Chemnitz - Titel und Vorwort

 

ENCHIRIDION.

 

Handbüchlein

der vornehmsten Hauptstücke 

der christlichen Lehre, 

 

durch Frage und Antwort

aus Gottes Wort einfältig und gründlich erkläret, 

anfänglich gestellet zum Unterricht der Pastoren

in der Visitation des Fürstentums Braunschweig,

jetzund von neuem überlesen und gebessert durch

 

Martinum Chemnicium, D.

 

Neu herausgegeben von

A. L. Gräbner.

 

Milwaukee, Wis. 

Verlag von Georg Brumder.

 

1886

 

 

 VORWORT DES HERAUSGEBERS.

 

Am 8. April dieses Jahres waren dreihundert Jahre verflossen, seit Martin Chemnitz nach einem an Arbeiten und Kämpfen reichen und mit viel Segen geschmückten Erdenleben selig entschlafen und zur ewigen Ruhe der Heiligen eingegangen ist. Wenn aber von jedem selig heimgegangenen Christen gilt: 

 

Er hat getragen Christi Joch,

Ist gestorben und lebet noch,

 

so gilt dies in besonderem Sinne von solchen Lehrern der Gerechtigkeit, die in ihren Schriften wirken und Segen stiften, nachdem ihnen längst schon Lippen und Hand erstarrt und zu Staub geworden sind. So wirkt der „erste Martinus“, Dr. Luther, durch seine Schriften bis auf den heutigen Tag, und Gottes Gnade hat ihm unter Jungen und Alten der Schüler viele erweckt, besonders hier im Abendlande; sein Enchiridion oder Handbüchlein, der Kleine Katechismus, ist in den Händen und wirkt in den Herzen vieler Tausende lutherischer Kinder und solcher, die, in reiferen Jahren stehend, in kindlichem Geist das „Abba, lieber Vater“, sprechen. Und so sei denn auch des „andern Martinus“ Enchiridion oder Handbüchlein dem lutherischen Christenvolke dieser späten Tage und seinen Lehrern hier im Lande der Abendsonne zu gesegnetem Gebrauch in die Hände gelegt. Der Herausgeber hat an dem köstlichen Büchlein nichts geändert als die Orthographie. Von ihm hinzugetan ist die Übersetzung der lateinischen Ausdrücke, Sätze und längeren Abschnitte, und zwar in der Weise, dass die lateinischen Worte im Text geblieben, die Übersetzungen unter dem Text beziffert beigefügt sind. Ferner ist hinzugekommen ein Inhaltsverzeichnis und eine Erklärung der von Chemnitz gesetzten, jetzt in deutschen Büchern ungebräuchlichen, aber in dieser Ausgabe beibehaltenen Bezeichnungen der biblischen Bücher. Du aber, Herr Jesu, komm bald in deiner Herrlichkeit und führ uns heim zum seligen Schauen!

 

A. L. Gräbner.

Milwaukee, Wis., 

am Vorabend des ersten Adventssonntags 1886.

 

 (VORREDE.)

 

