J. Gerhard - Tod

 

43. VON DER TÄGLICHEN BETRACHTUNG DES TODES.

 

BESCHÄFTIGUNG MIT DEM TODE IST LEBEN.

 

O gläubige Seele, erwarte den Tod alle Stunden, weil er alle Stunden dir nachstellt. Wenn du am Morgen aufstehst, o Mensch, so denke, dass dies der letzte Tag deines Lebens sein werde. Wenn du am Abend zu Bett gehen willst, so denke, dass dies deine letzte Stunde auf Erden sein werde. Was du auch tust, was du auch vornimmst, immer bedenke zuvor und überlege bei dir, ob du so handeln würdest, wenn, du in dieser Stunde sterben und vor Gottes Gericht treten müsstest. Meinst du, wenn du nicht an den Tod denkst, er werde ferne von dir bleiben? und herbeigerufen werde er, wenn du an ihn denkst? Ob du an ihn denkst, oder nicht; ob du von ihm redest, oder nicht, er schwebt immer über deinem Haupte. Zum Darlehn ist dir das Leben gegeben, nicht zum Besitz: du bist in’s Leben gekommen unter der Bedingung, dass du aus demselben scheidest; nackt bist du gekommen, nackt wirst du scheiden Hiob 1,21. Das Leben ist eine Wanderung; wenn du lange gewandert sein wirst, musst du zurückkehren. Ein Einwohner und Mietmann bist du in der Welt, nicht aber ein beständiger Herr: in jeder Stunde bedenke, wohin du in jeder Minute eilst. Darin täuschen wir uns, dass wir mit dem letzten Odemzuge des Lebens zu sterben meinen: alle Tage, alle Stunden, alle Augenblicke sterben wir! Was zum Leben kommt, geht vom Leben ab; was zum Leben hinzugefügt wird, das wird sofort vom Leben abgezogen: nicht plötzlich geraten wir in den Tod, sondern nach und nach schreiten wir zu ihm fort. Unser Leben hier ist ein Weg; täglich müssen wir etwas von ihm zurücklegen. Tod und Leben scheinen sehr fern von einander zu sein, und doch ist kein Ding dem andern näher, als der Tod dem Leben. Dies schwindet immer, jener steht immer bevor. Wie denen, welche zu Schiffe reisen, oft ohne dass sie es merken und denken, so lange die Fahrt währt, das Ende der Reise kommt: so kommen wir dem Tode immer näher, was wir auch tun, sei es, dass wir essen, oder trinken, oder schlafen. Viele haben das Leben beschlossen, während sie noch das Geräte und die Hilfsmittel zum Leben suchten. Dem nahenden Tode geht keiner mit heiterer Miene entgegen, außer der sich lange auf ihn bereitet hat. Im Leben stirb dir täglich; so wirst du im Tode Gott leben können. Ehe du stirbst, laß in dir die bösen Begierden sterben; in deinem Leben sterbe in dir der alte Adam, so wird im Tode Christus in dir leben. In deinem Leben verwese täglich der äußerliche Mensch, so wird im Tode der innerliche in dir verneuert werden. Der Tod versetzt aus der Zeit in die Ewigkeit, denn auf welchen Ort der Baum fällt, da wird er liegen Pred. 11,3. Wie ernstlich ist darum an die Stunde des Todes zu denken! Die Zeit verrinnt und die unermesslichen Räume der Ewigkeit sind noch übrig. In der Zeit bereite dich darum zur Ewigkeit. Wer wir in Ewigkeit sein werden, selig, oder verdammt, das wird in der einen Todesstunde entschieden. In diesem einen Augenblicke wird die ewige Seligkeit entweder erlangt, oder verloren. Wie sorgsam, o liebe Seele, musst du dich darum auf diese Stunde bereiten? Du wirst leicht alles