Krankheit
Die Evangelien berichten von vielen Heilungswundern. Sie interessieren aber nicht jeden. Denn es ist zwar schön zu sehen, wie Jesus sich um Kranke kümmert. Doch den gesunden Menschen betrifft das eher wenig. Und im Grunde hat man als Gesunder auch kaum Lust, sich in die Lage all der Gelähmten, Blinden und Aussätzigen hineinzuversetzen. Natürlich ist es freundlich, dass Jesus sie heilt. Aber wenn ich doch selbst keine Krampfanfälle habe, keine unstillbaren Blutungen und keine verkrüppelten Glieder – was geht‘s mich an? Gewiss hat man Mitleid mit den Gebrechlichen und Hinfälligen. Doch so einer will man ja selbst nicht sein, sondern wünscht sich ein ungestörtes Leben, in dem man den Arzt nicht braucht. Und erst wenn man sich dann doch im Krankenhaus wiederfindet, erschrickt man – und kann dem Thema nicht mehr ausweichen. Denn auf den Fluren der Onkologie trifft man greise Männer, die in Windeln herumlaufen – den Urinbeutel in der Hand – und ihr Zimmer nicht mehr finden. Man liegt neben vermeintlich „harten Kerlen“, die nachts vor lauter Angst zu reden anfangen und nicht mehr aufhören können. Und so mancher Platzhirsch, der gestern noch hundert Angestellte kommandierte, klingelt unter lächerlichen Vorwänden nach der Schwester, um ein wenig Zuwendung zu bekommen. Da wird Krankheit konkret und peinlich! Und man fragt sich, warum Gott es uns zumutet, so kläglich über viele Stufen des Verfalls dem eigenen Ende entgegenzugehen. Was will er uns damit sagen? Was bezweckt er? Die Frage lässt sich kaum abweisen, denn zweifellos kommen nicht nur die guten Tage von Gott, sondern auch die schlechten. So liegt es nah, in die Bibel zu schauen, um dem Sinn der Krankheit auf die Spur zu kommen. Und da wird gleich auf den ersten Seiten klargestellt, dass die Störungen unsrer Gesundheit mit der Störung unsrer Gottesbeziehung zusammenhängen. Denn im Paradies gab es ja weder Alter noch Krankheit, Leid oder Tod, sondern der ganze Jammer kam erst mit dem Sündenfall in die Welt. Und seitdem bilden Unglaube, Unmoral und Schuld, Krankheit, Schwäche und Verwirrung, Verblendung, Gier, Stolz und Leid einen einzigen, schwer zu durchschauenden Unheils-Zusammenhang, der immer wieder dasselbe zeigt: Was uns krank macht, sind letztlich die Verhältnisse, die wir Menschen selbst geschaffen haben. Was unser Glück mindert, sind überwiegend Manifestationen eigener oder fremder Verkehrtheit. Und der tiefere Grund dieser Verkehrtheit liegt in einer gestörten Gottesbeziehung. Denn Gott selbst ist die Quelle des Lebens, aller Gesundheit und Einsicht. Und so macht uns die Abkehr von Gott logischerweise krank an Körper, Geist und Seele. Seit dem Sündenfall sind nicht etwa nur einzelne „krank“, sondern die Menschheit als ganze ist „krank“ – und hat sich diesen Schaden selbst zugezogen, weil das gegen den Willen Gottes verübte Unrecht sowohl den Täter als auch das Opfer korrumpiert. All unsre Fehlleistungen fallen auf irgendwen zurück. Das Böse rächt sich durch böse Folgen. Und so ist von Adam her der Tod zu allen durchgedrungen – samt der Krankheit als seiner Vorstufe (Röm 5,12). Ist Krankheit also Strafe? Ist sie genauso „verdient“ wie der Tod als „der Sünde Sold“ (Röm 6,23)? Wir wehren uns gegen diesen Gedanken. Denn welcher Leidende will schon hören, eventuell geschähe es ihm recht? Doch mit Blick auf die Bibel dürfen wir‘s nicht voreilig ausschließen. Denn dass Gott manchmal Krankheit als Strafe verhängt, ist schon an den ägyptischen Plagen zu ersehen. Neben anderen Naturerscheinungen werden da auch die Viehpest und die Blattern genannt (2. Mose 9,1-12). Und offenkundig ergeht durch diese Seuchen Gottes Gericht. Im 5. Buch