J. Gerhard - Gebet

 

25. VON DER HEILSAMEN KRAFT DES GEBETS.

 

DIE SEUFZER DRINGEN DURCH DEN HIMMEL.

 

Das ist eine der größten Wohltaten Gottes, dass er verlangt, wir sollen vertrauensvoll mit frommem Gebete ihn anreden. Er schenkt die Lust zum Gebete, er gibt auch den Segen des Gebets. Groß ist die Kraft des Gebetes, das auf Erden ausgesprochen wird, aber im Himmel wirkt. Das Gebet des Gerechten ist der Schlüssel zum Himmel Jak. 5,16; die Bitte steigt auf, und die Gnade Gottes kommt hernieder: das Gebet ist der Schild des Heils, von dem alle Pfeile des Feindes abprallen Eph. 6,16. Da Mose seine Hände empor hielt, siegte Israel über Amalek 2 Mos. 17,11; wenn du deine Hände zum Himmel empor hältst, so wird der Satan dich nicht überwinden. Wie vor dem Feinde eine Mauer gezogen wird, so wird der Zorn Gottes durch das Gebet der Heiligen besänftiget. Unser Heiland betete selbst, nicht aus irgend welcher Notwendigkeit, sondern um uns die Würde des Gebetes zu empfehlen. Das Gebet ist das unerlässliche Zeichen unserer Unterwürfigkeit, weil Gott uns gebietet, wir sollen ihm täglich das Gebet gleichwie ein geistliches Opfer darbringen; es ist die Leiter, auf der wir in den Himmel steigen, weil das Gebet nichts anders ist als ein Pilgern unsers Geistes zu Gott; es ist der Schild, damit wir uns verteidigen, weil die Seele des Menschen, der im Gebete lebt, sicher ist vor den Verführungen der bösen Geister; es ist der Bote einer vertrauensvollen Gesandtschaft, weil das Gebet zum Throne Gottes aufsteigt und ihn anspricht um die nötige Hilfe. Dieser Bote verfehlt sein Ziel nie, denn Gott erhört uns immer, wenn auch nicht nach unserm Willen, doch zu unserm Nutzen und Heil. Eines von beiden können wir unzweifelhaft hoffen: entweder er wird das uns geben, was wir bitten, oder das, was er als zuträglicher kennt. Gott hat seinen Sohn, jene preiswürdigste Gabe ungebeten gegeben, was wird er gebeten tun? Wir können weder an des Vaters Erhörung, noch an des Sohnes Fürbitte zweifeln; in jeder Angelegenheit gehe mit Mose durch Gebet in die Stiftshütte, Gott um Rat zu fragen, und du wirst bald die göttliche Antwort vernehmen. Da Christus betete, ward seine Gestalt anders Luk. 9,29; so gehen im Gebete mit der Seele große Änderungen vor, weil das Gebet das Licht der Seele ist und häufig den, welchen es der Verzweiflung nahe sieht, voll Jauchzens macht. Mit welchem Rechte betrachtest du die Sonne, wenn du nicht zuvor deine Knie vor dem gebeugt hast, der jenes freundlichste Licht deinen Augen gibt? Nach welchem Vertrag genießest du deine Nahrung, wenn du nicht zuvor den angebetet hast, der so viel Gutes dir reichlich schenkt und fort und fort darreicht? Mit welchem Vertrauen wirst du dich selbst der Nachtzeit überlassen, wenn du nicht zuvor durch’s Gebet wie mit einer Mauer dich umgeben hast? Welchen Segen wirst du von deinen Arbeiten erwarten können, wenn du nicht zuvor den angebetet hast, ohne den alle Arbeit umsonst ist? Wenn du also geistliche oder leibliche Gaben begehrst, so bete, und du wirst nehmen Matth. 7,7; wenn du nach Christo verlangest, so suche ihn durch Gebet, und du wirst finden; wenn du dich sehnest, dass dir die Tür der göttlichen Gnade und der ewigen Seligkeit geöffnet werden möge, so klopfe an durch Gebet, und es wird dir aufgetan werden; wenn in der Wüste dieser Welt die Hitze der Versuchungen und der Mangel an geistlichen Gütern dich anficht, so tritt anbetend hinzu zu dem geistlichen Fels, welcher ist Christus 1 Kor. 10,4, und rühre ihn an mit der Rute des Gebetes, und du wirst inne werden, dass die Ströme der göttlichen Gnade den Durst deines Mangels löschen. Willst du ein Gott wohlgefälliges Opfer bringen? Opfere Gebet; Gott wird den lieblichen Geruch riechen 1 Mos. 8,21, und sein Zorn wird ablassen. Willst du ohne Unterlass mit Gott Umgang haben? Liebe das Gebet, denn das ist die geistliche Unterredung Gottes und der andächtigen Seele. Willst du schmecken, wie freundlich der Herr ist? Ps. 34,9. Lade durch’s Gebet den Herrn ein zur Einkehr in dein Herz. Das Gebet gefällt Gott wohl, aber es muss die