Die Hochzeit zu Kana
Changing the Water into Wine, Fernando Gallego and workshop,
Public domain, via Wikimedia Commons
Es gibt im Neuen Testament eine Erzählung, die ganz lebendig und fröhlich ist – und gerade darum viele Ausleger ratlos macht. Denn irgendwie geschieht da so gar nicht, was man von Jesus erwartet. Jesus kümmert sich gewöhnlich um verzweifelte und verlorene Menschen, um Kranke oder Besessene, Sünder oder Ausgestoßene. Hier aber rettet er einem Brautpaar die Hochzeitsfeier, indem er dafür sorgt, dass der Alkohol nicht ausgeht. Und manche sagen: „Du meine Güte, gab’s denn für Gottes Sohn nicht Wichtigeres zu tun?“ Jesus aber war anderer Ansicht. Bei Johannes lesen wir:
„Am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was geht’s dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.“ (Joh 2,1-11)
Nun, mehr steht da nicht. Und eine Erklärung scheint nicht nötig. Denn die Situation ist aus dem Leben gegriffen. Dort wo Jesus aufgewachsen ist, findet auf dem Dorf eine Hochzeit statt. Und nicht nur Jesus mit seinen Jüngern wird eingeladen, sondern auch seine Mutter ist da. Gottes Sohn hat nichts gegen fröhliche Feste und erst recht nichts gegen Hochzeiten – er ist kein Asket und kein Spielverderber, kein Anhänger des Zölibats, der alle Menschen im Kloster sehen will. Sondern er bejaht die Ehe als eine gute Ordnung Gottes. Wenn zwei sich lieben, darf man sich drüber freuen, denn die Gemeinschaft von Mann und Frau ist von Gott gewollt. Sie steht unter seinem Segen. Und folglich wird bei einer Hochzeit gegessen und getrunken, gesungen, gelacht und getanzt. Jesus ist mittendrin. Er hat wahrlich nichts dagegen. Und obwohl das manchen undenkbar scheint, könnte ich mir vorstellen, dass er Spaß hatte! Wie aber kann’s passieren, dass bei so einem Fest der Wein ausgeht? Man muss sich klar machen, dass sich eine Hochzeit damals über eine ganze Woche hinzieht. Da kommen zahllose Gäste. Und so kann es schwer sein, den tatsächlichen Bedarf an Wein vorauszusehen. Entweder hat sich das Brautpaar verkalkuliert – oder sie sind einfach arm! Jedenfalls geht mittendrin der Wein zur Neige. Und damit droht nicht nur die Stimmung zu kippen, sondern es droht auch eine Blamage für die Familie, die eingeladen hat. Denn bei einer deftigen Landhochzeit kann man den Gästen kein Wasser vorsetzen. Und – die peinliche Lage voraussehend – wendet sich Maria an ihren Sohn und sagt: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Das ist schon etwas seltsam. Denn warum sagt sie es gerade ihm? Sicher doch nicht, weil’s ihm sonst entgangen wäre, sondern weil er etwas tun soll. Und Maria weiß auch, dass er etwas tun kann. In dem mütterlichen Hinweis steckt der Appell: „Jesus mach doch was, sie sind in Schwierigkeiten!“ Maria drängt ihren Sohn, ein Wunder zu tun – bloß mal so aus Gefälligkeit. Jesus aber weist seine Mutter mit groben Worten zurück und sagt: „Was geht’s dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Er will sich offenbar nicht drängen lassen. Er vollbringt keine Wunder auf Bestellung. Er hat zwar die Macht derlei zu tun. Aber er ist schließlich nicht beim Partyservice. Sein Auftrag ist, die Menschheit zu erlösen. Und da soll er nun auf Marias Drängen banale Alltagsprobleme lösen? Die Idee ist schon ziemlich daneben – und die Antwort entsprechend ruppig. Doch Maria ist klug genug, um nicht beleidigt zu sein. Sie vertraut einfach darauf, dass ihr Sohn auf seine Weise eine Lösung finden wird. Und so überlässt sie ihm alles Weitere und sagt zu den Dienern bloß: „Was er euch sagt, das tut.