Liebe und Ehe

Liebe und Ehe

Wenn der Pfarrer anlässlich einer Trauung das Wort ergreift, kann er die Anwesenden nur selten überraschen. Denn jeder weiß, was bei solchen Gelegenheiten üblicherweise geredet wird. Was soll er schon sagen, der Pfarrer? Um die „Liebe“ wird es gehen – um was denn sonst? Vielleicht erwähnt er auch das Glück, den Segen und die Treue, aber irgendwie hängt das ja alles mit der Liebe zusammen, und so ist der Spielraum nicht groß. Doch immerhin: der Redner kann den sentimentalen Unsinn weglassen und entschlossen beiseite schieben, was Schundromane und was Schlagersänger unter Liebe verstehen. Denn wirkliche Liebe ist kein Spaziergang im Mondenschein. Sondern wirkliche Liebe ist Wagnis, Bekenntnis und geduldiges Tun. Wirkliche Liebe ist kein Gefühlsrausch. Sondern sie fordert Leidensbereitschaft, Disziplin und langen Atem. Was ist also „Liebe“? Was steht hinter diesem geschundenen und so oft missbrauchten Wort? Ich werde versuchen, es in drei Schritten zu beschreiben, und will dabei drei verbreitete Missverständnisse korrigieren.

 

1. Korrektur: Manche Leute sagen, Liebe mache blind. Ich behaupte aber ganz im Gegenteil, dass Liebe sehend macht. Denn nur von jugendlicher Schwärmerei mag es gelten, dass sie vor lauter Gefühl besoffen macht und den Geist vernebelt, weil man ineinander vernarrt ist und insofern nicht „bei Verstand“. Wirkliche Liebe dagegen klärt den Verstand und öffnet die Augen für das, was wir an unseren Mitmenschen so oft nicht erkennen. Denn jemanden lieben, heißt ihn so zu sehen, wie ihn Gott gemeint hat. Der Blick der Liebe bleibt nicht am schönen Schein hängen. Die Liebe sieht nicht nur die Fassade eines Menschen. Sie sieht dahinter durchaus seine Angst, seine Schuld, sein Versagen. Aber sie lässt sich davon nicht abschrecken und verachtet den Geliebten deswegen nicht. Sondern sie schaut durch all das hindurch und erkennt den Menschen in seiner tieferen Wirklichkeit – nämlich so, wie er von Gott gemeint ist. Die Liebe sieht den Partner nicht in dem täuschend-günstigen Licht, in dem er sich selbst präsentiert. Sie sieht ihn nicht, wie andere ihn gerne hätten, oder wie er tatsächlich durch Schuld und Schwäche geworden ist. Sie idealisiert nicht, sie analysiert und urteilt nicht, sondern sieht den Menschen, wie er von Gott gedacht und gemeint ist. Die Liebe erkennt und versteht, was Gott vorschwebte, als er diesen Menschen schuf. Sie entdeckt das im Menschen verschüttetet Ebenbild Gottes. Sie erfasst es als die wahre Bestimmung des Partners. Und um ihretwillen vermag die Liebe zu lieben, d.h. der Liebende vermag das Dasein des Geliebten tiefer zu bejahen als sein eigenes Dasein. Denn die Liebe starrt eben nicht auf das Unvollendete an uns, das Krumme, Schiefe und Verkehrte. Sondern sie vollzieht den Gedanken des Schöpfers nach, der uns hervorbrachte. Und sie sieht das Vollendete voraus, das wir durch Gottes gnädige Hand einmal werden sollen. Darum macht zwar die unreife Schwärmerei blind, und das gierige Begehren macht sogar blöd. Die wirkliche Liebe aber – die macht sehend!

 

Es ist am Begriff der Liebe noch eine 2. Korrektur nötig. Denn viele Menschen kommen gar nicht auf die Idee, das eben erwähnte „Begehren“ von der Liebe zu unterscheiden. Viele meinen, Liebe sei einfach das Verlangen, die Nähe des Partners zu genießen und seine Vorzüge auszukosten. Doch das stimmt nicht. Denn Liebe ist nicht das Verlangen, einen attraktiven Partner zu konsumieren, sondern wirkliche Liebe ist der Wunsch, dem Partner hilfreich beizustehen. Und das heißt: wirkliche Liebe sucht nicht den eigenen Vorteil, sondern den Vorteil dessen, den sie liebt. Und das ist nicht etwa selbstverständlich, sondern ist selten, weil allzu viele Menschen ihren Wunsch, von der beglückenden Gegenwart eines anderen zu profitieren, mit „Liebe“ verwechseln. Die ganz normale Begehrlichkeit wendet sich dem Partner bloß zu, um durch ihn zu einer Steigerung des eigenen Lebensgefühles zu gelangen. Sie liebt den anderen so, wie man Erdbeerkuchen liebt, guten Wein oder sonst ein Genußmittel, das man „liebt“, weil’s einem schmeckt. Sie wünscht ihr Dasein durch den Partner zu bereichern, weil er das eigene Leben schmückt und verschönt. Solche Begehrlichkeit sucht die Erfüllung der eigenen Sehnsüchte durch den anderen. Und wenn das auf Gegenseitigkeit beruht, kann es lange funktionieren. Nur sollte man das nicht „Liebe“ nennen. Denn im Begehren ist der Partner bloß Mittel zum Zweck – und der Zweck bin ich selbst! Der Andere wird konsumiert und in wechselseitigem Einverständnis „benutzt“. Denn man wendet sich dem Partner zwar zu, sucht dabei aber nicht wirklich ihn, sondern sucht nur die Erfüllung der eigenen Träume und Bedürfnisse. Solche Begehrlichkeit will glücklich werden. Wirkliche Liebe aber will glücklich machen. Sie erträgt darum geduldig die Schwächen des Partners und fördert willig seine Stärken. Sie freut sich an seiner Freude und ist glücklich, wenn er glücklich ist. Sie will nicht besitzen, sondern will helfen, will nicht haben, sondern geben, und ist darum auch leidensfähig und leidensbereit. Wenn der Andere es „nicht bringt“, bejaht ihn die Liebe auch auf eigene Kosten. Und damit deutet sich an, dass wahre Liebe eine ganz praktische und auch schmerzhafte Seite hat… 

