J. Gerhard - Anfechtung

 

40. VON DEM SEGEN DER ANFECHTUNGEN.

 

UNTER DER LAST WÄCHST DER SIEG.

 

Es ist der gläubigen Seele heilsam, durch Anfechtungen in dieser Welt versucht und bewährt zu werden. Auch unser Heiland hat es nicht verschmäht, mit dem Teufel in der Wüste zu kämpfen Matth. 4,1ff., um denselben für uns und zu unserm Heile zu überwinden, und unsers Kampfes treuer Vorkämpfer zu sein. Zuerst fuhr er hinab in die Hölle, dann erst fuhr er auf gen Himmel. So steigt die gläubige Seele hinab in die Hölle der Anfechtungen, damit sie aufsteige zur himmlischen Herrlichkeit. Das Volk Israel konnte das verheißene Land Kanaan nicht eher einnehmen, als bis es zuvor mannigfache Feinde überwunden hatte Jos. 23,1: die gläubige Seele verspreche sich auch nicht eher das Himmelreich, als bis sie Siegerin über das Fleisch, die Welt und den Teufel geworden ist. Die Anfechtung prüft, reinigt, erleuchtet. Die Anfechtung prüft, weil der Glaube, der durch Widerwärtigkeiten erschüttert worden ist, auf dem Fels des Heils sich fester gründet, zum Fruchtbringen in guten Werken sich weiter ausbreitet, zur Hoffnung der Erlösung sich höher erhebt. Dem Abraham, der seinen Sohn nach göttlichem Befehle opfern sollte und diesem Befehl gehorsam sich bezeigte, erscheint nach der Anfechtung der Engel Gottes und spricht: Nun weiß ich, dass du Gott fürchtest; und hast deines eigenen Sohnes nicht verschonet um meinetwillen 1 Mos. 22,12. So wirst du, wenn du den geliebten Sohn deiner Seele, nämlich deinen Eigenwillen, in den Anfechtungen Gott zum Opfer dargebracht hast, für wahrhaft gottesfürchtig erkannt werden, und in deinem Herzen den göttlichen Zuspruch verspüren. Das Feuer prüft das Gold, die Anfechtung den Glauben. Wie tapfer der Soldat ist, zeigt sich im Kampf: so zeigt die Anfechtung, wie stark unser Glaube ist. Wenn die Wirbel des Windes und die ungestümen Wogen des Wassers über das Schifflein Christi hereinbrechen Matth. 8,24, dann zeigt es sich, von wie geringem Glauben etliche seiner Jünger sind. Die Israeliten, welche der Herr zur Besiegung der Midianiter hinabsenden ließ, wurden erst am Wasser geprüft Richt. 7,4: so werden die erst in den Wassern der Trübsale und Anfechtungen geprüft, welche nach Überwindung der Feinde in das himmlische Vaterland eingeführt werden sollen. Welche Widerwärtigkeit, welche Anfechtungen daher auch der gläubigen Seele widerfahren, sie halte sie für Mittel der Prüfung, nicht der Verwerfung. Die Anfechtung reinigt auch. Um die verderbliche Feuchtigkeit der Eigenliebe und der Weltliebe herauszuziehen, wendet der Arzt Christus viel Körner Aloe an. Die Trübsal fordert auf zur Erforschung des Gewissens und ruft die Sünden des vergangenen Lebens in das Gedächtnis zurück: ja auch, wie die Medizin für den Leib den ansteckenden Krankheiten, so beugt die Trübsal den Sünden vor. Der Mensch ist zwar immer geneigt zum Falle, mehr aber doch zur Zeit des Glückes, als des Unglückes. Für viele sind irdische Schätze Dornen Matth. 13,22; Gott reißt daher die Dornen aus, damit sie die Seelen nicht ersticken. Viele hindert die Mannigfaltigkeit weltlicher Geschäfte am göttlichen Gehorsam. Darum schickt Gott Krankheiten über sie, damit sie in sich gekehrt werden und anfangen, der Welt zu sterben, Gott zu leben. Mehreren ist es heilsam gewesen, dass sie von der hohen Feste entweder der Güter oder der Ehre zur Stille eines mittelmäßigen Loses herabgestiegen sind. Viele erhebt die weltliche Ehre zum Hochmut; darum lässt Gott Verachtung kommen und entzieht dem Hochmute die Nahrung.