Weltliche verachten, wenn du bedenkst, dass du sterben wirst. Denke an die im Tode sich verdunkelnden Augen, und du wirst sie leicht von der Eitelkeit abwenden Ps. 119,37; denke an die im Tode taub werdenden Ohren, und es wird dir leicht werden, sie gegen schändliche und schmutzige Reden zu verstopfen; denke an die im Tode erstarrende Zunge, und du wirst sorgsamer Bedacht nehmen auf deine Rede. Der Schweiß und die Angst der Sterbenden schwebt dir vor Augen; so wirst du leicht die weltlichen Ergötzungen verachten. Die Nacktheit der aus diesem Leben Scheidenden schwebe dir vor Augen, und es wird dir Armut in diesem Leben nicht beschwerlich sein. Siehe an den Jammer der Seele, die gezwungen ist die Behausung des Leibes zu verlassen, und du wirst dich leicht hüten vor der Schuld jeder Sünde. Denke an die Verwesung, die im Gefolge deines Todes ist, und du, wirst leicht dein Fleisch, das sich brüstet, unter’s Joch bringen. Bedenke, wie beraubt und entblößt von allen Geschöpfen du im Tode gelassen wirst, und du wirst leicht deine Liebe von jenen abwenden, und dem Schöpfer zuwenden können: bedenke, wie ängstlich der Tod nachsucht, damit du ja nicht etwas mit dir aus diesem Leben nimmst, und du wirst auch leicht allen Reichtum der Welt verachten. Wer in diesem Leben täglich dem Tode sich weiht durch Sünden, der geht durch den Tod zu den Martern des ewigen Todes über. Keiner gelangt zum ewigen Leben, der nicht hier anfängt in Christo zu leben. Damit du im Tode lebest, pflanze dich Christo durch den Glauben ein. Der Tod sei dir immer im Gedächtnis, weil du ihn immer zu erwarten hast. Wir tragen den Tod immer mit uns herum, weil wir immer die Sünde mit uns herumtragen, der Tod aber ist der Sünden Sold Röm. 6,23. Wenn du der Bitterkeit des Todes zu entgehen wünschest, so halte Christi Wort Joh. 8,51. Der Glaube verbindet und einiget uns mit Christo; die also in Christo sind, die sterben nicht, denn Christus ist ihr Leben. Wer Gott durch den Glauben anhanget, der ist ein Geist mit ihm 1 Kor. 6,17; und daher stirbt der Gläubige in Ewigkeit nicht, weil Gott sein Leben ist. Das Volk Israel gelangt durch das rote Meer zu dem Lande der Verheißung, Pharao aber und sein Heer kommt in demselben um 2 Mos. 14: so ist der Tod der Frommen ihnen selbst der Anfang und die Pforte zum Paradiese; der Tod der Gottlosen aber ist nicht das Ende der Übel, sondern das Bindemittel der vorhergehenden und der folgenden; die gelangen von dem ersten zum andern Tode Off. Joh. 17,14. So innig ist die Einigung Christi und der Gläubigen, dass sie durch den Tod nicht aufgelöst werden kann Röm. 8,38.39; selbst in der dicksten Finsternis des Todes leuchtet ihnen voran das Licht der göttlichen Gnade; auf der gefahrvollen Reise des Todes sorgt Christus für seine Geliebten durch den Schutz der Engel. Die Leiber der Heiligen sind Tempel des heiligen Geistes 1 Kor. 6,19; der heilige Geist wird nicht zugeben, dass seine Tempel durch den Tod ganz zerstört werden. Das Wort Gottes ist ein unvergänglicher Same 1 Petr. 1,23; dasselbe wird durch den Tod nicht getilgt, sondern verborgen in den Herzen der Frommen, und wird diese zu seiner Zeit lebendig machen.

