Kindertaufe und Erwachsenentaufe
Die Taufe des Kämmerers aus Äthiopien (Apg 8,26)

Kindertaufe und Erwachsenentaufe

Über die Taufe wurde schon viel gestritten. Darum sei gleich zu Beginn festgehalten, worüber Einigkeit besteht. Einig sind sich die verschiedenen Richtungen evangelischer Theologie nämlich darüber, dass die heilvoll Wirkung der Taufe nicht schon durch den korrekten Vollzug gewährleistet wird. Die Taufhandlung allein kann den Getauften nicht retten und ihn nicht in die heilvolle Gemeinschaft mit Christus überführen, wenn der Heilige Geist nicht innerlich im Menschen den Glauben wirkt, der die Taufgnade annimmt. Denn so ist es mit dem Evangelium ja generell: Alles äußere Predigen ist vergeblich, wenn‘s nur in die Ohren dringt und nicht ins Herz. Sobald aber Gottes Geist im Menschen den Glauben weckt, der das angebotene Heil ergreift, verbindet das den Menschen mit Jesus Christus. Und allein diese Verbindung mit Christus rettet. Seine Gnade muss angeeignet werden. Diese Aneignung kann das Taufwasser allein nicht bewirken. Und somit ist klar, dass die Taufe ohne Glauben nichts nützt. Doch was daraus folgt – das ist strittig, weil mindestens drei Denkmodelle miteinander konkurrieren:

 

Taufverständnis A

( Erwachsenentaufe unter Ablehnung der Kindertaufe )

 

Gemeinden, die dieses Taufverständnis vertreten, orientieren sich an der Missionstaufe, die im Neuen Testament der „Normalfall“ ist. Bestes Beispiel: Der Kämmerer aus Äthiopien kommt als Erwachsener mit dem Evangelium in Kontakt und lässt es sich von Philippus erklären. Weil er aber glaubt, was er hört, und in der Nähe Wasser sieht, begehrt und empfängt er die Taufe, die ihn der christlichen Heilsgemeinde einverleibt (Apg 8,34-39). Die Reihenfolge ist also:

 

Dieses Schema der Missionstaufe entsprach der Situation Jesu und der ersten Apostel, ließ sich aber nicht einfach auf die folgenden Generationen übertragen. Denn sobald in christlichen Familien Kinder geboren wurden, ergab sich eine neue Lage. Die Kinder christlicher Eltern sind nämlich weder Heiden noch Juden. Sie sind weder urteilsfähig noch mündig, noch hängen sie fremden Religionen an, von denen sie erst zum Christentum bekehrt werden müssten, sondern sie wachsen durch christliche Erziehung in den Glauben hinein und leben selbstverständlich in der christlichen Gemeinschaft, der sie aber – wenn ihnen die Taufe fehlt – nicht wirklich angehören. Macht man einen mehr oder weniger „erwachsenen“, reflektierten und artikulierten Glauben zur Voraussetzung der Taufe, um dem neutestamentlichen Vorbild möglichst genau zu folgen, bleiben die Kinder außen vor. Sie dürfen dann bis zum Nachweis entsprechender Reife dem Leib Christi nicht hinzugefügt werden und sind folglich „bis auf weiteres“ als Nicht-Christen anzusehen. Konsequenz: Sollten sie sterben, bevor sie die Reife haben glauben zu „können“, ist anzunehmen, dass sie verloren gehen. Denn nur der Glaube rettet – der ihnen ja ausdrücklich abgesprochen wird. Und nach Joh 3,5 ist auch die Taufe zum Heil notwendig: „Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ Entsprechend großes Gewicht hat die Taufe auch in Mk 16,16: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ Verweist man demgegenüber auf den Schächer am Kreuz, um zu beweisen, dass Rettung notfalls ohne Taufe möglich sei (Lk 23,43), geht es doch auch beim Schächer nicht ohne den Glauben, den man den Kindern ja nicht zutraut  – und das Dilemma bleibt dasselbe: Mit Sünde geboren sind die Kinder der Erlösung bedürftig, doch ohne Glauben geboren sind sie der Erlösung nicht fähig – und von der Taufe hält man sie bewusst fern. Kann das im Sinne Jesu sein? Viele gute Gründe sind gegen diese Praxis geltend zu machen:

 

