Menschen simulieren mit KI?
Alle reden über künstliche Intelligenz. Und ich tue das heute auch. Denn in diesem Bereich entstehen ethische Fragen, auf die wir als Christen eine Antwort finden müssen. Die KI-Systeme sind zwar nicht wirklich intelligent und haben kein Bewusstsein. Tatsächlich sind es seelenlose Apparate ohne Verstand, Moral oder Einfühlungsvermögen. Sie werden aber immer besser darin, all das zu simulieren. Und so kann, wer sich mit ihnen unterhält, nicht mehr unterscheiden, ob er mit einem Menschen oder mit einer Maschine spricht. Man baut die Technik in niedliche Roboter ein, die mit großen Kulleraugen und sanften Stimmen im Altersheim unterwegs sind und sich dort mit den Alten unterhalten. Denen fehlt menschliche Zuwendung. Denn die Kinder können nicht kommen – und Pflegekräfte sind zu teuer. Aber, na ja: Wenn die Senioren den netten Roboter erst mal ins Herz geschlossen haben, merken sie keinen Unterschied mehr, und allen ist gedient. Denn eigentlich hat niemand Lust, den schwer Dementen die ewig gleichen Fragen immer wieder zu beantworten. Eigentlich will auch niemand Opas Geschichten hören. Der KI aber tut es gar nicht weh. Und wenn man sie mit einem menschlichen Gesicht ausstattet, das Interesse simuliert, scheint das eine gute Lösung zu sein. Da können die Alten der Maschine täglich ihr Herz ausschütten – und haben immer das Gefühl, jemand hörte ihnen zu! Tatsächlich könnten sie genauso gut mit dem Bettpfosten reden. Die Maschine bleibt kalt und dumm. Aber es fühlt sich an wie menschliche Zuwendung. Und das ist für die Alten doch besser als nichts – oder? Es gibt solche Systeme auch für einsame junge Menschen, die dann über ihr Handy mit einem virtuellen Freund kommunizieren. Und die KI kann so tun, als sei sie in den Nutzer total verliebt. Sie bewundert ihn ohne Ende und lacht über seine Witze. Man kann sie nach Wunsch so konfigurieren. Und wenn man möchte, ersetzt sie auch den Psychologen und tut so, als wäre sie ein Seelsorger oder Arzt. Sie kann sich sogar die Stimme eines Verstorbenen aneignen, so dass der Trauernde gar nicht mehr trauern muss. Die Telefonate mit der Mutter gehen nach ihrem Tod einfach weiter! Und wenn die KI das animierte Bild der Person lebensecht in den Raum projiziert, ist die Illusion perfekt. Der einsame Mensch kann sich dann mit so vielen virtuellen Freunde umgeben, wie er möchte. Sie haben immer Zeit für ihn. Und ganz nach Bedarf liefern sie Trost und Bestätigung, Unterhaltung und Bewunderung, Klatsch und Tratsch, Nachrichten oder besinnliche Kalendersprüche. Wenn sich aber das, was nicht echt ist, anfühlt wie „echt“, und die Simulation so gut ist, dass der Nutzer keinen Unterschied merkt – ist es dann nicht egal? Natürlich ist ein wenig Betrug dabei. Aber wenn’s doch glücklich macht? Ist es nicht besser, die Einsamen haben Illusionen, als dass sie gar nichts haben? Es fehlt an menschlicher Zuwendung, also lasst uns das an Maschinen delegieren. Denen tut es nicht weh. Und wir können so lang etwas anderes machen! Doch mich gruselt’s dabei. Ich halte es für zynisch. Und ich meine, dass die menschliche Würde auf der Strecke bleibt. Denn (man entschuldige den Vergleich) irgendwie ist es ja wie Sex mit einer Gummipuppe. Und auch wenn der Hersteller schwört, das Produkt erfülle seinen Zweck und die Nutzer seien von ihren virtuellen Freunden begeistert, scheint es mir dennoch falsch. Denn es gibt zwar viele Dienstleistungen, bei denen es egal ist, ob sie ein Mensch erbringt oder eine Maschine. Doch für eine menschliche Beziehung gilt das nicht. Um wirklich „ich“ und „du“ zu sagen, muss der Sprecher ein Subjekt sein. Der Computer aber bleibt immer Objekt. Um sich in jemand einfühlen zu können, braucht man eine lebendige Seele. Die kann der Computer aber nur vortäuschen. Und wie vollkommen die Maschine das auch tut, kann sie doch weder mitdenken noch Verantwortung übernehmen, sie kann weder segnen noch vergeben, kann nicht mit mir weinen und nicht mit mir lachen, sondern kann all das