Hutter - Sünde
Leonhard Hutter (1563-1616): Inbegriff der Glaubens-Artikel aus der heiligen Schrift und den symbolischen Büchern zusammengestellt (Compendium locorum theologicorum ex scripturis sacris et libro concordiae), Leipzig 1837
Leonhard Hutter über die Sünde:
Achter Artikel. Von der Sünde im Allgemeinen und im Besondern.
1. Was ist die Sünde im Allgemeinen?
Die kurze Erklärung steht in dem Brief Johannis: die Sünde ist das, was gegen das Gesetz Gottes ist, 1 Joh. 3,4. – (Die Sünde ist das Unrecht. Luther.) – Oder wie Melanchthon erklärt: die Sünde ist ein Mangel, oder eine Neigung, oder eine Handlung, welche mit dem Gesetz Gottes streitet, Gott beleidigt, von Gott verdammt ist, und schuldig macht des ewigen Zornes, und der ewigen Strafen, wenn nicht Vergebung erfolgt ist. Melanchthon in den Artikk.
+2. Welche ist die Ursache der Sünde?
Gott gewiss nicht: Ps. 5,5: „Du bist nicht ein Gott, dem gottlos Wesen gefällt;“ sondern teils der Teufel, welcher auch selbst zuerst gesündigt, und die ersten Eltern zum Sündigen verführet hat, Joh. 8,44: „Der Teufel ist ein Lügner und ein Vater der Lüge;“ teils die Menschen selbst, welche den Einflüsterungen und den bösen Begierden ihres Fleisches folgen, Röm. 5,12: „Durch Einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod.“ Melanchth. in den Artikk. Augsb. Confess. Art. 19. S. 49. „Von Ursach der Sünden wird bei uns gelehrt, dass, wiewohl Gott der Allmächtige die ganze Natur geschaffen hat und erhält, so wirket doch der verkehrte Wille die Sünde in allen Bösen und Veräch-tern Gottes, wie denn des Teufels Wille ist, und aller Gottlosen, welcher alsbald, so Gott die Hand abgetan, sich von Gott zum Argen gewandt hat, wie Christus spricht, Joh. 8: Der Teufel redet Lügen aus seinem eigen.“
3. Wie viel Arten der Sünde gibt es?
Die Sünde wird verschieden eingeteilt: vorzüglich aber 1) in Erbsünde und Tatsünde, 2) in Todsünde und Erlaßsünde; 3) die Todsünde wird wieder einge-teilt in Sünden gegen das Gewissen, von denen die eine als Sünde wider den Menschensohn, die andere als Sünde gegen den heiligen Geist bezeichnet wird. (S. 45)
4. Was ist die Erbsünde?
Die Erbsünde ist die natürliche und allen Menschen angeborene Krankheit, Seuche, und Gebrechen, welches nicht nur bewirkt, dass wir ohne Furcht und Vertrauen gegen Gott, und durch die böse Lust ganz verderbt sind: sondern uns auch der ewigen Verdammnis schuldig macht, wenn nicht die Wiedergeburt dazwischen kommt. Augsb. Confess. Art. 2. S. 40. „Weiter wird bei uns gelehrt, dass nach Adams Fall alle Menschen, so natürlich geboren werden, in Sünden empfangen und geboren werden, das ist, dass sie alle von Mutterleibe an, voller böser Lust und Neigung sind, und keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott von Natur haben können; dass auch dieselbige angeborene Seuche und Erbsünde wahrhaftiglich Sünde sei, und verdamme alle die unterm ewigen Zorn Gottes, so nicht durch die Taufe und heiligen Geist wiederum neu geboren werden. Hieneben werden verworfen die Pelagianer, und andere, so die Erbsünde nicht für Sünde haben, damit sie die Natur fromm machen, durch natürliche Kräfte, zu Schmach dem Leiden und Verdienst Christi.“ + Oder: „die Erbsünde ist nicht nur ein gänzlicher Mangel alles Guten in geistlichen, göttlichen Sachen, sondern auch anstatt des verlorenen Bildes Gottes, eine tiefe, böse, greuliche, unerforschliche und unaussprechliche Verderbung der ganzen Natur und aller Kräfte, sonderlich der höchsten fürnehmsten Kräfte der Seelen im Verstande, Herzen und Willen.“ Concord. Form. Erklär. Art. 1. S. 886.
