Der Leib

Der Leib

Als Gott den Menschen schuf, formte er ihn aus Erde vom Acker und hauchte ihm den Odem des Lebens ein (1. Mose 2,7). Er schuf den Menschen also, indem er Materielles und Geistiges verknüpfte – er schuf den Menschen als leib-seelische Einheit. Und über die Seele sprechen wir in der Kirche ziemlich oft. Doch welches Verhältnis hat ein Christ eigentlich zu seinem Körper? Ist das der minderwertige Teil der Person, ein „Erdenrest, zu tragen peinlich“? Ist unser Leib vor allem Sitz und Ursprung animalischer Begierden? Oder ist er ein sorgsam zu pflegender „Tempel Gottes“, weil der Heilige Geist in uns wohnt? Zunächst will ich darauf aufmerksam machen, dass unser Körper eine seltsame Doppelrolle spielt. Denn während wir alles Übrige entweder der Außenwelt oder unserer Innenwelt zuordnen, kommt unser Körper in beiden Welten vor und bildet zwischen ihnen die Schnittstelle. Die Außenwelt besteht aus all den Dingen, die um uns herum zu sehen sind: Steine, Pflanzen, Tiere, Menschen – die ganze bunte Schöpfung in ihrer Vielfalt. Die Innenwelt hingegen, das sind meine eigenen Gedanken und Gefühle, Hoffnungen, Befürchtungen, Freuden und Leiden. Und die sind insofern „innen“ und sind „mein“, als sie meinem Geist bewusst werden – und nur ich sie empfinde. Kein anderer nimmt sie wahr, wenn ich sie nicht äußere. Zur Außenwelt haben alle denselben Zugang. Zu meiner Innenwelt habe erstmal nur ich Zugang. Was sich draußen abspielt, ist für jeden zu sehen. Was in meinem Kopf vorgeht, weiß nur ich. Der eigene Körper hat aber insofern eine Sonderstellung, als ich ihn sowohl „da draußen“ als auch „von innen“ erlebe. Meine Hand z.B. kann ich von außen ansehen. Sie ist genauso ein sichtbares Ding in der Welt wie fremde Hände auch. Aber – anders als die Hände anderer Leute – erlebe ich meine zugleich von innen. Und wenn da etwas kribbelt, brennt oder wehtut, muss ich nicht erst hinschauen, um das zu bemerken, und muss auch keinen anderen fragen, sondern fühle es unmittelbar. Denn in meinem Körper stecke ich ja drin und habe eine zuverlässige innere Wahrnehmung, wie es diesem Körper und seinen Teilen gerade geht. Der eigene Leib ist demnach ein Teil der Außenwelt – ich kann ihn von außen betrachten. Und er ist zugleich ein Teil meiner Innenwelt, weil ich drinstecke und ihn fühle. Der Leib ist aber gleichzeitig die Schnittstelle und das Bindeglied zwischen beiden Welten, weil die Außenwelt auf meine Innenwelt nur so Einfluss nehmen kann, dass sie auf meinen Körper wirkt, und umgekehrt meine geistige Innenwelt auf die Außenwelt nur Einfluss nimmt durch Vermittlung meines Körpers. Was im Kopf eines anderen vorgeht, erfahre ich nicht auf telepathischem Wege, sondern nur, wenn sein Mund Schallwellen aussendet, die mein Ohr auffängt. So ist alle Kommunikation durch den Leib und seine Sinnesorgane vermittelt. Und auch alle Handlungen bedürfen solcher „Vermittlung“, weil ich mit Gedankenkraft allein keine Türklinke niederdrücken kann. Wäre ich nur Geist und hätte dazu keinen Leib, könnte die Welt nicht auf mich wirken, und ich genauso wenig auf die Welt. Denn wenn mein Leib den Befehlen meines Geistes nicht gehorchte, und wiederum die Sinnesorgane des Leibes meinem Geist nicht rückmeldeten, was da draußen passiert, hätte meine Geist keine Verbindung zur Welt. So ist der Mensch überhaupt nicht anders „in der Welt“, als durch den konkreten Leib, in dem seine Seele „wohnt“, wie umgekehrt der Leib, von der Seele verlassen, nur ein Haufen Materie wäre. Erst die Verbindung macht das aus, was wir einen „Menschen“ nennen. Und der wird dadurch geschaffen, dass Gott beides einander zuordnet, den materiellen Leib durch eine Seele belebt und diese Seele durch einen Körper in der Welt verankert. Daraus folgt aber auch schon das erste, was wir über unser Verhältnis zum Leib sagen müssen – dass wir ihn nämlich durchaus nicht verachten, sondern hoch schätzen als eine gute Gabe unseres Schöpfers, der uns nicht anders als durch diesen konkreten Leib