Mose wird dem Volk Israel angekündigt, dass es – wenn es den Gehorsam und damit den Segen verwirft – den Fluch der Krankheit auf sich ziehen wird in Form von Pest, Auszehrung, Entzündung und Fieber, Pocken, Grind und Krätze, Wahnsinn, Blindheit und Verwirrung (5. Mose 28,21.27.28.35). Auch da wird Krankheit als „verdiente“ Lebensminderung beschrieben. Und im selben Sinne verstehen sie auch viele Psalmen als durch Schuld bedingte Strafe (Ps 32,1-5; 38,1-6; 107,17-20). Doch gilt das keineswegs immer. Wir dürfen es nicht für eine pauschale Erklärung halten, die auf alles und jeden passt. Denn im Buch Hiob sieht die Sache schon wieder anders aus. Obwohl Hiob ganz fürchterlich krank wird, und all seine Freunde meinen, er müsse das irgendwie verschuldet haben (Gott würde ihn nicht so übel behandeln, wenn er’s nicht verdient hätte), spricht doch das Buch insgesamt gegen diese Unterstellung. Denn tatsächlich sind Hiobs Leiden keine Strafen, sondern es sind Prüfungen, die Gott nur zulässt, um an Hiob die Belastbarkeit echten Glaubens und seine Treue zu erweisen. Gott hat nichts gegen Hiob. Aber er hat mit dem Teufel eine Wette laufen. Die ist der eigentliche Grund für Hiobs Belastungsproben. Und seine schlimme Krankheit belegt daher weder eine feindselige Gesinnung Gottes gegen Hiob noch die Verwerflichkeit des leidenden Mannes, sondern eher das Gegenteil (vgl. Hiob 1-2). Ähnliches gilt von Naaman, dem Feldhauptmann des Königs von Aram, der unter Aussatz leidet. Der stolze Aramäer sucht Heilung von seiner Krankheit und wird vom Propheten Elisa sehr abschätzig behandelt, so dass er sich erst nach anfänglichen Protesten einer Badekur unterwirft. Tatsächlich heilt sie ihn aber – und er wendet sich daraufhin von den Göttern seiner Heimat ab, um sich künftig zum Gott Israels zu bekennen, dessen Macht er so wunderbar erfahren hat. Gott zielte also mit Naamans Krankheit nicht darauf ab, den stolzen Mann zu vernichten, sondern ihn Demut zu lehren und ihn zur Beugung unter den wahren Gott zu veranlassen (2. Kön 5,1-27). Und denken wir an den gehbehinderten Jakob, der bekanntlich hinkte, so ist auch sein Handicap nicht als Strafe, sondern eher als Auszeichnung zu sehen, weil Jakob am Fluss Jabbok mit Gott selbst um Gottes Segen gerungen hat und darin erfolgreich war. Jakob bekommt zwar einen heftigen Schlag auf die Hüfte – und hinkt seitdem. Aber diese aus einem guten Kampf resultierende Behinderung trägt er gewiss nicht als Strafe, sondern trägt sie wie ein Ehrenzeichen, das er zusammen mit dem Segen von Gott empfangen hat (1. Mose 32,23-33). Als Mirjam aufmüpfig wird und sich gegen ihren Bruder Mose stellt, schlägt Gott sie mit Aussatz, was zweifellos als Strafe zu verstehen ist (4. Mose 12,1-16). Und auch den böse Geist, den Gott über Saul kommen lässt, so dass er bitter und trübsinnig wird, muss man als Zeichen der Verwerfung sehen (1. Sam 16,14.23). Doch wenn Hiskia erkrankt, liegt der Fall wieder anders. Denn Hiskias Gottesbeziehung ist so wenig gestört, dass Gott sich auf sein Bitten hin erweichen lässt und ihm einfach nochmal 15 Lebensjahre dazu schenkt (2. Kön 20,1-11; Jes 38,1-22). Und als Gott über Nebukadnezar den Wahnsinn verhängt, dient auch das bloß zu seiner Belehrung und endet, sobald Nebukadnezar die Botschaft verstanden hat (Dan 4,29-34). Krankheit dient also nicht immer zur Strafe, sondern manchmal auch zur Prüfung (wie bei Hiob) – oder zur Erziehung, Führung und Bekehrung (wie bei Naaman und Nebukadnezar). Bei Jakob erinnert sie sogar an den tapfer erkämpften Segen! Und eine ähnliche Deutungsvielfalt finden wir im Neuen Testament. Jesus trifft am Teich Betesda einen Mann, der seit 38 