Chemnitz - Gesetz

 

 VON DEM GESETZE GOTTES INSGEMEIN.

 

WAS IST DAS GESETZ GOTTES INSGEMEIN? 

Es ist eine Lehre, von Gott gegeben, die da zeiget und weiset, wie wir sein sollen, was Gott von uns wolle getan und gelassen haben. 

 

SOLL MAN DENN DIE CHRISTEN LEHREN UND DAZU HALTEN, DASS SIE SICH SOLLEN BESCHNEIDEN LASSEN, OPFERN, DEN SABBAT HALTEN, KEIN SCHWEINEFLEISCH ESSEN ETC.? DENN DAS SIND JA GOTTES GESETZE. 

Nein; denn dieselbigen Gesetze sind abgetan und aufgehoben. 

 

SIND ES DOCH EBENSOWOHL GOTTES GESETZE ALS DIE ZEHN GEBOTE UND JA SO HART GEBOTEN; WIE KOMMEN DENN CHRISTEN DAZU, DASS SIE SICH UNTERSTEHEN, AUS GOTTES GESETZEN AUSZUMUSTERN, DIE IHNEN NICHT GEFALLEN, UND DAVON ZU BEHALTEN, WAS SIE GELÜSTET? 

Die Kirche tut solches in keinem Wege ihres Gefallens, sondern Gott hat selbst etliche seiner Gesetze also gegeben, dass sie nicht alle Menschen sollten binden, sondern nur das eine Volk Israel, auf dass dasselbige Volk, von welchem und unter welchem Christus sollte geboren werden, von allen andern Völkern durch sonderliche Satzungen und Ordnungen sollte unterschieden werden; und solche Gesetze sollten nicht immer, sondern nur eine gewisse Zeit, nämlich bis auf Christum währen. Etliche Gebote aber des Gesetzes Gottes binden alle Menschen, sind und bleiben zu allen Zeiten ohne Änderung. 

 

DAS MUSS AUS GRUNDE DER SCHRIFT BEWEISET WERDEN. 

Moses saget gemeiniglich de ceremonialibus et forensibus: Haec servabitis in generationibus vestris (Anm.: in Ceremonial- und bürgerlichen Geboten: „Dies sollt ihr halten bei euren Nachkommen“). Und Paulus, wenn er davon redet, so saget er, dass allein die Juden in und aus dem Gesetz sind, Röm. 2, 3 und 4, und dasselbige Gesetz ist ein Zuchtmeister gewesen bis auf Christum, Gal. 3, aufgeleget bis auf die Zeit der Besserung, Hebr. 9, und gehöret unter das Alte Testament, welches zur Zeit des Neuen Testaments sollte veralten und sein Ende haben, Jer. 31, Hebr. 8. Und der Gesetze sind zweierlei, ceremoniales et forenses (Anm. ceremoniale und bürgerliche). Aber leges morales (Anm.: die Moralgesetze), gleichwie sie gewesen sind vor Mose, von Anfang, also hat sie auch Christus und die Apostel im Neuen Testament behalten, Matth. 5, Röm. 3, 7, 13. Und solchen Unterschied hat Gott selber gezeiget; denn die Zehn Gebote hat er selber geschrieben und befohlen, dieselbigen in die Lade des Bundes zu legen, 3 Reg. 8. Die anderen Gesetze aber hat Moses geschrieben und wurden im Tempel verwahret, 4 Reg. 22. Und hierin stehet der Grund, dass man gewöhnlich und recht sagt, dass Gottes Gesetze dreierlei sind: morales, ceremoniales et forenses. 

 

WENN NUN DIE SCHRIFT SAGT, WIR SIND NICHT UNTER DEM GESETZ, RÖM. 6, SONDERN DAVON LOS, RÖM. 7, ITEM VON DEM FLUCH DES GESETZES ERLÖSET, GAL. 3, IST DAS ALLEIN ZU VERSTEHEN VON DEN ZEREMONIEN UND GERICHTSORDNUNGEN MOSES? 

Was anbelanget den Fluch des Gesetzes von wegen der Sünde, item, was belanget die Rechtfertigung durch die Werke des Gesetzes, sind wir Gläubigen durch Christum vom ganzen Gesetze und allen seinen Stücken gefreiet und erlöset, also, wenn wir mit Gott handeln, dass er uns wolle die Sünde vergeben, zu Gnaden annehmen, die Kindschaft und das Erbe des ewigen Lebens schenken, dass wir solches nicht suchen dürfen durch einig Stück oder Teil des Gesetzes, sondern dass wir dasselbige aus Gnaden in Christo durch den Glauben finden und erlangen. Und obgleich das Gesetz uns von wegen der Sünde beklaget und verdammt, dass doch solches den Gläubigen um Christi willen nicht schaden solle, Röm. 8, 10, Gal. 3 und 4. Was aber belanget Übertretung und Gehorsam des Gesetzes, da ist ein großer Unterschied. Denn die Kirchenordnung und Landesordnung Moses sind also aufgehoben, dass derselbe Gehorsam uns gar nicht angehet, und auch keine Sünde ist, wenn wir dieselbigen gleich nicht halten, sondern übertreten; ja, wer sie als nötig wollte halten, der verlöre Christum darüber, Gal. 2, 4 und 5. Die Zehn Gebote aber binden alle Menschen also, dass sie deren Übertretung strafen in allen Menschen und zu allen Zeiten, und Christus gibt derhalben den Heiligen Geist seinen Gläubigen, dass der Gehorsam der Zehn Gebote in ihnen angefangen werde, wie das Paulus durchaus in seinen Schriften beweiset.