5. Gibt es denn eine solche Erbsünde?
Ja! 1 Mos. 6,5 und 8,21. „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf, zu aller Zeit.“ Ps. 51,7. „Siehe ich bin aus sündlichem Samen gezeugt, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen.“ + Hiob 14,4. „Wer will einen reinen finden bei denen, da keiner rein ist?“ Kap. 15,14.15. „Was ist ein Mensch, dass er sollte rein sein, und dass der sollte gerecht sein, der vom Weibe geboren ist? Siehe unter seinen Heiligen ist keiner ohne Tadel, und die Himmel sind nicht rein vor ihm.“ Joh. 3,6. „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch.“ Röm. 5,12. „Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt ge-kommen, und durch die Sünde der Tod, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben.“ (S. 46) Röm. 8,7. „Das Sinnen des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott.“ Eph. 2,3. „Wir sind Kinder des Zorns von Natur.“ S. Concord. Form. Inbegr. Art. 1. S. 812. „Die Erbsünde ist nicht eine Sünde, die man tut, sondern sie stehet in der Natur, Substanz und Wesen des Menschen, also, wenn gleich kein böser Gedanke nimmer im Herzen des verderbten Menschen aufstiege, kein unnütz Wort geredet, noch böse Tat geschehe, so ist doch die Natur verderbet durch die Erbsünde, die uns im sündlichen Samen angeboren wird, und ein Brunnquell ist aller anderer wirk-lichen Sünden, als böser Gedanken, Wort und Werke, wie geschrieben stehet: Aus dem Herzen kommen arge Gedanken. Item: Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend aus.“ Erklärung. Art. 1. S.885, 886. „Dieser Erb-schade ist die Schuld, dass wir allesamt, von wegen des Ungehorsams Adam und Eva, in Gottes Ungnaden, und Kinder des Zorns von Natur sind (Eph. 2,3), wie der Apostel zum Römern am 5. Kapitel (V.19) zeuget. Zum andern, ist es auch eine gänzliche Darbung oder Mangelung der angeschaffenen Erbgerechtig-keit im Paradies, oder des Bildes Gottes, nach welchem der Mensch anfänglich in Wahrheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit geschaffen; und zugleich ein Unver-mögen und Untüchtigkeit zu allen Gottes-Sachen.“
+ 6. Also ist diese Sünde in alle Menschen ohne Ausnahme durchgedrungen?
Ohne Ausnahme: denn „nach Adams Fall werden alle Menschen, so natürlich geboren werden, in Sünden empfangen und geboren, das ist, alle sind von Mutterleibe an voller böser Lust und Neigung und haben von Natur keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott.“ Und daher kommt es, dass alle Menschen „in Gottes Ungnaden, und Kinder des Zorns von Natur sind.“ Augsb. Conf. Art. 2. S. 40. Concord. Form. Erklär. Art. 1. S. 886.
7. Welche Strafen folgen auf diese Sünde?
Der ewige und der leibliche Tod, und außer diesem andere leibliche, geistliche, zeitliche und ewige Plagen und Jammer, die Tyrannei und Herrschaft des Satans, welchem der Mensch, in Folge dieser Sünde, zur elendesten Knecht-schaft dahin gegeben ist und von ihm gefangen gehalten wird. Concord. Form. Erkl. Art. 1. S. 887. Die Strafe und Pön der Erb-Sünde, so Gott auf Adams Kinder (S. 47) und auf die Erb-Sünde gelegt, ist der Tod, die ewige Verdammnis, auch andere leibliche und geistliche, zeitlich und ewig Elend, Tyrannei und Herrschaft des Teufels, dass die menschliche Natur dem Reich des Teufels unterworfen, und unter des Teufels Gewalt dahin gegeben, und unter seinem Reich gefangen, der manchen großen, weisen Menschen in der Welt, mit schrecklichem Irrtum, Ketzerei, und anderer Blindheit betäubet und verführet, und sonst die Menschen zu allerlei Laster dahin reißet.“
* 8. Welche Irrtümer muss man vermeiden, um diesen Artikel rein zu erhalten?