erforderlichen Eigenschaften haben; wer erhörlich beten will, der bete weise, brünstig, demütig, aufrichtig, anhaltend und zuversichtlich. Er bete weise, damit er nämlich um das bete, was der Herrlichkeit Gottes und dem Heile der Nächsten entsprechend ist. Gott ist allmächtig, also bestimme ihm in deinen Bitten kein Maß; er ist allweise, also schreibe ihm keine Fügung vor. Laß deine Bitten nicht ohne Bedacht aus deinem Herzen und Munde hervorbrechen, sondern den Glauben ihnen vorangehen und diesem sie folgen, der Glaube aber richtet sich nach dem Worte: was also Gott im Worte unbedingt verheißt, das bitte unbedingt; was er aber bedingt verheißt, wie das Zeitliche, das bitte gleicherweise bedingt; was er gar nicht verheißt, das bitte auch gar nicht: oft gibt Gott im Zorn, was er in Gnaden versagt. Folge daher Christo nach, welcher seinen Willen Gott völlig unterordnet Matth. 26,39.42.44. Bete brünstig; denn wie kannst du verlangen, dass Gott dich hört, wenn du dich selbst nicht hörst? Willst du, Gott solle deiner eingedenk sein, da du deiner selbst nicht eingedenk bist? Wenn du beten willst, so gehe in dein Kämmerlein, und schließ die Tür zu Matth. 6,6. Das Kämmerlein ist dein Herz; in das musst du gehen, wenn du beten willst, wie sich’s gebührt. Die Tür desselben musst du zuschließen, damit die Gedanken an weltliche Geschäfte dich nicht stören können. Stimmen, die zu Gottes Ohren dringen, sind nur die Bewegungen des Gemütes. Die Seele muss von der Inbrunst des Gedankens so bewegt sein, dass diese bei weitem alles übertrifft, was die Sprache auszudrücken vermag, das heißt im Geiste und in der Wahrheit anbeten Joh. 4,23, wie es der Herr verlangt. Christus betete auf einem Berge Luk. 6,12, und hob seine Augen auf gen Himmel Joh. 17,1: so müssen wir unsere Seele von allen Geschöpfen abwenden und hinan zu Gott richten. Du beleidigest Gott, wenn du ihn bittest, er solle auf dich merken, und merkest aber selbst nicht auf dich. Wir können ohne Unterlass beten, wenn wir im Geiste beten 1 Thess. 5,17, dass unsere Seele immer mit heiligem Verlangen zu Gott wacht. Es ist nicht immer nötig, dass wir zu Gott rufen, weil er auch die Seufzer des Herzens hört Ps. 38,10, da er in den Herzen der Frommen wohnt. Es bedarf nicht immer vieler Worte, weil er auch in unsern Gedanken ist; zuweilen ist ein einziger Seufzer, von dem heiligen Geiste geweckt und im Geiste Gott dargebracht, Gott angenehmer als das geläufige Hersagen von Bitten, wobei die Zunge redet, aber das Herz völlig stumm ist. Bete demütig, dass du nicht von deinem Verdienste, sondern nur von der Gnade Gottes redest. Wenn unsere Bitten auf unsere Würdigkeit sich stützen, so sind sie verworfen, wenn auch das Herz vor Andacht Blut schwitzte. Niemand gefällt Gott, außer in Christo; darum betet auch niemand recht, außer durch Christum und um Christi willen. Die Opfer gefielen Gott nicht, welche nicht auf jenem einzigen Altare der Stiftshütte dargebracht wurden 5 Mos. 12,4.5: das Gebet gefällt Gott nicht, welches nicht auf diesem einzigen Altare, in Christo, dargebracht wird. Den Israeliten war die Erhörung des Gebets verheißen, wenn sie mit nach Jerusalem gewendetem Angesicht beteten 1 Kön. 8,44.45; so lasset uns bei unserm Gebete unser Angesicht zu Christo wenden, der der Tempel der Gottheit ist Joh. 2,19.21. Da Christus in seinem Leiden zum Gebet sich anschickt, wirft er sich nieder auf die Erde Mark. 14,35. Siehe, wie jene heiligste Seele sich demütigt vor der göttlichen Majestät! Wer betet, der bete aufrichtig, dass er sich darbeut, alle Freude zu entbehren und alle Strafe zu erdulden; je zeitiger einer betet, desto zuträglicher; je häufiger, desto gesegneter; je ernstlicher, desto wohlgefälliger Gott. Wer betet, der bete anhaltend, weil, wenn Gott die Gabe länger verzieht, er die Gaben empfiehlt, nicht versagt: wonach man länger sich hat sehnen müssen, das ist um so süßer, wenn man es hat. Wer betet, der bete zuversichtlich, dass er nämlich bittet im Glauben, und zweifelt nicht. O freundlichster Gott, der du uns beten geheißen hast, gib, dass wir auch recht beten!