Chemnitz - Zehn Gebote

 

VON DEM GESETZE DER ZEHN GEBOTE.

 

WAS MEINET ODER VERSTEHET MAN DENN FÜR EIN GESETZE, WENN MAN IM NEUEN TESTAMENT DEN CHRISTEN DAS GESETZ PREDIGT UND VORHÄLT? 

Die Zehn Gebote. Denn wenn Christus und Paulus also das Gesetz nennen, so meinen sie die Zehn Gebote. Matth. 5.19. Luk. 10. Röm. 7. 13. 

 

WAS SIND DENN DIE ZEHN GEBOTE FÜR EINE LEHRE? 

Hie soll die definitio legis moralis (Anm.: die Definition des Moralgesetzes) genommen werden ex Locis et Examine D. Philippi (Anm.: aus der Dogmatik und dem Examen Melanchthon’s). 

 

SOLL MAN AUCH SOLCH GESETZ DER ZEHN GEBOTE DEN CHRISTEN IM NEUEN TESTAMENT PREDIGEN UND VORHALTEN? 

Ja, denn Christus und Paulus habens getan. Matth. 5. Röm. 7 und 13. 

 

HAT DOCH CHRISTUS BEFOHLEN, ALLEIN DAS EVANGELIUM ZU PREDIGEN, MARK. 16. 

Evangelium heißt an diesem Orte insgemein die ganze Lehre des göttlichen Worts, welches Hauptstücke Christus erzählet Luk. 24: Buße und Vergebung der Sünde, Paulus Act. 20: Buße zu Gott und Glauben an Christum. Buße aber, das ist, Erkenntnis der Sünden und Gottes Zorn ist eigentlich nicht eine Lehre des Evangelii, sondern des Gesetzes. 

 

WOZU ABER IST ES NÜTZE ODER NOT, AUS DEM GESETZE DIE SÜNDE ZU STRAFEN UND MIT GOTTES ZORN ZU DROHEN, WEIL DOCH DAS ENDE IST, DASS GOTT WILL SÜNDE VERGEBEN UND DIE SÜNDER ZU GNADEN AUFNEHMEN? WARUM HEBET MAN NICHT BALD VOM EVANGELIO AN? 

Matth. 9: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken“, das ist, das Evangelium wird geprediget den armen und durch’s Gesetz zerschlagenen und zerstoßenen Herzen, Luk. 4, Jes. 61 und 66. Denn ein pharisäisch Herz gedenket, es bedürfe das Evangelii oder Christi nicht. Darum muss durch’s Gesetz dem Herrn Christo der Weg bereitet werden, dass den Pharisäern gezeiget werde, wie es mit alle ihrem Tun zur Seligkeit verloren sei und sie nichts verdienen, denn eitel Zorn; den Sicheren aber geoffenbaret werde, wie greulich ihre Sünden vor Gott seien und wie sie unter Gottes Zorn in Verdammnis stecken, auf dass sie also allerseits hungrig und durstig mögen werden nach der Gerechtigkeit, die das Evangelium in Christo offenbaret etc.

 

KANN MAN DOCH IM EVANGELIO, DAS IST IN PASSIONE CHRISTI (ANM.: IM LEIDEN CHRISTI) VIEL KLÄRER ZEIGEN UND SEHEN, WIE EIN GREULICH DING DIE SÜNDE SEI UND WIE SCHWER GOTTES ZORN SEI, WIE BERNHARDUS SAGET: ICH HÄTTE DAS NIMMERMEHR GEGLAUBET, WENN ICH’S NICHT GESEHEN HÄTTE AN DEM SOHNE GOTTES; SO BEDARF MAN JA DAZU DIE LEHRE DES GESETZES NICHT. 

Die Sünde offenbaren, also dass man erkenne, welches Sünde oder nicht Sünde sei, item das Urteil des Zorns Gottes und der Verdammnis über uns sprechen, ist nicht ein Amt des Evangelii, sondern des Gesetzes, Röm. 3 und 4, 2 Kor. 3. Aber weil das Evangelium lehret, dass Christus uns erlöset und mit dem Vater versöhnet habe, so zeiget und weiset es auch, wovon uns Christus erlöset, nämlich vom Fluch des Gesetzes, Gal. 4; item, wie und womit er uns die Versöhnung erworben habe, nämlich dass er, unter das Gesetz getan, unsere Sünde und Gottes Zorn getragen, dafür nach dem Gesetze genug getan. Und also erkläret das Evangelium die Lehre des Gesetzes, indem es in Christo zeiget, welch ein schwer, unträglich Ding vor Gottes Gericht sei die Sünde und die Strafe der Sünde; denn es lehret, dass Christus sei für uns unter das Gesetz getan, Gal. 4. Und bleibet gleichwohl ein klarer Unterscheid des Gesetzes und des Evangelii; denn das Evangelium prediget, dass Gott seinen Sohn für uns unter das Gesetz getan, unsere Sünde auf ihn geworfen, seinen Zorn und den Fluch, so wir verwirket, über ihn ausgeschüttet zu unserer Erlösung und Versöhnung; das Gesetz aber hat mit unserer Person zu tun, straft unsere Sünde, nicht an einem Andern, sondern an uns; es spricht das Urteil des Zorns und des Fluchs von wegen unserer Sünde nicht über einen Andern, sondern über uns zur Verdammnis, wo wir nicht die Versöhnung Christi ergreifen. 