Die Anfechtung endlich erleuchtet. Wie schwach und nichtig alle weltliche Tröstung ist, das erkennen wir nur in Anfechtungen. Da Stephanus gesteinigt wurde, sah er die Herrlichkeit Christi Ap. Gesch. 7,55.56: so zeigt sich Christus in Trübsalen der geängsteten Seele. Wahre und dauernde Freude gewährt nur die Einwohnung Gottes; Gott wohnet in einem zerschlagenen und gedemütigten Geiste Jes. 57,15. Die Traurigkeit ist auch eine Anfechtung, welche den Geist zerschlägt und demütigt; darum ist die wahre und dauernde Freude in der Seele der Traurigen. Die Anfechtung ist ein Weg zur Erkenntnis Gottes; darum spricht der Herr: Ich werde bei ihm sein in der Not, ich will ihn heraus reißen und ihn sehen lassen mein Heil Ps. 91,15. Der blinde Tobias Tob. 2,11 sah nichts von dem, was oben war, unten sah er sogar nicht einmal sich selbst, aber von Gott durch den Engel Raphael erleuchtet sah er alles, was er früher nicht sehen konnte, und hatte keines andern Heilmittels sich bedient als der Galle eines Fisches Tob. 11,13-15, auf dass gezeigt würde, es müsse die Galle der Bitterkeit angewendet werden, um unsere Augen zu bestreichen und sehend zu machen, damit wir zur wahren Erkenntnis unserer selbst und der weltlichen Güter gelangen. Warum sagt der Apostel 1 Kor. 13,12: Wir sehen jetzt durch einen Spiegel? Weil wir in den Anfechtungen erkennen, dass Gott die Auserwählten unter dem Scheine der Traurigkeit fröhlich, unter dem Scheine des Todes lebendig, unter dem Scheine der Krankheiten gesund, unter dem Scheine der Armut reich macht. Darum muss das Kreuz und die Anfechtung dem lieb sein, der dem für uns gekreuzigten und angefochtenen Christus nicht unlieb ist.

O freundlicher Jesu, hier tue weh, hier erschüttere, damit du dort schonest. O freundlicher Jesu, der du, wenn du verschonest, uns öfters von dir treibst, schaffe, dass, wenn du uns strafst, wir zu dir zurück kehren. Ficht an und drücke den äußerlichen Menschen, auf dass der innerliche wachse und gedeihe. Kämpfe, o freundlicher Jesu, in mir wider mich. Sei du der Regierer des Kämpfenden und die Krone des Siegenden: sei du die Stärke und der Mehrer meines Glaubens, was ich auch Widerwärtiges im Leben empfinden mag. Komm, o freundlicher Jesu, meinem schwachen Glauben zu Hilfe; denn so hast du bei dem heiligen Propheten verheißen: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet Jes. 66,13. Eine Mutter pflegt und nährt ein säugendes Kind mit größerer Liebe: so, freundlicher Jesu, richte du auf, befestige du meinen wankenden Glauben! Hilf, dass deine innerlichen Tröstungen bei mir mehr Vermögen, als die Widersprüche aller Menschen und des Teufels, ja auch die Gedanken des eigenen Herzens! O barmherziger Samariter Luk. 10,33.34, gieße beizenden Wein in meine Laster, aber tue auch das Öl des göttlichen Trostes hinzu: vervielfache das Kreuz, aber tue auch die Kraft zum Tragen dazu!

 

41. DIE GRÜNDE DER CHRISTLICHEN GEDULD.

 

ZULETZT SIEGT DIE GEDULD.