Taufverständnis A besteht darauf, Kinder am Maßstab des erwachsenen Glaubens zu messen und sie – weil sie dem nicht genügen – von der Taufe auszuschließen. Doch als Christus befahl, alle Völker zu Jüngern zu machen und sie zu taufen, hat er davon niemanden ausgenommen (Mt 28,16-20). Mit welchem Recht nehmen die Vertreter dieses Modells also die Kinder aus? Was berechtigt sie Christi Befehl einzuschränken, so als ob er gerade für die Kinder christlicher Eltern nicht gälte? Darf man Kindern die Taufgnade allein deshalb vorenthalten, weil sie mental noch unentwickelt sind? Und wenn geistige Defizite tatsächlich den Weg zu Gott verstellen könnten – wie wäre dann zu erklären, dass Jesus gerade den Kindern das Himmelreich zuspricht und den Erwachsenen empfiehlt „zu werden wie die Kinder“? (Mt 18,1-5, Mt 19,13-15). Jesus nimmt offenbar nicht an, dass Kinder aufgrund ihres Entwicklungsstandes dem Reich Gottes besonders fern wären, sondern im Gegenteil, dass sie ihm besonders nahe sind! Und diese Hochachtung Jesu sollte uns davor bewahren, den Kindern den Glauben abzusprechen. Denn es könnte sein, dass das Glauben mit zunehmen-dem Alter nicht bloß leichter wird, weil man die biblische Botschaft besser versteht, sondern dass er zugleich schwerer wird, weil sich die Seele des Erwachsenen durch Anspruchsdenken, Bitterkeit und Stolz verhärtet. Man bedenke doch, was Jesus sagte, als sich die Priester im Tempel über schreiende Kinder entrüsteten: „Habt ihr nie gelesen: Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet?“ (Mt 21,16).

 

Modell A versteht die Taufe als Tat des Menschen, der durch den Bekenntnisakt, sich taufen zu lassen, auf Gottes Ruf antwortet. Und unter dieser Voraussetzung stellt sich sofort die Frage, ab wann ein Heranwachsender das „kann“. Doch – egal, wie man darauf antwortet – steckt schon in der Frage ein Irrtum. Denn ganz gleich, von welchem Alter wir reden, ist Glaube nie etwas, was der Mensch von sich aus „kann“. Es ist stets das, was Gott im Menschen „kann“. Glaube ist nicht unser Werk, sondern Gottes Werk an uns. Und streng genommen ist es sogar Gottes eigener Geist, der in uns an Gott glaubt! Wenn das aber stimmt – macht es dann noch Sinn zu fragen, „ab wann“ Gottes Geist dergleichen kann? Sollte die Unreife des kindlichen Geistes für Gott ein Hindernis sein, das seine Möglichkeiten limitiert?

 

Glaube und Taufe sind gnadenhafte Geschenke Gottes. Aber lässt die Erwachsenentaufe das auch erkennen? Erweckt sie nicht eher den Eindruck, der Glaube sei eine menschliche Vorleistung, die man nachweisen müsse, um der Taufe würdig zu sein? Der Herangewachsene „kann“ etwas, was das Kind noch nicht „konnte“, und empfängt dafür den Ritterschlag der Taufe, als hätte er ihn nun verdient. Natürlich weisen die Anhänger der Erwachsenentaufe das zurück! Sie wollen so nicht verstanden werden. Aber wenn man erklärt, es sollten nur solche getauft werden, „die ihr Vertrauen auf Christus auf glaubhafte Weise bekunden“ und „unter Beweis stellen, dass sie einen Anfang im Christenleben gemacht haben“ (Wayne Grudem, Biblische Dogmatik, S. 1075 und 1076) – wie will man dann noch verhindern, dass der Glaube einen Beigeschmack von „Werk“, und die Taufe einen Beigeschmack von „Lohn“ bekommt? Bei einer Säuglingstaufe sind solche Missverständnisse ausgeschlossen, denn der Säugling kann weder gute Taten noch fromme Gedanken vorweisen. Er empfängt die Taufe offenkundig unverdient, allein aus Gnade!

