Christi Kampf und Sieg

Christi Kampf und Sieg

Was habe ich davon, dass er auferstand?

Haben sie manchmal das Gefühl, das Leben sei ein Kampf? Mir jedenfalls geht es manchmal so. Man kämpft gegen widrige Umstände und gegen Missverständnisse, man kämpft gegen einen Berg von Arbeit an, man kämpft manchmal gegen Müdigkeit und manchmal gegen die Trägheit anderer Menschen. Es ist nicht immer dramatischer Kampf, es ist nicht immer Daseins–Kampf. Aber es ist doch ernst genug, um uns den Eindruck zu vermitteln, das ganze Menschenleben sei von Anbeginn ein Kampf. Schon die kleinen Kinder konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Eltern und streiten um das schönste Spielzeug. Später kämpfen sie sich durch die Schule und kämpfen um einen guten Abschluss. Sie erkämpfen sich irgendwann die Achtung der Älteren und erkämpfen sich eine Stellung im Betrieb. Sie müssen einen Lebenspartner für sich gewinnen. Und später muss mancher um den Erhalt seiner Ehe kämpfen. Wir kämpfen um die Verwirklichung unserer Pläne und gegen Enttäuschungen. Wir kämpfen gegen Widrigkeiten des Schicksals und gegen die eigenen Schwächen. Wir erkämpfen uns einen Platz in der Gesellschaft. Und kaum ist uns das gelungen, müssen wir beginnen, gegen den Alterungsprozess zu kämpfen. Wir kämpfen gegen überzählige Pfunde und gegen die ersten grauen Haare. Wir haben mit dem Nachlassen unserer Kräfte zu kämpfen und müssen uns verteidigen gegen Jüngere, die nach oben streben. Wir kämpfen im Alter mit mancherlei Zipperlein und Krankheiten. Und schließlich kämpft ein jeder gegen den Tod, den wir hinauszuschieben versuchen, der uns aber am Ende doch eine Niederlage zufügt. Ja – das Leben ist Kampf. An dem Satz ist schon was dran.

Nur, genau besehen wirft der Satz mehr Fragen auf, als er beantwortet. Denn wenn das Leben Kampf ist, dann fragt es sich ja, wer diesen Kampf gewinnt. Wer siegt da am Ende? Siegt mein Wille zum Leben, oder siegt zuletzt doch die Macht, die mir entgegensteht und meine Träume platzen lässt? Und wie ist das aufs Ganze gesehen? Was ist mit den vielen tausend Menschen, die neben mir im selben Kampf stehen? Wird der Tod am Ende über sie alle triumphieren, weil er alle Sterblichen überwindet und zum Schweigen bringt? Oder haben am Ende wir gewonnen, weil wir dem Schicksal doch etliche Jahrzehnte des Lebens abgetrotzt haben? Ist im Blick auf die Weltgeschichte der Tod der universale Sieger, weil es noch kein lebendiges Wesen gegeben hat, das er nicht zuletzt vernichtet hätte? Oder ist das Leben der universale Sieger, weil auf Bergen von Gebeinen immer wieder neues Leben keimt?

Vielleicht meinen sie, diese globalen Fragen könnten dem Einzelnen gleichgültig sein. Vielleicht denken sie, man könne diese großen Fragen beiseite lassen und sich nur auf den eigenen kleinen Lebenskampf konzentrieren. Aber so einfach ist es nicht. Denn bedenken sie, dass es auch einem Soldaten nicht egal sein kann, wie der Krieg am Ende ausgeht: Die kleinen Schlachten, die der Einzelne schlägt, die vielen kleineren Scharmützel sind zwar nur winzige Ausschnitte des großen Krieges. Aber vom Ausgang des Krieges hängt es ab, ob die kleinen Gefechte sich gelohnt haben oder ob sie nur unnötige Opfer forderten. Am militärischen Beispiel lässt sich das leicht verdeutlichen: Wenn da ein Offizier mit einer Handvoll Männer auf gegnerische Truppen stößt, steht er vor der Wahl, ob er angreifen oder ausweichen will. Beides kann sinnvoll und beides kann falsch sein – je nachdem, wie der Krieg endet. Geht der Offizier davon aus, dass seine Seite dabei ist den Krieg zu gewinnen, macht es Sinn, für dieses Ziel auch Risiken einzugehen. Entschlossenes Vorgehen kann dann den Sieg beschleunigen. Der Offizier muss also angreifen, denn auch ein kleines Gefecht kann ein entscheidender Beitrag zum großen Sieg sein.

Wenn aber der Krieg im Großen schon verloren ist (wie etwa in Deutschland Anfang 1945), stellt sich die Sache auch im Kleinen anders dar. Denn wenn der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist, wozu sollen sich die Soldaten dann noch Risiken aussetzen? Lohnt es sich etwa, zu leiden und zu sterben für eine verlorene Sache? Nein. So ist also die Bedeutung einer kleinen Sache abhängig von dem großen Zusammenhang, in dem sie steht. Es ist nicht tragisch, eine Schlacht zu verlieren, wenn man hinterher den Krieg gewinnt. Und es ist nichts nütze, dieselbe Schlacht zu gewinnen, wenn man hinterher den Krieg verliert. Gilt das aber von unserem alltäglichen Lebenskampf nicht auch?

