Von den bösen Weingärtnern

Von den bösen Weingärtnern

The Son of the Vineyard / James Tissot, Public domain, via Wikimedia Commons

 

„Da sprach der Herr des Weinbergs: Was soll ich tun? Ich will meinen lieben Sohn senden; vor dem werden sie sich doch scheuen. Als aber die Weingärtner den Sohn sahen, dachten sie bei sich selbst und sprachen: Das ist der Erbe; lasst uns ihn töten, damit das Erbe unser sei!“ (Lk 20,13-14) 

 

Die Gleichnisse Jesu sind beliebt. Denn er versteht sich auf die Kunst, himmlische Zusammenhänge an irdischen Beispielen zu verdeutlichen und damit schwierige Dinge auf anschauliche Weise darzustellen. Er redet vom Sämann, der auf dem Feld arbeitet, vom Hirten, der ein Schaf vermisst, und von der Frau, die einen Groschen sucht. Seine Gleichnisse knüpfen an die alltägliche Wirklichkeit an und sind dadurch für jeden verständlich. Denn auch wenn Jesus von Gottes Reich und von hohen Dingen spricht, redet er doch niemals abstrakt wie ein Gelehrter, sondern stets konkret in plausiblen Bildern und Geschichten. Nur das Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Lk 20,9ff.) scheint diesbezüglich aus dem Rahmen zu fallen. Denn das ist merkwürdig. Und die Handlung scheint, wenn man genauer hinsieht, geradezu widersinnig. Die Ausgangssituation ist noch gut verständlich. Da ist ein fleißiger Mensch, der Geld und Arbeit in einen Weinberg investiert. Er bereitet den Boden vor und pflanzt gute Weinstöcke, er zieht außenherum einen Zaun, gräbt eine Kelter zur Verarbeitung der Trauben und baut auch noch einen Turm dazu. Das Ganze verpachtete er dann an Weingärtner und geht außer Landes, wobei vereinbart wird, dass der Pachtzins nicht bar zu zahlen ist, sondern in einem gewissen Anteil der Ernte bestehen soll. Das alles dürfte zur Zeit Jesu üblich gewesen sein. Und so ist es auch normal, dass der Besitzer des Weinbergs zur Erntezeit einen Knecht zu dem Weinberg schickt, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten holt. Die Pächter des Weinbergs stellen sich allerdings quer und verweigern, was sie schuldig sind. Vielleicht denken sie, der Besitzer des Weinbergs sei zu weit weg, um seine Ansprüche durchsetzen zu können. Jedenfalls wollen sie die ganze Ernte für sich behalten und meinen, sie kämen damit durch. Sie verprügeln den Knecht und schicken ihn mit leeren Händen fort. Wenn wir nun aber die Reaktion des Eigentümers betrachten, wird es merkwürdig. Denn der erkennt, dass man ihn betrügen will, er sieht, was mit dem ersten Knecht geschehen ist, und schickt daraufhin einen zweiten los, der wiederum versuchen soll, die Außenstände einzutreiben. Dem geht es nicht anders als dem ersten Boten. Die ungetreuen Pächter schlagen ihn auf den Kopf, machen sich über ihn lustig und jagen ihn davon. Spätestens hier denkt man, der Weinbergbesitzer müsste erkennen, dass es keinen Sinn hat, immer wieder einzelne Männer dorthin zu schicken – ohne Bewaffnung oder Unterstützung durch die Polizei. Doch der Grundbesitzer scheint nicht lernfähig zu sein. Er schickt wieder einen Knecht allein, der wie zu erwarten geschlagen und getötet wird. Man fragt sich, wann der Eigentümer endlich klug wird und Konsequenzen zieht. Man fragt sich, wann er eine Strafexpedition organisiert, ein Gericht einschaltet oder ein Inkasso-Unternehmen. Doch stattdessen tut er etwas geradezu Wahnsinniges. Denn einen hat er noch übrigbehalten: seinen lieben Sohn! Und ausgerechnet den schickt er zuletzt auch noch zu den Pächtern des Weinbergs und sagte sich: „Ich will meinen lieben Sohn senden; vor dem werden sie sich doch scheuen“ (Lk 20,13). „Warum sollten sie?