 

Ein historisches Argument kommt hinzu: Wenn die Kindertaufe dem Evangelium Jesu wirklich nicht gemäß wäre – hätte es dann nicht schon in der Frühzeit der Kirche Streit darum geben müssen? Wäre nicht zu erwarten, dass in den ersten Generationen wenigstens eine kontroverse Diskussion entsteht? Die Apostel und ihre Schüler, die an Jesu Verkündigung „nah dran“ waren, lebten noch, als ganze „Häuser“ im Familienverbund zur Taufe kamen. Wenn dabei aber die Kindertaufe praktiziert wurde, ohne dass irgendwer Anstoß nahm – spricht das nicht dafür, dass diese Praxis der frühen Gemeinde angemessen und natürlich erschien? Wäre die Kindertaufe ein solcher Skandal, wie manche behaupten, wie konnte sie dann 1500 Jahre lang in ökumenischer Einhelligkeit von allen christlichen Konfessionen praktiziert werden? Taufverständnis A schert aus diesem Konsens aus. Denn wenn getaufte Christen erneut getauft werden, setzt das voraus, ihre Taufe als Kind sei null und nichtig gewesen. Und das ist eine schwere Belastung für das Verhältnis zu den damals taufenden Konfessionen. Erkennt man ihre Taufe nicht an, zieht man in Zweifel, ob sie überhaupt Kirche sind. Und noch schlimmer: Wird den als Kind Getauften eingeredet, das, was im Namen des dreieinigen Gottes an ihnen getan wurde, sei gar nicht wirklich Taufe, sondern eine Farce gewesen, so dass sie als Erwachsene noch einmal „richtig“ getauft werden müssten, verwirrt man die Gewissen in unerträglicher Weise. Wie kann man so entwerten, was doch Gott selbst in der Taufe tat? 

 

Es bedarf wohl keiner weiteren Ausführungen. Taufverständnis A kann nicht überzeugen. Denn es ist der Christenheit nicht freigestellt, ob sie taufen will. Es ist ihr von Christus geboten. Und es ist kein Wort überliefert, durch das Christus dieses Gebot auf Erwachsene beschränkt und die Kinder davon ausgenommen hätte. Wer seine Kinder liebt, sollte darum nicht lange warten, bevor er sie Gott ans Herz legt und die Taufe für sie erbittet, durch die Gott mächtig, verbindlich und unwiderruflich an den Kindern handelt. Doch wie ist das im Einzelnen vorzustellen?

 

Taufverständnis B

( Kindertaufe ohne Annahme eines kindlichen Glaubens )

 

Dieses Taufverständnis orientiert sich am Beschneidungsgebot des Alten Testaments und an den Haustaufen des Neuen Testaments. Denn wenn es im alten Bund richtig war, durch die Beschneidung unmündige Kinder in das Gottesvolk Israel einzubinden, ohne dabei auf mangelnden Glauben Rücksicht zu nehmen – warum soll es dann falsch sein, ebenso unmündige Kinder durch die Taufe in das neue Gottesvolk der Christenheit aufzunehmen? Faktisch übernimmt die Taufe in der Christenheit die Funktion des Bundeszeichens. Sie wird in Kol 2,11-13 auch ausdrücklich mit der Beschneidung in Verbindung gebracht. Und zugleich zeigen die „Haustaufen“ des Neuen Testaments, dass die Kindertaufe von christlichen Familien schon sehr früh praktiziert wurde ohne Anstoß zu erregen. Lydia wurde „mit ihrem Hause“ getauft (Apg 16,14-15), der Aufseher des Gefängnisses wurde „mit seinem Hause“ und „mit all den Seinen“ getauft (Apg 16,29-34), desgleichen auch Stephanas (1. Kor 1,11-17) und Krispus (Apg 18,8). Die familiäre Weitergabe des Glaubens tritt ergänzend neben die Mission, gerade weil die Mission erfolgreich ist. Und wer wollte das nicht begrüßen? Aus der neuen Situation ergibt sich eine veränderte Reihenfolge: 

 