 

BEWEISET AUS DER SCHRIFT, DASS DIE MOSAISCHEN ZEREMONIEN ALSO AUFGEHOBEN SIND.

Gal. 3: „Nun der Glaube kommen ist, sind wir nicht unter dem Zuchtmeister. Hie ist kein Jude noch Grieche.“ Gal. 4: „Ihr haltet Tage, Monde und Feste. Ich fürchte, dass ich nicht umsonst an euch gearbeitet habe.“ Eph. 2: „Er hat die Mittelwand, so zwischen Juden und Heiden war, abgebrochen.“ Kol. 2: „Laßt euch niemand ein Gewissen machen über Speise, Trank, Feste, Sabbather.“ Und die ganze Epistel zu den Hebräern handelt das Argument. 

 

WARUM SIND SOLCHE ZEREMONIEN AUFGEHOBEN? SIND SIE DENN BÖSE UND UNRECHT GEWESEN? 

Nein; denn Gott hat sie selbst durch Mosen verordnet. Es sind aber allein Figuren, Vorbilder und Schatten der Person und des Amtes Christi gewesen, Kol. 2, Hebr. 8 und 9, in welchem die Väter des Alten Testaments ihren Glauben auf den künftigen Messias geübet und bezeuget haben. Nachdem aber Christus, der aller der Figuren und Schatten rechter Körper ist, Kol. 1, in’s Fleisch gekommen und das Amt der Erlösung verrichtet, hat Gott solche Vorbilder, als die nun ihr Ende erreicht, aufgehoben, gleichwie ein Maler die umbras oder primas adumbrationes (Anm.: Schattenrisse oder ersten Entwürfe) hinweg tut, wenn das Corpus absolvieret und fertig ist, – denn das Gleichnis brauchet die Schrift. Und wenn dieselbigen Ceremonien noch also blieben und gehalten würden, so wäre es gleichwie ein Bekenntnis, dass Christus noch nicht gekommen und das Amt der Erlösung noch nicht verrichtet hätte. Derhalben hat Gott nicht allein in seinem Wort, sondern auch mit der Tat die levitischen Ceremonien abgetan und aufgehoben, indem er den Ort und die Stätte, an welchem die Ceremonien müßten verrichtet werden, als den Tempel und die Stadt Jerusalem, hat zerstören lassen und lässt zerstöret bleiben.

 

MUSS MAN DENN JETZUND IM NEUEN TESTAMENT IN DEN KIRCHEN GAR KEINE CEREMONIEN HABEN? 

Rechte apostolische Ceremonien sind diese: die Taufe, Matth. 28, das Abendmahl des Herrn, 1 Kor. 11, Versammlung der Gemeinde zum Wort, zum Gebet und Sammlung der Almosen, Apostelg. 2, item, Brauch der Kirchenschlüssel, 1 Kor. 5, 2 Kor. 2. Zudem hat die Kirche etliche Ordnungen gemacht in Mitteldingen, die von Gott weder geboten noch verboten sind, die da Gottes Wort gemäß und dazu nutze sein und dienen sollen, dass in der Kirche in Handlungen des Worts, der Sakramente, des Gebets, der Almosen und der Kirchenschlüssel alles fein ordentlich, ehrbarlich und zur Erbauung zugehen möge. Und weil Paulus solche Freiheit der Kirche gibt, 1 Kor. 11 und 14, werden solche nützliche Ceremonien also und der Meinung billig, doch in christlicher Freiheit gehalten. 

 

SO MAG UND SOLL MAN DENN ALLE ZEREMONIEN DES PAPSTTUMS BEHALTEN? 

Etliche päpstische Ceremonien sind abergläubisch, Gottes Wort ungemäß und demselbigen stracks zuwider, als die Opfermesse, Anrufung der Heiligen etc. Die sollen und müssen abgetan und unterlassen werden. Etliche sind aus der alten Kirche herkommen und sind Mitteldinge. Da die was bauen, können sie behalten werden. Etliche dienen nichts Sonderliches, weder zur Ordnung, noch zum Wohlstande, noch zur Erbauung; in welchem christliche Freiheit um der Schwachen willen sich halten mag nach Pauli Lehre und Exempel, Röm. 14, 1 Kor. 9. Was aber närrisch, kindisch Puppenwerk ist, das gehöret nicht ad gravitatem ecclesiasticam (Anm.: zur kirchlichen Würde und Wohlanständigkeit) 1 Kor. 14. 

 

WIE ABER, WENN SOLCHE MITTEL ALS CEREMONIEN AUFGELEGT UND ERFORDERT WERDEN ALS NÖTIG, UND DARIN DER GOTTESDIENST, GERECHTIGKEIT UND SELIGKEIT STEHE?