 

Gib dich zufrieden, demütige Seele, und trage das von Gott dir auferlegte Kreuz mit Geduld. Denke an das Leiden Christi, deines Bräutigams. Er hat gelitten für alle, von allen, in allen. Für alle hat er gelitten, auch für die, die sein teures Leiden verachten, und sein Blut schändlich mit Füßen treten Hebr. 10,29. Von allen hat er gelitten. Von seinem himmlischen Vater wird er dahin gegeben Röm. 8,32, zerschlagen Jes. 53,4.5, verlassen Matth. 27,46. Ps. 22,2: von seinen geliebten Jüngern wird er verlassen Matth. 26,56; von dem jüdischen Volke, seinem Eigentume, wird er verworfen Matth. 27,21.22. Joh. 1,11, und der Straßenräuber Barrabas ihm vorgezogen; von den Völkern wird er gekreuzigt; aller Menschen Sünden trägt er ohne Unterschied; darum wird er auch von allen mit Schmerzen angetan. In allen hat er gelitten. Seine Seele ist betrübt bis in den Tod Matth. 26,38, und von dem Gefühle des göttlichen Gerichtes gedrückt schreit sie laut über ihr Verlassensein von Gott Matth. 27,46: alle seine Glieder schwitzen blutigen Schweiß aus Luk. 22,44, sein Haupt wird mit Dornen gekrönt, seine Zunge schmeckt den Becher voll Galle, seine Hände und Füße werden mit Nägeln durchgraben Ps. 22,17, seine Seite wird verwundet, sein ganzer Leib wird gegeißelt und am Kreuze ausgespannt. Er hat gelitten Hunger, Durst, Kälte, Verachtung, Armut, Beschimpfungen, Wunden, Tod, Kreuz. Wie schändlich wäre es, wenn der Knecht fröhlich wäre, während der Herr leidet! Wie schändlich, wenn wir in unsern Sünden uns vergnügen wollten, während der Heiland so schwere Strafe um derselben willen leidet! Wie schändlich, wenn die übrigen Glieder nicht Schmerz mit empfinden wollten, während das Haupt voll Blut und Wunden ist! Ja fürwahr: Wie Christus durch sein Leiden zu seiner himmlischen Herrlichkeit hat eingehen müssen Luk. 24,26: so müssen auch wir durch viel Trübsal in das Reich Gottes gehen Ap. Gesch. 14,22. Denke auch an die reiche Vergeltung. Dieser Zeit Leiden sind nicht wert der Herrlichkeit, die an uns soll offenbaret werden Röm. 8,18. Welcher Art auch immer unser Leiden ist, es ist zeitlich, ja zuweilen auch nur von der Dauer eines Tages, aber jene Herrlichkeit ist ewig. Gott merkt genau alles Widerwärtige, das uns begegnet Ps. 56,9, und wird es einst vor Gericht bringen Pred. Sal. 12,14. Wie kläglich würde es also sein, dereinst in jener erhabensten Versammlung des Erdkreises Matth. 25,31 ohne Zeichen des Kreuzes und der Leiden zu erscheinen! Er selbst wird alle Tränen von den Augen der Seinen abwischen Jes. 25,8. Off. Joh. 7,17. 21,4. O selige Träne, welche dereinst die Hand solches Herrn abwischen wird! O du seliges Kreuz, welches du einst im Himmel Belohnung findest! David war nicht volle zehn Jahr in der Verbannung, aber vierzig Jahre auf dem Thron 2 Sam. 5,4. Damit ist zuvor bedeutet die Kürze des Leidens, aber die Ewigkeit der zukünftigen Herrlichkeit. Ein Augenblick von Zeit ist es, in dem die Heiligen durch das Kreuz, das Elend dieser Zeit, das sie zu sich selber bringt, geübt werden und so folgt in Wahrheit ein seliger Abend auf einen leidensvollen Morgen. Denke weiter an die Trübsal aller Heiligen. Siehe den Hiob in der Asche liegen Hiob 2,8, den Johannes hungern in der Wüste Mark. 1,6. Matth. 3,4, den Petrus ausgespannt am Kreuz (vgl. Joh. 21,18), den Jakobus mit dem Schwert Herodis enthauptet Ap. Gesch. 12,2. Siehe die Maria, die gebenedeiete Mutter des Heilandes unter dem Kreuze stehn Joh. 19,25, welche das Vorbild der Kirche, der geistlichen Mutter des Herrn ist. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meines Namens willen verfolgt haben; denn also haben sie den Propheten auch getan Matth. 