Dass durch die Kindertaufe ein Problem entsteht, ist freilich nicht zu leugnen. Taufe und Glaube, die sachlich zusammengehören, treten nun zeitlich weit auseinander. Denn nimmt man an, dass Kinder aufgrund ihrer Unreife wirklich nicht glauben können, muss die Taufe viele Jahre warten, bis sie durch den Glauben des Getauften „komplettiert“ und „vervollständigt“ wird. Wohl bleibt die Taufe in der Zwischenzeit, was sie ist – Gott hat ja selbst in ihr gehandelt! Die Taufe wird mit den Jahren nicht weniger gültig! Aber solange der Zusage Gottes die menschliche Antwort fehlt, ist auch die innere Wiedergeburt nur als Verheißung da, und vieles bleibt in der Schwebe. Was ist das aber für eine Taufe, die nicht wirkt, was sie zeigt, sondern erst nach Jahren (hoffentlich) zum Ziel kommt? Sie erscheint wie ein Scheck, der (von Gottes Seite her) ganz sicher gedeckt ist, der aber lange darauf warten muss, bis er (vom Menschen) eingelöst wird. Und wenn die, die das Kind taufen, davon ausgehen, dass es – jedenfalls vorläufig – nicht glaubt, entsteht eine seltsam ungewisse Lage. Denn so erscheint die Taufe nicht als das große, alles entscheidende Heilsereignis, das sie im Neuen Testament ist, sondern eher als eine Option, bei der offen bleibt, ob und wann das Kind von ihr Gebrauch macht. Die Säuglingstaufe allein – ohne den Glauben – kann die Zugehörigkeit zur Heilsgemeinde nicht gewährleisten. Und im schlechtesten Falle wirkt sie sogar kontraproduktiv, wenn die Familie nämlich annimmt, mit der Taufe ihres Kindes sei alles Nötige schon geschehen und einer Erziehung zum Glauben bedürfe es darum nicht mehr. Die Vorstellung einer Latenzzeit, in der der „Scheck“ der Taufe gültig bleibt, aber mangels reifem Glaube nicht „eingelöst“ wird, ist trotzdem möglich. Man kann dieses Taufverständnis vertreten. Und dem Modell A ist es in jedem Falle vorzuziehen. Doch muss man zugeben, dass ein Heilsstand, der „unfertig“ bleibt, solange das Kind und sein Glaube „unfertig“ sind, nicht sehr gut zum neutestamentlichen Bild der Taufe passt, das die geistliche Wiedergeburt und die volle Teilhabe an Christus einschließt (vgl. Röm. 6,3-14; Gal. 3,25-29; Kol 2,8-13). Schon Martin Luther legte seinen Finger in diese Wunde (Walch, 2. Ausg. Bd. 11, Sp. 489-491) und setzte dem die Überzeugung entgegen, dass die Taufe den erforderlichen Glauben durchaus selbst verleihen und in den Kindern wecken kann. Dieser Gedanke fehlt in A und B. Ergänzt man ihn, so ergibt sich ein drittes Taufverständnis, das gegenwärtig kaum vertreten wird, an dem Luther aber zeitlebens festgehalten hat. 

 

Taufverständnis C 

(Kindertaufe unter Annahme des Kinderglaubens) 

 

Dieses Taufverständnis orientiert sich an neutestamentlichen Aussagen, nach denen die Taufe den Hl. Geist verleiht und mit dem Geist zugleich den Glauben. Jesu eigene Taufe war unmittelbar damit verbunden, dass der Hl. Geist auf ihn herabkam. Und auch Petrus verknüpft die Taufe mit der Verheißung des Geistes indem er sagt: „Tut Buße und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird“ (Apg 2,38-39). Natürlich sind an Säuglingen keine Äußerungen des Glaubens wahrzunehmen. Darum ist anzunehmen, dass sie einen kindlich-unartikulierten, keimhaften (aber darum nicht weniger echten) Glauben empfangen: 

Auch hier entsteht ein Problem, das nicht unterschlagen werden darf. Denn der Begriff des Glaubens kann nicht im selben Sinne auf Kinder und Erwachsene angewandt werden, so dass man scheinbar dasselbe Wort für verschiedene Dinge gebraucht. Den Glauben eines Erwachsenen kann man beschreiben, weil er bewusst ist und sich äußert. Doch worin soll der Glaube eines Säuglings bestehen, der weder von Gott noch von der Welt einen Begriff hat? Natürlich kann man auch beim Erwachsenen nicht den Heiligen Geist oder den Glauben selbst beobachten – wir nehmen den Glauben ja nicht anders wahr als in seinen Äußerungen. Wenn er sich bei Säuglingen aber noch nicht äußert, ist er dann mehr als eine wohlmeinende Unterstellung? Und – können Taufkinder in der Taufe den Hl. Geist empfangen – wo kommen dann all die ungläubigen Erwachsenen her? Muss man annehmen, dass die gute Saat des Kinderglaubens durch das Heranwachsen in einer von Gott entfremdeten Welt erstickt wird? Sehen wir diese gute Saat nicht aufgehen, weil so viel auf den Weg fällt, auf den felsigen Boden und unter die Dornen (Mt 13,1-23)? Das Neue Testament belegt immerhin, dass Geistbegabung schon im Mutterleib möglich ist: Als der ungeborene Johannes dem ungeborenen Christus begegnet, hüpft er vor Freude! (Lk 1,39-45). Aber genügt das, um eine Lehre darauf zu gründen? Es hängt viel davon ab, ob wir mit einem Glauben der unmündigen Kinder rechnen dürfen, oder ihn für ein bloßes Postulat halten müssen. Sollte ein Kind wirklich glauben können, obwohl es keine Predigt versteht und keine Begriffe hat, um (Gott von der Welt und von sich selbst unterscheidend) seinem Fürchten, Lieben und Vertrauen eine Richtung zu geben? 