Zwei vorzüglich: von denen der eine der Irrtum der Pelagianer und der, zum Teil an ihre Stelle tretenden, Papisten ist; der andere aber der Irrtum der alten Manichäer und der neuen Flacianer ist. S. Conc. Form. Erkl. Art. 1. S. 888.
* 9. Wolltest du nicht so gut sein, und mir die Irrtümer der Pelagianer nennen?
Erstens haben sie geträumt, dass die Erbsünde nur ein reatus oder Schuld sei, von wegen fremder Verwirkung, ohne einige unserer Natur Verderbung. Concord. Form. Erkl. Art. 1. S. 888. 2. Dass die sündliche böse Lüste nicht Sünde seien, sondern gewisse Beschaffenheiten, oder angeschaffene und wesentliche Eigenschaften der Natur. 3. Dass jener Mangel und Erbschade nicht eigentlich und wahrhaftig vor Gott eine solche Sünde sei, um welcher willen der Mensch müsse verloren gehen, wenn er nicht von Christo erlöset wird. 4. Dass die Natur, auch nach dem Fall, und zwar vorzüglich in Betreff der geistlichen Dinge, noch ganz gut und rein, und in ihren natürlichen Beschaffenheiten, das ist, in ihren natürlichen Vermögen und Kräften vollkommen und unverletzt sei. 5. Dass die Erbsünde nur ein äußerlicher, geringschätziger, oder eingesprengter Fleck; oder eine Verderbung der zufälligen Dinge und Eigenschaften an des Menschen Natur sei. 6. Dass die Erbsünde nicht eine Beraubung oder Mangelung, sondern nur eine äußerliche Hindernis der geistlichen guten Kräfte sei: als wenn ein Magnet mit Knoblauchsaft bestrichen wird, dadurch seine natürliche Kraft nicht weg-genommen, sondern allein gehindert wird. 7. Dass die Natur durch den Fall des menschlichen Geschlechts zwar sehr geschwächt und verderbt sei: aber doch nicht (S. 48) durchaus alle Güte verloren habe: sondern dass der Mensch aus der natürlichen Geburt noch etwas Gutes übrig habe, so klein und wenig, gering und schwach es auch sei: nämlich die Fähigkeit, Geschicklichkeit, Tüchtigkeit, Vermögen und einige Kräfte, in geistlichen Dingen etwas anzufangen, zu wirken, oder mitzuwirken. – Die Papisten und Synergisten. – S. Conc. Form. Erkl. Art. 1. S. 888 u. 889.
* 10. Das Eine beunruhigt mich, dass ich nämlich aus dem eben Gesagten erkenne, dass du die Lust Sünde nennest; ich bitte dich, woher beweisest du das?
Die Papisten stritten zur Zeit, als die Augsburgische Confession übergeben wurde, gegen den sel. Luther, dass die Begierde Strafe und nicht Sünde sei. Hiegegen aber verteidigte Luther, dass dieselbe Sünde sei; und zwar mit Recht, denn Paulus sagt (Röm. 7,7): ich wusste nicht, dass die Lust Sünde sei, wenn nicht das Gesetz gesagt hatte: Lass dich nicht gelüsten. Ferner (V. 23): Ich sehe ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte, und nimmt mich gefangen in der Sünden Gesetz, welches ist in meinen Gliedern. S. Apologie der Augsb. Conf. Art. 1. S. 118.
+ 11. Aber möchtest du die Lust nicht richtiger einen gleichgültigen Zunder nennen, wie die Papisten behaupten?