 

Das ist dann schon die 3. Korrektur am Begriff der Liebe. Denn was im Kino und im Schlager so genannt wird, ist selten mehr als ein romantisches Gefühl. Hollywood verherrlicht eine mehr oder weniger dauerhafte Sentimentalität. Wirkliche Liebe ist aber weniger ein spektakuläres Gefühl als ein Bekenntnis, ein Entschluss und eine Tat. Sie ist nicht damit beschäftigt, den Partner anzuhimmeln oder ihn zu verklären. Sondern sie macht sich gemeinsam mit dem Partner auf den steinigen Weg, den man Leben nennt. Voller Freude ist die Liebe, ohne Illusionen – und trotzdem bereit zu lebenslanger Treue. Denn „Ich liebe dich“ heißt immer: „Ich will mit dir alt werden“. Und wenn es das nicht heißt, ist es gelogen. Denn wo man Verbindlichkeit scheut, ist gar keine Liebe im Spiel. Was Liebe ist, zeigt sich erst, wenn das Strohfeuer der Leidenschaft heruntergebrannt ist. Und nur wenn auch dann die Bereitschaft bleibt, den anderen weiterhin zu ertragen, wenn man hundert Mal enttäuscht wird und dennoch zusammenhält, wenn man Rückschläge erlebt und trotzdem um den anderen kämpft, wenn man tief verletzt wird und trotzdem verzeiht – nur dann kann man von Liebe reden. Denn Gefühle kommen und gehen, die Stimmungen eines Menschen ändern sich schneller als das Wetter. Die Liebe aber ist weder Gefühl noch Stimmung, sondern ist der eiserne Wille, miteinander auf dem Weg zu bleiben in Respekt und Treue. Wirkliche Liebe ist darum hart im Nehmen. Sie ist zäh und geduldig. Und sie ist mächtig, wie sonst nur der Tod mächtig ist. Denn Liebe schwärmt nicht bloß. Sie will etwas, sie kämpft, sie kann leiden, sie will aber, kämpft und leidet nicht für sich, sondern für den anderen, dem voranzuhelfen sie sich berufen weiß. Diese Liebe ist nicht für schönes Wetter gemacht, sondern für jedes Wetter, nicht bloß für Festtage, sondern auch für Montage, nicht nur für’s Lachen, sondern auch für’s gemeinsame Weinen. Und eben diesen umfassen-den Sinn der Liebe bringt das Neue Testament auf den Punkt, wenn es sagt:

 

„Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ (1. Kor 13,4-7)

 

Ein hoher Anspruch liegt in diesen Worten! Und wer davor nicht zurückschreckt, hat wahrscheinlich nicht hingehört. Denn wenn das Liebe ist – wer könnte dann Liebe versprechen, ohne sich restlos zu überfordern? Nehmen sich Brautpaare da nicht zuviel vor? Wären sie auf sich gestellt, müßte man das bejahen. Denn die von Menschen geübte Liebe ist so fragmentarisch und so ambivalent wie alles am Menschen. Doch wenn zwei vor den Altar treten, kommt Gott ins Spiel. Und Gottes Liebe ist so vollkommen, so ewig und verlässlich wie Gott selbst. Gottes Liebe ist das Fundament, auf das Brautpaare ihr gemeinsames Leben bauen können. Und wenn es zunächst auch die eigenen Gefühle sind, die sie zur Trauung führen, kommt durch Gottes Segen doch etwas Entscheidendes hinzu. Denn künftig dürfen sie sich getragen und umfangen wissen von einer Liebe, die größer und beständiger ist als ihre eigene. Ihr großes Vorhaben, das Projekt ihrer Ehe, ist von da an eingebunden in die Liebe Gottes. Und nur deshalb ist es keine Überforderung, was sie einander versprechen. Denn ihre Liebe ist künftig von Gottes Liebe umfangen. Sie ist transparent geworden für die Wirklichkeit Gottes, die dahinter steht. Und niemand kann den Brautleuten etwas Besseres wünschen, als dass es so bleibt. Denn wenn sie einmal nicht einig sind, kann Gott ihnen helfen, trotzdem eins zu sein. Wenn sie einander enttäuschen, kann er sie lehren, wie man vergibt. Und wenn sie sich von aller Welt verlassen fühlen, wird er auf jeden Fall noch da sein. 

Das alles klingt recht ernst. Und mancher meint, es passe nicht zur Fröhlichkeit einer Hochzeit. Aber mit etwas Anderem wäre den Brautleuten nicht geholfen. Denn die guten Wünsche der Gratulanten verfliegen im Wind – so schnell wie die Blumen welken. Auf Hochzeit folgt Alltag. Gottes Segen aber, der bleibt. Seine Liebe bleibt. Seine Treue bleibt. Und wenn sich Eheleute davon umhüllen lassen wie von einem weiten Mantel, dann bleiben sie miteinander bewahrt bis ins ewige Leben. 

 

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Busts of a Married Couple

Anonym / National Trust, Public domain, via Wikimedia Commons