Die Verklärung Christi

Die Verklärung Christi

The Saviour's Transfiguration / Theophanes the Greek, Public domain, via Wikimedia Commons

„Nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm.“ (Mt 17,1-3) 

 

Kluge Ausleger des Neue Testaments haben auf fast alles eine Antwort. Aber was uns die Verklärung Jesu sagen soll, bleibt doch ziemlich in der Schwebe. Denn: Warum findet sie statt? Wem hat das was gebracht? Was gäbe es aus daraus zu lernen? Und was wäre die Nutzanwendung für heute? Das alles bleibt offen. Denn der Vorgang ist gar zu merkwürdig. Mitten im Matthäusevangelium – dort wo Jesus unterwegs ist nach Jerusalem und den Jüngern seinen Tod schon angekündigt hat – wird davon berichtet: Jesus nimmt drei Jünger mit, die ihm besonders eng verbunden sind, nämlich Petrus, Jakobus und Johannes, und steigt mit ihnen auf einen hohen Berg. Das allein würde uns nicht wundern, denn Jesus hat sich des Öfteren auf Berge oder in Wüsten zurückgezogen. Doch hier geht mit ihm plötzlich eine Wandlung vor. Denn vor den Augen der drei Jünger beginnt Jesu Gesicht zu leuchten wie die Sonne, seine Kleider strahlen weiß wie das Licht – und alles wird so wunderbar verklärt, als ragte der Berggipfel nun direkt in Gottes Himmel hinein, oder als habe sich Gottes Himmel auf den Berg herabgesenkt. Die drei Jünger müssen schon durch das viele Licht verwirrt gewesen sein. Doch zu allem Überfluss erscheinen auch noch zwei himmlische Gestalten, von denen man nicht weiß, wo sie herkommen, die aber als Mose und Elia erkannt werden. Mose ist zu diesem Zeitpunkt schon mehr als 1000 Jahre tot und begraben! Und Elia ist als jener Prophet bekannt, der überhaupt nicht starb, sondern 850 Jahren zuvor lebend in den Himmel entrückt wurde. Die zwei Prominenten des Alten Testaments stellen sich aber nicht vor und kümmern sich auch nicht im Geringsten um die drei verdutzten Jünger, sondern sie beratschlagen sich mit Jesus. Was reden sie mit ihm? Wir wissen es nicht. Schmieden sie Pläne? Tauschen sie Informationen aus? Plaudern sie bloß ein wenig? Es wird uns nicht berichtet. Petrus aber – statt die hohen Herren reden zu lassen – platz mit einer ziemlich dummen Bemerkung heraus, indem er vorschlägt, für die drei himmlischen Gestalten Hütten zu errichten. Was denkt er sich dabei? Will Petrus sich nützlich machen? Hatte er bloß das Bedürfnis, auch mal etwas zu sagen? Oder glaubt er wirklich, dass Mose, Elia und Jesus jetzt Hütten brauchen, um darin Mittagsschlaf zu halten? Es ist ein ziemlich unpassender Vorschlag. Aber offenbar gefällt Petrus diese Situation, in der er sich quasi in den Himmel versetzt fühlt. Und er möchte aus der himmlischen Konferenz gern einen Dauerzustand machen. Petrus hat zwar keine Ahnung, was passiert. Aber es soll weitergehen. Er will noch länger auf diesem Berg bleiben und sagt darum: „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine“ (Mt 17,4). Keiner der drei kümmert sich um den offenbar verwirrten Petrus. Weder Mose noch Elia oder Jesus finden seinen Vorschlag einer Antwort würdig. Doch stattdessen hüllt eine lichte Wolke den Berggipfel ein, und Gottes Stimme spricht mit Hinweis auf Jesus: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!