Jahren gelähmt daliegt und immer versucht, im richtigen Moment in das wundertätige Wasser zu kommen. Er hat aber keinen, der ihm hilft (Joh 5,1-18). Und nachdem Jesus ihn geheilt hat, mahnt er den Mann und sagt: „Siehe, du bist gesund geworden; sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre“ (Joh 5,14). Man kann kaum überhören, dass Jesus zwischen Sünde und Krankheit einen Zusammenhang herstellt. Und das bestätigt sich, wenn er dem Gelähmten, den man durch das Dach zu ihm herunterlässt, ungefragt erst einmal seine Sünden vergibt, bevor er das körperliche Leiden heilt (Mt 9,1-8). Das eine hat offenbar mit dem anderen zu tun! Doch verfährt Jesus keineswegs schematisch, sondern versteht manche Krankheit recht positiv. Als er einem Mann begegnet, der blind geboren wurde, meinen seine Jünger, so ein schweres Schicksal müsse doch wohl die Folge einer schweren Sünde sein – und sie fragen darum Jesus: „Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?“ Jesus aber antwortet: „Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm“ (Joh 9,1-3). Jesus meint also nicht, dass jede Krankheit ihre Ursache in einer Sünde haben müsste. Sondern hier erklärt er, die Augen des Blinden seien bisher geschlossen gewesen, damit sie nun um so herrlicher geöffnet werden können zum Erweis göttlicher Macht und Güte. Und eine ähnliche Deutung gibt er der Krankheit des Lazarus. Der ist ein guter Freund Jesu, so dass man, als Lazarus krank wird, nach Jesus schickt. Der aber kommt und kommt nicht – bis Lazarus tatsächlich stirbt. Und als Jesus vier Tage danach am Ort erscheint, steht ein leiser Vorwurf im Raum. Jesus aber erweckt Lazarus von den Toten und erinnert an etwas, das er schon früher sagte – dass Lazarus nämlich nicht erkrankt sei, um seiner Krankheit zu erliegen, sondern „damit Gott verherrlicht werde“, damit also die Macht dessen sichtbar werde, der die Toten ins Leben ruft (Joh 11,1-45). Wieder ist von Strafe keine Rede. Und dasselbe gilt bei den Exorzismen die Jesus vornimmt. Wir lesen von einer verkrümmten Frau, die 18 Jahre lang unter einem bösen Geist leidet, der sie so krank macht, dass sie sich nicht mehr aufrichten kann. Und nachdem Jesus sie geheilt hat, sagt er, der Satan habe diese Frau gebunden – so dass die Austreibung des Geistes und die Heilung nahtlos ineinander übergehen (Lk 13,10-17). Es ist keine Rede davon, dass die Frau ihre Krankheit „verdient“ hätte. Vielmehr ist sie das Opfer der finsteren Mächte, die sie überwältigt haben. Und das gilt ebenso von dem gewalttätigen Gerasener, der schon lange in Grabhöhlen haust, der sich in seinem Wahn selbst schlägt und Reisende angreift. Auch bei ihm ist von Schuld keine Rede. Sondern er wird von seinen Dämonen nur so lange geplagt, bis Jesus sie erst in eine Schweineherde und dann in den Abgrund schickt (Lk 8,26-39). Zuletzt begegnet uns unter den prominenten Kranken noch der Apostel Paulus. Aber der kommt selbst zu dem Schluss, dass seine andauernde Krankheit pädagogischen Sinn hat und ihm von Gott zugemutet wird, damit er sich trotz seiner hohen Offenbarungen nicht „überhebe“ (2. Kor 12,7). So ist seine Krankheit zwar lästig und schmerzhaft. Sie ist aber kein Mittel der Verwerfung, sondern bloß ein Instrument harter, aber wohlmeinender Erziehung. Gott könnte sie dem Apostel ersparen. Er tut es aber nicht, um Paulus vor stolzem Dünkel zu bewahren. Und das ist bei aller Strenge doch gut gemeint und tut als pädagogische Maßnahme der Gnade keinen Abbruch (vgl. Hebr 12,4-11). Dass Krankheit aber nicht immer gut gemeint ist, zeigt das Beispiel des Herodes Agrippa, der Gott nicht die Ehre gibt und darum – von Würmern zerfressen – seinen