in der Welt verortet. Natürlich ist nicht jeder mit seinem Körper zufrieden! Doch ist es ein Segen, diesen Körper zu haben. Und Mediziner könnten uns über seine wunderbare Einrichtung und Funktionalität viel Staunenswertes erzählen. Ein gesunder Körper ist ein raffiniertes Wunderwerk voller Möglichkeiten. Und er gehört zu den uns anvertrauten „Pfunden“, mit denen wir in Gottes Auftrag „wuchern“ sollen. In Verbindung mit dem Geist hat unser Leib große Potentiale, die im Sinne des Schöpfers zu nutzen sind. Er ist ein Geschenk, dass wir mit Dank betrachten, verantwortlich gebrauchen und gut pflegen sollen! Muss man also noch betonen, dass am Leib erst mal gar nichts verkehrt oder böse ist? Leider hört man immernoch das Gerücht, der christliche Glaube sei „leibfeindlich“. Doch das stimmt nicht. Die Bibel sieht den Körper – genau wie den menschlichen Geist – als gute Gabe des Schöpfers und nimmt dabei auch die Sexualität nicht aus. Denn die Freude an der Schönheit des Körpers, die Freude an der Bewegung, am sinnlichen Genuss und am anderen Geschlecht geht völlig in Ordnung, soweit man die guten Absichten des Schöpfers nicht außer Acht lässt, sondern mit diesen Absichten konform geht. Gott lässt den Wein nicht wachsen, damit wir Wasser trinken. Und er gönnt uns viel Freude in und an der Natur. Es wäre gar nicht „fromm“, sondern höchst undankbar, all diese Herrlichkeiten zu verschmähen! Nur, dass wir eben von Gottes leiblichen Gaben so wenig wie von den geistigen einen schlechten Gebrauch machen dürfen. An der Schönheit des Körpers dürfen wir uns freuen. Wir sollen aber keinen Körper-Kult draus machen, in dem sich die Schöneren dann dummer Eitelkeit hingeben, während die weniger Schönen beschämt daneben stehen. Was gut schmeckt, darf uns munden. Aber der gierige Konsum irgendwelcher Genussmitteln soll uns nicht korrumpieren oder süchtig machen. Sexualität dient nicht nur der Fortpflanzung – Intimität ist auch so schön. Letztlich gehört sie aber in die Ehe. Und so darf Sex weder zu einer käuflichen Dienstleistung verkommen noch der Partner zu einem Objekt, das man bloß unverbindlich „benutzt“. Generell soll nicht unser Leib den Willen steuern, sondern der Wille den Leib! Und weil das so oft nicht klappt, spricht Jesus scharfe Warnungen aus (Mt 5,27-30). Leibliches Begehren darf uns nicht zur Sünde verführen, so dass körperliche Impulse Vernunft und Gewissen überrumpeln. Da ist Vorsicht wahrlich angebracht! Doch führt sie weder im Alten noch im Neuen Testament dazu, dass man den Leib verachtet. Sondern es wird uns nur eingeschärft, mit seinen Kräften verantwortlich umzugehen. Denn so gut unser Körper seine eigenen Bedürfnisse kennt, so ignorant und blind ist er leider für die Bedürfnisse anderer. In deren Leibern steckt unser Geist eben nicht drin! Und so unmittelbar wie wir den Hunger und den Schmerz des eigenen Leibes fühlen, fühlen wir den des Mitmenschen nicht. Unser Körper kennt sein eigenes Lustempfinden sehr gut und übersieht es nicht, wenn er ein Bedürfnis hat. Doch zur Innenwelt anderer Menschen haben wir keinen so unmittelbaren Zugang, sondern in die müssen wir uns erst mühsam „einfühlen“ und müssen uns erst anhand ihrer Mimik oder ihrer Worte klar machen, dass sie vielleicht leiden. Unser Leib ist erst mal ganz „bei sich“ – und nur „bei sich“. Er spürt keinen fremden Schmerz! Die Nöte und Wünsche des anderen ernst zu nehmen, müssen wir erst lernen. Und mit der sozialen Kompetenz unseres Körpers ist es darum nicht weit her. Er ist auf Selbsterhaltung programmiert. Und vom Willen Gottes weiß unser Leib leider auch nichts. So bedürfen seine kräftigen Impulse der Kontrolle, wie das Pferd der Zügel. Doch ist deshalb weder der Leib „böse“, noch ist es seine Kraft. Sondern beides ist gut geschaffen zu gutem Gebrauch. Denn wenn die Bibel das wirklich anders sähe – wäre dann Gottes Sohn mit aller Konsequenz ein Mensch geworden, auch „physisch“, „leiblich“ und „materiell“? Das Wort ward „Fleisch“ (Joh 1,14). Und das hätte