Luther - Theologie des Kreuzes

 

Theologie des Kreuzes, nicht der Herrlichkeit

 

(Martin Luther: Heidelberger Disputation 1518, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Bd. 18, Sp. 50-53, Rechtschreibung angepasst)

 

19. These. 

Nicht der wird mit Recht ein Theologe genannt, der die unsichtbaren Dinge Gottes durch das, was geworden ist, als begriffene ansieht. 

Dies ist offenbar durch die, welche so gewesen sind und doch von dem Apostel, Röm. 1,22., Narren genannt werden. Ferner die unsichtbaren Dinge Gottes sind Tugend, Göttlichkeit, Weisheit, Gerechtigkeit, Güte etc.; die Erkenntnis aller die-ser Dinge macht aber weder würdig noch weise. 

 

20. These. 

Sondern der die sichtbaren und geringeren Dinge Gottes, durch Kreuz und Leiden angesehen, begreift. 

Die geringeren und sichtbaren Dinge Gottes sind den unsichtbaren entgegen-gesetzt, nämlich Menschlichkeit, Schwachheit, Torheit; wie sie der Apostel, 1 Kor. 1,25., Gottes Schwachheit und Thorheit nennt. Denn weil die Menschen die Erkenntnis Gottes aus den Werken missbrauchten, so wollte Gott wiederum aus den Leiden erkannt werden und jene Weisheit der unsichtbaren Dinge durch die Weisheit der sichtbaren Dinge verwerfen, damit so, die Gott nicht verehrten, wie er offenbar ist aus seinen Werken, ihn verehren sollten, wie er verborgen ist in den Leiden, wie es 1 Kor. 1,21, heißt: „Dieweil die Welt in ihrer Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben“; so dass es nunmehr für keinen hinreichend ist und nicht nützt, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht in der Niedrigkeit und Schmach des Kreuzes erkennt. So macht er die Weisheit der Weisen zu Schanden etc., wie Jesaias spricht (Cap. 45,15.): „Für-wahr, du bist ein verborgener Gott.“ So auch, als Philippus nach der Theologie der Herrlichkeit sprach, Joh. 14,8.: „Zeige uns den Vater“, so zog Christus alsbald dessen flüchtigen Gedanken, Gott anderswo zu suchen, zurück und führte ihn auf sich selbst, indem er sprach: „Philippus, wer mich siehet, der siehet auch meinen Vater.“ Darum ist die wahre Theologie und Erkenntnis Gottes in dem gekreuzigten Christus, wie es auch Joh. 14,6. heißt: „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich“; und Joh. 10,9.: „Ich bin die Thür“ etc. 

 

21. These. 

Ein Theologe der Herrlichkeit nennt das Böse gut und das Gute böse; ein Theologe des Kreuzes aber nennt die Sache so, wie sie ist. 

Dies ist klar; denn wenn er Christum nicht kennt, so kennt er den in den Leiden verborgenen Gott nicht. Darum zieht er die Werke den Leiden und die Herrlichkeit dem Kreuze, die Kraft der Schwachheit, die Weisheit der Torheit, und überhaupt das Gute dem Bösen vor. Der Art sind die, welche der Apostel „Feinde des Kreuzes Christi“ nennt (Phil. 3,18.), besonders weil sie Kreuz und Leiden hassen, die Werke aber und den Ruhm derselben lieben, und so das Gut des Kreuzes böse und das Böse des Werkes gut nennen. Dass man aber Gott nicht finden kann, außer in Kreuz und Leiden, ist schon gesagt. Darum sagen die Freunde des Kreuzes, dass das Kreuz gut sei und die Werke böse, denn durch das Kreuz werden die Werke zerstört und der alte Adam gekreuzigt, der durch die Werke vielmehr aufgebaut wird. Denn es ist unmöglich, dass der durch seine guten Werke nicht aufgebläht werden sollte, der nicht zuvor durch Leiden und Übel erniedrigt und zunichte gemacht ist, bis er weiß, dass er nichts sei, und die Werke nicht sein, sondern Gottes sind. 

 

22. These. 

Jene Weisheit, welche die unsichtbaren Dinge Gottes aus den Werken als begriffen ansieht, bläht ganz und gar auf, verblendet und verhärtet. 