  

Zur Unterscheidung des Glaubens

von seinen Äußerungen 

 

Um in dieser Sache weiter zu kommen, ist ein Umweg nötig, der von der Taufe weg führt und die Aufmerksamkeit von den so „defizitären“ Anfängen des Lebens auf sein ebenso „defizitäres“ Ende verlagert. Denn die Frage, ob Glaube möglich ist, stellt sich auch im Blick auf sehr alte und demente Menschen, auf Koma-Patienten, auf geistig schwer behinderte, senile, psychisch kranke und sterbende Menschen. Auch sie leiden unter mentalen Einschränkungen, so dass sie nicht (oder nicht mehr) in der Lage sind, ein Vaterunser zu beten, ein Glaubensbekenntnis zu sprechen oder ein Bibelwort zu verstehen. Das, was wir „erwachsenen“ und „mündigen“ Glauben nennen, ist ihnen nicht vollziehbar. Und die entscheidende Frage lautet, ob sie deshalb aufhören Gläubige und Christen zu sein. Wagt das jemand zu behaupten und damit das Heil des Menschen an seinen funktionierenden Verstand zu knüpfen? Wenn wir das aber nicht tun – müssen wir dann nicht den Glaubensstand eines Menschen von den „normalen“ Äußerungen dieses Glaubensstandes dergestalt unterscheiden, dass der Glaubensstand mit der Einwohnung des Heiligen Geistes gegeben ist, während seine Äußerungen mit den mentalen Zuständen der Person variieren?  

Wir müssen dazu an der Beschreibung des „normalen“ Glaubensstandes keine Abstriche machen! Er zeigt sich darin, dass ein Mensch (sich selbst von der Welt und die Welt von Gott unterscheidend) seine Ehrfurcht, seine Liebe und sein Vertrauen von sich und der Welt weg zu Gott hin wendet. Denn so manifestiert sich die Gegenwart des Hl. Geistes, wenn er in einem normal entwickelten, geistig gesunden Erwachsenen wirkt. Und bei einem solchen ist auch der Umkehrschluss erlaubt. Denn zeigt sich beim geistig gesunden Erwachsenen rein gar nichts von jener Ausrichtung der Ehrfurcht, der Liebe und des Vertrauens auf Gott, so glaubt er auch nicht. Das ist in aller Klarheit festzuhalten! 

