Hutter - Buße und Beichte
Leonhard Hutter (1563-1616): Inbegriff der Glaubens-Artikel aus der heiligen Schrift und den symbolischen Büchern zusammengestellt (Compendium locorum theologicorum ex scripturis sacris et libro concordiae), Leipzig 1837
Leonhard Hutter über Buße und Beichte:
Fünfzehnter Artikel. Von der Buße und der Beichte.
* 1. Können die, welche nach der Taufe gefallen sind, von neuem in die Gnade bei Gott zurückkehren?
Schon vor Zeiten leugneten die Novatianer, dass die nach der Taufe Gefallenen zur Gnade zurückkehren könnten. Von solchen nun geht unsere Kirche ab, und lehrt: „dass diejenigen, so nach der Taufe gesündigt haben, zu aller Zeit, so sie zur Buße kommen mögen, Vergebung der Sünde erlangen, und ihnen die Ab-solution von der Kirchen nicht soll geweigert werden.“ Augsb. Conf. Art. 12. S. 44.
+ 2. Lehrt denn die heilige Schrift ebenso?
Ja; denn dies ist das eigentlichste Ziel des Evangeliums, dass es den Reuigen die Gnade Gottes und gnädige Vergebung der Sünde verkündige, und dies nicht einmal nur, sondern so oft ein armer Sünder Buße tut und seine Sünden herzlich bereuet. So spricht der Herr Ezech. 18,30.32: „Bekehret euch von aller eurer Übertretung, auf dass ihr nicht fallen müsset um der Missetat willen. Denn ich habe keinen Gefallen am Tode des Sterbenden. Darum bekehret euch, so werdet ihr leben!“ So vertraut Christus Matth. 18,18 den Aposteln und Kirchendienern den Löseschlüssel an, indem er spricht: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen. Welchen aber usw.“ Also nicht nur den noch nicht Wiederge-borenen, sondern auch denen, die nach der Taufe gefallen sind. So haben auch Petrus, der über die Verleugnung Christi, und Thomas, der über seinen Unglau-ben Reue und Leid hatte, Gnade und Vergebung der Sünden erlangt.
3. Was ist die Buße?
Die Buße oder Bekehrung zu Gott ist die Zerknirschung des Herzens über unsere Sünde: und das Vertrauen, welches sich um Christi willen die Vergebung der Sünden, Versöhnung, Rechtfertigung und Lebendigmachung gewiss verspricht, verbunden mit dem festen Vorsatz, einen neuen Gehorsam anzufangen. Melanchth.
4. Wie viel sind Stücke der Buße?
Zwei: nämlich Reue und Leid über die Sünde, und der Glaube. Ebend. (S. 102)
5. Gehört denn der neue Gehorsam nicht auch zu den Teilen der Buße?
Der neue Gehorsam oder die guten Werke folgen auf wahre Reue und Leid und den Glauben. Daher machen sie nicht einen Teil der Buße aus, sondern sind vielmehr deren Fruchte und Wirkung. Ebend.
6. Was verstehst du unter Zerknirschung oder Reue und Leid?
„Wir sagen, dass Contritio oder rechte Reue das sei, wenn das Gewissen er-schreckt wird, und seine Sünde und den großen Zorn Gottes über die Sünde, anhebet zu fühlen, und ist ihm leid, dass es gesündigt hat.“ Apolog. Art. 5. S. 276.
+ 7. Kannst du dies aus der heil. Schrift beweisen?
Ja; denn von diesen Schrecken des Gewissens spricht die heilige Schrift, Ps. 38,5: „Meine Sünden gehen über mein Haupt; wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden.“ Ps. 6,3: „Heile mich, Herr, denn meine Gebeine sind er-schrocken, und meine Seele ist sehr erschrocken.“ Und Hiskias Jes. 38,13: „Er zerbrach mir alle meine Gebeine, wie ein Löwe.“
8. Was verstehst du unter dem Glauben?
Nichts Anderes, als das feste Vertrauen, dass uns durch und wegen des Ver-dienstes Christi, umsonst, ohne irgend unser Verdienst alle unsere Sünden vergeben werden.
+ 9. Woher kann und soll die wahre Reue genommen werden?
