reiße und bringe zu Missglauben, falscher Vermessenheit und Verstockung, oder wiederum zur Verzweiflung, Gottes Verleugnen und Lästerung und andern unzähligen gräuli-chen Stücken. Das sind nun die Stricke und Netze, ja die rechten feurigen Pfeile, die nicht Fleisch und Blut, sondern der Teufel aufs allergiftigste ins Herz schießt. Das sind je große, schwere Gefahren und Anfechtung, so ein jeglicher Christ tragen muss, wenn auch jeglicher für sich allein wäre, auf dass wir je getrieben werden, alle Stunden zu rufen und bitten, weil wir in dem schändlichen Leben sind, da man uns auf allen Seiten zusetzt, jagt und treibt, dass uns Gott nicht lasse matt und müde werden und wieder zurückfallen in Sünde, Schande und Unglauben; denn sonst ists unmöglich, auch die allergeringste Anfechtung zu überwinden. Solches heißt nun „nicht einführen in Versuchung“, wenn er uns Kraft und Stärke gibt zu widerstehen, doch die Anfechtung nicht weggenommen noch aufgehoben. Denn Versuchung und Reizung kann niemand umgehen, weil wir im Fleisch leben und den Teufel um uns haben, und wird nichts anders draus, wir müssen Anfechtung leiden, ja darin stecken; aber da bitten wir vor, dass wir nicht hineinfallen und darin ersaufen. Darum ists ein viel anderes Ding, An-fechtung fühlen – und darein verwilligen oder ja dazu sagen. Fühlen müssen wir sie alle, wiewohl nicht alle einerlei, sondern etliche mehr und schwerer: als die Jugend vornehmlich vom Fleisch; darnach was erwachsen und alt wird, von der Welt. Die andern aber, so mit geistlichen Sachen umgehen, das ist die starken Christen, vom Teufel. Aber solches Fühlen, weil es wider unsern Willen ist und wir seiner lieber los wären, kann niemand schaden. Denn wo mans nicht fühlte, könnte es keine Anfechtung heißen. Bewilligen aber ist, wenn man ihm den Zaum lässt, nicht dawider steht noch bittet. Derhalben müssen wir Christen des gerüstet sein und täglich erwarten, dass wir ohne Unterlass angefochten werden, auf dass niemand so sicher und unachtsam hingehe, als sei der Teufel weit von uns, sondern allenthalben der Streiche erwarten und ihm versetzen. Denn ob ich jetzt keusch, geduldig, freundlich bin und in festem Glauben stehe, soll der Teufel noch diese Stunde einen solchen Pfeil ins Herz treiben, dass ich kaum bestehen bleibe. Denn er ist ein solcher Feind, der nimmer ablässt noch müde wird, dass, wo eine Anfechtung aufhört, gehen immer andere und neue auf. Darum ist kein Rat noch Trost denn hierher gelaufen, dass man das Vaterunser ergreife und von Herzen mit Gott rede: Lieber Vater, du hast mich heißen beten, lass mich nicht durch die Versuchung zurückfallen. So wirst du sehen, dass sie ablassen muss und sich endlich gewonnen geben. Sonst, wo du mit deinen Gedanken und eigenem Rat unterstehst dir zu helfen, wirst dus nur ärger machen und dem Teufel mehr Raum geben. Denn er hat einen Schlangenkopf, welcher, wo er eine Lücke gewinnt, darein er schlüpfen kann, so geht der ganze Leib hintennach unaufgehalten. Aber das Gebet kann ihm wehren und zurücktreiben.

 

Die letzte Bitte

Sondern erlöse uns von dem Übel. Amen

 

Im Hebräischen lautet das Stücklein also: Erlöse oder behüte uns von dem Argen oder Boshaftigen. Und sieht eben aus, als rede er von dem Teufel, als wollte ers alles auf einen Haufen fassen, dass die ganze Summa alles Gebetes gehe wider diesen unsern Hauptfeind. Denn er ist der, so solches alles, was wir bitten, unter uns hindert: Gottes Namen oder Ehre, Gottes Reich und Willen, das tägliche Brot, fröhlich, gut Gewissen usw. Darum schlagen wir solches endlich zusammen und sagen: Lieber Vater, hilf doch, dass wir des Unglücks alles loswerden. Aber nichtsdestoweniger ist auch mit eingeschlossen, was uns Böses widerfahren mag unter des Teufels Reich: Armut, Schande, Tod und kürzlich aller unseliger Jammer und Herzleid, so auf Erden unzählig viel ist. Denn der Teufel, weil er nicht allein ein Lügner, sondern auch ein Totschläger ist ohne Unterlass auch nach unserm Leben trachtet und sein Mütlein kühlt, wo er uns zu Unfall und Schaden am Leib bringen kann. Daher kommts, dass er manchem den Hals bricht oder von Sinnen bringt, etliche im Wasser ersäuft und viele dahin treibt, dass sie sich selbst umbringen, und zu viel andern schrecklichen Fällen. Darum haben wir auf Erden nichts zu tun, denn ohne Unterlass wider diesen Hauptfeind zu bitten. Denn wo uns Gott nicht erhielte, wären wir keine Stunde vor ihm sicher. Daher siehst du, wie Gott vor alles, was uns auch leiblich anficht, will gebeten sein, dass man nirgend Hülfe denn bei ihm suche und erwarte. Solches hat er aber zum letzten gestellt. Denn sollen wir von allem Übel behütet und loswerden, muss zuvor sein Name in uns geheiligt, sein Reich bei uns sein und sein Wille geschehen. Darnach will er uns endlich vor Sünden und Schanden behüten, daneben von allem, was uns wehe tut und schädlich ist. Also hat uns Gott aufs kürzeste vorgelegt alle Not, die uns immer anliegen mag, dass wir je keine Entschuldigung haben zu beten. Aber da liegt die Macht an, dass wir auch lernen AMEN dazu sagen, das ist nicht zweifeln, dass es gewisslich erhört sei und geschehen werde; denn es ist nicht anders denn eines ungezweifelten Glaubens Wort, der da nicht auf Abenteuer betet, sondern weiß, dass Gott nicht lügt, weil ers verheißen hat zu geben. Wo nun solcher Glaube nicht ist, da kann auch kein rechtes Gebet sein. Darum ists ein schädlicher Wahn derer, die also beten, dass sie nicht dürfen von Herzen ja dazu sagen und gewisslich schließen, dass Gott erhört, sondern bleiben in dem Zweifel und sagen: Wie sollte ich so kühn sein und rühmen, dass Gott mein Gebet erhöre? Bin ich doch ein armer Sünder usw. Das macht, dass sie nicht auf Gottes Verheißung, sondern auf ihre Werke und eigene Würdigkeit sehen, damit sie Gott verachten und Lügen strafen, derhalben sie auch nichts empfangen, wie S. Jacobus sagt: Wer da betet, der bete im Glauben und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, ist gleich wie eine Woge des Meeres, so vom Winde getrieben und gewebt wird. Solcher Mensch denke nur nicht, dass er etwas von Gott empfangen werde. Siehe, so viel ist Gott daran gelegen, dass wir gewiß sollen sein, dass wir nicht umsonst bitten und in keinem Wege unser Gebet verachten.