Doch hindert es uns keineswegs, den Glaubensstand von seinen Äußerungen zu unterscheiden. Wie eine Krankheit des Körpers sich in Symptomen äußert, äußert sich die Gesundheit des Körpers in Merkmalen der Gesundheit. Und auch der Unglaube der Seele manifestiert sich erkennbar anders als der Glaube. Aber besteht deshalb eine Krankheit aus ihren Symptomen? Oder ist die Gesundheit die Summe ihrer Merkmale? Nein. Sinnvoller Weise unterscheiden wir das, was sich manifestiert, von dem, worin es sich manifestiert. Denn nicht auf die äußeren Merkmale der Gesundheit kommt es an – dass einer bloß gesund aussieht –, sondern dass er gesund ist. Und dasselbe gilt vom Glauben. Denn das Entscheidende und Rettende am Glauben ist nicht unser mehr oder weniger entwickelter mentaler Zustand, sondern es ist die Einwohnung des Heiligen Geistes. Sie allein verbindet den Menschen mit Christus. Und diese Einwohnung des Hl. Geistes ist nicht in der Weise abhängig von ihren Manifestationen im Bewusstsein, dass sie mit dem Bewusstsein zugleich erlöschen müsste. Nein! Gottes Geist ist nicht identisch mit seinen Wirkungen im menschlichen Geist! Denn anderenfalls müsste man folgern, dass demente Christen mit ihren geistigen Fähigkeiten nach und nach auch ihren Glauben verlören und – in diesem Zustand sterbend – verloren gingen. Die Absurdität dieser Folgerung liegt auf der Hand. Und sie erinnert an etwas, das die Reformatoren längst wussten: Der Glaube ist nicht darum heilsnotwendig, weil er ein so vorbildlicher oder gar verdienstvoller mentaler Zustand wäre, sondern weil er uns mit Christus verbindet und vereint. Der Hl. Geist, der im Christen „Wohnung nimmt“, ist nämlich kein anderer als Christi eigener Geist. Mit ihm ist also auch Christus „da“ – und mit Christus seine Gerechtigkeit, Lebendigkeit und Heiligkeit samt allen Wohltaten, die er den Seinen zueignet. Diese „pneumatische“ Wirklichkeit ist unabhängig von ihren „psychischen“ Manifestationen, weil Glaube kein menschliches Werk und Tun ist, sondern Gottes Tun und Wirken im Menschen. Und das heißt: Gottes Treue sorgt dafür, dass ein gläubiger Mensch auch im Vollrausch, im Tiefschlaf, in der Amnesie und im Koma ein Gläubiger bleibt. Gottes Geist hat mit unseren geistigen Einschränkungen nicht mehr Probleme als mit unseren geistigen Höhenflügen. Denn das, worauf es ankommt, tut ohnehin nicht der menschliche Geist, sondern Gottes Geist, der stellvertretend an und im Menschen vollbringt, was menschlicher Geist nicht vermag. Der Hl. Geist scheitert nicht an unseren mentalen Defiziten, sondern wenn wir verstummen, vertritt er uns mit unaussprechlichen Seufzern (Röm 8,26). Ist der Mensch aber gesund und munter – wie könnte das Wirken des Geistes da verborgen bleiben? An der Beschreibung des Normalzustandes sind – wie gesagt – keine Abstriche zu machen! Bei geistig wachen und reifen Menschen ist Glaube durchaus nicht schwer, sondern leicht zu erkennen, weil der Hl. Geist niemals untätig bleibt, sondern dort, wo ein normales Seelenleben besteht, dieses Seelenleben unweigerlich prägt. Ist der Mensch also handlungsfähig, so wird der Geist seine Handlungen mitbestimmen, und ist er denk- und empfindungsfähig, wird Gottes Geist sich auch in seinen Gedanken und Gefühlen niederschlagen. Bleibt das bei jemandem ganz aus, hilft es nichts, ihm einen „unbewussten“ Glauben zu unterstellen. Denn Christus lehrt uns, den Baum an seinen Früchten zu erkennen. Sprechen wir aber von kindlich-unfertigen Menschen, von mental Eingeschränkten, von seelisch Verstummten oder sonstwie zur Äußerung Unfähigen – wer wagte zu sagen, dass der Hl. Geist in denen nicht wohnen könne? Bei jenen, die des Denkens, Wollens, Redens und Handelns fähig sind, werden Manifestationen des Glaubens nicht ausbleiben. Wer also zum Abendmahl gehen könnte und tut es nicht, wer Gottes Wort lesen könnte und tut es nicht, wer Gelegenheit zu guten Werken hat und tut sie nicht, wer Reden kann und bekennt sich nicht, wer Beten könnte und schweigt, wer zur Gemeinschaft eingeladen wird und hält sich fern – der zeigt alle Symptome der Krankheit, und seine Beteuerungen, er sei gesund, sind nichts wert. Denn wo gute Äußerungen des Glaubens möglich sind, sind sie auch nötig und dürfen nicht fehlen. Wo sie sein können, sind sie geboten und werden von Gott auch erwartet. Unterliegt der Mensch aber Einschränkungen, die seine Glaubensäußerungen hemmen, folgt daraus nicht, er sei ohne Glauben. Stellen wir uns einen gläubigen Menschen vor, der dement wird, so dass er keinen Bibelvers, kein Gebet und keinen frommen Gedanken mehr zusammenbekommt. Werden wir annehmen, dass er mit seiner Verstandeskraft auch den Glauben verloren hätte? Werden wir nicht unterstellen, dass Gott treu ist und seinen Heiligen Geist ebenso wohnen lässt in hellwachen wie in schlafenden Menschen?  Der wache Glaube wird ganz sicher von Gedanken begleitet, von Willensregungen, Gefühlen, Worten und Taten. Aber ebenso sicher ist das, was den Glauben da begleitet, nur Begleitung. Es ist nicht der Glaube selbst. Denn der ist in keiner Weise ein Werk des Menschen – weder seines Verstandes noch seines Gefühls –, sondern ist allein ein Werk Gottes im Menschen. Dieses Werk findet in aller Regel einen sichtbaren Niederschlag. Und wenn um mich herum nie einer merkt, dass ich Christ bin, ist das ein alarmierendes Zeichen! Wo aber kein wacher Verstand ist, erwartet Gott auch keine tiefsinnigen Gedanken (davon hat er selbst genug), sondern dort erwartet er Manifestationen des Glaubens nur in Entsprechung zu den Möglichkeiten, die er dem Menschen gegeben hat. 