“ Jesus aber (das ist das Erstaunliche) tut nun das, wozu er von seiner Mutter nicht gedrängt werden wollte, und sorgt für Nachschub an Alkohol. Vor dem Haus stehen sechs aus Stein gehauene Wassergefäße, die man für die rituelle Reinigung der Füße braucht. Und jedes der Gefäße fasst 40 Liter. Jesus lässt sie von den Dienern mit Wasser füllen und sagt dann, sie sollten draus schöpfen und dem Küchenchef eine Probe bringen. Der Küchenchef kostet, ohne zu wissen, woher der neue Wein so plötzlich kommt, lobt die Qualität und zeigt sich irritiert. Denn üblicher scheint ihm das umgekehrte Verfahren: Gewöhnlich serviert man den Gästen zuerst den guten Wein. Denn solange sie nüchtern sind, wissen sie seine Qualität zu schätzen. Später aber, wenn sie so angeheitert sind, dass sie den Unterschied nicht mehr schmecken, serviert man den billigeren Wein. Zu Kana aber geht es andersherum. Denn Jesus hat 240 Liter feinsten Rebensaft geliefert – und die Hochzeit kann weitergehen. Nun ist das schon an sich eine heitere Geschichte. Am lustigsten ist aber die Empörung, die sie bei tiefernsten und frommen Kommentatoren ausgelöst hat. Denn wie soll man sich erklären, dass Jesus Trunkenheit fördert, statt Abstinenz zu predigen? Den Worten des Küchenchefs kann man entnehmen, dass die Feier schon vorangeschritten war. Ein Teil der Gäste ist nicht mehr nüchtern. Gottes Sohn aber rümpft nicht die Nase, sondern fördert die Ausgelassenheit, indem er mehrere Lokalrunden ausgibt auf Rechnung seines himmlischen Vaters. Ist das nicht ein ganz unnötiger Streich? Fördert Jesus nicht eine schlimme Sucht, an der schon viele zugrunde gegangen sind? Manche Ausleger sprechen verächtlich von einem „Luxuswunder“, für das keine echte Notwendigkeit bestand. Jesus rettet hier ja keine Seele und rettet kein Leben, sondern nur eine Party. Auch ohne diesen Wein wäre die Welt nicht untergegangen. Hat Jesus also bloß zum Spaß seine göttlichen Kräfte spielen lassen? Bloß aus Gefälligkeit und zur Belustigung der ohnehin angeheiterten Gesellschaft? Ist so etwas denkbar? Vielen scheint, das sei für den Sohn Gottes unter seiner Würde. Und so haben die Gelehrten begonnen, die Sache symbolisch auszudeuten, um der Geschichte einen erbaulichen Sinn abzugewinnen. Die Wassergefäße vor dem Haus waren für die rituelle Waschung der Füße bestimmt. Also meinten einige, die Geschichte veranschauliche das Ende der jüdischen Reinigungsriten, die durch Jesus überflüssig werden. Er schenkt seinen Gläubigen statt der äußeren eine innere Reinheit – und wäscht sie rein durch seinen Tod am Kreuz! Ja genau, sagten andere: Und ist der Wein nicht ein deutlicher Hinweis, dass es hier ums Abendmahl geht? Manchen fiel ein, das Wasser in den Gefäßen könne doch symbolisch für das Taufwasser stehen. Und auch in der Hochzeit wollten sie keine gewöhnliche Hochzeit sehen, sondern ein Gleichnis der himmlischen Gemeinschaft im Reich Gottes. Im Grunde, sagten sie, gehe es um die Hochzeit Christi mit seiner Braut, der Kirche. Und Maria