Durchaus nicht: denn wer sollte, wenn auch die vollkommene Übereinstimmung nicht da ist, dies je gleichgültig nennen: Zweifeln an Gottes Zorn, an Gottes Gnade, unwillig werden, wenn Gott nicht gleich aus Betrübnis reißt, gereizt werden durch Zorn, Wollust, Ruhmsucht, Geldgeiz u. s. w. Apolog. der Augsb. Conf. Art. 2. S. 119. „Und wenn die Widersacher vorgeben, dass fomes oder die böse Neigung weder gut noch böse sei, da werden nicht allein viel Sprüche, der Schrift darwider sein, sondern auch die ganze Kirche und alle Väter. Denn alle erfahrene, christliche Herzen wissen, dass diese Stücke leider! uns in der Haut stecken, angeboren sind, nämlich dass wir Geld, Gut und alle andere Sachen größer denn Gott achten, sicher dahin gehen und leben. Item, dass wir immer nach Art fleischlicher Sicherheit also gedenken, Gottes Zorn und Ernst sei nicht so groß über die Sünde, als er doch gewiss ist. Item, dass wir den edlen unaus-sprechlichen Schatz des Evangelii, und Versöhnung Christi nicht herzlich, so teuer und edel achten, (S. 49) als sie ist. Item, dass wir wider Gottes Werk und Willen murren, dass er in Trübsalen nicht bald hilft, und machts, wie wir wollen. Item, wir erfahren täglich, dass es uns wehe tut, wie auch David und alle Heiligen geklaget, dass den Gottlosen in dieser Welt wohl gehet.“
+ 12. Gehe nun über zu der andern Klasse der Irrenden, welche die der alten und neuern Manichäer ist?
Die Irrtümer der alten Manichäer in der Lehre von der Erbsünde sind diese: 1. Dass die menschliche Natur anfangs zwar rein und gut von Gott geschaffen sei: allein nach dem Fall sei von außen her die Erbsünde (als etwas Wesentliches) durch den Satan in die Natur eingegossen und mit ihr vermischt, wie das Gift mit dem Weine vermischt wird. Concord. Form. Erkl. Art. 1. S. 890. 2. Dass nicht der verderbte Mensch selber sündige, sondern etwas Anderes und Fremdes im Menschen: und dass Gott durch das Gesetz nicht die Natur selbst, sondern nur die Erbsünde anklage und verdamme. Concord. Form. ebend. S. 891.
* 13. Du hast oben gesagt, dass dem manichäischen Irrtume das Dogma der Flacianer verwandt sei; welches ist doch dieses?
Die Flacianer behaupten, „dass die Erbsünde sei eigentlich und ohne allen Unterschied, des verderbten Menschen Substanz, Natur und Wesen selbst, also, dass kein Unterschied zwischen der verderbten Natur nach dem Fall an ihr selbst, und der Erbsünde, sollte auch nicht gedacht, noch mit Gedanken von-einander unterschieden werden können.“ Concord. Form. Summ. Begr. Art. 1. S. 812.
* 14. Hast du nicht sichere Gründe in Bereitschaft, mit denen du die Flacianer widerlegen kannst?
Ja! ich habe sie in Bereitschaft, und zwar sind sie aus den vorzüglichsten Artikeln des christlichen Glaubens genommen; nämlich aus dem Artikel von der Schöpfung, der Menschwerdung des Sohnes Gottes, der Erlösung, der Heiligung, der Auferstehung u. s. w. S. Concord. Form. Erkl. Art. 1. S. 893.
* 15. Wie bestätigest du dies aus dem Artikel von der Schöpfung?