Den Ehrwürdigen in Gott Abten und Pröbsten der Klöster des löblichen Fürstentums Braunschweig, auch Ehrwürdigen, Würdigen, Hoch- und Wohlgelahrten General- und Special-Superintendenten, samt allen Pastoribus der Kirchen hochermeldtes Fürstentums, meinen großgünstigen Herrn, auch vielgeliebten Brüdern in Christo etc. Gottes Gnade in Christo Jesu, unserm einigen Erlöser und Mittler, zuvor. Ehrwürdige in Gott, würdige, andächtige und wohlgelehrte, günstige Herrn und geliebte Brüder in Christo! Die höchste Wohltat, so Gott in diesem Leben Landen, Städten und Völkern erzeigen kann, ist die, so wenn er das Licht seines heilsamen, seligmachenden Worts anzündet und aufgehen lässt, also dass dadurch alle Finsternis falscher, irriger Lehre, Missbräuche, Aberglaubens und Abgötterei vertrieben und die Herzen in wahrem, seligem Erkenntnis Gottes erleuchtet werden. Das heißt die Schrift eine selige Zeit, ein seliges Volk, ein seliges Land. Luk. 10. 2 Kor. 6. Ps. 144 und 147. Diesen Schatz preiset die Schrift edler und teurer über das beste Gold und edle Steine, Ps. 19 und 119. Denn dieses ist das einige ordentliche Mittel, dadurch der H. Geist allhie auf Erden beruft, sammlet, erleuchtet und erhält eine wahre christliche Kirche, welche in diesem Leben hat einen gnädigen Gott und nach diesem Leben die Freude der ewigen Seligkeit. Und weil nun der liebe Gott aus besonderen großen Gnaden dieselbe hohe Wohltat der Kirche dieses löblichen Fürstentums auch mildiglich widerfahren hat lassen, dass die Krämerei und Wechselbank des römischen Antichrists mit seiner losen, faulen, falschen und giftigen Ware ausgemustert und dagegen reine, heilsame Lehre des heiligen, allein seligmachenden göttlichen Worts aus der h. Schrift durch eine christliche Reformation in Klöstern, Kirchen und Schulen gepflanzt ist worden, können wir für solche Gnade, Güte und Wohltat dem frommen, treuen Gott nimmermehr genugsam und zu volle danken, sollen aber gleichwohl dasselbige erkennen, beherzigen und bedenken und unser christliches, dankbares Herz und Gemüt darin beweisen und erzeigen, dass wir solche Wohltat Gottes zu seinen Ehren und unserer armen Seelen Heil und Seligkeit christlich und seliglich brauchen, auf dass nicht nach verachtetem Segen der schreckliche Fluch über uns kommen möge, davon geschrieben steht Matth. 11: „Du Kapernaum, die du bist erhaben bis an den Himmel, du wirst bis in die Hölle hinunter gestoßen werden.“ Und Luk. 11: „Das Letzte wird ärger werden, denn das Erste gewesen ist.“ Weil aber solch großes, hohes Werk im Anfang dieser angehenden zarten Kirchen nicht allenthalben vollkommen sein kann, will der liebe Gott gebeten sein, der in uns angefangen hat das gute Werk, dass der’s auch vollführe bis an den Tag Jesu Christi, Phil. 1, und dass er das erhalte und bestätige, was er zu wirken gnädiglich angefangen hat, Ps. 68. Und weil der liebe Gott das Ministerium dazu verordnet hat und gebraucht, dass der Leib Christi, das ist seine Gemeine, erbauet werde und immer wachse zu seiner selbst Besserung, Eph. 4, müssen die, so im Predigtamt sein, mit allem Ernst, Fleiß und Treuen Gottes Mitarbeiter sein, pflanzen und begießen, 1 Kor. 3, auf dass Gottes Wort reichlich unter uns in aller Weisheit wohne, Kol. 3, allerlei Unkraut falscher, irriger Lehre ausgesetzt und von diesen Kirchen durch Gottes Gnade abgehalten möge werden. Matth. 15, Act. 20. Der Ursachen halben und aus dem Bedenken ist in der christlichen Kirchen-Ordnung unsers G. F. und Herrn, Herrn Julii, Herzogen zu Braunschweig und Lüneburg etc. verordnet, dass die examina nicht allein gehalten sollen werden, wenn jemand zum Predigtamt soll auf- und angenommen werden, sondern dass die Superintendenten alle Jahre zweimal ihre zugeordneten Pastores examinieren sollen, also, dass es zugleich ein Unterricht und Unterweisung sei vom Grunde und rechten Verstande der reinen Lehre, wie einfältige Pastores ihre studia anstellen, vor falscher Lehre sich hüten, und wie sie ihren Zuhörern die Lehre fein einfältig vortragen mögen, dass also durch solche examina die ganze Kirche bei Predigern und Zuhörern mit großem Nutz und Frommen durch Gottes Segen erbauet kann werden. Dass aber in examinibus Gleichheit gehalten und einfältige Pastores desto besser dazu sich zu schicken hätten, ist im geistlichen Consistorio mit gnädigem Vorwissen und Consens unsers G. F. und Herrn etc. für ratsam angesehen worden, dass die forma examinis, wie die im Consistorio mit denen, so zum Predigtamt ordinieret und angenommen sollen werden, gehalten wird, schriftlich publizieret möchte werden, dass derselben die Superintendenten in den jährlichen visitationibus folgen könnten. Und ist dies nicht der Meinung geschehen, andere dergleichen nützliche Büchlein hiemit zu verwerfen (denn in diesem Büchlein wird an vielen Orten geweiset in’s examen D. Philip. und in andere Schriften), sondern dass man nach Gelegenheit dieser neuen angehenden Kirchen eine einfältige formam haben möchte, die Pastores auf den rechten Grund der reinen Lehre zu bringen, wie denn darum allenthalben die capita locorum Scripturae (Anm.: Kapitel der Schriftstellen) annotiert sind, dass die Pastores selber sollen in der Bibel nachsuchen lernen und von einem jeden Artikel gewisse Zeugnisse der Schrift anzeigen können. Und ist diese forma examinis in deutscher Sprache gestellet, nicht der Meinung, dass die Pastores eitel deutsche Bacularii sein und dies Büchlein für ein dormi secure (Anm.: „Schlafe sicher“) halten (denn die examina werden und sollen auch vornehmlich in lateinischer Sprache gehalten werden); sondern weil oft befunden wird, dass ihrer viele usitatas definitiones more psittaci recitieren (Anm.: die gebräuchlichen Definitionen nach Papageienart hersagen) und entweder die rechte Meinung nicht verstehen, oder ja derselben keinen Grund aus Gottes Wort anzuzeigen wissen. Und weil es auch viel eine andere Art ist, wenn man ein Ding in Schulen latine handelt, und wenn man eben dasselbige vor dem gemeinen Manne so populariter vortragen soll, dass er’s gründlich verstehen, fassen und einnehmen könne: so ist’s auch darum deutsch gestellet, dass die Laien lesen und Wissenschaft haben möchten, was in examinibus gehandelt wird, und was in den vornehmsten Hauptstücken das Vorbild sei der heilsamen Lehre, dabei auch die Zuhörer erkennen können, ob ihre Pastores der rechten Stimme des einigen Erzhirten Christi folgen, oder ob sie eine fremde Stimme führen. Joh. 10. Dies Büchlein aber, nachdem es zum Druck verfertigt, hab ich’s anfänglich dedizieret und zugeschrieben: erstlich euch, den Ehrwürdigen Prälaten der Klöster dieses Fürstentums, dieweil die Reformation der Klöster dahin gerichtet ist, dass die Prälaten mit der Zeit im Consistorio ad visitationes, ad examina, ad synodos (Anm.: zu Visitationen, Prüfungen und Synoden) etc. gezogen und gebraucht sollen werden, und weil die examina Pastorum in der ersten Visitation gemeiniglich in den Klöstern gehalten sind worden, dass dies Büchlein ein öffentlich Zeugnis sei, was das für eine Lehre sei, darauf die Pastores in angehender Reformation examinieret sind worden, dazu auch E. Ehrw. sich begeben haben und dazu bekennen. Darnach habe ich’s auch zugleich dedizieret euch, den Superintendentibus, generalibus und specialibus, und allen Pastoribus der Kirchen dieses Fürstentums zu öffentlicher Erklärung, gründlicher Bestätigung und beständiger Erhaltung christlicher, heilsamer Einigkeit in reiner Lehre wider alle schädlichen Corruptelen zwischen den Dienern der Kirchen im Fürstentum und in der Stadt Braunschweig, wie denn eben dies Vorbild der reinen, unverfälschten Lehre in allen diesen benachbarten und andern anliegenden sächsischen Kirchen, in thesi et antithesi (Anm.: Sowohl was die Lehre, als was die Verwerfung der Irrlehre betrifft), durch Gottes Gnade also bis daher geführet ist und noch geführet wird, wie in diesem Handbüchlein die vornehmsten Punkte einfältig erkläret werden. Und weil der liebe Gott seine sonderliche Gnade und Segen gegeben hat, dass die christliche Declaration der streitigen Religionspunkte, so der Fürstlichen Braunschweigischen Kirchenordnung einverleibet, daraus auch dies Handbüchlein mehresteils genommen, von vielen ansehnlichen, nicht allein benachbarten, sondern auch weitabgelegenen Kirchen approbieret und als richtig gerühmet wird, habe ich mir’s nicht lassen entgegen sein, da der Buchdrucker dies Büchlein hat von neuem wiederum auflegen wollen, hab es auch an etlichen Orten verbessert, und will hiemit die erste vorige Dedication dieses Büchleins an E. Ehrwürdigen und Würden repetieret und confirmieret haben. Der fromme, treue Gott regiere, lehre, segne und erhalte uns bei reiner Lehre in Einigkeit des Geistes, dass wir ja allesamt und sonderlich durch Gnade und Hilfe des Heiligen Geistes nach der Lehre Pauli über dem Wort, das heilsam und gewiss ist, beständig fest halten, die Widersprecher strafen, Tit. 1, und uns befleißigen, neben reiner Lehre christliche brüderliche Einigkeit und das Band des Friedens zu erhalten. Eph. 4, vor unnötiger, ärgerlicher Trennung und Spaltung uns hüten, Röm. 16, dem Wolfe und Unkraut falscher Lehre im Wenigsten keinen Raum noch Statt geben, Joh. 10, sondern, wie Lutherus saget, beides treulich und fleißig verrichten; die Schäflein nähren und dem Wolfe wehren. Amen.

 

Datum Braunschweig, den 6. Tag des Monats August, 

Anno Domini tausend, fünfhundert vier und siebenzig. 

 

Martinus Chemnic: D. Superintendens. 

 

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