nie stattgefunden, wenn das Fleisch etwas Böses wäre! Jesus hat dann auch viel Zeit damit verbracht, Kranke zu heilen – das hätte er nicht getan, wenn unser Leib der Mühe nicht wert wäre. Jesus hat sogar die Hochzeitsgäste zu Kana mit Wein versorgt. Und als sie heiter waren und tanzten, wird er schwerlich nur zugeschaut haben (Joh 2,1-12). Denn nicht einen Leib und entsprechende Bedürfnisse zu haben, findet Jesus schlimm. Sondern nur, dass mancher ihnen Vorrang einräumt vor dem Willen Gottes. „Im Fleisch“ zu leben, ist völlig in Ordnung, denn das hat der Schöpfer selbst so gewollt und so eingerichtet. Dass wir aber „fleischlich“ leben, indem wir unserem Bauch gehorchen, das hat er nicht gewollt. Denn unser Körper ist zwar ein hervorragender Diener. Er eignet sich aber gar nicht als Herr und Bestimmer. Und solange wir das nicht vergessen, liegt es dem Christentum völlig fern, den Leib feindselig zu betrachten oder abzuwerten. Wohl gab es in der Antike Religionen, die meinten, der Mensch müsse von seinem Leib erlöst werden. Doch der christliche Glaube will ihn nicht von, sondern mit seinem Leib erlösen! Es gab bei den Griechen diese Idee, die Seele müsse aus dem Kerker des materiellen Leibes befreit und gerettet werden. Doch als Christen erwarten wir, mitsamt unserem materiellen Leib befreit und gerettet zu werden! Und darum ist Auferstehung in der Bibel immer ganz handfest als leibliche Auferstehung gedacht. Selbstverständlich lässt Gott nichts auferstehen, was verwerflich wäre! Vielmehr wird der menschliche Leib als gute Schöpfungsgabe mitsamt seinen sinnlichen Qualitäten der Erlösung für wert befunden. Und konsequenter Weise sind auch die von Jesus gestifteten Sakramente von handfester Art und zielen bewusst auf den Leib, um ihn in das Erlösungsgeschehen mit einzubeziehen. Schließlich war es kein Fehler, dass Gott den Menschen als leib-seelische Ganzheit schuf. Das bedarf keiner Korrektur! Und darum erlöst Gott nicht etwa isolierte Seelen, so als wären der Geist unsere bessere „Hälfte“, sondern er erlöst den Menschen genauso nach seiner körperlichen Seite. Das Evangelium appelliert zwar zunächst über die Ohren an unseren verständigen Geist, um Glauben zu wecken. Doch wird der Leib spätestens in der Taufe sichtbar und greifbar in das Erlösungsgeschehen einbezogen. Genauso richten sich die Einsetzungsworte bei Abendmahl zunächst an das Gehör. Doch auch hier will Christus nicht nur verstanden, sondern auch leiblich-konkret durch Brot und Wein in unseren Körper aufgenommen werden. Wir werden also nicht von unserem Leib erlöst, sondern mit unserem Leib, nicht etwa „netto“, sondern „brutto“. Gott sieht unseren Leib nicht als eine entbehrliche „Verpackung“ der Seele, sondern als gleichrangigen Teil der Person. Und darum wird dieser Leib im Jenseits nicht fehlen, sondern wird „dabei“ sein, wenn auch gewiss in verbesserter Neuauflage. Weil das Heil aber nicht erst jenseits, sondern hier und jetzt beginnt, will Gottes Geist auch schon jetzt in uns wohnen. Und da unser Körper diesen heiligen Gast beherbergt und an den heiligen Sakramenten teilhat, ist nicht egal, was wir ansonsten mit diesem Körper machen. Er ist als Werkzeug zum Guten gedacht, nicht als Werkzeug zum Bösen! Und folglich sollen wir ihn weder mit Drogen vergiften, noch sollen wir einen Gegenstand eitlen Stolzes draus machen. Man darf den Körper nicht in Bordellen als Ware anbieten. Man soll ihn nicht achtlos verkommen lassen. Wir müssen seiner natürlichen Faulheit nicht immer nachgeben. Und seine Leidensscheu darf uns nicht feige machen. Wenn ein Mensch gestorben ist, soll man seinen Leib nicht zum Ausstellungsobjekt degradieren (wie bei „Körperwelten“) oder ihn achtlos entsorgen wie Müll, sondern man hat ihn mit Anstand zu beerdigen. Der Leib ist nicht geschaffen für Lustgewinn ohne Liebe und ebensowenig zur Ausübung von Zwang und Gewalt. Es ist frevelhaft, die Gesundheit bei allzu riskanten Sportarten mutwillig aufs Spiel zu setzen. Und auch Suizid – als