Gott hat nicht allein vor dem Fall die menschliche Natur geschaffen, sondern schafft, erhält und trägt dieselbe, auch nach dem Falle. Conc. Form. ebend. (S. 50) 5 Mos. 32,6. „Gott ist dein Vater und Herr, er hat dich gemacht und bereitet.“ Hiob 10,8. „Deine Hände haben mich gearbeitet und gemacht Alles, was ich um und um bin.“ Ap. Gesch. 17,28. „In ihm leben, weben und sind wir.“ Jes. 45,9. „Wehe dem, der mit seinem Schöpfer hadert, nämlich der Scherbe mit dem Töpfer des Tons. Spricht auch der Thon zu seinem Töpfer: was machst du? Du beweisest deine Hände nicht an deinem Werk.“ Kp. 54,5. „ Der dich gemacht hat, ist dein Mann, Herr Zebaoth heißt sein Name.“ Kp. 64,8. „Aber nun, Herr, du bist unser Vater; wir sind Thon: Du bist unser Töpfer, und wir sind alle deiner Hände Werk.“ Ps. 139,14.15. „Ich danke dir darüber, dass ich wunderbarlich gemacht bin: wunderbarlich sind deine Werke, und das erkennet meine Seele wohl. Es war dir mein Gebein nicht verholen, da ich im Verborgenen gemacht ward, da ich gebildet ward unten in der Erde.“ Pred. Salom. 12,7. „Denn der Staub muss wieder zu der Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.“ Offenbar. 4,11. „Du hast geschaffen alle Dinge, und durch deinen Willen haben sie das Wesen und sind geschaffen.“ Aber nun ist Gott nicht Schöpfer oder Erhalter der Sünde. Also ist die Erbsünde nicht die Natur des Menschen selbst, sondern etwas von ihr Verschiedenes.
* 16. Zeige eben dieses aus dem Artikel von der Menschwerdung des Sohnes Gottes?
Der Sohn Gottes hat dieselbige unsere menschliche Natur, aber nicht die Erb-sünde angenommen: und zwar so, dass er uns, seinen Brüdern, in Allem ähnlich wurde, mit Ausnahme der Sünde. Ebr. 2,17. „Daher musste er allerdinge seinen Brüdern gleich werden“ u. s. w. Also ist die menschliche Natur auch nach dem Fall und die Erbsünde nicht ein und dasselbe, sondern sind sorgfältig zu unter-scheiden. Concord. Form. Erkl. Art. 1. S, 896. „Wenn nun kein Unterschied wäre zwischen der Natur oder dem Wesen des verderbten Menschen, und zwischen der Erbsünde: so müsste folgen, dass Christus entweder unsere Natur nicht angenommen, weil er die Sünde nicht hätte angenommen; oder, (S. 51) weil er unsere Natur angenommen, dass er auch die Sünde hätte angenommen; welches beides wider die Schrift ist. Weil aber Gottes Sohn unsere menschliche Natur, und nicht die Erbsünde an sich genommen, so ist hieraus klar, dass die menschliche Natur auch nach dem Fall, und die Erbsünde, nicht ein Ding sei, sondern unterschieden werden müssen.“
* 17. Geht dasselbe aus dem Artikel von der Erlösung hervor?
Ja; denn was Christus an sich genommen hat, das hat er auch erlöset. Nun aber hat er nicht die Erbsünde erlöset: Also hat Christus die Erbsünde auch nicht an sich genommen: und somit ist zwischen unserer Natur, welche Christus ange-nommen und erlöset hat, und zwischen der Erbsünde ein deutlicher Unterschied zu setzen notwendig. Concord. Form. Summ. Begr. Art. 1. S. 809. „Es hat auch der Sohn Gottes in Einigkeit seiner Person solche menschliche Natur, doch ohne Sünde, und also nicht ein fremd, sondern unser Fleisch, an sich genommen, und nach demselben unser wahrhaftiger Bruder worden, Hebr. 2,14. „Nachdem die Kinder Fleisch und Blut haben, ist ers gleichermaßen teilhaftig worden.“ Item (V. 16.17): „er nimmt nirgend die Engel an sich, sondern den Samen Abraham nimmt er an sich, daher muss er allerdings seinen Brüdern, ausgenommen die Sünde, gleich werden.“ Also hat es auch Christus erlöset als sein Werk, heiliget es als sein Werk, erweckt es von den Toten, und zieret es herrlich als sein Werk: Aber die Erbsünde hat er nicht erschaffen, nicht angenommen, nicht erlöset, nicht geheiligt, wird sie auch nicht erwecken, an den Auserwählten, weder zieren noch selig machen, sondern in der Auferstehung gar vertilget sein wird. Daraus der Unterschied zwischen der verderbten Natur, und der Verderbung, so in der Natur stehet, und die Natur dadurch verderbet worden, leichtlich zu erkennen.“
* 18. Wird dieses auf gleiche Weise aus dem Artikel von der Heiligung dargetan werden können?