“ – denkt man als Leser und greift sich an den Kopf. Warum sollten die Pächter nach so vielen Verbrechen vor einem weiteren zurückschrecken? Und wie kann der Mann so dumm sein, gerade seinen Sohn dorthin zu schicken, wo er mit einiger Sicherheit erschlagen wird? Was für ein Narr ist dieser Vater? Tatsächlich kommt es, wie es kommen muss. Die Weingärtner sind skrupellos und sagen sich: „Ah, da kommt der Erbe des Weinbergs. Wenn wir den auch noch umbringen, gibt der Vater vielleicht auf, und der Weinberg gehört uns!“ Sie nehmen den Sohn, töten ihn und werfen seinen Leichnam hinaus vor den Weinberg. Nachdem Jesus so weit erzählt hat, fragt er die Umstehenden: „Was wird nun der Herr des Weinbergs mit ihnen tun?“ (Lk 20,15). Und Jesus antwortet selbst: „Er wird kommen und diese Weingärtner umbringen und seinen Weinberg andern geben“ (Lk 20,16). Damit endet das Gleichnis. Und man wundert sich, dass es derart aus dem Rahmen fällt. Denn – anders als die übrigen Gleichnisse – erzählt dieses eine höchst unglaubwürdige Geschichte. Das Ganze könnte in dieser Weise nie stattfinden, denn kein liebender Vater würde seinen Sohn so mutwillig in Gefahr bringen! Wenn‘s Jesu aber gewiss nicht an Erzählkunst oder Realitätssinn mangelt, warum leuchtet sein Gleichnis dann so wenig ein? Nun, in Jesu Verkündigung ist nichts zufällig – auch das Irritierende hat seinen Sinn. Und den erfassen wir, sobald uns klar wird, dass Jesus hier nicht von einem Kriminalfall redet, sondern in verhüllter Weise seine eigene Geschichte erzählt. Wie alle Gleichnisse besteht auch dieses aus einer Bildhälfte (von der offen gesprochen wird) und einer Sachhälfte (die eigentlich gemeint ist). So ist mit dem Weinbergbesitzer Gott gemeint. Der Weinberg steht für Gottes Stadt Jerusalem. Und die untreuen Pächter sind das Volk Israel. Mit den Knechten, die ausgesandt werden, sind die Propheten des Alten Testamentes gemeint. Und der Sohn des Weinbergsbesitzers, das ist Jesus selbst, der Sohn Gottes, der – bald nachdem er die Geschichte erzählt hat – tatsächlich unter die Räder kommt und vor den Toren Jerusalems gekreuzigt wird. Jesus deutet im Gleichnis sein eigenes Schicksal. Die Merkwürdigkeiten der Bildhälfte rühren aber daher, dass sie ganz auf die Sachhälfte hin konstruiert ist. Denn tatsächlich geht es hier um Gott und sein untreues Volk. Israel, das Land der Verheißung, ist Gottes Eigentum. Und es wird schon bei Jesaja als ein Weinberg beschrieben, um den Gott sich redlich bemüht (Jes 5). Gott befreit sein Volk aus Ägypten und führt es ins gelobte Land, um es dort zu verwurzeln, wie man Weinstöcke einpflanzt in gut vorbereiteten Boden. Gott hat seinen Weinberg sorgfältig umgegraben, bewässert und gepflegt. Und er hat auch nicht vergessen, einen schützenden Zaun darum zu ziehen. Da er‘s aber an Fürsorge nicht fehlen ließ, konnte er erwarten, dass Israel ihm gute Früchte bringt, und die investierte Mühe sich auszahlt. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit wären angemessene Früchte gewesen! Treuen Gehorsam, fröhlichen Glauben und schöne Gottesdienste hätte Gott sehen wollen! Doch er wird um seine Ernte betrogen. Denn Israel bricht den Bund und wendet sich fremden Göttern zu. Die vielen Knechte, die Gott daraufhin aussendet – das sind die Propheten des Alten Testaments, die in Gottes Namen drohen, locken und mahnen. Sie rufen Gottes Volk zur Ordnung und werden zum Dank dafür verhöhnt, geschlagen und getötet. Keiner von ihnen hat dauerhaften Erfolg. Zuletzt aber sendet Gott seinen Sohn zum Weinberg. Der macht sich auf den Weg zu den ungetreuen Pächtern. Die aber töten auch Gottes Sohn, indem sie ihn aus dem Weinberg hinauswerfen (hinaus aus Jerusalem) und ihn draußen vor der Stadt ans Kreuz schlagen. 

