Calvin (Institutio) - Heilige Schrift

 

UM ZU GOTT DEM SCHÖPFER ZU GELANGEN, BEDARF ES DER LEITUNG UND DES UNTERRICHTES DER HEILIGEN SCHRIFT. 

 

Obwohl der Glanz, der im Himmel und auf der Erde in alle Augen dringt, den undankbaren Menschen alle Entschuldigung benimmt – wie denn Gott, um das Menschengeschlecht gleicher Strafwürdigkeit zu zeihen, allen ohne Ausnahme sein unsichtbares Wesen in den Geschöpfen vorhält – so ist doch notwendig, dass ein anderes und besseres Hilfsmittel hinzukam, welches uns auf geradem Wege zu dem Schöpfer der Welt hinführe. Also hat er nicht umsonst das Licht seines Wortes hinzugefügt, auf dass er erkannt werde zur Seligkeit; und dieses Vorzugs hat er diejenigen gewürdigt, welche er näher und traulicher zu sich ziehen wollte. Denn weil er Aller Gemüter von wandelbarem und unstetem Schwanken umhergetrieben sah, erwählte er sich die Juden zur besondern Herde und umgab sie mit Schranken, auf dass sie nicht, wie die andern, vereiteln möchten. Und auch uns erhält er durch dasselbe Mittel in reiner Erkenntnis seiner selbst, da ohne dasselbe auch diejenigen, welche vor andern fest zu stehen scheinen, bald wanken würden. Denn so wie Greise oder Blödsichtige und Augenschwache, wenn man ihnen auch die schönste Schrift vorlegt, zwar wohl erkennen, dass es etwas Geschriebenes sei, jedoch kaum zwei Worte zusammenzusetzen vermögen, aber durch Brillen unterstützt, deutlich werden lesen können; so sammelt die Schrift die in unserer Seele befindliche verworrene Erkenntnis von Gott, zerstreuet das Dunkel und zeigt uns den wahren Gott im hellen Lichte. Es ist also eine große Gnade, dass sich Gott zum Unterricht seiner Erwählten nicht bloß stummer Lehrer bedient, sondern auch seinen heiligen Mund öffnet; nicht bloß ihnen kund tut, dass man einen Gott anbeten müsse, sondern auch, dass er der Gott sei, den wir verehren sollen; nicht bloß sie lehrt, auf Gott zu sehen, sondern sich selbst darstellet, als auf den wir sehen sollen. Diese Ordnung hat er von Anfang an gegen seine Kirche gehalten, dass er außer jenen allgemeinern Belehrungen, seines Wortes sich bediente, welches gerade und sicher zu seiner Erkenntnis führt. Es ist nicht zu zweifeln, dass Adam, Noah, Abraham und die andern Väter dadurch zu einer vertraulichern Erkenntnis gelangt sind, welche sie von den Ungläubigen in gewisser Weise unterschied. Der heilige Geist bezeugt uns, dass die heilige Schrift Gottes Wort sei. Obgleich die heilige Schrift durch ihre eigene Majestät unsere Ehrerbietung fordert, so ergreift sie uns erst dann völlig, wenn sie durch den Geist in unsern Herzen versiegelt ist. Also, durch seine Kraft erleuchtet, glauben wir nicht unsern oder anderer Urteilen, dass die Schrift von Gott sei; sondern, über Menschenurteil erhoben, behaupten wir mit vollkommener Gewissheit, nicht anders als ob wir Gottes Antlitz darin anschauten, dass sie durch Dienst der Menschen aus Gottes Munde zu uns gekommen sei. Nicht Beweise, nicht Wahrscheinlichkeitsgründe suchen wir, um darauf unser Urteil zu gründen, sondern wir unterwerfen unser Urteil und unsern Verstand der Wahrheit als eine unbezweifelte Tatsache. Freilich nicht auf solche Weise, wie Einige zuweilen das unbekannte annehmen, was bald nachher, genauer erforscht, ihnen missfällt, sondern weil wir uns des Besitzes unbestreitbarer Wahrheit deutlich bewusst sind. Noch auch, so wie elende Menschen dem Aberglauben pflegen ihre Seele gefangen zu geben, sondern weil wir fühlen, dass eine unbezweifelte göttliche Kraft darin wirke und walte, durch welche wir, wissend und wollend, jedoch lebendiger und kräftiger, als durch menschliches Wollen und Wissen, angezogen und entflammt werden. Daher ruft der Herr mit vollem Rechte durch Jesaias: die Propheten samt dem Volke seien seine Zeugen (Jes. 43,10.), weil sie durch Weissagungen belehrt, nicht daran zweifelten, dass Gott ohne Trug und Zweideutigkeit zu ihnen geredet habe. Es ist folglich eine solche Überzeugung, die keine Gründe fordert; eine solche Erkenntnis, welche auf dem besten Grunde beruhet, und bei welchem die Seele sicherer und fester sich gewinnen lässt, als bei irgend welchen Gründen; endlich ein solches Gefühl, das nur aus himmlischer Offenbarung entspringen kann. 