“ (Mt 17,5). Wäre Petrus frech gewesen, hätte er antworten können „das wissen wir schon“! Denn eine ähnliche Himmelsstimme hat Jesus schon bei seiner Taufe als Gottes Sohn identifiziert (Mt 3,17). Und Petrus selbst war der Jünger, der sich kurz vor dieser Szene zu Jesus als dem Sohn Gottes bekannte (Mt 16,16). Aber Petrus antwortet natürlich nichts. Sondern als ihm die Himmelsstimme die Gegenwart Gottes bewusst macht, erschrickt er bis ins Mark. Alle drei Jünger fallen zu Boden und pressen ihre Gesichter auf die Erde, denn sie wissen, dass man es nicht überlebt, wenn man Gott einfach so ins Gesicht schaut. Die drei sind von der Situation völlig überfordert. Jesus aber geht hin, stupst sie an und sagt: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ (Mt 17,7). Die Jünger machen die Augen vorsichtig wieder auf – aber da ist auch schon alles vorüber. Denn das Licht ist genauso verschwunden wie Mose und Elia, und niemand ist mehr da als Jesus allein. War die himmlische Konferenz schon zu Ende? Oder wurde sie abgebrochen, als Petrus störte? Jesus jedenfalls führt seine Jünger wieder vom Berg herab. Und auf dem Heimweg schärft er ihnen ein, dass sie von dieser Erscheinung vorläufig niemandem erzählen sollen. Doch das scheint fast überflüssig. Denn was hätte Petrus schon erzählen sollen? Etwa, dass er zwei Leute gesehen hat, von denen der eine längst tot und der andere seit einigen Jahrhunderten verschwunden ist? Dass er es auf dem Berg total schön fand – und dort trotzdem keine Hütten bauen durfte? Mit solchen Berichten hätte er wohl spöttische Blicke geerntet. Und außerdem erzählt man ungern, worauf man sich selbst keinen Reim machen kann. Auch Jesus kommt nicht mehr auf dieses Ereignis zurück. Wer auf eine nachträgliche Deutung gehofft hat, wird enttäuscht. Was sollte es dann aber? Wozu wird uns die Episode berichtet? Soll der Leser des Evangeliums vor dem Leidensweg Jesu noch einmal daran erinnert werden, dass der verkannte und verleumdete Nazarener trotz allem Gottes Sohn ist? Sollen wir an die Taufe Jesu zurückdenken, wo eine ähnliche Himmelsstimme zu hören war? Oder handelt es sich um eine Art vorgezogener Ostererscheinung, eine Vorschau sozusagen, die vor der Kreuzigung schon mal für einen Moment die Herrlichkeit des Auferstandenen aufblitzen lässt? Vielleicht wird die Sache ganz ohne Hintersinn nur deshalb berichtet, weil sie sich so zugetragen hat. Das wäre nicht die schlechteste Erklärung! Aber sollen wir uns dann vorstellen, der Sohn Gottes habe sich von Mose und Elia Instruktionen geholt? Oder wurde Petrus einer Prüfung unterzogen, in der er sich als begriffsstutzig erwies? Was ist die Moral von der Geschicht‘? Und was würde im Evangelium fehlen, wenn diese Erzählung fehlte? Die Gelehrten sind ziemlich ratlos. Denn es ist nicht zu erkennen, dass Petrus, Jakobus und Johannes aus dem spektakulären Erlebnis irgendeinen Gewinn gezogen hätten. Wenn aber genau das die Pointe der Geschichte wäre – dass man solche Erlebnisse nicht überschätzen soll? 