Israel verkennt den Messias. Und der Erbe des Weinbergs lässt sein Leben. Was aber ist das Ende vom Lied? Gibt der Weinbergbesitzer nun auf? Keineswegs, sagt Jesus, sondern: er wird kommen, um die untreuen Pächter zu strafen und seinen schönen Weinberg anderen zu geben. Das Gottesvolk des Alten Bundes hat sein Erbe vorerst verspielt. Und der Weinberg wird anderen anvertraut, die Gottes Recht besser respektieren und bereitwillig guten Früchte des Glaubens bringen. Mit denen schließt Gott einen neuen Bund, der besiegelt wird durch Christi Blut. Man könnte das Gleichnis also zum Anlass nehmen, um über das schwierige Verhältnis von Juden und Christen nachzudenken. Und da wäre vor allem von der Hoffnung zu reden, dass wir einst wieder zusammenfinden. Doch scheint mir ebenso wichtig, dass wir über Gottes Geduld staunen, die Jesus hier als sehr groß beschreibt – und doch keineswegs als unendlich. Er hat sein Weinberggleichnis nämlich nicht „schlecht erzählt“, sondern es kommt uns „unglaublich“ vor, weil es die Heilsgeschichte abbildet und dabei Gottes Geduld herausstellt. So wenig die Geschichte vom verlorenen Sohn einen „normalen“ irdischen Vater beschreibt, so wenig haben wir es hier mit einem gewöhnlichen Weinbergbesitzer zu tun. Und dass uns sein Verhalten irritiert, liegt durchaus in der Absicht des Erzählers. Denn so wie der himmlische Vater seinen Sohn hingibt in einen erwartbaren Tod, so würde ja kein Mensch handeln! Unsere Verwunderung ist sachgemäß und vom Erzähler beabsichtigt. Denn dass Gott nach all den schlechten Erfahrungen, die er mit uns Menschen gemacht hat, dennoch seinen Sohn schickt: diese Hinwendung zur Welt der Sünder ist sehr zum Staunen. Schließlich weiß Gott vorher, in welche Gesellschaft sein Sohn auf Erden geraten wird. Gab es je einen Propheten, den die Welt nicht hasste? Wurden nicht alle Gottesmänner, die der Menschheit ins Gewissen reden wollten, kaltgestellt, weggesperrt oder umgebracht? Nachdem man sie unschädlich gemacht hat, baut man den toten Propheten Denkmäler und tut so, als teilte man ihre Ideale. Doch liegt es den Menschen fern, sich dem Anspruch Gottes wirklich zu beugen. Und Gott weiß das nur zu gut! Trotzdem zeigt er lange Geduld und unternimmt schließlich mit der Sendung Jesu den ultimativen Schritt zur Wiedergewinnung seines Weinbergs. Gott schickt keine weiteren Propheten, sondern wird selbst Mensch, obwohl er weiß, dass er sich damit seinen Feinden ausliefert. Er kommt zu uns, als zu ungetreuen Pächtern, die ihm seit langem nicht geben, was ihm zusteht. Und weil wir schon viele seiner Boten auf dem Gewissen haben, wird auch Jesu Sendung zum Himmelfahrtskommando. Denn wo uns Gott so nahe kommt wie in seinem Sohn, da stört er unsere Kreise. Sehenden Auges liefert sich Jesus einer Meute aus, die seine Nähe nicht ertragen kann. Und der wahrhaft Gute, der sich im Lager der Bösen zu erkennen gibt, wird auch prompt als Provokation empfunden. Am Kreuz sieht er dann, was er davon hat! Doch was Jesu Gleichnis noch nicht verrät: Gerade aus seinem Kreuz geht ein neuer Bund hervor, der wider Erwarten voller Gnade ist und uns zu Erben der Verheißung macht, weil der Tod Jesu nicht so sinnlos ist, wie der Tod des Sohnes im Gleichnis erscheint, sondern tief sinnvoll ist – als stellvertretender Tod zur Erlösung der Sünder. Auf verblüffende Weise werden jene, die Gott ablehnen, von ihm angenommen. Ganz unverdient werden die Sünder, für die Christus starb, zu neuen Pächtern des Weinbergs. Mit solch einer Wendung konnte niemand rechnen. Und doch sollten sich die Begünstigten nun beeilen, ihre Chance zu nutzen. Denn das Gleichnis zeigt deutlich genug, dass Gott – bei aller Geduld und Milde – seinen Anspruch doch niemals aufgibt. Und wenn er uns gegenübertritt, kommt er auch nicht als Bittsteller, sondern kann erwarten, dass wir ihm Früchte der Liebe und des Glaubens bringen. Wie steht‘s also mit dem Ertrag unseres Lebens? Findet Gott bei uns klare Bekenntnisse, gute Werke und christliche Tugenden? Ist sein Anspruch unbestritten? Oder tun wir immernoch, als gehörte unser Leben uns? Eins dürfen wir jedenfalls nicht tun: Wir dürfen nicht mit Schadenfreude auf jene untreuen Pächter schauen, die abgestraft wurden. Sondern wir sollten aufpassen, dass wir den Weinbergbesitzer nicht ebenso falsch einschätzen wie sie. Denn so groß seine Geduld auch sein mag – unendlich ist sie nicht.