5,11.12. O glorreiche Verfolgung, welche uns den Propheten und Aposteln, sogar allen Heiligen, ja selbst Christo gleichförmig macht! Darum lasset uns leiden mit denen, die gelitten haben; gekreuzigt werden mit denen, die gekreuzigt worden sind, damit wir zur Herrlichkeit erhoben werden mit denen, die zur Herrlichkeit erhoben worden sind! Wenn wir in Wahrheit Kinder sind, so dürfen wir auch das Los der übrigen Kinder nicht verschmähen. Wenn wir in Wahrheit Verlangen in uns tragen nach dem Erbe Gottes, so lasst es uns auch vollständig empfangen. Die Kinder Gottes sind aber nicht bloß Erben der Freude und Herrlichkeit in der künftigen Welt, sondern auch der Trauer und der Leiden in der gegenwärtigen, denn Gott stäupet einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt Hebr. 12,6. Er straft die Sünden derselben, damit er im künftigen Gericht sie verschone; er vervielfacht hier die Trübsal, damit er dort den Lohn vervielfache, und so nicht sowohl die Verfolgung, als vielmehr die Vergeltung gemehrt werde. Denke an die selige Bestimmung des Kreuzes. Es tilgt die Wurzel der Weltliebe in uns aus, und streuet den Samen der Gottesliebe in unsere Herzen. Das Kreuz erzeugt in uns Welthass, und erhebt die Seele zu dem, was droben ist. Wenn das Fleisch getötet ist, wird der Geist lebendig; wenn die Welt bitter geworden ist, wird Christus süß. Das Geheimnis des Kreuzes ist groß, denn durch dasselbe ruft uns Gott zur Herzenstraurigkeit, zur wahren Furcht, zur Übung in der Geduld Hebr. 12,5.6. Lasst uns hören, wenn er anklopft, und vernehmen, was der Herr in uns redet. Ein verächtlicher Anblick ist das Kreuz vor den fleischlichen Augen des äußerlichen Menschen, preiswürdig aber vor Gott und den geistlichen Augen des innerlichen Menschen. Was ward von den Juden für geringer und verächtlicher gehalten als das Leiden Christi: was aber war in den Augen Gottes würdiger und wertvoller als dasselbe? Denn es ist die Versöhnung für der ganzen Welt Sünde 1 Joh. 2,2. So auch wird der Gerechte angefochten; der Gerechte kommt um, und niemand achtet darauf Jes. 57,1; aber wert gehalten ist das Kreuz, wert gehalten der Tod der Heiligen vor dem Herrn, Ps. 116,15. Schwarz ist die Kirche, die Braut Christi Hohel. 1,5, äußerlich um der Leiden und Verfolgungen willen, innerlich aber gar lieblich um der göttlichen Tröstung willen. Ein verschlossener Garten ist die Kirche Hohel. 4,5, und jede gläubige Seele, denn niemand erkennt ihre Schönheit, außer wer in ihr ist. Niemals werden wir vollständig und vollkommen den Trost des Geistes empfinden, wenn unser Fleisch nicht äußerlich angefochten wird. Wenn in uns die Weltliebe wohnt, so kann die Gottesliebe nicht ihren Einzug bei uns halten. Ein volles Gefäß kann man nicht eher mit neuer Flüssigkeit füllen, als bis es ausgegossen wird. Darum lasst uns die Weltliebe ausgießen, auf dass wir mit der Gottesliebe erfüllt werden. So tilgt Gott selbst durch das Kreuz die Weltliebe in uns aus, damit Raum in uns werden könne für die Gottesliebe. Überdies treibt das Kreuz zum Gebet, und erweckt die Tugend. Wenn der Nordwind durch den Garten weht Hoh. 4,16, das ist, wenn Verfolgungen die Kirche üben, dann triefen ihre süßen Würzen, dann werden ihre Tugenden gemehrt, die einen lieblichen Geruch vor Gott von sich geben. Der geliebte Bräutigam der Seele ist weiß und rot Hoh. 5,10, weiß durch Unschuld, rot durch Leiden, so auch wird die geliebte Braut Christi gerötet durch Leiden, damit sie weiß werde durch Tugenden: und so kann sie aus dem härtesten Steine der Anfechtungen Öl und Honig durch die Gnade Gottes hervorbringen; so versteht sie es, aus den bittern Wurzeln der Trübsal, die süßeste Frucht der ewigen Herrlichkeit zu erzeugen, zu der uns dieselbe verhelfen und einführen wolle! Amen.