 

Zur Anwendung dieser Unterscheidung

in der Lehre von der Taufe 

 

Glaube ist zu unterscheiden von den Wirkungen, an denen man ihn erkennt. Wenn diese Einsicht aber nicht auf dem Feld der Tauflehre gewonnen wurde – kann sie nicht trotzdem in der Tauflehre Anwendung finden? Unterscheiden wir den Glauben von seinen „erwachsenen“ Wirkungen, so müssen wir vom Fehlen dieser Wirkungen beim Säugling auch nicht auf das Fehlen des Glaubens schließen, sondern können es (mit Luther und Taufverständnis C) wahrscheinlich finden, dass der Heilige Geist durch das Sakrament bei Vollzug desselben auch den Glauben wirkt, der nötig ist, um das dargebotene Heil zu ergreifen und anzueignen. Die „normale“ Beschreibung des Glaubens müssen wir deswegen nicht verwässern. Wir können sie weiterhin an Erwachsenen orientieren, bei denen der Glaube aus der Predigt kommt, nämlich aus der verstehenden Kenntnisnahme des Evangeliums. Ihr Glaube schließt eine bewusste Willensbewegung ein, die aus Gottes- und Selbsterkenntnis erwächst und in erkennbares Gott-Fürchten, -Lieben und -Vertrauen mündet. Doch bleibt festzuhalten, dass (1.) der Glaube nicht mit seinen Äußerungen identisch ist, dass (2.) Gott von einem Menschen nur den Glauben erwartet, den er selbst in ihm wirkt, und dass er (3.) in jedem nur den Glauben wirkt, der seinem Entwicklungsstand und seinen Voraussetzungen gemäß ist. Wenn aber die mangelnde Bekenntnis-Fähigkeit eines psychisch Kranken den Heiligen Geist nicht am Wirken hindert – warum sollte er dann am unfertigen Verstand eines Kindes scheitern?  Es hängt offenbar nicht von der Begabung, vom Bildungsgrad oder der Wachheit eines Menschen ab, ob er glauben „kann“, sondern allein von Gottes Geist. Wenn das Neue Testament aber Taufe und Geistempfang eng verbindet – warum sollen wir bezweifeln, dass die Taufe in ihrem Vollzug auch augenblicklich wirkt, was sie zeigt? Sicher gibt es in dieser Sache keinen Automatismus oder Zwang – Gott muss unser Taufen nicht zum Anlass nehmen, seinen Hl. Geist zu schenken. Aber wenn er will, kann er das. Und wo die Eltern es (gemeinsam mit der taufenden Gemeinde) zuversichtlich erbitten, erhoffen und erwarten, entspricht das dem großen Zutrauen, das Christus in uns weckt. Gott setzt uns doch keine wohlschmeckende Suppe vor und verweigert uns dann den Löffel, den wir brauchen, um sie zu essen! Gott kann den Taufkindern beides zugleich geben! Und wenn Eltern und Paten bedacht sind, den Keim des Glaubens im Kind nicht zu ersticken, sondern zu fördern, wird sich die Einwohnung des Heiligen Geistes früher oder später in Äußerungen des Glaubens zeigen, die dem mentalen Zustand des Heranwachsenden entsprechen. Beim Kind werden sie kindliche und beim Erwachsenen hoffentlich erwachsene Gestalt annehmen! Weil es aber ein und derselbe Geist ist, der sich in beidem äußert, ist es auch ein und derselbe Glaube, der sich manifestiert, ohne mit dieser oder jener Manifestation identisch zu sein. Wie falsch wäre es da, „erwachsene“ Glaubensäußerungen zur Vorbedingung der Taufe zu machen! Man öffnet doch jemandem nicht die Tür, weil er schon drin ist, sondern damit er hereinkommt. Man spricht jemandem nicht Gottes Gnade zu, weil er sie schon glaubt, sondern damit er sie glaubt. Und dementsprechend gründet sich die Taufe nicht auf einen vorgängig zu prüfenden Glauben, sondern der Glaube seinerseits gründet sich auf die Taufe. Unser Glaube macht nicht die Taufe, sondern er empfängt sie nur. Und den Geist, der zu solchem Empfangen nötig ist, kann die Taufe selbst mitbringen. Denn so wie Gottes Wort selbst die Ohren schafft und die Ohren öffnet, die es hören sollen, so kann die Taufe den Glauben wirken, der die Taufe aneignet. Der Mensch muss diesen Glauben zur Taufe nicht schon mitbringen (so dass die Taufhandlung nur äußerlich „anzeigte“, was innerlich schon gegeben ist), sondern der Mensch darf erbitten und zuversichtlich erwarten, dass die Taufe den Grund seines Glaubens legt und (wenn Gott will) selbst zum Fundament dieses Glaubens wird. Die Taufe wirkt dann, was sie zeigt – sie verheißt es nicht bloß. Und wenn es Gottes Ratschluss entspricht, versetzt sie damit den Getauften unmittelbar in den Gnadenstand. Freilich ist es damit nicht getan. Die Taufe fordert den Glauben täglich neu. Der Anfangskeim soll wachsen und bewusst werden! Aber der Gnadenbund mit Gott beginnt nicht zu gelten, wenn und weil ich mich zum Glauben entschließe, sondern weil er gilt, kann ich es wagen zu glauben. Wir taufen Kinder demnach nicht, weil sie glauben „können“, sondern damit sie’s in der Schule des Heiligen Geistes lernen. Und das beste Vorbild geben wir ihnen, wenn auch wir Erwachsene uns (fröhlich und arglos wie Kinder!) gefallen lassen, was Gott in der Taufe an uns tat… 