Dies erhellet aus dem vorigen Artikel: nämlich allein aus dem Gesetz, dessen Summe und Amt es ist, die Sünden zu strafen. „Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde,“ Röm. 3,20; „das Gesetz richtet Zorn an,“ Röm. 4,15; „und ich erkannte die Sünde nicht, ohne durch das Gesetz,“ Röm. 7,7. – Apolog. a. a. O. S. 277.
* 10. Verdient die Reue etwas?
Die Katholischen zwar behaupten, dass die Menschen durch solche Schmerzen und Schrecken Gnade verdienen, sofern sie Gott dabei lieben. Aber dies ist falsch und irrig: denn wie sollen die Menschen in so großen Schrecken Gott lieben, wenn sie den schrecklichen und unaussprechlichen Zorn Gottes fühlen. Ferner fehlt so viel daran, dass sie Gnade verdienen, dass sie vielmehr, wenn sie (S. 103) allein sind und bleiben, den Menschen zur Verzweiflung bringen, wie die Geschichten des Saul und Judas bezeugen.
* 11. Was wird daher zu dieser Reue mehr erfordert, wenn sie heilsam sein soll?
Das andere Stück der Buße wird erfordert, nämlich der Glaube an Christum. „Denn es muss in solchen Schrecken das Evangelium von Christo vorgehalten werden, in welchem verheißen ist Vergebung der Sünde, aus Gnaden, durch Christum.“ Apol. a. a. O. S. 278. Daher müssen die so zerschlagenen Herzen glauben, dass ihnen um Christi willen die Sünden aus Gnaden vergeben werden. Dieser Glaube richtet die Zerknirschten auf, stärkt und belebt sie, nach dem Wort: „So wir nun durch den Glauben gerechtfertigt sind, haben wir Friede mit Gott, durch unsern Herrn Jesum Christ.“ Röm. 5,1. Dieser Glaube erlangt die Vergebung der Sünden: dieser Glaube rechtfertigt vor Gott.
* 12. Welche und wie viele Stücke ihrer Buße stellen die Katholischen auf?
Diese drei: Reue des Herzens, Bekenntnis des Mundes, und Genugtuung durch Werke: mit solcher Vertröstung und Zusage: Wo der Mensch recht reuet, beichtet, genugtät, so habe er damit Vergebung verdienet, und die Sünde für Gott bezahlet. Schmalk. Art. Th. 3. Art. 3. S. 525.
+ 13. Was hältst du von diesen drei Stücken?
Ich meine, dass sie, so wie sie wenigstens von den Katholischen erkläret werden, keinen Grund in heiliger Schrift haben, und dass es unmöglich, ja gottlos ist, sie zu beobachten.
* 14. Was für eine Reue fordern also die Katholischen?
Erstens eine solche, welche nicht nur im Allgemeinen über alle Sünden, sondern welche auch im Besondern über jede einzelne Sünde Leid trage, und zwar so, dass der Mensch für jede Sünde, über welche er keine Reue empfindet, auch keine Vergebung bekommt. Zweitens dichten sie, dass, wenn jemand eine solche Reue nicht haben könne, er wenigstens die attritio haben müsse, das ist die halbe Reue, oder den Anfang der Reue. Endlich, wenn jemand sagt, dass er solche Reue nicht haben könne, so fragen sie, ob er sich dieselbe nicht wün-sche? Wenn er antwortet, dass er sie wünsche, so nehmen sie es für Reue an, (S. 104) und vergeben ihm die Sünden wegen dieses seines guten Werkes. Ebend. S. 526.
* 15. Was hältst du aber von dieser katholischen Reue?
Ich halte dafür, dass solche Reue sei ein gemachter und gedichteter Gedanke aus eigenen Kräften, ohne Glaube, ohne Erkenntnis Christi, das ist, lauter Heuchelei, welche der Sünden Lust nicht töten kann. Ebend. S. 526 f.
* 16. Was für ein Bekenntnis des Mundes erfordern die Katholischen?
Einst wurde und wird noch jetzt von den Katholischen eine solche Beichte ver-langt: „Ein jeglicher musste alle seine Sünden erzählen: welche er aber ver-gessen hatte, wurden ihm sofern vergeben, wenn sie ihm würden einfallen, dass er sie noch musste beichten.“ Ebend. S. 527.
+ 17. Vermissest du bei dieser Beichte etwas?