Ja; denn Gott wäscht ab, reinigt, heiligt und macht selig, nicht die Erbsünde, sondern den Menschen, oder unsere menschliche Natur. Also kann die Erbsünde nicht der Mensch selbst sein; wenn nicht Jemand aus gottloser und schrecklicher Ungereimtheit mit jenen neuern Manichäern behaupten will, dass die Erbsünde selbst im Namen der heiligen Dreieinigkeit getauft, geheiligt und endlich selig werde. (S. 52) Concord. Form. Erkl. Art. 1. S. 897. „Zum dritten, im Artikel von der Heiligung zeuget die Schrift, dass Gott den Menschen von der Sünde ab-wasche, reinige, heilige, und dass Christus sein Volk von ihren Sünden selig mache; so kann ja die Sünde der Mensch selber nicht sein, denn den Menschen nimmt Gott um Christus willen zu Gnaden auf, aber der Sünden bleibet er in Ewigkeit feind. Ist derhalben unchristlich und abscheulich zu hören, dass die Erbsünde im Namen der heiligen Dreifaltigkeit getauft, geheiligt und selig gemacht werde, und dergleichen Reden mehr, damit wir einfältige Leute nicht verärgern wollen, so in der neuen Manichäer Schriften zu finden.“ S. Summar. Begr. a. a. O.
* 19. Zeige eben dies aus dem Artikel von der Auferstehung?
Am letzten Tage wird das Wesen dieses unsres Fleisches, welches wir mit uns herumtragen, aber von der Sünde gereinigt, auferstehen: und im ewigen Leben werden wir diese selbige Seele, nur von der Sünde unbefleckt, haben und behalten. Hiob 19,26. „Ich werde darnach mit dieser meiner Haut umgeben werden, und werde in meinem Fleisch Gott sehen.“ Wenn nun kein Unterschied wäre zwischen unserer verderbten Natur und zwischen der Erbsünde, so würde folgen: 1) dass entweder dieses Fleisch am jüngsten Tage nicht auferstehen: oder 2) dass die Sünde am jüngsten Tage auferstehen, und in jenem ewigen Leben in den Auserwählten sein und bleiben werde. Welches beides mit dem Artikel von der Auferstehung schnurstracks streitet. S. Concord. Form. Erkl. Art. 1. S. 897 f.
* 20. Wenn die Sünde etwas von der Natur des Menschen selbst Verschiedenes ist, so möchte ich wissen, ob sie etwas Wesentliches oder etwas Zufälliges sei?
Du fragst nicht ungeschickt; denn Alles, was ist, ist entweder wesentlich, oder etwas Zufälliges, was nicht an sich bestehet, sondern an einer andern Substanz ist und von ihr geschieden werden kann. Nun aber steht es bei Allen, die ge-sunden Verstand haben, fest, dass die Sünde nicht eine Sache sei, welche an sich besteht, sondern dass sie am Menschen mit Veränderlichkeit hange. Wer sollte also zweifeln, dass einfach, bestimmt und rund müsse geantwortet werden, dass die Erbsünde nicht etwas Wesentliches, sondern etwas Zufälliges fei. Concord. Form. Erkl. Art. 1. S. 899. Was aber die lateinische Worte, Substantia und Accidens anlan- (S. 53) get; soll der einfältigen Kirchen, weil solche Worte dem gemeinen Manne unbekannt, mit denselben in öffentlichen Predigten billig verschonet werden: Wenn aber die Gelehrten unter sich, oder bei andern, welchen solche Worte nicht unbekannt, sich derselben in diesem Handel ge-brauchen, inmaßen Eusebius, Ambrosius und sonderlich Augustinus, wie auch andere vornehme Kirchenlehrer mehr, aus Not, diese Lehre wider die Ketzer zu erklären, getan; so nehmen sie sie für eine immediatam divisionem, das ist, für eine solche Teilung, darzwischen