Luther - Rechtfertigung

 

Rechtfertigung als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi

 

(Martin Luther: Auslegung zu Gal 2,16, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Bd. 9, Sp. 173-183, Rechtschreibung angepasst)

 

Dagegen ist die rechte christliche Weise zu lehren diese: dass der Mensch zuerst durch das Gesetz erkennen soll, dass er ein Sünder sei, dem es unmöglich ist, irgend ein gutes Werk zu tun. Denn das Gesetz spricht: Du bist ein böser Baum, deshalb streitet alles wider Gott, was du denkst, redest und tust. Daher kannst du mit deinen Werken die Gnade nicht verdienen. Wenn du dies dennoch unter-nimmst, so machst du aus Übel Ärgeres, denn, weil du ein böser Baum bist, so kannst du nichts als böse Früchte bringen, das heißt, Sünden, denn „was nicht aus dem Glauben geht, das ist Sünde“ (Röm. 14,23.). Deshalb, wer durch vorher-gehende Werke Gnade verdienen will, der will Gott durch Sünden versöhnen, das ist nichts Anderes, als Sünden auf Sünden häufen, Gott verlachen und sei-nen Zorn herausfordern. 

Wenn der Mensch durch das Gesetz so unterrichtet, geschreckt und gedemütigt wird, und in Wahrheit die Größe seiner Sünde sieht, und nicht die geringste Spur von Liebe gegen Gott bei sich findet, so gibt er Gotte recht in seinem Worte, und bekennt, dass er des ewigen Todes und der Verdammnis schuldig sei. Der erste Teil der christlichen Lehre ist also die Predigt von der Buße und von der rechten Selbsterkenntnis.

Der zweite Teil (dieser Lehre) ist: Wenn du selig werden willst, so kannst du die Seligkeit nicht durch Werke überkommen, sondern „Gott hat seinen eingebornen Sohn in die Welt gesandt, dass wir durch ihn leben sollen“ (1 Joh. 4,9.). Der ist für dich gekreuzigt und gestorben und „hat deine Sünden an seinem Leibe ge-opfert“ (1 Petr. 2,24.). Da ist nichts, was Gott billiger Weise ansehen müsste (nulla congruitas), oder irgend ein Werk vor der Gnade, sondern nichts als Zorn, Sünde, Schrecken und Tod. Daher zeigt das Gesetz die Sünde nur an, erschreckt und demütigt, und bereitet auf diese Weise zur Rechtfertigung und treibt zu Christo hin. Denn Gott hat durch sein Wort offenbart, dass er ein gnädiger Vater sein werde, welcher uns, da wir nichts verdienen können, ohne unser Verdienst umsonst die Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit und ewiges Leben um Christi willen schenken wolle. Denn er ist ein Gott, der allen umsonst seine Gaben schenkt, und das ist der Ruhm, dadurch seine Gottheit gepriesen wird. Aber diese seine Gottheit kann er wider die Werkgerechten nicht verteidigen, denn sie wollen Gnade und ewiges Leben von ihm nicht umsonst annehmen, sondern mit ihren Werken verdienen; darum wollen sie ihm schlechterdings die Ehre der Gott-heit rauben. Damit er diese nun behalten könnte, musste er das Gesetz vorher senden, um diese überaus harten Felsen zu schrecken und zu zerschmettern, wie durch einen Blitz und Donnerschlag vom Himmel. (…..)

