Hiobs großer Glaube

Hiobs großer Glaube

Hiob und seine Freunde / Eberhard von Wächter (1762–1852), Public domain, via Wikimedia Commons

Fragt man in einer christlichen Gemeinde nach Vorbildern des Glaubens, so werden Abraham, Mose und Jeremia genannt, Petrus, Paulus, Augustinus, Luther oder Bonhoeffer. Doch selten denkt jemand an Hiob. Denn der wird viel zu oft auf seine Leiden reduziert, so als habe er sie nur passiv ertragen – und weiter nichts. Manchmal wird er für seine Geduld gerühmt. Doch hat er sein Leid keineswegs still hingenommen. Und seine Geduld hielt sich durchaus in Grenzen! Wohl steht am Anfang des biblischen Buches, Hiob habe mit seinem Schicksal nicht gehadert. Nach vielen guten Tagen ist er bereit, aus Gottes Hand auch schlechte anzunehmen. Doch wenn man weiterliest, zeigt der Hauptteil des Buches einen ungeduldigen und keineswegs „schicksalsergebenen“ Mann. Vielmehr erweist sich Hiob als ausgesprochen rebellisch. Denn schließlich weiß er nicht, warum er leiden muss. Er ahnt nicht, dass Gott mit dem Teufel eine Wette laufen hat, deren Gegenstand er ist (Hiob 1,1 - 2,10). Der Teufel unterstellt, Hiob sei nur deshalb gläubig und gut, weil Gott ihn immer gut behandelt und mit Glück überhäuft hat. Gott aber meint, so sei das keineswegs, sondern Hiobs Glaube sei unabhängig von seinem Wohlergehen und werde sich darum auch im Unglück als echt erweisen. Wer Recht hat, zeigt sich natürlich erst, wenn Hiob tatsächlich verliert, was ihm lieb und teuer ist – um es auszuprobieren, muss man ihn in Not und Elend stürzen! Doch Hiob weiß nicht, dass er einer Prüfung unterzogen wird. Er kommt nicht drauf, dass darum all seine Kinder an einem einzigen Tag sterben, und auch sein gesamter Besitz geraubt wird. Er ahnt nicht, dass er darum von ekligen Hautkrankheiten geplagt wird. Gott hat mit dem Teufel gewettet, dass Hiobs Glaube solche Prüfungen übersteht: das ist der Grund! Doch Hiob macht nicht lange den Eindruck, als wollte er sich als „großer Dulder“ bewähren. Sondern bald fängt er an, lauthals mit Gott zu streiten – und auch mit einigen Freunden, die gekommen sind, um ihm beizustehen. Während diese Freunde immer wieder beteuern, Gott sei gerecht und verhänge solches Leid bestimmt nicht umsonst (Hiob müsse also schwer gesündigt haben und wolle es bloß nicht zugeben), beteuert Hiob immer wieder seine Unschuld und klagt Gott des Unrechts und der Willkür an. Er ist keiner, der einfach vor sich hin leidet und dabei die Klappe hält! Er ist nicht willens, all diese Plagen hinzunehmen! Und schon gar nicht will er von den Freunden hören, er sei an seinem Elend selbst schuld. Sondern im Gegenteil hält er lange Reden darüber, dass er nicht verdient habe, was Gott ihm antut. Immer wieder fordert Hiob Gott heraus, sich doch endlich seinen Beschwerden zu stellen, ihm endlich Rede und Antwort zu stehen und zuzugeben, dass ihm sein Leid willkürlich zugemutet sei. Ja, in seiner Verzweiflung streift Hiob nur knapp an der Gotteslästerung vorbei! Er trommelt sozusagen mit den Fäusten an Gottes verschlossene Tür. Er schreit Zeter und Mordio! Und dieser rebellische Hiob, der beständig Vorwürfe gegen Gott erhebt, der nicht dulden und sich auch nicht fügen will – eben der ist mir ein großes Vorbild im Glauben, weil er gegen allen Augenschein und sozusagen „gegen besseres Wissen“ nicht