nur simulieren. Je besser es ihr aber gelingt, desto größer ist die Lüge, auf die der Programmierer hinarbeitet und in die er den vielleicht ahnungslosen Nutzer hineinzieht. Ist das nun aber nur ein ungutes Gefühl? Ist es die übliche Skepsis der Alten, die sich auf neue Technik nicht einlassen wollen? Nein. Es geht um die ganz grundlegende Einsicht, dass man (wenn man den Sinn für die Realität nicht verlieren möchte) am besten alles als das behandelt, was es ist, nämlich das Mineral als Mineral, die Pflanze als Pflanze, das Tier als Tier, den Mensch als Mensch, Gott als Gott – und die Maschine als Maschine. Es ist generell nicht gut, wenn uns diese Grenzen verschwimmen. Denn es darf als eine Erfahrung der Menschheitsgeschichte gelten, dass noch nie etwas Gutes dabei herauskam, wenn man die verschiedenen Weisen des Daseins durcheinanderwarf und verwechselte. Darf ich ein paar Beispiele nennen? Es gab Zeiten, in denen man aus Silber und Gold Götterbilder anfertigte und diese Götzenbilder dann angebetet und ihnen geopfert hat. Man behandelte tote Dinge, als wären sie lebendige Götter. Und die Propheten des Alten Testaments mussten lange dagegen predigen, bis man endlich begriff, dass Gott nicht „dinglich“ ist, und ein Ding nicht „göttlich“ (Jes 44,9-20; 46,6-7, Jer 10,3-5). Eine ähnliche Verwechslung der Seins-Ebenen lag vor, als man Menschen wie Tiere behandelte und sie auf dem Sklavenmarkt verkaufte. Da zählte der Sklave zum persönlichen Eigentum. Man hielt ihn, wie man sich Haustiere oder Rinder hält. Und von Menschenwürde war keine Rede. Doch gab es neben der Erniedrigung auch eine Überhöhung von Menschen. Denn manche Herrscher wollten „gottgleich“ sein und verlangten von ihren Untertanen religiöse Verehrung. Jeder musste vor ihren Standbildern niederknien und sich blind ihrem Willen unterwerfen. Als Herren über Leben und Tod maßten sie sich göttliche Autorität an – und die Folgen waren schrecklich. Doch, ein weiteres Beispiel: Man bringt die Seins-Ebenen auch durcheinander, wenn man Tiere behandelt, als wären sie nicht Lebewesen, sondern nur Dinge. Man tut so, als hätten sie weder Empfindungen noch Rechte. Statt im Lebendigen den Schöpfer zu ehren, behandelt man Tiere wie Konsumgüter, so als wären sie nur ein Rohstoff für die Lebensmittel-Industrie. Und auch in der Religion führt der Ebenen-Fehler zu nichts Gutem. Denn wo man sich Gott nicht wirklich göttlich, sondern allzu menschlich denkt, zieht man ihn auf eine niedere Stufe herab und macht ihn zur Karikatur. Man versucht ihn zu manipulieren oder mit Opfergaben zu bestechen – und schon gerät die Religion auf eine ganz schiefe Bahn. Ebenso falsch ist es, wenn ein Mensch sich selbst erniedrigt, indem er sich prostituiert und zur käuflichen Ware degradiert. Denn so tritt er die eigene Würde mit Füßen. Und die harmloseste Form, die Seins-Ebenen zu verwechseln, ist wohl, wenn jemand sein Haustier behandelt, als wär‘s ein Mensch. Aber lächerlich ist ja auch das. Denn merken sie, von wie allgemeiner Bedeutung diese Regel ist und wieviel davon abhängt, dass man die verschiedenen Ebenen nicht durcheinanderwirft? Die „künstliche Intelligenz“, die sich gibt, als wäre sie ein Mensch, ist nur eine von vielen Varianten des immer gleichen Fehlers. Denn man behandelt eine Möglichkeit nun mal nicht wie eine Gewissheit und einen Meister nicht wie einen Schüler. Man behandelt ein Kind nicht, als wenn es erwachsen wäre, und einen Erwachsenen nicht, als wäre er ein Kind. Man tut nicht, als ob der Verlust ein Gewinn wäre, der Feind ein Freund oder das Ende ein Anfang. Denn Schwarz und Weiß, oben und unten, Mensch und Maschine auseinanderzuhalten, ist nicht nur eine Frage der mentalen Ordnung. Es geht dabei nicht bloß um Wahrheit, sondern zugleich um Gerechtigkeit. Denn nur, wenn wir jedem geben, was ihm wirklich zukommt, ist gewährleistet, dass wir unsrem Gegenüber „gerecht“ werden. Wir werden aber dem Tier als Tier, dem Mensch als Mensch und Gott als Gott nur dann „gerecht“, wenn wir jeden als