Was den Geistempfang der getauften Kinder betrifft, darf man zuversichtlich sein. Denn das Neue Testament bringt die Taufe stets in enge Verbindung mit dem Geistempfang und dem Glauben (vgl. Apg 2,38-39, Mt 3,11, Mt 3,16, Apg 1,5, Apg 9,17-18, Apg 10,47, 1. Kor 12,13). Und wenn dabei auch keine Reihenfolge eingehalten wird, die immer gleich wäre, fordert und verheißt doch das eine stets das andere, so dass ein Fehlen des Geistempfanges nach der Taufe bemerkt, als „irregulär“ empfunden und korrigiert wird (Apg 8,14-17, Apg 19,1-7). Bei Getauften ohne Geistempfang handelt es sich offenbar um Ausnahmen, die eine Regel bestätigen. Und diese Regel lautet, dass, wer durch die Taufe mit Christus vereint ist, vom Geist Christi nicht getrennt sein kann. Denn „der Herr ist der Geist“, und „wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.“ (Röm 8,9, 2. Kor 3,17). Haben die Getauften aber „Christus angezogen“ (Gal 3,27), wie könnte der Hl. Geist da außen vor bleiben? Wir dürfen dem Taufsakrament  als „sichtbarem“ Wort dasselbe zutrauen, was wir auch vom „hörbaren“ Wort erwarten – dass es nämlich selbst den Glauben weckt, den es fordert. Natürlich ist dabei nicht an die komplexen Vollzüge des erwachsenen Glaubens zu denken. Man kann sie nicht „maßstabsgerecht verkleinert“ in den Kopf eines Säuglings verlegen. Aber das hat auch Luther nicht gemeint. So wenig der Säugling eine Miniatur des Erwachsenen ist, sowenig ist der Kinderglaube eine Miniatur des erwachsenen Glaubens. Er ist ihm gewiss so unähnlich wie die Eichel der 300-jährigen Eiche! Aber wenn er so keimhaft klein wäre wie ein Senfkorn – kann er darum kein Glaube sein? Zweifelt trotzdem jemand am Glauben der Säuglinge, weil er an ihnen nicht zu beobachten ist, kann er bei Taufverständnis B bleiben – oder die Frage offen lassen. Wir wissen zu wenig, um die Geistbegabung der Taufkinder zum Glaubensartikel zu erheben. Doch in der Entscheidung gegen Taufverständnis A muss uns das nicht beirren. Denn – wie Luther im Großen Katechismus betont – ergibt sich das Recht der Kindertaufe nicht aus dem Kinderglauben, sondern allein aus der Stiftung Jesu: 

„Das Kind tragen wir herzu der Meinung und Hoffnung, dass es gläube, und bitten, dass ihm Gott den Glauben gebe; aber darauf taufen wir’s nicht, sondern allein darauf, dass Gott befohlen hat.“ 

 

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: 

The Baptism of the Ethiopian Eunuch by the Deacon Philip

Lambert Sustris, Public domain, via Wikimedia Commons