Wenn der Mensch aber durch das Gesetz gedemütigt und dazu gebracht worden ist, dass er sich selbst erkenne, dann ist er wahrhaft bußfertig geworden (denn die wahre Buße fängt an der Furcht und dem Gerichte Gottes an), und sieht, dass er ein so großer Sünder ist, dass er durch seine Kräfte, Bemühungen und Werke von den Sünden nicht befreit werden könne. Erst dann versteht er recht, was Paulus meine, da er sagt: der Mensch sei ein Knecht und Gefangener der Sünde; desgleichen: Gott habe alles unter die Sünde beschlossen; die ganze Welt sei schuldig vor Gotte etc. (Röm. 7,23. 6,20. Gal. 3,22.) Da sieht er, dass die Theologie der Sophisten von dem Verdienst nach Billigkeit und nach Würden ein unnützes Geschwätzt ist, und dass das ganze Papsttum dahin fällt. Hier erhebt sich nun ein solches Seufzen: Wer kann hier helfen? Denn so verzweifelt der Mensch, welcher durch das Gesetz erschreckt ist, ganz und gar an seinen Kräften, sieht umher und seufzt um Hilfe nach einem Mittler und Heiland. Da kommt denn das heilsame Wort des Evangelii zu gelegener Zeit und spricht: Sei getrost, mein Sohn, dir sind deine Sünden vergeben. Glaube an Jesum Christum, der für deine Sünden gekreuzigt ist etc. Wenn du deine Sünden fühlst, so siehe sie nicht an dir an, sondern gedenke, dass sie auf Christum gelegt sind, dessen Wunden dich geheilt haben etc. Jes. 53,5. 1 Petr. 2,24. 

Dies ist der Anfang der Seligkeit. Auf diese Weise werden wir von der Sünde befreit, wir werden gerechtfertigt, und das ewige Leben wird uns geschenkt, nicht um unserer Verdienste und Werke willen, sondern um des Glaubens willen, durch welchen wir Christum ergreifen. Deshalb nehmen auch wir eine (besondere) Be-schaffenheit (qualitatem) und eine wesentliche Gerechtigkeit (formalem justitiam) im Herzen an, aber nicht, wie die Sophisten tun, die Liebe, sondern den Glauben, doch in solcher Weise, dass das Herz nichts Anderes im Auge habe und ergreife als den Heiland Christum. Da ist es aber vonnöten, dass du wissest, was Christus recht eigentlich (definitive) sei. Weil die Sophisten dies nicht wussten, haben sie aus ihm einen Richter und Peiniger gemacht und haben dieses ganz törichte Fündlein von dem Verdienst nach Billigkeit und nach Würden erdacht. 

Christus aber ist recht eigentlich nicht ein Gesetzgeber, sondern ein Versöhner und Heiland. Dies ergreift der Glaube und glaubt ohne Zweifel, dass er die Werke und Verdienste nach Billigkeit und nach Würden mehr als überflüssig zuwege gebracht habe, denn er hätte mit einem einzigen Tröpflein seines Blutes für die Sünden der Welt genugtun können. Nun aber hat er reichlich für uns genuggetan. Hebr. 9,12.: „Durch sein eigenes Blut ist er einmal in das Heilige eingegangen“ etc., und Röm. 3,24.f.: „Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist, welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl, durch den Glauben in seinem Blut“ etc. Darum ist es etwas Großes, dass man Christum im Glauben ergreife, der da trägt die Sünde der Welt, und allein dieser Glaube wird zur Gerechtigkeit gerechnet, Röm. 3,28. 4,5. 

Hier ist wohl zu merken, dass diese drei Dinge, der Glaube, Christus und (Gottes) Annehmen oder Zurechnen (der Gerechtigkeit Christi) zusammen gehören. Der Glaube ergreift Christum und hat ihn gegenwärtig und hält ihn eingeschlossen, wie ein Ring einen Edelstein umfasst, und ein jeglicher, der erfunden wird, dass er Christum mit dieser Zuversicht im Herzen ergriffen habe, den rechnet Gott für gerecht. Dies ist die Weise und das Verdienst, dadurch wir zur Vergebung der Sünden und zur Gerechtigkeit gelangen. Weil du an mich glaubst, sagt Gott, und dein Glaube Christum ergreift, den ich dir geschenkt habe, damit er dein Mittler und Hoherpriester wäre, darum sollst du gerecht sein. 

