Luther - der verborgene und der offenbare Gott

 

Der verborgene und der offenbare Gott

 

(Martin Luther: Dass der freie Wille nichts sei, zitiert nach Walch, 2. Ausgabe, Bd. 18, Sp. 1794-1802, Rechtschreibung angepasst)

 

Übrigens, warum einige vom Gesetze getroffen werden, andere nicht getroffen werden, dass jene die angebotene Gnade annehmen, diese sie aber verachten, das ist eine andere Frage und wird hier nicht von Hesekiel behandelt, denn er redet von der gepredigten und angebotenen Barmherzigkeit Gottes, nicht von jenem verborgenen, mit Ehrfurcht zu betrachtenden Willen Gottes, welcher nach seinem Rate verordnet, welche und was für Leute nach seinem Willen der ge-predigten und angebotenen Barmherzigkeit fähig und teilhaftig sein sollen. Dieser Wille darf nicht erforscht werden, sondern er ist mit Ehrerbietung anzubeten als das allertiefste heiligste Geheimnis der göttlichen Majestät, welches sie sich allein vorbehalten und uns verboten hat, und welches in viel größerer Ehrfurcht zu halten ist, als Corycische Höhlen in unendlicher Menge.

Wenn nun die Diatribe klügelt: „Beklagt etwa der heilige Gott den Tod seines Volks, den er selbst an ihnen wirkt?“ denn dies scheint ihr allzu ungereimt: So antworten wir, wie wir schon gesagt haben: Man muss anders reden von Gotte oder dem Willen Gottes, der uns gepredigt wird, der uns offenbart ist, der uns angeboten wird, mit dem wir uns beschäftigen, als von dem Gotte, der nicht gepredigt wird, nicht offenbart, nicht angeboten worden ist, mit dem wir nichts zu schaffen haben. Darum, so fern Gott sich verbirgt und von uns nicht erkannt sein will, geht er uns nichts an. Denn hierher gehört in Wahrheit das Wort: Was über uns ist, ist nicht für uns. Und damit niemand glaube, dass dies meine Unterschei-dung sei, folge ich dem Paulus, der an die Thessalonicher vom Antichrist schreibt (2. Ep. 2,4.), dass er sich erheben werde über jeden gepredigten und verehrten Gott, und zeigt deutlich an, dass sich jemand über Gott erheben kann, sofern er gepredigt und ihm gedient wird, das heißt, über das Wort und den Dienst, nach welchem Gott uns bekannt ist und mit uns Verkehr hat. Aber über den Gott, der nicht verehrt noch gepredigt wird, wie er in seinem Wesen und seiner Majestät ist, kann nichts sich überheben, sondern alles ist unter seiner mächtigen Hand. Wir müssen daher Gott in seiner Majestät und in seinem Wesen ungeforscht lassen, denn darin haben wir nichts mit ihm zu schaffen und er will auch nicht, dass wir in der Weise mit ihm zu tun haben sollen, sondern, sofern er in sein Wort gekleidet ist und sich durch dasselbe an den Tag gegeben hat, dadurch er sich uns angeboten hat, handeln mir mit ihm. Das ist sein Schmuck und sein Ruhm, womit, wie der Psalmist (Ps. 21,6.) rühmt, er gekleidet ist. So sagen wir, der heilige Gott beklagt nicht den Tod des Volkes, den er in ihm wirkt, sondern er beklagt den Tod, den er im Volke findet und wegzuschaffen sich bemüht. Denn damit geht der gepredigte Gott um, dass er die Sünde und den Tod wegnehme und wir selig werden möchten. Denn (Ps. 107,20.): „Er hat sein Wort gesendet und sie gesund gemacht.“ Dagegen Gott, wie er verborgen ist in der Majestät, trauert nicht, nimmt auch den Tod nicht weg, sondern wirkt das Leben, den Tod und alles in allen. Denn da hat sich Gott nicht durch sein Wort eingegrenzt, son-dern hat sich frei erhalten über alles. 