 

44. TROST BEI DEM TODE VON FREUNDEN.

 

DAS LEBEN IST UNSER GEWINN VOM TODE.

 

Denke, andächtige Seele, an Christum, deinen Heiland, und du wirst den Schrecken des Todes nicht fürchten. Wenn dich die Gewaltsamkeit des Todes traurig macht, so richte dich die Macht Christi wieder auf. Die Israeliten konnten das Wasser zu Mara wegen seiner Bitterkeit nicht trinken 2 Mos. 15,23.25, aber der Herr weisete dem Mose einen Baum, den tat er in’s Wasser, da ward es süß. Wenn du dich entsetzest wegen der Bitterkeit des Todes, so weiset Gott dir einen Baum, der ihn in Süßigkeit verwandelt, nämlich die Rute, die aufgegangen ist von dem Stamme Isai Jes. 11,1. Diese Rute ist Christus; so jemand sein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich Joh. 8,51. Das Leben ist voll Beschwerde, gesegnet ist darum ein Erleichterungsmittel derselben. Das Elend des christlichen Menschen stirbt, nicht der christliche Mensch. Was wir für den Tod halten, ist gleichwie eine Reise, nicht ein Ausgang, sondern ein Übergang. Wir verlieren die Unsrigen nicht, sondern wir senden sie voraus; die Unsrigen sterben nicht, sondern beginnen zu leben; sie gehen voran, sie entfernen sich nicht, sie gehen nicht davon; nicht ein Untergang ist es, sondern vielmehr ein Weggang. Der Weg der Frommen ist eine Wiederholung des Lebens: die Leichname der Frommen sind in einem gewissen Sinne Kapitale. Die Unsrigen sterben; das wolle so deuten: sie hören auf zu sündigen, sie hören auf beunruhigt zu werden, sie hören auf elend zu sein. Sie sterben im Glauben; das wolle so deuten: sie verlassen den Schein des Lebens, um zum wahren Leben, die Finsternis, um zum Lichte, die Menschen, um zu Gott überzugehen. Das Leben ist eine Schifffahrt, der Tod ist der sicherste Hafen. Darum gibt’s nichts zu trauern, dass die Unsrigen gestorben sind, sondern vielmehr ist ihnen Glück zu wünschen, dass sie aus dem stürmischen Meer in den Hafen gelangt sind. Dieses Leben ist ein Gefängnis der Seele, der Tod aber die Befreiung daraus; darum ruft Simeon aus, der nach dem Tode sich sehnt: Herr, nun lässest du deinen Knecht in Frieden fahren! Luk. 2,29. Er sehnt sich, entlassen zu werden, gleich als wäre er in ein leibliches Gefängnis eingeschlossen. Darum müssen wir den Unsrigen Glück wünschen, dass sie aus diesem Gefängnisse befreit zur wahren Freiheit gelangt sind. Ebenso wünscht der Apostel abzuscheiden Phil. 1,23. 2 Kor. 5,8, gleich als wäre er in einer elenden Knechtschaft an den irdischen Leib gebunden. Wollen wir uns daher betrüben, dass die Unsrigen dieser Fesseln entledigt nunmehr wahrhaft frei sind? Wollen wir um ihretwillen schwarze Kleider anlegen, da sie die weißen Kleider angelegt bekommen haben? Denn es steht geschrieben: dass den Auserwählten weiße Kleider gegeben sind um ihrer Unschuld willen, und dass sie Palmen haben in den Händen um ihres Sieges willen Off. Joh. 7,9. Wollen wir mit Tränen und Seufzen um ihretwillen uns quälen, da Gott von ihren Augen alle Tränen abgewischt hat? Jes. 25,8. Off. Joh. 7,17. Wollen wir um ihretwillen klagen und in unserer Trauer uns selber Schmerzen bereiten, da jene an dem Orte sich befinden, wo weder Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen mehr ist Off. Joh. 21,4, und sie von ihrer Arbeit ruhen? Off. Joh. 14,13. Wollen wir um ihres Sterbens willen mit unmäßiger Trauer uns aufreiben, da sie selbst in Gemeinschaft der Engel der wahren und dauernden Freude genießen? Wollen wir ein kläglich Geschrei um ihretwillen erheben, da sie selbst vor dem Lamme ein neues Lied singen, und Harfen und güldene Schalen haben? Off. Joh. 5,8.9. Wollen wir uns betrüben, dass sie von hinnen geschieden sind, da sie selbst sich Glück wünschen, dass sie geschieden sind? Wie gut es ist aus dieser Welt zu gehen, das hat Christus gezeigt, der seinen Jüngern, da sie traurig geworden waren, weil er von seinem Weggange geredet hatte, antwortete: Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen Joh, 14,28. Wenn du zu Schiffe wärest und dir ein unruhvolles und ungestümes Unwetter, während die Wasserwogen von der Gewalt des Windes erregt sind, den bevorstehenden Schiffbruch verkündigte, würdest du nicht schleunig dem Hafen zusteuern? Siehe, die Erde wankt und fällt dahin, und von ihrem Untergange zeugt sie nicht bloß durch das Alter, sondern auch durch das Ende der Dinge; und du dankest Gott nicht, wünschest den Deinigen nicht Glück, dass sie durch einen zeitigeren Tod hingerückt, den drohenden Unglücksfällen, Erschütterungen und Nöten, entnommen werden? In