Also Gott nimmt uns an oder rechnet uns für gerecht allein wegen des Glaubens an Christum etc., und dieses Annehmen oder Zurechnen ist sehr notwendig, erstens, weil wir noch nicht vollkommen gerecht sind, sondern uns in diesem Leben noch die Sünde im Fleische anhängt. Diese Sünde, welche im Fleische noch übrig ist, fegt Gott in uns aus. Zum andern werden wir bisweilen auch vom Heiligen Geiste verlassen, und fallen in Sünden, wie Petrus, David und andere Heilige. Doch haben wir immer wieder einen Zugang zu diesem Artikel, dass uns unsere Sünden bedeckt sind, und dass Gott sie uns nicht zurechnen wolle, Ps. 32,1.2. Röm. 4,7., nicht, dass keine Sünde mehr da sei (wie die Sophisten ge-lehrt haben, dass man so lange gute Werke tun müsse …, bis wir uns keiner Sünde mehr bewusst wären), vielmehr, die Sünde ist wahrhaftig da, und die Gottseligen fühlen sie, aber sie ist verborgen und wird uns von Gott um Christi willen nicht zugerechnet; weil wir ihn im Glauben ergreifen, müssen alle Sünden nicht Sünden sein. Wo aber Christus und der Glaube nicht ist, da ist keine Vergebung der Sünden, kein Bedecken derselben, sondern nur Zurechnung und Verdammnis der Sünden. So will Gott, dass der Sohn verherrlicht werde, und er selbst will in uns durch ihn verherrlicht werden. 

Nachdem wir den Glauben an Christum in solcher Weise gelehrt haben, lehren wir auch von guten Werken: Weil du im Glauben Christum ergriffen hast, durch den du gerecht bist, so fange nun an, gute Werke zu tun, liebe Gott und den Nächsten, rufe Gott an, danke ihm, preise, lobe und bekenne ihn, tue dem Nächsten wohl und diene ihm, richte dein Amt redlich aus. Dies sind wahrhaft gute Werke, welche aus diesem Glauben fließen und aus der Fröhlichkeit des Herzens, die wir dadurch erlangt haben, dass uns unsere Sünden umsonst durch Christum vergeben worden sind.

Alles was es nachher an Kreuz und Leiden zu tragen gibt, kann man leicht tra-gen. Denn das Joch, welches Christus auflegt, ist sanft und seine Last ist leicht (Matth. 11,30.). Denn da die Sünde vergeben ist, und das Gewissen befreit von der Last und dem Beißen der Sünde, so kann ein Christ alles leicht tragen. Weil im Innern alles sanft und lieblich ist, darum tut und leidet er alles willig. Wenn aber der Mensch in seiner eigenen Gerechtigkeit einhergeht, so fällt ihm alles, was er tut und leidet, schwer, und es ist ihm lästig, weil er es ungern tut. Darum geben wir die Erklärung ab, dass der ein Christ sei, nicht, wer keine Sünde hat oder fühlt, sondern dem seine Sünde wegen seines Glaubens an Christum nicht zugerechnet wird. Diese Lehre gibt den Gewissen, die in rechtem Schrecken stehen, einen festen Trost, und deshalb ist es nicht vergebens, dass wir so oft und mit so großem Fleiße (den Leuten) einzuprägen suchen, dass uns die Sünden vergeben, und die Gerechtigkeit uns zugerechnet werde um Christi willen; desgleichen, dass ein Christ ganz und gar nichts mit dem Gesetze und mit der Sünde zu schaffen haben solle, besonders in Anfechtungen. Sofern er ein Christ ist, steht er über dem Gesetze und der Sünde. Denn er hat in seinem Herzen gegenwärtig und eingeschlossen Christum, den Herrn des Gesetzes, wie ein Ring einen Edelstein umfasst. Wenn ihn daher das Gesetz anklagt, die Sünde ihn erschreckt etc., so sieht er Christum an. Wenn er den im Glauben ergriffen hat, so hat er bei sich den Sieger über das Gesetz, über Sünde, Tod und Teufel, der über alle diese herrscht, dass sie ihm keinen Schaden tun können.