Ja; denn erstens war sie unmöglich. Denn wer kann sich aller Sünden, die er, ich will nicht sagen in einem ganzen Jahre, sondern nur in einer Woche begangen hat, so erinnern, dass er sie nach der Reihe und einzeln aufzuzählen vermöge. Ganz anders betet David: „Wer kann merken, wie oft er fehlet? Verzeihe mir die verborgenen Fehler!“ Ps. 19,13. Zweitens war diese Beichte nichts Anderes, als eine große Marter der Gewissen, welchen Stricke übergeworfen wurden, indem sie überredet waren, dass sie, ohne diese genaue Aufzählung, keine Vergebung der Sünden erlangen könnten. Drittens führte eine solche Beichte die Menschen zur Verzweiflung. Denn sie dichteten, dass sie, und zwar die ganze vollständige Beichte aller Sünden, zur Seligkeit notwendig sei. Weil aber das menschliche Gemüt niemals gewiss sein konnte, ob es alle Sünden gebeichtet habe: so wurde es an seiner Seligkeit zu verzweifeln gezwungen. Endlich dichteten sie, dass dieselbe verdienstlich sei; nämlich, je aufrichtiger und offener die Beichte sei, und mit je größerer Scham sie vor dem Priester gesprochen werde, desto völliger sei auch die Genugtuung für die Sünde. Schmalk. Art. a.a.O. S. 527. – Apolog. Art. 6. S. 305.
+ 18. Du verwirfst also jedes Bekenntnis des Mundes?
Nicht im geringsten, ja ich glaube vielmehr, dass die Beichte in der Kirche müsse beibehalten werden, wegen der Privat-Absolution, welche ist Gottes Wort, das den Einzelnen, welche ihre Sün- (S. 105) den ernstlich bekennen, die Vergebung der Sünden auf göttlichen Befehl verkündiget. Apolog. Art. 6. S. 303.
+ 19. Aber welche Beichte achtest du für notwendig?
Gewiss achte ich nicht eine solche für notwendig, welche in Aufzählung aller Sünden besteht: denn solche ist unmöglich, und beschwert die Gewissen: sondern diejenige halte ich für notwendig, welche vor Gott entweder unmittelbar geschieht, als die von David gesprochene, Ps. 32,5: „Darum bekenne ich dir meine Sünde, und verhehle meine Missetat nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretung bekennen. Da vergabest du mir die Missetat meiner Sünde:“ oder mittelbar, und dies zwar entweder öffentlich vor der ganzen Gemeine, oder privatim vor dem Diener der Kirche, vor welchem die Beichte entweder im Allge-meinen über alle Sünden, oder auch im Besondern über die eine oder andere Sünde geschieht, wenn etwa die Gewissens-Bisse eine solche spezielle Beichte erfordern. Augsburg. Conf. Art. 11. S. 44. Art. 25. S. 66. – Apolog. Art. 6. S. 302. Kleine Katech. v. d. Beichte. S. 593.
+ 20. Was ist daher eine solche Beichte?
Sie ist nichts Anderes, als eine solche Reue, in welcher man den Zorn Gottes fühlet, bekennet, dass Gott billig zürne, auch nicht durch unsere Werke könne versöhnet werden: und zugleich Barmherzigkeit und Vergebung der Sünden um Christi willen suchet. Apolog. Art. 6. S. 305.
+ 21. Was ist von der Privat-Absolution zu halten?
Dass es Gottes Befehl sei, dass wir der Absolution Glauben beimessen, und fest dafür halten, dass wir so wahrhaftig mit Gott versöhnt sind, als wenn wir eine Stimme vom Himmel hierüber gehört hätten. Conc. Form. Erkl. Art. 11. S. 1105.
+ 22. Was setzest du über das dritte Stück der katholischen Buße?
Ganz dasselbe, wie über die katholische Ohrenbeichte: dass nämlich die gesetz-lichen Genugtuungen, welche von den Priestern zur Sühnung der Sünden aufge-legt werden, nicht göttlichen Rechtes und also gar nicht nötig sind. Denn diese Lehre muss für allen Dingen erhalten werden und stehen bleiben, dass wir durch den Glauben Vergebung der Sünde erlangen, nicht durch unsere Werke, die vor oder nach geschehen, wenn wir bekehrt oder neu geboren sein in Christo. Apolog. Art. 6. S. 308. (S. 106)