Geist aufgeben muss. Und seine Krankheit hat offenbar keinen positiveren Hintersinn, als dass es dem Bösen so böse ergehen soll, wie er‘s verdient (Apg 12,21-23). Nun – was folgt aus alledem? Wir können dem Schnelldurchgang durch die Bibel entnehmen, dass Krankheit nicht immer dasselbe bedeutet. Und wir müssen uns darum hüten, alles über einen Kamm zu scheren. Wenn ein Mensch mit Gott keinen Frieden hat, kann seine Krankheit durchaus eine Strafe sein, und man muss ihm nicht ausreden, dass ihm seine Sünden vergolten werden – denn möglicherweise ist sein Leiden der Anfang des verdienten Untergangs! Doch ist Krankheit beileibe nicht immer ein Mittel des Verderbens. Sondern sie kann ebenso gut ein Prüfung sein, in der wir uns (wie Hiob) bewähren sollen, sie kann ein hilfreiches pädagogisches Mittel sein (wie bei Naaman und Paulus) oder sie kann zur Verherrlichung Gottes dienen (wie bei dem Blindgeborenen und bei Lazarus). Krankheit ist manchmal ein Weckruf für Schlafende, die Gott wachrütteln will. Oder sie holt einen stolzen Menschen von seinem allzu hohen Ross. Manchmal hilft sie einem Oberflächlichen, nicht oberflächlich zu bleiben, sondern zum ersten Mal vertieft nachzudenken. Und manchem öffnet sie die Augen für seine vollständige Abhängigkeit von Gott, die ihm ohne Krankheit nicht bewusst geworden wäre. Mancher lernt auf dem Krankenbett, geduldiger und sanftmütiger mit den Schwächen seiner Mitmenschen umzugehen. Und manchmal haben Leiden den Sinn, dass der Betroffene anschließend andere mit dem Trost trösten kann, mit dem er selbst getröstet wurde (2. Kor 1,3-4). Es ist auch denkbar, dass Gott einen Menschen durch nervige Krankheiten der Welt entwöhnen und anschließend auf gnädige Weise in den Himmel holen will. Bei so vielen Möglichkeiten muss man vorsichtig sein! Und wenn jemand im Krankenhaus gelandet ist, sollten wir uns darum hüten, ihm diese oder jene Deutung aufzudrängen. Der Kranke muss selbst herausfinden, was Gott ihm durch seine Krankheit sagen will! Doch eins darf der Christ bei sich selbst und bei anderen Christen ausschließen. Und das ist die Vorstellung, Gott habe einem Christen seine Krankheit zum Verderben gesandt – und sie sei demnach „böse gemeint“. Denn was immer Gott mit einem Christ vorhat, ist er doch niemals sein Feind, rächt sich nicht an ihm, vergilt ihm nichts und richtet ihn auch nicht zugrunde. Anders als bei einem Heiden liegen die Sünden eines Christen auf Christus. Und was Christus für uns am Kreuz stellvertretend getragen hat, wird gewiss kein zweites Mal gestraft. Nein, als Christen haben wir Frieden mit Gott! Und darum ist völlig ausgeschlossen, dass er uns etwas nachträgt oder heimzahlt. Denn was immer zwischen Gott und uns gestanden haben mag, wurde von Christus bereinigt. Gott hat mit uns keine Rechnung offen. Wenn wir im Glauben stehen, stehen wir auch in seiner Gnade. Und weil uns das im Evangelium so deutlich bezeugt wird, müssen alle Krankheiten, die Gott einem Christen zumutet, einem positiven Zweck dienen, der Gottes väterlicher Güte entspricht – was immer dieser Zweck dann auch sei. Bei Leuten, die „mit Gott nichts am Hut haben“, gilt dieser Grundsatz nicht. In deren Krankheit manifestiert sich vielleicht wirklich nichts anderes als Gottes vernichtender Zorn! Doch wenn solche Gedanken einen Christen umtreiben, muss man ihm entschieden widersprechen. Denn so hart Gott ihn auch behandeln mag, ist er doch niemals eines Christen Feind, sondern immer sein gütiger Vater. Nun, hören akute Schmerzen deswegen auf? Oder schwindet alle Angst? Nein! Und bevor jemand meint, ich wollte etwas beschönigen, sage ich es ausdrücklich: Krank zu sein bleibt auch