In dem Fall muss die christliche Freiheit erhalten werden nach der Lehre Pauli, Gal. 5, Kol. 2, Matth. 15. Wenn aber die Feinde der reinen Lehre auf solche Ceremonien also nötigen, dadurch und also der reinen Lehre Abbruch zu tun und falsche Lehre gemächlich einzuführen und zu bestätigen, so stehet Pauli Exempel klärlich vor Augen; denn der spricht 1 Kor. 7: Die Beschneidung ist nichts, das ist, ein frei Mittelding; item Röm. 14 weichet er den Schwachen in der Speise und Zeit. Aber da etliche falsche Brüder die christliche Freiheit dadurch wollten gefangen nehmen und also ihre falsche Lehre einführen und bestätigen, spricht er Gal. 2: Wir weichen ihnen nicht eine Stunde, auf dass die Wahrheit des Evangelii bei euch bestünde; item, die in dem Fall weichen, die wandeln nicht richtig nach der Wahrheit des Evangelii; Gal. 4: Ihr haltet Tage, Monde, Feste etc. Ich fürchte, dass ich nicht umsonst an euch gearbeitet habe etc. 

 

SIND DENN DIE LEGES FORENSES ODER DIE GERICHTS- UND LANDESORDNUNG MOSES AUCH AUFGEHOBEN? 

Das bezeuget Gott damit, dass er das ganze jüdische Regiment in Haufen geworfen und dasselbige nicht lässt wieder aufkommen; denn ohne Obrigkeit und Regiment ist die Gerichtsordnung nichts. Auch bezeugens die Apostel damit, dass sie den Bekehrten aus den Heiden nicht auferlegt haben die Gerichtsordnung Moses, sondern haben ihnen gelassen ihre gebräuchlichen leges forenses, haben sich selber denen unterworfen und die Christen denen zu gehorsamen befohlen. Act. 16, 22, 25. Röm. 13. 1 Petr. 2. 

 

SOLL DENN UNTER DEN CHRISTEN KEINE OBRIGKEIT, KEIN REGIMENT, GERICHT ODER RECHT SEIN, WEIL CHRISTUS SPRICHT MATTH. 20: VOS AUTEM NON SIC (ANM.: IHR ABER NICHT ALSO), ITEM 1. KOR. 2: DER GEISTLICHE RICHTET ALLES UND WIRD VON NIEMAND GERICHTET? 

Christus Matth. 20 redet nicht von der Obrigkeit, sondern von dem Apostelamt und spricht, dass dasselbige nicht soll eine weltliche Herrschaft sein; und 1 Kor. 2 handelt Paulus nicht vom weltlichen Gericht, sondern davon, dass von Gottes Sachen nicht der natürliche Mensch nach der Vernunft, sondern der geistliche Mensch aus und nach Gottes Wort richten soll. Die weltliche Obrigkeit aber mit ihrem Regiment, so von Gott eingesetzt, Genes. 9, Ps. 82, Prov. 8, Daniel 2, wird durch das Evangelium im Neuen Testament nicht aufgehoben, sondern bestätiget als eine sonderliche Ordnung Gottes, welcher auch die Christen um des Gewissens willen sollen untertan sein, Röm. 13, 1 Petr. 2. Und auch Christen können dasselbe Amt mit gutem Gewissen tragen, Ps. 2, wie bezeugen die Exempel Josephs, Marci 15, Cornelii, Act. 10, Sergii, Act. 13. 

 

WEIL NUN ABER KEIN REGIMENT OHNE GERICHT UND RECHT SEIN UND BESTEHEN KANN, UND GOTT SELBST EINE GERICHTSORDNUNG GESTELLET HAT, WÄRE ES DENN NICHT BESSER, DASS CHRISTLICHE OBRIGKEIT GOTTES RECHT, ALS DER BLINDEN HEIDEN RECHT, BRAUCHTE UND DARAUS URTEIL SPRÄCHE? 

Gott hat leges judiciales Moysi (Anm.: die gerichtlichen Gesetze Moses) nicht der Meinung gegeben, das alle Völker an allen Orten sich darnach richten sollen, als wäre es eine notwendige Regel, nach welcher Form an allen Orten Regiment und Gericht bestellet und Recht gesprochen sollte werden, sondern nach Gelegenheit des Orts und des Volks hat er eine Landesordnung gemacht, also dass auch nach dem äußerlichen, weltlichen Regiment vor allen andern Völkern unterschieden sollte sein das Volk, von welchem Messias sollte herkommen. Damit aber hat Gott anderer Völker Gericht und Recht, so dem Decalogo (Anm.: den Zehn Geboten) gemäß, nicht verworfen, sondern die Apostel haben nicht alleine aus christlicher Freiheit legibus aliarum politiarum (Anm.: den Gesetzen anderer Staaten) sich unterworfen, sondern auch den Christen geboten, denselben als Gottes Ordnung beim Gewissen untertan zu sein. Röm. 13. 1 Petr. 2. 

 

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