kein Mittel ist, dass alles, was da ist, müsse entweder substantia, das ist, ein selbstständig Wesen, oder accidens, das ist, ein zufälliges Ding sein, das nicht für sich selbst wesentlich bestehet, sondern in einem andern selbstständigen Wesen ist, und davon kann unterschieden werden; welche Teilung auch Cyrillus und Basilius gebrauchen. Und dieweil unter andern dieses auch ein ungezweifelter, unwidersprechlicher Grundspruch in der Theologia ist, dass eine jede Substantia, oder selbstständiges Wesen, sofern es eine Substanz ist, entweder Gott selber, oder ein Werk und Geschöpf Gottes sei: So hat Augustinus in vielen Schriften wider die Manichäer, mit allen wahrhaftigen Lehrern, wohlbedacht, und mit Ernst die Rede: Peccatum originis est substantia vel natura, das ist: Die Erbsünde ist des Menschen Natur oder Wesen, ver-dammet und verworfen, nach welchem auch alle Gelehrte und Verständige allezeit gehalten, dass dasjenige, so nicht für sich selbst bestehet, noch ein Teil ist eines andern selbstständigen Wesens, sondern in einem andern Ding wandelbarlich ist, nicht eine substantia, das ist, etwas Selbstständiges, sondern ein accidens, das ist, etwas Zufälliges, sei. Also pfleget Augustinus beständiglich auf diese Weise zu reden: die Erbsünde sei nicht die Natur selbst, sondern ein accidens vitium in natura, das ist, ein zufälliger Mangel und Schaden in der Natur. Wie man denn auf solche Weise auch in unsern Schulen und Kirchen nach der Dialectica, vor diesem Zank, frei und unverdächtig geredet hat, und deswegen weder von D. Luthern, nach einigem rechtschaffenen Lehrer unserer reinen evangelischen Kirchen, jemals gestraft worden. Weil denn die unwider-sprechliche Wahrheit ist, dass Alles, was da ist, entweder eine Substanz, oder ein Accidens, das ist, entweder ein selbstständig Wesen, oder etwas Zufälliges in demselben ist, inmaßen kurz hievor mit Zeugnissen der Kirchenlehrer angezeigt und erwiesen und kein Rechtverständiger jemals daran gezweifelt, so dringet die Not, und kann hier keiner vorüber, wenn jemand fragen wollte: Ob die Erb-Sünde eine Substanz, das ist, ein solches Ding, das für sich selbst besteht, und nicht in einem an- (S. 54) dern ist, oder ein Accidens, das ist ein solch Ding sei, das nicht für sich selbst bestehet, sondern in einem andern ist, und für sich selbst nicht bestehen noch sein kann; so muss er fein und rund heraus bekennen, dass die Erbsünde keine Substanz, sondern ein Accidens sei.“ –
21. Was ist die Tatsünde?
Die Tatsünde ist eine jede Handlung, sei sie eine innere, oder eine äußere, welche mit dem Gesetz Gottes streitet: als im Verstand, die Zweifel an Gott: im Willen und Herzen, die Flammen böser Begierden: in den äußern Gliedern endlich, alle Bewegungen und Handlungen, welche dem Gesetz Gottes zuwider sind. Phil. Melanchthon.
22. Was ist die Todsünde?
Todsünde wird jede Sünde in den Unwiedergeborenen genannt, sowohl die Erbsünde, als die Tatsünden; seien sie innere oder äußere. Bei den Wieder-geborenen aber ist Todsünde entweder der Irrtum in den Grundartikeln, oder eine innere Tat, welche mit dem Gesetz Gottes streitet, und zwar, gegen das Ge-wissen begangen, die Gnade Gottes, den Glauben und den heiligen Geist forttreibt. Phil. Melanchthon.
+ 23. Was ist die Erlaß-Sünde?