 

ES GIBT SICHERE BEWEISE FÜR DIE GLAUBWÜRDIGKEIT DER SCHRIFT. 

 

Wenn nicht diese stärkere über alles menschliche Urteil erhabene Gewissheit schon da ist, wird man vergebens das Ansehen der Schrift mit Vernunftgründen beweisen, oder durch Einstimmigkeit der Kirche und andere Hilfsmittel befestigen wollen, denn ohne diese Grundlage bleibt es immer wankend. Dagegen, wenn wir sie einmal dem Gemeinen entzogen und, nach ihrer Würde, mit Ehrfurcht aufgenommen haben, so kann das, was diese Gewissheit unserer Seele einzupflanzen nicht vermochte, ihr zur angemessenen Stütze dienen. Denn fürwahr, sie gewinnt an Stärke, wenn wir mit eindringendem Fleiß die Ordnung und Stellung in der Austeilung der göttlichen Weisheit, die überall himmlische, nach nichts irdischem schmeckende Lehrweise, die schöne Zusammenstimmung aller Teile, und so manches andere erwägen, was geeignet ist, die Majestät der Schrift zu befestigen. Aber noch mehr werden unsere Herzen gestärkt werden, wenn wir bedenken, dass wir mehr durch die Würde des Inhalts, als durch Schönheit der Worte zur Bewunderung erhoben wurden. Denn auch das ist nicht ohne besondere Vorsicht Gottes geschehen, dass die erhabenen Geheimnisse des himmlischen Reiches zum großen Teil in der Hülle niedriger und verachteter Worte vorgetragen wurden; damit nicht, wenn sie mit glänzender Beredsamkeit prangten, die Ungläubigen sagen könnten, darin wohne ihre Kraft. Jetzt, da diese schmucklose, ja fast rohe Einfalt größere Ehrfurcht erweckt, als irgend eine Kunst der Redner; muss man nicht daraus schließen, dass der Kraft der heiligen Schrift eine Kraft der Wahrheit einwohne, welche zu mächtig sei um des Schmuckes der Worte zu bedürfen? Nicht ohne Ursache sagt daher der Apostel (1 Kor. 2,4.), dass durch Gottes Kraft und nicht durch menschliche Weisheit der Glaube der Korinther gegründet sei, weil seine Predigt nicht in beredsamen Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft bestanden habe. Denn die Wahrheit wird über jeden Zweifel erhoben, wenn sie nicht auf fremden Stützen ruht, sondern in eigener Haltung sich genügt. Wie sehr solche Kraft der Schrift eigen sei, erhellt daraus, dass von allen menschlichen, noch so kunstreich gefertigten Schriften durchaus keine uns so zu ergreifen vermag. Lies den Demosthenes oder Cicero, den Plato, Aristoteles oder etwelche andere der Art; wundersam, ich gebe es zu, werden sie dich anlocken, ergötzen, erschüttern, entzücken: aber wenn du von da zu dem heiligen Buche dich wendest, so wird es dich, magst du wollen oder nicht, so lebendig ergreifen, so dein Herz durchdringen, so in deinem Mark wohnen, dass vor diesem gewaltigen Gefühl jene Kraft der Redner und Philosophen fast verschwindet, woraus erhellet, dass ein göttlicher Hauch die heiligen Schriften erfüllen muss, wodurch sie alle menschliche Kunst und Gaben bei weitem übertreffen. 

 

DIE HEILIGE SCHRIFT UNTERSCHEIDET DURCH SICHERE MERKMALE DEN WAHREN GOTT VON DEN GÖTZEN. 