das behandeln, was er ist. Und dazu müssen wir wissen, wen oder was wir vor uns haben. Dinge dürfen wir benutzen. Wir sollten sie aber nicht lieben. Materielle Werte sollen uns dienen. Sie sind aber nicht der seelischen Hingabe wert. Nutztiere dürfen wir nicht nur halten, sondern auch essen. Da sie aber leben, dürfen wir sie nicht behandeln wie tote Dinge. Mit Menschen kooperieren wir auf Augenhöhe. Wir würdigen sie nicht herab, indem wir sie mit Tieren auf eine Stufe stellen. Wir überhöhen sie aber auch nicht, als dürfte einer beim anderen Gottes Stelle einnehmen. Und Gott wiederum ziehen wir nicht auf die menschliche Ebene herab, sondern werden ihm dadurch „gerecht“, dass wir uns in Ehrfurcht verneigen. Es ist immer von größter Bedeutung, dass wir wissen, wen oder was wir vor uns haben. Und ein Irrtum diesbezüglich führt nie zu etwas Gutem. Denn wo wir im Gegenüber zu viel oder zu wenig sehen, kann auch unsere Verhalten nicht mehr der Wirklichkeit entsprechen. Wir können dann nicht adäquat handeln – und werden selbst in Mitleidenschaft gezogen. Denn sobald wir uns ein X für ein U vormachen, leben wir nicht mehr in der Wahrheit, reden und handeln auch nicht mehr angemessen, sondern, indem wir die Ebenen (Ding, Maschine, Pflanze, Tier, Mensch, Gott) durcheinanderwerfen, leben wir in einer Lüge. Wir werden dann blind für die Realität, die uns umgibt. Und es zeigt sich, dass, wer verkehrt denkt, auch verkehrt handelt. Denn wir machen dann aus dem Relativen etwas Absolutes – oder umgekehrt. Wir behandeln Hohes wie Niedriges – oder umgekehrt. Wir unterscheiden nicht mehr, was Gott doch ganz unterschiedlich schuf. Und die resultierende Verwirrung korrumpiert uns. Denn man kann seinem Gegenüber nicht gerecht werden, wenn man nicht weiß, wen man vor sich hat. Wie sagt Jesus? „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (Mt 22,21). Doch wie soll das gelingen, wenn einer Gott und Kaiser nicht zu unterscheiden weiß, oder nicht weiß, wem was gebührt? Zutreffende Erkenntnis ist die Voraussetzung, die gerechtes Handeln erst möglich macht. Denn der Grundsatz der Gerechtigkeit lautet: Gib jedem das Seine! Gib dem Tier, was dem Tier gebührt, und dem Menschen, was einem Menschen gebührt! Gib Gott, worauf Gott Anspruch hat, und der Maschine, was der Maschine zukommt! Gib nicht allen alles oder jedem das gleiche, sondern jedem das Seine! Was das aber jeweils ist, ergibt sich erst, wenn ich klar unterscheide. Und so werde ich keinem „gerecht“, den ich nicht erkenne. Ich muss wissen, mit wem ich es zu tun habe. Nur dann weiß ich auch, was ich ihm schuldig bin. Denn auch ich selbst will ja als Mensch von den anderen weder als Ding noch als Tier – und noch viel weniger als ein Gott behandelt werden (Apg 14,11-18). Nein, der Gerechte fordert Realismus im Blick auf die eigene Person. Und es ist ihm jederzeit „recht“, als das behandelt zu werden, was er ist, weil alles andere auf Geringschätzung oder auf eine (ebenso peinliche) Überforderung hinausläuft. Wer rechtschaffen ist, gibt gar nicht erst vor, etwas zu sein, was er nicht ist. Er maskiert sich nicht – und hat’s auch nicht nötig. Dem Betrüger hingegen ist es sehr recht, wenn man ihn (die Seins-Weisen verwechselnd) für einen ehrlichen Mann hält! Der Dieb gibt sich den Anschein, ein Ehrenmann zu sein, denn er möchte besser behandelt werden, als es ihm zukommt. Falsche Erwartungen zu wecken, ist sein Geschäftsmodell. Der Gerechte hingegen findet nichts schlimmer, als wenn man sich mehr von ihm verspricht, als er halten kann. Er will nicht größer oder kleiner erscheinen, als Gott ihn gemacht hat. Und das ist nicht bloß ein Grundsatz der Moral, sondern zuerst ein Grundsatz des Glaubens. Denn wie könnte man als Geschöpf seinen Schöpfer bejahen, wenn man nicht seine Ordnung bejahte? Und wie könnte man diese Ordnung bejahen, wenn man nicht den Platz akzeptierte, an den man gestellt ist? Der törichte Wunsch, ich wollte mehr sein als nur ein Mensch, oder umgekehrt, Gott sollte weniger sein als Gott, der