Schutzmantelmadonna

Schutzmantelmadonna

La vierge de miséricorde de la famille Cadard (Ausschnitt),

Enguerrand Quarton, Public domain, via Wikimedia Commons

Wer katholische Kirchen besichtig, begegnet diesem Motiv recht oft: Maria breitet ihren Mantel aus, und viele Menschen finden darunter Schutz. Für evangelische Christen ist das befremdlich. Denn warum sollte man bei Maria „unterkriechen“ – und das auch noch in anbetender Haltung? Doch immerhin wirkt sympathisch, was Maria da mit ihrem Mantel tut. Sie hat ihn weit ausgebreitet, damit möglichst viele darunter Platz finden. Das ist eine schöne, mütterliche Geste. Und die bei ihr Geborgenen suchen Schutz wie Küken, die sich unter den Flügeln der Henne zusammendrängen, wenn am Himmel der Habicht kreist. Sie verstecken sich wie erschrockene Kinder, die zu ihrer Mutter geflüchtet sind und nun erwartungsvoll zu ihr aufschauen. Aber ist das eine biblische Szene? Nein. Steht irgendwo im Neuen Testament, Christen sollten bei Maria Schutz suchen? Nein. Jesus Christus, Marias Sohn ist es, der Gottes Gnade vermittelt – nicht seine Mutter. Diesbezüglich führt uns das Bild in die Irre. Und doch spricht es mich an, seit ich den Ursprung des Motivs kenne. Denn es hängt auf überraschende Weise mit den unehelichen Kindern zusammen, die man im Mittelalter „Bastarde“ nannte und die damals im Erbrecht benachteiligt waren. Wieso? Im Mittelalter kam es nicht selten vor, dass ein Paar schon vor der Eheschließung Kinder zeugte. Denn nach einer solchen „Probe“ konnte man davon ausgehen, dass auch nach der Hochzeit weiterer Nachwuchs folgen würde – und die Ehe nicht etwa kinderlos blieb. Keine Kinder zu bekommen, war eine Katastrophe! Und so vergewisserte man sich vor der Trauung, dass die Braut fruchtbar sei. Nur entstand dadurch ein Problem. Denn unehelicher Nachwuchs war nicht erbberechtigt und sozial in keiner Weise abgesichert. Vorzeitig geborenen Kinder waren den späteren gegenüber sehr im Nachteil. Und um dem abzuhelfen, schuf man einen rechtsymbolischen Akt, durch den „illegitime“ Kinder als „ehelich“ anerkannt werden konnten. Sie waren verfrüht aus dem Leib ihrer Mutter hervorgegangen, das ließ sich nicht rückgängig machen. Aber man konnte sie bei der kirchlichen Trauung unter den Brautschleier bzw. unter den Mantel der Braut stellen und sie damit offiziell (vor den Augen der versammelten Gemeinde) als legitime Kinder des Brautpaares anerkennen. Die Frau schloss ihre vorehelichen Kinder unter ihrem Mantel ein, wodurch sie als „ehelich“ galten und späteren Kindern gleichgestellt waren. Und diese Symbolik hat man dann in die christliche Kunst übernommen in Form der „Schutzmantelmadonna“, die Menschen durch Umhüllung mit ihrem Mantel als legitime Kinder Gottes anerkennt. Für die Erlösung, die im Glauben geschieht, ist das ein passendes Gleichnis, denn die vorehelichen Kinder hatten keinen Anspruch, als „legitim“ anerkannt zu werden. Und ebenso geht es dem Sünder. Er hat keinen Anspruch, von Gott angenommen zu werden. Und wenn‘s dennoch geschieht, ist es ein reiner Gnadenakt. Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, wird am Menschen nicht wie eine Gegebenheit „festgestellt“, sondern wird durch Gottes Erbarmen „hergestellt“. Ein Christ darf nicht darum bei Gott unterschlüpfen, weil er gut wäre und Schutz verdiente, sondern weil er schlecht ist, und Gott sich dennoch erbarmt! Nur – dass es Maria sei, zu der Christen flüchten, bleibt ein Irrtum. Denn Maria war ein Mensch. Und des Christen Zuflucht ist Gott. Der evangelische Einwand gegen das katholische Bild bleibt somit bestehen: Ich brauche die Gnade der Maria so wenig, wie sie die meine. Und ich habe so wenig Grund, zu ihr zu beten, wie sie zu mir. Denn wir sind Menschen. Der Spender aller Gnade ist aber Gott. Und Jesus Christus ist der einzige Mittler zwischen Gott und Mensch (1. Tim 2,5). Er kann leisten, was Maria nicht vermag, darum ist, wer zu Maria flüchtet, schlecht beraten. Christus wäre die richtige Adresse! Soviel bleibt aber wahr, dass wir unter einen fremden Mantel schlüpfen müssen, um legitime Kinder Gottes zu sein. Und die hier dargestellten Menschen können uns darin zum Vorbild werden, weil sie nicht zu stolz sind, um Zuflucht zu suchen. Man schaue sie nur an! Unter den „Mantelkindern“ sind viele gekrönte Häupter, vornehme und adelige Leute, die vor der Welt etwas gelten! Und doch sind sie nicht zu aufgeblasen, um unter den Mantel der Gnade zu fliehen. Vor der Welt sind sie mächtig, aber vor Gott wissen sie sich bedürftig. Das ist weise! Tun wir‘s ihnen also gleich. Beugen wir unsre Knie. Aber – tun wir es vor Christus.