gäbe dazu ein Lehrstück des Glaubens, weil sie – einen Mangel erkennend – Jesus um Hilfe bittet und dann (trotz seiner ruppigen Antwort) volles Vertrauen hat, dass er seine Güte nicht verleugnen und entsprechend handeln wird. Ja, man fand viele tiefsinnige Allegorien, um die Geschichte nicht wörtlich nehmen zu müssen! Jesus und „Ausgelassenheit“ brachte man schwer zusammen. Denn der Bericht aus Kana wurde über Jahrhunderte in Klöstern gelesen, wo man Enthaltsamkeit übte und größte Schwierigkeiten hatte, sich Jesus inmitten tanzender Hochzeitsgäste vorzustellen! Doch ist es ein evangelischer Grundsatz, dass man dem direkten Sinn biblischer Erzählungen nicht ausweichen soll. Statt gleich verborgene Bedeutungen zu suchen, soll man sie erst mal nehmen, wie sie dastehen. Und so kann es durchaus sein, dass sich Jesus ein Wunder erlaubt hat, das mal nicht durch große Not veranlasst war – sondern vielleicht hat es ihm einfach nur gefallen, die Freude dieser Menschen zu sehen. Es lag wahrlich noch genug Schweres vor ihm. Vielleicht hat er sich da zu Beginn seines Weges etwas spielerisch Leichtes gegönnt! Vielleicht war der Wein einfach Jesu Hochzeitsgeschenk an ein Brautpaar, das sich finanziell übernommen hatte! Irritierend finde ich aber, dass er das Drängen seiner Mutter erst zurückweist – und gleich drauf dann doch tätig wird, als hätte er sich’s anders überlegt. Denn was ist das für ein seltsamer Wechsel? Warum wehrt er das Ansinnen erst ab – und tut es dann doch? Wie passen jene Worte zu der dann folgenden Tat? Es scheint widersprüchlich. Aber vielleicht sah Jesus zwei schlechte Alternativen, die er beide nicht wählen wollte. Hätte er dem Wunsch seiner Mutter willfährig nachgegeben und gesagt: „Jaja, Mutter, sehr wohl, ich zaubere gleich mal neuen Wein herbei!“ – auf welche Idee wäre Maria wohl am nächsten Tag gekommen? Voller Stolz auf die Kräfte ihres Sohnes hätte sie bald weitere Wunder bei ihm bestellt und wäre in Versuchung gekommen, ihn zu instrumentalisieren: „Tue doch mal dies, Sohn, hilf jenem, Sohn, tue mir den Gefallen, ich weiß ja doch, dass du es kannst!“ „Na, damit fangen wir gar nicht erst an!“ könnte Jesus gedacht haben – und gibt seiner Mutter darum eine barsche und abweisende Antwort. Weist er ihren Wunsch aber zurück, warum erfüllt er ihn dann doch? Gewiss nicht aus Wankelmut (weil er’s sich gleich wieder anders überlegt hätte), sondern weil er auch die zweite schlechte Alternative nicht wählen wollte. Denn – aus Trotz gegen seine Mutter untätig bleibend – hätte er in Kauf nehmen müssen, dass das Brautpaar sich blamiert. Jesus als Hochzeitsgast hätte mit anschauen müssen, wie das Fehlen des Weins nach und nach allen bewusst wird, wie die Stimmung sinkt und es für die Brautleute peinlich wird. Jesus hätte ihnen also aus Trotz gegen seine Mutter ihren Freudentag verdorben. Seine Konsequenz wäre in dem Fall auf ihre Kosten gegangen. Und das wollte er nun auch nicht. Darum wehrt er das Drängen Marias ab – und gibt ihm dann um der Brautleute willen doch nach. Er hilft dem jungen Paar aus der Verlegenheit. Und doch tut er zugleich etwas viel Größeres, das in seiner Bedeutung über den Moment hinaus verweist. Denn er offenbart seine Herrlichkeit (Joh 2,11) und lässt so gleich am Anfang seines Wirkens schon mal