Ich denke da an manche Frau, die ihren kranken Mann pflegt und um sein Leben ringt. Ich denke an psychisch labile Menschen, die immer wieder gegen ihre Depressionen kämpfen müssen, um den Lebensmut nicht ganz zu verlieren. Ich denke an Eltern, deren Kinder auf die schiefe Bahn geraten sind und die ihre Kinder doch nicht aufgeben. Sie alle stehen im Kampf um das Leben, das Gott uns anvertraut hat. Wir alle schlagen täglich kleine Schlachten gegen die Angst, gegen die Müdigkeit und gegen die drohende Verzweiflung. Und manchmal ist die Versuchung groß, im Kampf die Arme sinken zu lassen. Darum wäre es für uns alle ungeheuer wichtig zu wissen, in welchem Kontext unsere Bemühungen stehen. Kämpfen wir in einem Kampf, der gewonnen werden kann und der zum Sieg des Lebens führen wird? Oder zögern wir nur die Niederlage qualvoll hinaus? Lohnt es sich noch, das Gute zu tun – oder ist der tägliche Einsatz vergebliche Liebesmüh? Es wäre wichtig, das zu wissen. Denn im einen Fall würde uns Siegesgewissheit beflügeln und ermutigen. Und im anderen Fall könnten wir immerhin Kräfte sparen.

Doch das Problem im alltäglichen Lebenskampf ist dasselbe wie im Krieg: In der Regel weiß der einzelne Kämpfer an seinem kleinen Frontabschnitt nicht, wie der Krieg eines Tages ausgeht. In der Regel fehlt uns im Hin- und Herwogen des Gefechtes der Überblick, um zu beurteilen, ob wir auf verlorenem Posten stehen oder nicht. Es sei denn, uns erreichte die Nachricht, dass eine Entscheidungsschlacht stattgefunden hat. Denn eine Entscheidungsschlacht unterscheidet sich von anderen Gefechten dadurch, dass ihr Ausgang den Ausgang des Krieges vorwegnimmt. Nach einer Entscheidungsschlacht kann man sagen: Der, der hier gewonnen hat, wird letztlich nicht mehr zu schlagen sein. Und der, der hier verloren hat, wird sich von dieser Niederlage nicht mehr wirklich erholen. Eine Entscheidungsschlacht nimmt den Ausgang des Krieges schon vorweg. Denn es ist zwar möglich, dass der Unterlegene danach noch dieses oder jenes Gefecht gewinnt. Und es ist möglich, dass der Sieger noch etliche Niederlagen einstecken muss. Aber am Ergebnis ändert das alles nichts mehr: Nach einer Entscheidungsschlacht ist der Krieg entschieden – und die Soldaten beider Seiten können ihre Konsequenzen daraus ziehen.

Erst damit kommen wir zur Kernfrage unseres alltäglichen Kampfes: Zu der Frage nämlich, ob es im großen und universalen Kampf von Leben und Tod, von Gut und Böse, von Gott und dem Teufel bereits eine Entscheidungsschlacht gegeben hat. Sind die stärksten Truppen beider Seiten schon einmal so aufeinander getroffen, dass der Ausgang des Gefechtes auf den Ausgang des Krieges schließen lässt? Die Antwort des christlichen Glaubens lautet: „Ja!“ Es ist schon einmal zu einer solchen Konfrontation gekommen. Denn es gab jenen Tag, als der Sohn Gottes die Grenze des Feindeslandes überschritt und Mensch wurde. Er war gekommen, um für alle Menschen das Leben zu erstreiten – und er wusste, dass dies eine große Provokation war. Christus drang in das Gebiet ein, dass der Teufel für sich beanspruchte. Er kam allen in die Quere, die Gottes Reich auf den Himmel beschränken, auf Erden aber ein eigenes Reich errichten wollten. Die Lage, die durch Gottes Überraschungsangriff entstand, war von Anfang an unübersichtlich. An Karfreitag aber spitzte sie sich dramatisch zu. Christus begab sich in den Nahkampf mit der Sünde, dem Tod und dem Teufel. Und am Abend nach der Kreuzigung schien es als hätten Sünde, Tod und Teufel Christus überwunden und vernichtet. Christus wurde vom Felde getragen und begraben. Am Ostermorgen aber erhob er sich aus dem Grab und triumphierte über die Mächte, die ihn in das Reich der Toten hatten verbannen wollen. Er bewies, dass er mit seinem Evangelium von der Barmherzigkeit Gottes nicht aus der Welt zu schaffen war. Er räumte das Feld nicht, er wich nicht der Gewalt seiner Gegner, sondern bekräftigte seinen Anspruch auf diese Welt und setzte ihn durch. Und damit war eine Entscheidungsschlacht gewonnen, wie wir sie oben beschrieben haben. Denn der, der am Ostermorgen gewonnen hat, der wird danach nicht mehr zu überwinden sein. Und die düstere Koalition, die am Ostermorgen verloren hat, wird sich von ihrer Niederlage nicht mehr erholen.