Tatsächlich durften die drei Jünger erleben, wovon viele Menschen träumen! Sie durften mal kurz den Kopf durch die Wolken stecken und einen Blick in den Himmel riskieren. Sie fanden das wohl auch beglückend und schön. Aber hinterher, mit festem Boden unter den Füßen, sind sie doch wieder dieselben wie vorher. Die himmlische Erfahrung verändert sie nicht. Und sie hindert den Petrus auch später nicht, Jesus ewige Treue zu versprechen, den Mund sehr voll zu nehmen und Jesus gleich drauf zu verleugnen (Mt 26,31ff. u. 26,69ff.). Die Erfahrung auf dem Verklärungsberg hat keinen besseren Menschen aus ihm gemacht. Vielleicht hat sie ihn eher verwirrt, als dass sie seinen Glauben stärkte. Für mich wirft das aber ein bezeichnendes Licht auf andere Erfahrungen der religiösen Entrückung, von denen man gelegentlich hört oder liest. Denn ich gestehe, dass ich mir auch mal wünschte, den Himmel offen zu sehen wie Stephanus (Apg 7,55-56) oder in den dritten Himmel entrückt zu werden wie Paulus (2. Kor 12,2-4). Wer träumte nicht davon, Gott so unmittelbar zu begegnen wie Mose, von dem es heißt, dass Gott mit ihm redete wie ein Mann mit seinem Freund (2. Mose 33,11)? Wer wollte nicht mit Elia am Horeb erleben, wie die Herrlichkeit Gottes vorübergeht, um dann zuletzt mit einem feurigen Wagen in den Himmel entrückt zu werden (1. Kön 19,11-13; 2. Kön 2,11)? Ein wenig neidisch liest man die Berichte christlicher Mystiker, die im Gebet unfassliche Seligkeit erlebten, weil sich Gott ihnen innerlich erschloss! Ja, es gibt solche „Highlights“ der religiösen Erfahrung, in denen plötzlich der Himmel auf Erden stattfindet – wie bei der Verklärung Jesu. Und wem das vergönnt ist, der darf den Kopf mal kurz durch die Wolken stecken und in die jenseitige Welt hineinschauen. Aber gerade die Verklärungsgeschichte ernüchtert uns diesbezüglich, weil Petrus mit der himmlischen Erscheinung nicht wirklich etwas anzufangen weiß – und hinterher auch nicht sonderlich erleuchtet wirkt. Der Einblick in den Himmel hat ihn eher verwirrt und überfordert. Etwas Besseres, als für die himmlischen Besucher irdische Hütten zu bauen, fällt ihm nicht ein. Er hätte ihnen genauso gut ein Wurstbrot anbieten können! Auch hinterher ist Petrus kein Glaubensheld. Was hat es ihm also gebracht? Und was würde es uns nützen, wenn wir hätten dabei sein dürfen? Als Mose vom Sinai herabstieg, musste er sich gleich wieder mit dem Volk herumärgern. Stephanus schaute den offenen Himmel und wurde dennoch gesteinigt. Und Paulus hat nach seiner Entrückung in den dritten Himmel wieder ganz normale Schlappen erlitten. Beseligung ist kein Dauerzustand. Und große Erleuchtung bewahrt nicht vor Fehltritten. So liegt es mir fern, Erfahrungen wie die auf dem Verklärungsberg gering zu schätzen – ich würde mich nicht zweimal bitten lassen! Aber es scheint doch, dass man diese „Highlights“ des religiösen Erlebens überschätzen kann. Denn es ist nicht das tägliche Brot des christlichen Lebens, dass man vom Geist überwältigt wird, Visionen hat, in Zungen redet, Wunder tut oder Engel trifft. Der Ernstfall des Glaubens ist nicht der Enthusiasmus am Sonntag, sondern das geduldige Weitermachen am Montag. Mit Mose und Elia zu konferieren, ist jetzt noch nicht dran. Aber das heißt keineswegs, dass wir die Seligkeit verpassen, sondern bloß, dass sie später kommt. In der Ewigkeit wird Gott dann selbst für uns Hütten bauen – oder vielmehr: himmlische Wohnungen (Joh 14,2)! Und da wird, was Petrus auf dem Berg nicht in einen Dauerzustand verwandeln konnte, durch Gottes Gnade zum Dauerzustand werden! Doch noch wandert Gottes Volk durch die Wüste, und jeder von uns durch seine eigene. Was soll’s? Jesus wusste, warum er just an diesem Tag diese drei Jünger mitnahm. Und so weiß er auch, wann wir dran sind, unseren „Berg der Verklärung“ kennen zu lernen.