für Christen eine scheußliche und verstörende Erfahrung. Krankheit ist Lebensminderung und Todesnähe. Und als Kranke erleben wir auf peinlichste Weise, dass wir in einem Körper gefangen sind, der nach und nach verfällt, der erst einzelne Funktionen einstellt – und uns eines Tages ganz den Dienst versagt. Als Kranke sind wir auch längst nicht so tapfer, wie wir’s gerne wären, sondern wie jede arme Kreatur klammern wir uns an das leibliche Leben. Unser geplagter Leib weiß leider nichts vom Himmel. Darum steckt der leibliche Mensch in seiner Krankheit wie ein Tier in der Falle und durchlebt entsprechende Ängste. Und doch – obwohl Christen darunter nicht weniger leiden als andere, leiden wir doch anders. Denn wir wissen, dass Gott als guter Vater seinen Kindern keine Fallen stellt. Und wir wissen, dass er uns nach unserem Niedergang neue Perspektiven eröffnet. Keine Plage, die Gott uns zumutet, zielt auf unser Verderben. Jede hat einen Grund – auch wenn wir den nicht kennen. Und jede bringt uns dem Reich Gottes näher, so dass einem Christen auch seine Krankheit zum Besten dienen muss (Röm 8,28; 5,3-5). So leiden wir als Christen zwar nicht weniger, leiden aber doch anders. Denn derselbe, der uns die Wunden schlägt, kann sie auch wieder heilen (Hiob 5,18; Hos 6,1). Wir gehören zu Christus, der nicht nur lebendig macht, sondern „das Leben“ selbst ist – nämlich des Lebens Schöpfer und Ursprung (Joh 14,6; 1,1-14). Der geht an den Kranken nicht achtlos vorüber. Und keiner, der sich mit leidenschaftlichem Glauben an ihn wandte, wurde jemals abgewiesen. Denn Christus hat die seliggepriesen, die Leid tragen. Er hat angekündigt, dass sie getröstet werden (Mt 5,4). Und so verschließt er sich nicht. Christus selbst ist das Licht der Welt, also öffnet er auch die blinden Augen, die sein Licht sehen sollen. Er selbst ist das Wort Gottes, also öffnet er auch die Ohren, die das Wort hören sollen. Er selbst ist der Weg in Gottes Reich, und so stellt er die Lahmen auf ihre Füße, damit sie den Weg der Nachfolge gehen können. Wo er ins Spiel kommt, gibt es keine hoffnungslosen Fälle mehr. Es gibt keine Form des Verfalls, die er nicht beseitigen könnte. Und nicht mehr ist dazu nötig, als dass wir uns ihm ausliefern. Denn etwas anderes tun die Menschen in den Heilungswundern ja auch nicht. Nichts qualifiziert sie dazu geheilt zu werden, als dass sie beharrlich nach Jesus schreien. Hört er sie aber, so können ihm auch tausend Dämonen nicht widerstehen, und selbst der tote Lazarus muss sich lebendig aus seinem Grab erheben. Sie und ich aber – sind wir etwa toter als Lazarus oder schuldiger als der Schächer am Kreuz? Sind wir schwerere Fälle als die Besessenen und Aussätzigen von damals? Sind wir‘s aber nicht – was soll Gott dann hindern, das Krumme an uns zu begradigen? Nein, eben das ist die gute Nachricht: Wo mit Christus das Reich Gottes Raum greift, müssen wir nicht bleiben, wie wir sind. Er kann und will unsre Fesseln lösen. Und wenn der Weg dahin eventuell durch schwere Leiden führt, so steht doch fest, dass auch unsere Krankheiten zu Gottes gutem Plan gehören. Sollte er uns vor unsrem Tod nicht mehr heilen, dann eben danach. Entweder kommt Christus zu uns oder wir zu ihm. Doch so oder so wird es gut sein. Denn Gott wird abwischen alle Tränen von unsren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein (Offb 21,4). Er selbst aber, der inmitten unserer Ohnmacht immer mächtig bleibt, er gebe, dass wir Heil und Heilung bald erfahren – und bis dahin einigermaßen tapfer tragen, was er uns nicht grundlos auferlegt.
Bild am Seitenanfang: Disappointed Soul
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