gewaltsame Zerstörung des eigenen Leibes – ist verwerflich. Eine Abtreibung zerschlägt im Mutterleib Gottes Ebenbild. Und wenn weltweit für die Gesundheit armer Menschen nicht genug getan wird, ist auch das eine Schande. Der Körper als gute Gabe Gottes soll generell gepflegt und erhalten werden, damit er dem Menschen dienen kann. Aber auch das ist klar, dass er nicht dienen darf zu jedem beliebigen Zweck. Seine starken Instinkte sind ebenso wertvoll wie der menschliche Verstand – der Leib ist nicht anfälliger für das Böse als die Seele auch! Aber beides bedarf dringend der Leitung durch Gottes Geist. Und so ist es das Vernünftigste, den Körper weder allzu hoch noch gering zu schätzen. Er ist nach Möglichkeit gesund zu erhalten. Und doch kann leibliche Gesundheit niemals unser „höchste Gut“ sein. Denn auch ein noch so gesunder Leib hat keine Zukunft, wenn eine kranke Seele darin wohnt, die von Gott entfremdet ist. Ein kranker Leib dagegen, in dem eine gesunde Seele wohnt, hat jede Menge Zukunft, weil um der gläubigen Seele willen auch der kranke Leib gerettet und erneuert wird am Jüngsten Tag. Die Hauptsache ist also durchaus nicht, dass unser Körper gesund bleibt, sondern dass unsere Seele glaubt. Und in der heutigen Zeit mit ihrem Jugendwahn muss man aufpassen, dass man für den Körper nicht viel mehr tut und besser für ihn sorgt als für die Seele! Doch der Leib ist das brave Eselchen, das unsere Seele durch dieses Erdenleben trägt. Und so einen treuen Esel soll man nicht schlagen, sondern ausreichend füttern und mit seinen Schwächen nachsichtig sein. Denn es ist ja abzusehen, dass er immer gebrechlicher wird, bis er eines Tages in die Grube fährt. Kein Fitnessstudio, keine Faltencreme und keine gesunde Ernährung wird‘s verhindern! Der Tod trennt erst mal Leib und Seele. Aber unser Gott, der beides geschaffen hat, ist anschließend nicht nur der Seele treu, sondern auch dem Leib. Er lässt ihn nicht einfach nur verrotten, sondern schenkt dem Körper auch eine Zukunft. Denn im Himmel werden wir keineswegs wie blasse Gespenster und Gedankenbilder leiblos herumspuken – als wäre an Gottes Schöpfung das Materielle von Übel gewesen. Sondern in Gottes Reich werden unsre auferstandenen Leiber wieder mit dabei sein – und weder kräftige Farben noch Gerüche oder Töne werden fehlen. Gar nichts, was an dieser Welt gut war, werden wir dort vermissen! Und so werden wir auch nicht von unserem Leib erlöst, sondern mit unserem Leib. Natürlich wird der anders sein, als wir ihn heute kennen. Die Ähre auf dem Feld sieht ja auch ganz anders aus als das Korn, aus dem sie wuchs (1. Kor 15,35-49). Aber Zukunft haben unsere Leiber doch und werden in Gottes Reich vollkommen sein. Unser braver Esel muss irgendwann zu Staub und Asche werden. Aber der Schöpfer hat dann immernoch viel Gutes mit ihm vor und wird uns im Himmel auch nach unserer leibliche Seite vollenden. Was ist aber aus alledem zu folgern? Es kann uns bewusst machen, dass Gott uns als ganze Menschen will – und mit der Hingabe des Herzens allein nicht zufrieden ist. Er will auch unseren Leib! Denn fromme Gedanken sind zwar gut. Aber auch unser Körper soll ein irdisches Werkzeug für himmlische Werke werden – und ist dazu durchaus geeignet. Nicht die Regungen des Leibes soll uns beherrschen mit bösen Folgen, sondern der Geist soll unseren Leib beherrschen mit guten Folgen. Widmen wir also auch Augen, Ohren, Münder, Hände und Füße dem Dienst Christi. „Preist Gott mit eurem Leibe“ (1. Kor 6,20), sagt das Neue Testament. Bedenkt, dass eure Leiber Glieder am Leib Christi sind (1. Kor 6,15). Und gebraucht sie als Waffen der Gerechtigkeit (Röm 6,13). Das ist „vernünftiger Gottesdienst“ (Röm 12,1). Und so wollen wir Gott bitten, zwar nicht zuerst und nicht nur, aber doch auch unseren Körper zu regieren, damit auch der mitwirke zu Gottes Ehre und zu unserem Heil.

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Physical Training at Witley Camp

Laura Knight, Public domain, via Wikimedia Commons