In ihrer Natur und an sich ist gar keine Sünde eine Erlaß-Sünde: sondern eine solche ist und wird sie genannt durch und wegen Christum. Phil. Melanchth. im Exam. Die Erlaßsünde ist also ein Fall oder eine Handlung der Wiederge-borenen, welche mit dem Gesetze Gottes streitet, durch welche aber die Gnade, der heilige Geist und der Glaube nicht verloren geht: denn die Wiedergeborenen widerstreiten im Geist, dass sie nicht gegen das Gewissen fehlen, und sind betrübt über diesen Unflat, und glauben, dass sie wegen des Mittlers Gott gefallen, und dass ihnen alle Sünden durch und wegen Christus aus Gnaden vergeben werden.
+ 24. Was ist die Sünde gegen das Gewissen?
Sie geschieht, wenn der Mensch, mit widersprechendem Gewissen, wissentlich und williglich Böses begeht.
* 25. Was ist die Todsünde gegen den Menschensohn?
Sie ist die aus Unwissenheit geschehende Bestreitung der, entweder noch nicht erkannten, evangelischen Lehre: oder der schon (S. 55) erkannten Wahrheit Verleugnung aus Schwachheit oder Furcht der Gefahr, jedoch ohne irgend eine feindliche Lästerung derselben.
* 26. Was ist die Todsünde gegen den heiligen Geist?
Sie ist der freiwillige und mit überlegtem Entschluss begangene gänzliche oder teilweise Abfall oder Verleugnung der erkannten evangelischen Wahrheit, welche feindlich streitet und lästert gegen das Zeugnis des eignen Herzens und Ge-wissens, gegen das Amt des heiligen Geistes, oder die Mittel des Heiles.
* 27. Warum wird diese Sünde gegen den heiligen Geist unerlassbar genannt?
Gewiss nicht deshalb, weil sie unter eine solche einfache Unmöglichkeit der Vergebung fiele, dass sie durch ihre Größe die Barmherzigkeit Gottes des Vaters und das Verdienst Christi überträfe. Denn die Gnade Gottes ist mächtiger und größer als die Sünde. Röm. 5,20. Und das Blut Jesu Christi reinigt uns von aller Sünde. 1 Joh. 1,7. Und Christus ist die Versöhnung für unsere Sünden; nicht allein aber für die unsere, sondern auch für der ganzen Welt. 1 Joh. 2,2.
* 28. In welchem Sinne wird sie denn unerlassbar genannt?
1) Weil sie niemals in der Tat selbst vergeben wird, und dies zwar aus Schuld und Verbrechen desjenigen, welcher auf diese Weise sündigt: indem ein solcher von Christo, außer welchem kein Opfer für die Sünde übrig, freiwillig abfällt. 2) Weil der, welcher auf solche Weise sündigt, die Heilsmittel, ohne welche niemandem Vergebung der Sünde zu Teil werden kann, hartnäckig vernach-lässigt, verachtet und gleichsam mit Füßen tritt. Endlich 3) weil diese Sünde mit der endlichen Verhärtung des Herzens verbunden ist, so dass solche Sünder, nachdem schon ein gewisser Vorsatz in ihnen fest geworden, die erkannte Wahrheit mit Wissen und Willen auf schreckliche Weise zu befeinden und zu schmähen fortfahren.
* 29. Gibt es denn auch Sünden in den Heiligen?
Paulus selbst macht einen Unterschied zwischen den Sünden der Heiligen und der Unwiedergeborenen: Röm. 8,14. „Wo ihr nach dem Fleisch lebet, so werdet ihr sterben müssen; wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr le- (S. 56) ben.“ Er bekennet also, dass in den Heiligen Geschäfte des Fleisches, das ist, viele sündige Neigungen, Zweifel, Sicherheit, Unglaube, irrtümliches Vertrauen, eitle Begierden sind: dass sie aber gegen dieselben im Geist, das ist, mit geistlichen Bewegungen, Anrufung Gottes, Glauben, Geduld, Keuschheit, und andern Übungen der Gottseligkeit kämpfen. Philipp. Melanchth. in den Artt.