Wunsch, andere Menschen zu verdinglichen, oder umgekehrt, Dinge zu vermenschlichen – ist der nicht immer dämonisch und krank? Der Satan selbst (wenn er nicht hätte mehr sein wollen als ein Engel) und der Mensch (wenn er nicht Gott hätte gleichen wollen) wären nicht aus der Ordnung herausgefallen! Durch die Vermengung der Seins-Ebenen ging das Paradies verloren. Der Wunsch hingegen, genau das zu sein, als was Gott mich schuf, ist jederzeit angebracht und führt zum Frieden. Denn der vernünftige Wunsch, ein besserer Mensch zu werden, ist darin enthalten. Der törichte Wunsch aber, mehr sein zu wollen als ein Mensch, bleibt ausgeschlossen. Nein: So wie es Gott geordnet hat, so soll es sein. Will Gott, dass ich oben stehe, möchte ich oben stehen, will er, dass ich unten stehe, möchte ich unten stehen. Ich will aber weder etwas simulieren noch meinerseits einer Simulation erliegen. Und das führt zwingend zu einem kritischen Umgang mit der „künstlichen Intelligenz“. Denn es ist ein Irrweg, wenn Menschen Maschinen bauen, die das Ziel verfolgen, so menschenähnlich zu wirken, dass der Mensch den Unterschied nicht mehr erkennt. Wir arbeiten derzeit an einer Täuschung, die uns, weil sie so gut funktioniert, bald nicht mehr bewusst sein wird. Sie lässt uns den Unterschied zwischen Mensch und Maschine vergessen. Und weil das zu nichts Gutem führen kann, rate ich sehr, die Grenze zwischen einer maschinell erbrachten Dienstleistung und einer menschlichen Beziehung nicht weiter zu verwischen. Maschinelle Dienstleistungen sind „ok“. Ich lasse mir gern gefallen, wenn mir das Navi sagt, wo ich abbiegen soll. Und wenn eines Tages ein Roboter ins Haus kommt, um die Heizung zu reparieren, soll‘s mir recht sein. Ich brauche da ja keine Beziehung, sondern nur eine Dienstleistung. Wo ich aber tatsächlich eine menschliche Beziehung brauche, will ich nicht mit einer maschinellen Dienstleistung abgespeist werden. Wenn ich Zuwendung brauche, will ich keinen Automaten, der mir Kalendersprüche aufsagt. Und wenn ich Grund habe, etwas zu reklamieren, will ich einen echten Menschen anranzen. Um mich dabei verantwortlich zu verhalten, muss ich aber wissen, wen ich vor mir habe. Das muss unübersehbar gekennzeichnet werden. Denn es ist zwar „ok“, wenn Maschinen manche Aufgaben des Menschen übernehmen. Es ist aber nicht ok, wenn sie so tun, als ob sie Menschen wären. Können Maschinen ihre Aufgabe erfüllen, ohne Illusionen über ihre Natur zu wecken, geht das in Ordnung. Erfüllen sie ihre Aufgabe aber gerade nur, insoweit sie die Illusion erwecken, ein Mensch zu sein, ist das ethisch und theologisch nicht vertretbar. Denn Christen haben zur Wahrheit kein bloß pragmatisches Verhältnis. Pragmatiker fühlen sich an die Wahrheit nur gebunden, soweit es nützlich ist, sie zu kennen. Und wenn die Wahrheit sie unglücklich macht, geben sie einer schönen Illusion den Vorzug. Doch als Christ kann ich diesen Weg nicht gehen, weil Gott selbst die Wahrheit ist (Joh 14,6) und von mir fordert, in Übereinstimmung mit seiner Wahrheit zu leben. Dabei soll nicht nur das Denken den Fakten entsprechen, sondern der ganze Mensch der Wirklichkeit Gottes. Und das gelingt nicht, wenn wir Grenzen verwischen, die Gott mit Bedacht gezogen hat. Er gab uns Verstand, damit wir ihn und seine Ordnungen erkennen und respektieren, nicht aber, damit wir Sein und Schein durcheinanderwerfen. Warum schaffen wir also eine Technik, die uns suggeriert, die Maschine sei eine Person? Wir arbeiten daran, die Täuschung so perfekt zu machen, dass der Nutzer sie vergisst und der Maschine sein Herz öffnet, obwohl die KI in Wahrheit so wenig Einfühlungsvermögen hat wie ein Kühlschrank. Das Problem ist aber nicht die maschinelle Leistung, sondern die Täuschung. Denn wie Jesus sagt, ist der Teufel der Vater aller Lügen (Joh 8,44). Und so muss Christen die Lüge auch dann zuwider sein, wenn sie eventuell nützlich oder angenehm erscheint.
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Bild von Mo Farrelly auf Pixabay