Dies ist schon gesagt worden; denn weil sie das Kreuz nicht kennen und hassen, müssen sie notwendiger Weise das Gegenteil, nämlich Weisheit, Ruhm, Macht etc. lieben. Darum werden sie durch solche Liebe immer mehr verblendet und verhärtet. Denn es ist unmöglich, dass die Begierde durch die Erlangung dessen, das sie wünscht, gesättigt werden könnte. Denn gleichwie die Liebe zum Gelde in dem Maße wächst, als das Geld selbst zunimmt, so hat auch die Wassersucht der Seele um so mehr Durst, je mehr sie trinkt, wie der Dichter spricht: „Je mehr sie getränkt werden, desto mehr dürsten sie nach Wasser.“ So heißt es Pred. 1,8.: „Das Auge siehet sich nimmer satt und das Ohr höret sich nimmer satt.“ Und dies gilt von allen Begierden. Darum wird auch die Wissbegierde nicht gesättigt durch die Weisheit, die man erlangt hat, sondern mehr gereizt. So wird die Begierde nach Ruhm und Ehre nicht gesättigt durch die Ehre, die sie erlangt hat, noch auch wird die Herrschsucht gesättigt durch Macht und Herrschaft, auch die Begierde nach Lob wird nicht gesättigt durch Lob etc.; wie dies Christus, Joh. 4,13., anzeigt, da er spricht: „Wer dieses Wassers trinket, den wird wieder dürsten.“ Es bleibt also nur das Eine Heilmittel, dass man es nicht durch Sättigen heile, sondern durch Austilgen, das heißt, dass der, welcher weise werden will, nicht die Weisheit durch Vorwärtsschreiten suche, sondern dass er rückwärts gehe und ein Thor werde im Suchen der Torheit. So, wer mächtig, reich an Ehren, voller Wonne, satt in allen Dingen werden will, der muss Macht, Ehre, Vergnügen, Sättigung in allen Dingen vielmehr fliehen, als suchen. Das ist jene Weisheit, welche der Welt eine Torheit ist. 

 

23. These. 

Und das Gesetz wirkt den Zorn Gottes, tötet, verflucht, macht schuldig, richtet und verdammt alles, was nicht in Christo ist. 

So heißt es Gal. 3,13.: „Christus hat uns erlöset von dem Fluch des Gesetzes“; und ebendaselbst (V. 10.): „Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch“; und Röm. 4,15.: „Das Gesetz richtet nur Zorn an“; und Röm. 7,10.: „Es fand sich, dass das Gebot mir zum Tode gereichte, das mir doch zum Leben gegeben war“; Röm. 2,12. aber heißt es: „Welche am Gesetz gesündigt haben, die werden durchs Gesetz verurteilt werden.“ Darum wer sich im Gesetze als weise und gelehrt rühmt, der rühmt sich seiner Schande, seines Fluches, des Zornes Gottes und des Todes, wie es Röm. 2,23. heißt: „Was rühmest du dich des Gesetzes?“ 

 

24. These. 

Und doch ist jene Weisheit nicht böse, noch das Gesetz zu fliehen; sondern der Mensch ohne die Theologie des Kreuzes missbraucht das Beste aufs schlimmste.

Denn das Gesetz ist heilig (Röm. 7,12.), und alle Gabe Gottes ist gut (1. Tim. 4,4.); alles, was geschaffen ist, ist sehr gut, 1 Mo 1,31. Aber, wie oben gesagt ist, wer noch nicht vernichtet ist und durch Kreuz und Leiden zu Nichts gemacht, der schreibt Werke und Weisheit sich selbst zu, nicht aber Gotte, und so missbraucht er die Gaben Gottes und verunreinigt sie. Wer aber durch Leiden erniedrigt ist, der wirkt nun nicht, sondern weiß, dass Gott in ihm wirkt und alles tut. Darum mag er wirken oder nicht, so ist es für ihn dasselbe, er rühmt sich weder, wenn er wirkt, noch wird er beschämt, wenn Gott nicht in ihm wirkt; er weiß, dass es ihm genug ist, wenn er leidet und durch das Kreuz zunichte gemacht wird, um immer mehr vernichtet zu werden. Und das ist es, was Christus, Joh. 3,7., sagt: „Ihr müsset von neuem geboren werden.“ Wenn man also von neuem geboren werden muss, so muss man folglich zuvor sterben und mit dem Menschensohn erhöht werden; sterben, sage ich, das heißt, den gegenwärtigen Tod fühlen.