 

Obwohl Jesaias (Jes. 40,21.) den Götzendienern mit Recht ihre Verblendung vorwirft, so sie aus dem Bau der Erde und dem Umfang der Himmel nicht gelernt haben, welcher der wahre Gott sei; so bedurfte es doch um unsres schwachen und blödsichtigen Verstandes willen, und damit die Gläubigen nicht zu den Erdichtungen der Heiden verfielen, einer genauern Darstellung des wahren Gottes. Je nichtiger die Erklärung ist, welche bei den Philosophen noch für die erträglichste gehalten wird, dass Gott die Seele der Welt sei, um so notwendiger wird eine vertrautere Erkenntnis sein, damit wir nimmer im Ungewissen schwanken. Darum ist uns eine Geschichte der Schöpfung gegeben, damit auf diese gestützt die Kirche nach keinem andern Gott fragen möchte, als welchen uns Moses als den Gründer und Schöpfer der Welt verkündet. Hier wird vorerst die Zeit angegeben, um die Gläubigen in einer fortgehenden Reihe von Jahren auf den ersten Ursprung des menschlichen Geschlechts und aller Dinge zurückzuführen. Diese Erkenntnis ist besonders nützlich, nicht bloß um den abenteuerlichen, in Ägypten und andern Erdstrichen ehemals verbreiteten Fabeln zu begegnen, sondern auch damit aus dem erkannten Beginn der Welt die Ewigkeit Gottes desto heller hervorleuchte und uns zur Bewunderung erhebe. Unwürdig aber von uns betrachtet zu werden ist jener gemeine Hohn, welcher frägt, warum Gott nicht früher beschlossen, Himmel und Erde zu erschaffen, und er einen Raum vieler Jahrtausende untätig habe verfließen lassen, da doch die Dauer der zu ihrem Ende sich neigenden Welt noch keine sechstausend Jahre betrage. Denn die Frage, warum Gott solches so lange verschoben habe, geziemt und frommet uns nicht; unser Verstand, so er versuchte bis dahin zu dringen, würde hundertmal auf dem Wege ermatten, und es würde nicht nütze sein, zu erkennen, was Gott selbst, um die Demut unsres Glaubens zu prüfen, absichtlich uns habe verbergen wollen. Klüglich gab jener Greis einem Frechen, der ihn spottend fragte, was denn Gott vor Schöpfung der Welt gemacht hätte, zur Antwort, er habe für die Vorwitzigen die Hölle gebaut. Diese eben so sinnreiche als ernste Mahnung mag den Leichtsinn zähmen, der viele kitzelt und zu verkehrten und verderblichen Grübeleien antreibt. Ferner haben wir zu bedenken, dass der unsichtbare Gott, dessen Weisheit, Kraft und Gerechtigkeit unbegreiflich ist, uns Moses Geschichte als einen Spiegel vorhalte, aus welchem sein lebendiges Bild uns entgegenstrahlt. Denn so wie durch Alter verdunkelte oder durch Krankheit abgestumpfte Augen ohne Hilfe der Brillen nicht deutlich sehen; so vermögen auch wir Schwache nicht das mindeste von Gott zu erforschen, wenn uns die Schrift nicht leitet. Die aber ihrem frechen Gelüste nachgeben und jetzt die Warnung verschmähen, werden in schrecklichem Untergange erfahren, wie viel besser es gewesen wäre, die geheimen Ratschlüsse Gottes mit Demut zu verehren, als Blasphemien auszustoßen, womit sie den Himmel verfinstern möchten. Mit Recht klagt Augustinus: „Gott wiederfahre eine Beleidigung, wo ein höherer Grund, als sein Wille, gefordert werde“. Anderswo bemerkt derselbe, dass man gleich unrecht über die Unermesslichkeit der Zeiten, als der Räume forsche. Gewiss, wie weit auch der Umfang des Himmels sich ausdehne, so gibt es doch irgend eine Ermessung. Wollte nun Jemand mit Gott darüber rechten, dass eine hundertfache Leere übrig sei, wäre das nicht eine allen Frommen abscheuliche Keckheit? Eben so toll sind diejenigen, die es Gott zum Vorwurf machen, dass er nach ihrem Gutfinden die Welt nicht vor unzähligen Zeitaltern geschaffen habe. Um ihrer Lüsternheit zu fröhnen, streben sie über die Grenzen der Welt hinauszugehen; als ob in dem großen Umfange des Himmels und der Erde nicht Gegenstände genug sich uns darböten, welche mit ihrem herrlichen Glanz alle unsere Sinne erfüllen; als ob innerhalb sechstausend Jahr Gott nicht Beweise genug gegeben hätte, deren stete Erwägung unsere ganze Seele beschäftigen könnte. Also lasset uns gern in den Schranken bleiben, in welche Gott uns hat beschließen und gleichsam unsere Seelen hemmen wollen, damit sie nicht in ungezügelter Ausdehnung zerfließen möchten.