 

SOLL MAN DENN DAS GESETZ DAZU PREDIGEN UND LEHREN, DASS DIE LEUTE DADURCH SOLLEN GERECHT UND SELIG WERDEN? 

Nein; denn durch’s Gesetz wird niemand vor Gott gerecht; ja die aus den Werken des Gesetzes sind, die sind unter dem Fluch; denn es ist nicht ein Gesetz gegeben, das da könnte lebendig machen. Gal. 3 und 4. 

 

SAGET DOCH MOSES VOM GESETZE DEUT. 30: ICH HABE EUCH VORGELEGET LEBEN UND TOD, SEGEN UND FLUCH; ITEM, CHRISTUS MATTH. 19, LUK. 10: TUE DAS, SO WIRST DU LEBEN; PAULUS RÖM. 2: DIE DAS GESETZ TUN, WERDEN VOR GOTT GERECHT SEIN, RÖM. 7: DAS GEBOT IST ZUM LEBEN GEGEBEN. 

Das Gesetz hält uns vor eine solche reine, heilige, vollkommene Gerechtigkeit, dass, wer dieselbige hätte und hielte, der wäre ohne Zweifel dadurch vor Gott gerecht und selig, wie die Verheißungen des Gesetzes lauten. Dass aber niemand durch das Gesetz gerecht und selig wird, ist nicht des Gesetzes Schuld, als lehrete es von bösen oder unvollkommenen Werken, sondern weil es durch das Fleisch geschwächet wird, welches das Gesetz nicht halten kann. Röm. 8. Act. 7. 

 

HAT DOCH EIN ERNEUERTER MENSCH DURCH WIRKUNG DES H. GEISTES NICHT ALLEIN EINEN ÄUßERLICHEN, SONDERN AUCH EINEN INNERLICHEN GEHORSAM DES GESETZES, RÖM. 7; WIE SOLLTE ER DENN DAS GESETZ NICHT HALTEN KÖNNEN? 

Das Gesetz erfordert nicht einen geflickten, zerstückelten Gehorsam, sondern so rein und vollkommen, dass es sei von ganzer Seele, und dass keine böse Lust dabei sei, wie das erste und letzte Gebot melden. Dass aber auch die Heiligen in diesem Leben solche Vollkommenheit nicht erreichen, klaget Paulus Röm. 7, David Ps. 130. 143. Nun ist aber des Gesetzes Urteil, wenn es an einem mangelt, dass er nicht bleibet in allem, was im Gesetz geschrieben ist, der ist’s ganz schuldig und unter dem Fluch, Gal. 3, Jak. 2. Der Ursachen halben kann das Gesetz nicht gerecht machen, sondern wir müssen eine andere Gerechtigkeit haben, wo wir nicht wollen verdammt werden. 

 

WOZU SOLL DENN DAS GESETZ GEPREDIGET, ODER WIE SOLL ES GEBRAUCHT WERDEN? 

Erstlich dazu, dass die Leute daraus erkennen lernen ihre mannigfaltige, schwere Sünde, und was sie dadurch für ein greulich Urteil Gottes auf sich geladen haben, nämlich, dass sie unter Gottes Zorn und Fluch zur ewigen Verdammnis stecken, so ihnen nicht durch Christum geholfen werde, auf dass sie also von der Sünde sich abkehren, vor Gottes Zorn fürchten und nach dem rechten Arzte Verlangen haben. Röm. 3. 4. 2 Kor. 3. Hes. 18. Matth. 9. Zum andern dazu, auf dass die Bekehrten haben mögen eine gewisse Regel, die ihnen zeige und weise, welche Werke Gott haben wolle, darin die Gläubigen wandeln und ihm dienen sollen. Deut. 13. Hes. 20. Röm. 13. Kol. 2.

 

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