Gewiss: Die Mächte der Finsternis sind nicht einfach von der Bildfläche verschwunden. Sie treiben noch ihr Unwesen, sie fügen vielen von uns noch Leid zu und gewinnen immer wieder die eine oder andere Schlacht. Aber – das ist entscheidend: Sie gewinnen nicht mehr den Krieg. Sondern das Ende des großen Kampfes ist vorweggenommen worden am Ostertag. Sehen wir Christus aus dem Grabe hervorgehen, so sehen wir, was einmal mit allen Gräbern geschehen wird. Denn Christus ist nur der Erste von vielen Brüdern und Schwestern. Er hat nur den Anfang der allgemeinen Totenauferstehung gemacht. Er hat in unwegsamem Gelände den Weg gebahnt, der viele aus dem Gefängnis des Todes herausführen wird. Und wir alle, die wir Christus auf diesem Weg folgen, werden erleben, wie auch unsere Fesseln gesprengt werden und wir in dieselbe lichte Freiheit hinaustreten, in die er uns vorausgegangen ist.

Ostern wäre also völlig missverstanden, wenn wir meinten, es ginge da um das Privatschicksal Jesu Christi. Nein! Die Auferstehung Jesu Christi war vielmehr ein Dammbruch. Da begann etwas ganz klein. Aber als Christus durch die Mauer des Todes ging, war das der Anfang vom Ende dieser Mauer. Der Damm war gebrochen, die Verteidigungslinie des Teufels war überrannt – und nun ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Front ganz aufgerollt wird. Mag sein, dass es noch dauert. Und doch ist das Wissen um den Sieg Christi schon heute von größter Bedeutung für unseren täglichen Lebenskampf. Denn bei allen Rückschlägen wissen wir doch, dass unser Kampf keine „vergebliche Liebesmüh“ sein wird. Die Frau, die ihren kranken Mann pflegt und um sein Leben ringt, darf wissen, dass der Tod nur noch Rückzugsgefechte gewinnt. Und selbst wenn er ihr den Mann nimmt, kann Gott ihn ihr doch wiedergeben am Jüngsten Tag. Die psychisch Labilen, die immer wieder gegen ihre Depressionen kämpfen, dürfen wissen, dass da ein Licht ist am Ende des Tunnels, das nicht mehr verlöschen wird. Und auch die Eltern, deren Kinder auf die schiefe Bahn geraten sind, dürfen sich freuen. Denn so wie sie ihre Kinder nicht aufgeben, so gibt auch Gott seine Kinder nicht auf, sondern schenkt ihnen eine Hoffnung, die groß genug ist, um sie aller Verzweiflung entgegenzusetzen. Der Roman der Weltgeschichte ist noch nicht zuende – wir sind noch mittendrin und leben unser Leben auf einer von vielen tausend Seiten. Aber seit Ostern wissen wir, was auf der letzten Seite des großen Romans steht. In der Auferstehung Christi hat sich das große Finale vorwegereignet. Wir können schon heute einen Blick auf das glückliche Ende werfen – und dürfen dann ermutigt darauf zugehen. Denn die Tage der Dunkelheit sind gezählt. Gott hat sein Licht scheinen lassen in die Finsternis. Und er lässt die Sonne seiner Barmherzigkeit nicht mehr untergehen, bis ihre Strahlen auch den ärmsten Tropf erreicht, erleuchtet und gewärmt haben. Denn nicht dazu ist Christus ans Kreuz gegangen, um dort zu hängen als eine Jammergestalt, die man bemitleidet. Sondern er hat am Kreuz die unmittelbare Begegnung mit dem Fürsten der Finsternis gesucht, um ihm eigenhändig das Genick zu brechen. Er ging in den Tod, um den Gegner auf seinem eigenen Territorium zu stellen. Er ist zur Hölle gefahren, um die Hölle niederzureißen. Und dass es ihm gelang – das gilt es an Ostern zu feiern. Darum vergessen sie die Hasen und die Eier und den Frühling. Hören sie aber, was Luther so fröhlich von der österlichen Entscheidungsschlacht gedichtet hat:

„Es war ein wunderlich Krieg, da Tod und Leben 'rungen; das Leben behielt den Sieg, es hat den Tod verschlungen. Die Schrift hat verkündet das, wie ein Tod den andern fraß, ein Spott aus dem Tod ist worden.“ (EG 101,4)

Lassen sie uns dieses Lied immer wieder singen – fröhlich, beharrlich und mit Lust: Denn Christenmenschen, die Osterlieder singen, sind wie ein Schwarm lästiger Mücken, die dem Teufel um den Kopf schwirren. Wir summen ihm die Botschaft von seiner Niederlage in die Ohren – und treiben ihn damit zum Wahnsinn…

 

 

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: The Resurrection of Christ

Kreis d. Dierick Bouts, Public domain, via Wikimedia Commons