Die Diatribe macht sich aber selbst zum Gespötte durch ihre Unwissenheit, in-dem sie keinen Unterschied macht zwischen dem gepredigten und dem ver-borgenen Gotte, das heißt, zwischen dem Worte Gottes und Gott selbst. Gott tut vieles, was er uns in seinem Worte nicht anzeigt, er will auch vieles, wovon er uns in seinem Worte nicht anzeigt, dass er es wolle. In solcher Weise will er nicht den Tod des Sünders, nämlich nach seinem Worte; er will ihn aber nach jenem unerforschlichen Willen. Nun aber müssen wir auf das Wort sehen und jenen unerforschlichen Willen anstehen lassen; denn wir müssen uns durch das Wort leiten lassen, nicht durch jenen unerforschlichen Willen. Ja, wer könnte sich richten nach dem durchaus unerforschlichen und unerkennbaren Willen? Es ist genug, dass wir nur das wissen, dass in Gotte ein gewisser unerforschlicher Wille ist; aber was, warum und wie weit er wolle, das gebührt uns durchaus nicht zu fragen, wissen zu wollen, uns darum zu kümmern oder uns damit zu befassen (tangere) sondern nur mit Furcht (und Zittern) anzubeten. 

Daher sagst du recht: „Wenn Gott den Tod nicht will, so ist es allerdings unserem Willen beizulegen, wenn wir verloren gehen.“ Recht, sage ich, wenn du von dem gepredigten Gotte reden solltest, denn der will, dass alle Menschen selig werden, weil er mit dem Worte des Heils zu allen kommt, und es ist die Schuld des Willens, welcher ihn nicht zulässt, wie es heißt Matth. 23,37.: „Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, und du hast nicht gewollt.“ Aber, warum die (göttliche) Majestät dieses Gebrechen unseres Willens nicht wegnimmt oder nicht in allen (Menschen) ändert, da es nicht in der Macht des Menschen steht, oder warum Gott ihm dieses zurechnet, da der Mensch ohne dasselbe nicht sein kann? das darf man nicht forschen, und wenngleich du viel forschen wolltest, so könntest du es doch nie finden, wie Paulus Röm. 9,20. sagt: „Wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst?“ (…..)

Wir sagen, wie wir schon vorher gesagt haben, über den geheimen Willen der (göttlichen) Majestät dürfe man nicht disputieren, und die menschliche Ver-messenheit, welche, wie sie ja immer verkehrt ist und das Notwendige anstehen lässt, sich stets daran macht und zu erforschen strebt (tentat), müsse davon abgehalten und abgezogen werden, damit sie sich nicht mit der Erforschung jener Geheimnisse der Majestät beschäftige, welche zu erlangen unmöglich ist, da sie „wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann“, wie Paulus bezeugt (1 Tim. 6,16.). (Der Mensch) beschäftige sich aber mit dem menschgewordenen Gotte, oder (wie Paulus (Kol. 2,3.) redet) mit Jesu, dem Gekreuzigten, „in welchem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntniß sind“, aber „verborgen“; denn durch den hat er reichlich, was er wissen und nicht wissen soll. Der menschgewordene Gott also redet hier: Ich habe gewollt und du hast nicht gewollt. Der menschgewordene Gott, sage ich, ist dazu gesendet, dass er wolle, rede, tue, leide, allen alles anbiete, was zur Seligkeit notwendig ist, wiewohl er den meisten Leuten Anstoß gibt, welche nach jenem geheimen Willen der Majestät entweder sich selbst überlassen worden sind (relicti), oder verstockt sind und den nicht aufnehmen, der da will, redet, tut, anbietet, wie Johannes (1,5.) sagt: „Das Licht scheinet in der Finsternis, und die Finsternis haben es nicht begriffen“; und wiederum (V. 11.): „Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ 

Bei diesem menschgewordenen Gotte findet es sich nun (hujus Dei etc. est), dass er weint, klagt, seufzt über das Verlorengehen der Gottlosen, obgleich der Wille der Majestät nach dem Vorsatz etliche fahren lässt und verwirft, so dass sie verloren gehen. Und wir haben nicht zu forschen, warum er so tue, sondern Gott ist zu verehren, der solches sowohl kann als auch will.