glaubt, dass Gott so sei, wie er zu sein scheint. Hiob glaubt einfach nicht, dass Gott im tiefsten Herzen so ungerecht sei, wie es nach Hiobs grausamem Schicksal den Anschein hat. Hiob glaubt nicht, dass Gott so unfair und so vernagelt sei, wie er ihm begegnet. Hiob besteht darauf, dass Gott in Wahrheit anders ist! Er sagt das Gott auch ins Gesicht! Und er pfeift dabei auf die Erfahrung der Freunde, die ihm raten wollen, er pfeift auf alle Mäßigung dem Himmel gegenüber – und hört nicht auf, nach dem Gott zu schreien, der sich ihm nicht zeigen will. Ja, dieser Mann legt sich ganz offen mit Gott an. Er weiß zwar genau, dass er ein Zwerg ist, der einem Riesen gegen das Schienbein tritt. Er tut’s aber immer wieder und fordert, Gott solle endlich zugeben, dass er im Unrecht sei! Eine größere Provokation ist kaum denkbar. Und man fragt mit Sorge, wie lange Gott sich Hiobs Frechheiten wohl anhören wird! Aber der hat nichts mehr zu verlieren, außer vielleicht seinem Verstand. Und an einem bestimmten Punkt, scheint Hiob dann auch wirklich ins Irrationale abzugleiten. Denn im 19. Kapitel machen seine Gedanken einen seltsamen Sprung. Hiob wendet sich an seine Freunde und lamentiert in der bekannten Weise: Merkt doch endlich, dass Gott mir Unrecht tut! Er hat meinen Weg vermauert. Er hat mich zerbrochen. Er hat meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum. Gottes Zorn ist über mich entbrannt. Er achtet mich seinen Feinden gleich. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch. Und allein das nackte Leben brachte ich davon. Doch mitten aus dieser Klage heraus erhebt sich Hiob in verwegener Zuversicht und sagt plötzlich: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben. Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder“ (Hiob 19,25-27).

Es ist zu diesem Zeitpunkt rein gar nichts zu erkennen, was Hiob zu solcher Zuversicht berechtigen könnte. Der Mann sitzt in der Asche und schabt seine eiternden Wunden. Er ist dem Tode nah. Und doch durchbricht etwas Mächtiges sein Klagelied – und unvermittelt erhebt sich aus größter Depression heraus dies scheinbar grundlose, aber frohe Bekenntnis trotzigen Glaubens: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben.“ Man fragt sich, woher Hiob das in dieser Situation nimmt. Und man fragt sich, wie er’s meint. Doch offenbar rechnet er damit, dass ihm in seinem großen Streit mit Gott bald ein Helfer zur Seite tritt. Das hebräische Wort, das hier mit „Erlöser“ wiedergegeben wird, kann auch einen Fürsprecher bezeichnen, einen Rechtsanwalt, einen, der für den Angeklagten eintritt, einen Retter und Befreier, der Schutz gewährt. So ein „Erlöser“, meint Hiob, werde sich als letzter über dem Staub erheben, wenn nach der Schlacht der Pulverdampf verflogen ist – ja, er werde ihm noch im völligen Vergehen seines Leibes Recht schaffen, so dass seine Augen Gott sehen. Die Ausleger sind sich nicht einig, ob Hiob an ein Geschehen noch vor seinem Tod denkt – oder an eines nach seiner Auferstehung. Hiob selbst scheint das aber auch wenig zu kümmern, wenn das Ergebnis nur ist, dass er mit eigenen Augen Gott schaut, und Gott sich ihm nicht weiter entzieht. Gott ist ihm momentan noch tief verborgen, wie einer, der das wilde Klopfen an seiner Haustür ignoriert und – den Kontakt beharrlich verweigernd – nicht aufmacht. Aber Hiob weiß, dass