durchblicken, wer er ist und worauf seine Sendung hinausläuft. Er rettet nicht bloß eine Hochzeit, die zu verunglücken droht. Sondern in dem Zeichen wird auch das endzeitliche Heil anschaulich, das Jesus bringt und durchsetzt. Denn eine große Fülle an Wein ist in der Bibel ein Sinnbild der himmlischen Vollendung, wie auch die Hochzeit und das Festmahl sehr oft für das Reich Gottes stehen (Jes 25,6; Am 9,13; Joel 4,18; Mt 22,1ff. 25,1ff. Offb 19,7-9). Und Jesus ist in die Welt gekommen, um der endzeitlichen Freude im Reich Gottes den Weg zu bahnen. An unserem Mangel droht das Fest zu scheitern – das ist heute genauso wie damals in Kana! Aber Jesus kompensiert, was uns fehlt, und wo wir überfordert sind, springt er für uns ein. Er hat Freude an unserer Freude. Er will uns nicht beschämt sehen. Unsre Teilnahme am Reich Gottes wird nicht wegen schlechter Vorbereitung abgesagt. Und wenn wir uns so in der Rolle des Brautpaares finden, das sich übernommen hat – dann lernen wir Jesus als jemand kennen, der gern und freudig Wasser in Wein verwandelt, der Dreck in Gold verwandelt, Sünder in Heilige und Kandidaten der Hölle in Anwärter des Himmels. Entscheidend sind nicht die Ressourcen, die wir mitbringen. Entscheidend ist, was Jesus daraus macht. Denn wenn er will, sättigt er mit drei Fischen 5000 Menschen. Wenn er will, vermehrt er ein altes Ehepaar zu einem großen Volk. Und wenn er will, bekehren zwölf Jünger das ganze römische Reich. Jesus Möglichkeiten reichen immer weiter als die unsere. Und ganz im Stil des Weltenschöpfers hat er Freude daran, aus dem Nichts heraus ein ganzes Universum zu schaffen. Das ist die eigentliche „Herrlichkeit Christi“, die er zu Kana offenbart. Das ist Gottes typische Handschrift, dass er aus armseligen Dingen etwas ganz Großes macht. Warum starren wir also auf unsre leeren Weinflaschen und blasen Trübsal? Warum schauen wir nicht zu Jesus hin, der sie füllen kann? Warum sind wir so traurig fixiert auf unser Versagen, das Jesus doch mit Leichtigkeit kompensieren kann? Er ist bereit, mit uns Feste zu feiern! Er reserviert uns Plätze an seiner himmlischen Tafel! Hier wie dort sorgt er für alles Nötige! Und so ist dann auch klar, was wir aus der Geschichte folgern sollen. Denn wenn wir damit rechnen, dass das Fest unsres Lebens in einer Blamage und in einem Desaster enden könnte – dann sollten wir wenigstens so klug sein wie die Brautleute zu Kana und sollten sicherstellen, dass wir Jesus zu unsrem Fest eingeladen haben. Nötig ist das, denn ungerufen kommt er nicht. Jesus drängt sich nicht auf wie ein ungebetener Gast. Er will schon eingeladen sein. Ist er aber dabei, so kann unser Fest nicht mehr scheitern. Denn das Gelingen hängt dann nicht mehr an dem trüben Wasser unserer Gedanken, Worte und Werke, sondern nur an dem, was Jesus draus machen will. Wir übernehmen uns oft. Aber mit Jesus wird die Decke nie wirklich zu kurz. Wenn wir ihn einladen, kommt er gern und bringt das mit, was uns am meisten fehlt. Denn das ist der Liebe Art, dass sie unsre Blöße bedeckt. Und Jesus ist die Liebe Gottes in Person. So muss keinem verborgen bleiben, was ihn die Geschichte angeht, denn ihre Botschaft ist einfach genug. Gott aber gebe uns Weisheit, damit wir die Dinge nicht komplizierter machen, als sie sind.