wessen Händen ruhet das Heil der Deinen sicherer, als in Christi Händen? An welchem Orte wird die Seele der Deinen sicherer wohnen, als in dem Reiche des Paradieses? Höre, was der Apostel vom Tode sagt: Sterben ist mein Gewinn Phil. 1,21. Gewinn ist es, der Mehrung der Sünde entgangen, Gewinn, dem Schlechteren entflohen, Gewinn, zu dem Besseren übergegangen zu sein. Wenn die, welche du durch den Tod verloren hast, dir sehr wert gewesen sind, so sei dir Gott noch werter, der sie hat wollen zu sich ziehen. Hadere nicht mit dem Herrn, der nur genommen, was er gegeben: das Seine hat er zurückgenommen, das Deine hat er nicht genommen Hiob 1,21. Sei nicht unwillig, dass der Herr wieder fordert, was er nur geliehen hatte. Der Herr allein kennt die zukünftigen Übel voraus; für die Deinen hat er Fürsorge getragen, dass sie nicht in die bevorstehenden Unglücksfälle verwickelt würden. Die in dem Herrn gestorben sind, ruhen sanft in ihren Gräbern Off. Joh. 14,13. Jes. 57,2, während die Überlebenden schmerzlich sich betrüben selbst in den Palästen ihres Reiches. Wenn du Werte verloren hast, glaube fest, du wirst sie einst werter wieder haben. Ein kurzer Zeitraum trennt dich von ihnen, die selige und friedevolle Ewigkeit wird dich ihnen wieder vereinen. Unsere Hoffnung steht auf der über allen Zweifel erhabenen Verheißung, dass wir aus diesem Leben, aus welchem wir nahe dem Abschied etliche der Unsrigen, indem sie scheiden, vorausschicken, zu dem Leben gelangen werden, wo sie uns, je bekannter um so teurer und ohne irgend welche Uneinigkeit fürchten zu müssen, liebenswürdig sein werden. Wie viel der Seelen sein werden, und wie viel ihrer vor uns gewesen, sie alle werden von großen Schauplätzen in fröhlichem Raume umfasst werden. Da wird es gestattet sein, die Gesichtszüge unseres Stammes zu erkennen und im wechselnden Ton uns mit einander zu unterhalten. Da wird mit dem Bruder die Schwester, da werden mit den Eltern die Kinder gehen, und ein Abend wird so wenig als irgend ein Tag der festlichen Feier ein Ende machen. Darum sieh nicht bloß die Zeit des Verlassenseins an, weil nämlich die Deinen im Tode dich verlassen, sondern siehe auch an die Zeit der Wiedererstattung Ap. Gesch. 3,20, weil nämlich die Deinen dir werden wieder gegeben werden in der Auferstehung. Wo fester Glaube an die Auferstehung ist, da ist auch kein Tod, sondern vielmehr Ruhe. Das ganze Weltall ist ein Spiegel der Auferstehung. Das Licht, das täglich untergeht, leuchtet auch täglich von Neuem. Die Kräuter, die im Winter ersterben, leben in Wahrheit wieder auf. Der Phönix birgt in seinem Tode den Keim zu neuem Leben. Wo die Zeiten sich enden, da beginnen sie. Die Früchte werden verzehrt und kommen wieder zum Vorschein. Die Samenkörner gehen zu reicherer Frucht auf, nur wenn sie zersprengt und aufgelöst werden. Wenn es untergeht, wird alles erhalten, aus dem Tode wird alles in neue Gestalt gebracht. Ist’s daher wohl anzunehmen, dass Gott solche Vorbilder umsonst im Reiche der Natur uns vor Augen gestellt hat? Wird die Natur mächtiger sein als Gott, der die Auferstehung unserer Leiber verheißt? Der die erstorbenen und verwesten Samenkörner, von denen du in dieser Welt lebst, lebendig macht 1 Kor. 15,37, wird vielmehr dich und die Deinen auferwecken, auf dass du mit ihnen ewig lebest. Gott hat deine Lieben zu ihren Kammern gerufen Jes. 57,2; missgönne, Lieber, ihnen die friedevolle Ruhe nicht; bald wird die Stunde der Auferstehung da sein. Du hofftest vielleicht, die Deinen sollten vor dem Tode brauchbare Glieder der streitenden Kirche sein: aber Gott hat es gefallen, dass sie Glieder der triumphierenden Kirche seien; Gott hat das gefallen, es gefalle auch dir. Du hofftest vielleicht, die Deinen sollten vor dem Tode sich Wissenschaft von mancherlei Sachen erwerben: aber Gott hat es gefallen, sie auf der himmlischen Hochschule die wahre Weisheit zu lehren; Gott hat das gefallen, es gefalle auch dir. Du hofftest vielleicht, die Deinen sollten vor dem Tode aus dem Kote erhöhet und neben die Fürsten gesetzet werden Ps. 113,8: aber Gott hat es gefallen, sie den himmlischen Fürsten, den heiligen Engeln beizugesellen; Gott hat das gefallen, es gefalle auch dir. Du hofftest vielleicht, die Deinen sollten vor dem Tode sich großen Reichtum erwerben: aber Gott hat es gefallen, sie die Süßigkeiten des himmlischen Reiches schmecken zu lassen; Gott hat das gefallen, es gefalle auch dir. Heiliger Gott, du hast genommen, was du gegeben hast Hiob 1,21; dein Name sei gelobet in Ewigkeit!