Gott zuhause ist! Er weiß, dass sein Erlöser lebt! Und wenn der sich nur als Letzter über dem Staub erhebt und sich sehen lässt, ist dem Hiob egal, was von seinem geschundenen Leib noch übrig sein mag, denn so oder so wird er Gott sehen, und Gottes Schweigen wird enden. Das ist wahrlich eine verwegene Zuversicht, die Hiob bekundet, indem er halb tot und fast schon besiegt seinen Triumph ankündigt und erwartet, rehabilitiert zu werden. Man weiß nicht, woher er das nimmt! Das Erstaunlichste ist aber, dass er als seinen „Erlöser und Verteidiger“ keinen anderen erwartet als den Gott, der ihn so grundlos angegriffen hat. Denn wer sollte der „Erlöser“ schon sein, wenn nicht Gott selbst? Und gegen wen sollte dieser „Erlöser“ Hiob verteidigen, wenn nicht gegen Gott? Der an Leib und Seele ruinierte Mann appelliert tatsächlich an Gott, auf dass Gott ihn gegen Gott verteidigen möge. Denn er glaubt Gott ganz „anders“ als er ihn momentan erlebt. Hiob glaubt gegen alle Vernunft und Erfahrung an Gottes Güte und Gerechtigkeit. Er weigert sich, gelten zu lassen, was allen anderen offenkundig erscheint, und besteht trotzig darauf, dass Gott sich am Ende als der erweisen wird, der er in Wahrheit ist. Die Willkür und Grausamkeit, die Gott momentan an den Tag legt, wird sich als Maske erweisen. Gott wird diese Maske zuletzt fallen lassen. Und Hiob wird darin Recht behalten, dass er sich von Gottes feindseliger Verstellung nicht täuschen ließ. Denn er kennt Gott tatsächlich besser, als seine Freunde ihn kennen. Und während Hiobs Frau ihm sogar rät, Gott zu verfluchen, sich von ihm abzuwenden und zu sterben, lässt Hiob nicht locker – auch wenn ihm die Haut in Fetzen herunterhängt. Er vertraut auf Gott, auch wenn der ihm keinen Grund dazu gibt, und will mit seinem Gottvertrauen sogar gegen Gott noch Recht behalten. Eben das aber nenne ich wirklich „großen Glauben“. Denn der interessiert sich nicht dafür, ob sich sein Vertrauen in absehbarer Zeit „lohnen“ wird – oder ob es ausreichende „Gründe“ anführen kann. Dieser Glaube ist unabhängig von der Stimmungslage, unabhängig vom Augenschein und von Erwägungen der Wahrscheinlichkeit. Es ist unbedingter Glaube. Und darum meine ich, dass der Teufel seine Wette genau in dem Moment verloren hatte als Hiob diese Worte sprach: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben.“ Denn das ist ein Glaube, der sich nicht mal von Gott selbst irritieren lässt. Und genau solchen Glauben will Gott bei uns finden. Denn wenn die Sonne scheint und es allen gut geht, ist es ja keine Kunst, auf Gottes Güte zu vertrauen. Wenn wir bekommen, was wir meinen zu verdienen, fällt es leicht, an Gottes Gerechtigkeit zu glauben! Doch wenn Gott sich feindlich stellt und uns zu ignorieren scheint, zeigt sich, ob unser Glaube die Kraft hat, sich vor Gott zu Gott zu flüchten und genug Biss hat, sich nicht abschütteln zu lassen. Als Vorbild solchen Glaubens sollte uns Hiob gelten – und nicht als „stiller Dulder“! Denn was ist so toll daran, wenn einer hinnimmt, was er sowieso nicht ändern kann? Und was wäre an Hiob so bemerkenswert, wenn er bloß passiv schluckte, was ein rätselhafter Gott über ihn verhängt? Wäre das lobenswert gewesen, wenn Hiob sich unterwürfig und mürrisch seinem Leiden überlassen hätte? Wäre es gut gewesen, sich eine Schuld einzureden, die vermeintliche „Strafen“ erklärt, nur damit die theologische Rechnung aufgeht? War es nicht viel ehrlicher, dass Hiob es „seltsam“ nannte, als Gott sich seltsam verhielt? Ich meine, ein Überspielen der inneren Widersprüche hätte Gott viel weniger gefallen als Hiobs beharrliche Empörung. Und das Ende des biblischen Buches beweist das. Denn zuletzt bekommt Hiob Recht. Gott hüllt sich nicht endlos in Schweigen, sondern erscheint auf der Bühne des Geschehens. Der Riese, gegen dessen Schienbein Hiob unablässig getreten hat, lässt sich herausfordern. Er wäscht dem Hiob gründlich den Kopf und weist ihn in die Schranken. Gott gibt aber doch zu verstehen, dass ihm Hiobs aufmüpfiges Verhalten besser gefiel als das seiner allzu klugen Freunde, die durch eine theologische Unterstellung (das Ergehen eines Menschen müsse aus entsprechendem Tun resultieren) mehr „erklären“ wollten, als sie tatsächlich wissen konnten. Die Freunde werden als schlechte Ratgeber arg gescholten, während Gott den Hiob heilt, rehabilitiert und vielfach entschädigt. Natürlich wird er vorher zusammengestaucht, weil er in seiner Empörung den Mund ja wirklich zu voll nahm (Kap. 38,1 - 42,6). Doch zuletzt belohnt ihn Gott für die verwegene Zuversicht, mit der er Gott gegen Gott zu Hilfe rief (Kap. 42,7ff). Er belohnt Hiob dafür, dass er sich mit dem Unverständlichen nicht abfinden wollte. Und er belohnt ihn auch dafür, dass er Gott anders glaubte, als Gott sich ihm zeigte. Denn eben dadurch hat Gott seine Wette gewonnen. Dieser Hiob, der auch im größten Leid nicht aufhörte an Gottes Tür zu trommeln und sich von keiner Seite Hilfe erhoffte als von Gott allein – dieser Hiob, der keinen heißeren Wunsch hatte als von Gott gesehen zu werden und den Kontakt wiederherzustellen: dieser Hiob war Gott gerade recht. Er war sehr zornig, aber dabei auch anhänglich! Und seine wüsten Klagen haben Gott längst nicht so gestört, als wenn sich Hiob resignierend von Gott abgewandt hätte. Vielmehr – da Hiob so fest glaubte, dass sein Erlöser lebt, sollte er auch erfahren, dass er lebt! Denn Gott gefällt es, bei seiner Güte behaftet zu werden, auch wenn er sie gerade verbirgt – und bei seiner Treue behaftet zu werden, auch wenn er sich gerade feindlich stellt. Welche Nutzanwendung davon zu machen ist, liegt aber auf der Hand. Denn Hiob ist ein Vorbild im Glauben, das uns ermutigt, Gott in den Ohren zu liegen und in verwegener Zuversicht seine Antwort zu erwarten – auch wenn er lange schweigt. Ein Leben lang mit Gott zu streiten ist auch eine Art, mit ihm in Kontakt zu bleiben. Und es ist tausendmal besser, als sich gleichgültig von Gott abzuwenden! So lehrt uns Hiob nicht Passivität oder Resignation, sondern eine Art heiliger Penetranz, die selbst dann noch mit Gott im Gespräch bleibt, wenn dieses Gespräch aus einseitigem Klagen, Heulen und Schreien besteht. Auch das zeugt noch von Leidenschaft, wenn wir uns in unsrer Not an keine andere Adresse wenden und von niemandem Hilfe erwarten als vom Schöpfer allein. Gebe darum Gott, dass wir uns von Hiobs Haltung eine Scheibe abschneiden – und zu gegebener Zeit selbst erleben, was Hiob so herrlich erfahren durfte. Denn auch wir gehen irgendwann auf eine äußerste Bedrängnis zu, in der uns alles genommen wird. Und auch wir dürfen dann wissen, dass unser Erlöser lebt und als der letzte sich über dem Staube erheben wird.